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Die Anderen!

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18.01.2004
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Die Anderen!

Die Anderen!

Es dauerte lange, bis endlich einer fragte: „Weiß jemand wo Silia ist? Ich habe sie schon lange nicht mehr hier gesehen. Weiß jemand warum sie nicht mehr kommt?“ Und jemand nahm ihn bei der Hand und führte ihn weg von den anderen und erklärte ihm: „Silia ist anders. Sie denkt anders als wir. Deshalb kommt sie nicht mehr. Wir wollen hier keine Andersdenkenden haben.“

Es ist jetzt Herrmann der immer am Computer sitzt und Silias Arbeit macht. Er ist langsam, macht viele Fehler. Es fällt ihm schwer. Irgendwann fragt Einer: „Das war doch immer Silias Aufgabe? Sie war echt gut darin. Warum machst Du das jetzt?“ Er zieht ihn zu sich herab und flüstert ihm ins Ohr: „Silia ist anders. Sie denkt anders als wir? Deshalb macht sie es nicht mehr. Wir wollen nicht, dass Andersdenkende hier arbeiten.“

Man tuschelt leise in den Reihen: „Was Silia wohl so schlimmes anders denkt?“ Man hinter vorgehaltener Hand. Und schließlich findet einer den Mut und fragt: „Was hat Silia den so anderes gedacht?“
Und jemand nimmt ihn bei der Hand und führt ihn weg von den anderen und erklärte ihm: „Silia ist anders. Sie ist nicht wie wir. Leute die anders sind, die passen nicht hierher. Bist Du noch einer von uns?“

Es dauerte lange bis einer fragte: „Weiß jemand wo Ralf ist? Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen. Weiß jemand warum er nicht mehr kommt?“ Und ein anderer fragt: „Warum kehrst Du jetzt Dienstags die Treppe? Wo ist Ralf? War das nicht immer seine Aufgabe?“
Und schnell eilt einer herbei und nimmt sie beiseite: „Ralf ist anders? Er ist nicht mehr wie wir? Deshalb kommt er nicht mehr. Er gehört nicht mehr zu uns.“

Sie sagt am Abend im Bett zu ihrem Mann: „Es herrscht Unruhe unter den Leuten. Sie fragen nach denen die anders sind. Es wird einen Aufstand geben, wenn wir nicht bald etwas dagegen tun.“
Am nächsten Morgen wissen es alle: „Wer anders denkt ist gefährlich! Ihre Gedanken sind Gift für die Gemeinschaft. Man darf nicht mit ihnen reden. Man darf nicht nach ihnen fragen. Man darf nicht einmal mehr an sie denken!“
Sie treffen sich in einem alten Keller am Rande der Stadt. Es werden immer mehr, die Nachts durch die Gassen dorthin schleichen. „Es ist nicht richtig, was sie da tun!“ sagt Silia. „Ich will keine Marionette sein die immer tut und denkt, was sie sagen. Ich will frei sein. Sie haben kein Recht mir die Freiheit zu nehmen.“ „Es ist nicht richtig, was sie da tun!“ sagt auch Frank. „Sie dürfen so etwas nicht über uns sagen. Das sind doch Lügen, die sie da verbreiten nur damit niemand anders denkt als sie!“

Sie ist noch jung, erst dreizehn Jahre und geht der Sache auf den Grund. Sie kennt Silia und Ralf nicht. All das ist viel zu lange her. Sie weiß nur, dass es da draußen noch die gibt, die anders denken, die anders sind als wir. Sie hat keine Angst. Sie glaubt nicht an das, was man ihr über die anderen sagt. Sie will es wissen, ganz genau! „Wo seid ihr?“ fragt sie, „Man hat Euch so lange nicht gesehen. Warum kommt ihr nicht mehr?“

Vor ihr steht Silia. Sie ist alt und grau. „Ich wollte keine Marionette sein und immer nur nach ihrer Pfeife tanzen. Ich wollte frei sein. Das waren meine Gedanken. Deshalb bin ich hier. Leute die frei sein wollen wollten sie nicht haben.“ „Ich habe erkannt, dass alles da nicht richtig ist!“ sagt Ralf mit schwacher Stimme. „Sie haben nicht das Recht dazu uns so zu steuern. Das waren meine Gedanken. Deshalb bin ich hier. Leute die so denken wollten sie nicht haben!“

„Sie reden von Freiheit!“ denkt sie und kehrt zurück. „Ich weiß nicht einmal was Freiheit ist. Sie reden von richtig und falsch. Ich weiß nicht was richtig und was falsch ist. Sie sind wirklich anders, zu anders. Leute die so anders sind wollen wir nicht haben. Sie haben recht, die passen nicht zu uns.“

Juni 2004

 

Hallo Puregold,

stilistisch hat mir deine Geschichte sehr gut gefallen. Dieser Minimalismus ist eine gute Idee, und die fließende Sprache liest sich angenehm. Auch, weil das Thema schon recht abgegriffen ist, tut dieser etwas andere Stil der Geschichte gut.

Inhaltlich sind noch teilweise Brüche drin, finde ich. Am Anfang ist nur von einer Firma die Rede, und man denkt, es geht um eine sehr restriktiv geleitete solche. Später kriegt man dann mit, dass es wohl die ganze Gesellschaft betrifft, die so sehr gleichgeschaltet wird, dass zwei Generationen später mit dem Begriff Freiheit nichts mehr angefangen werden kann (schön, wie sich der Kreis so wieder schließt). Da fehlen mir noch ein, zwei Beispiele, die außerhalb dieser Firma stattfinden.


Sie sagt am Abend im Bett zu ihrem Mann: �Es herrscht Unruhe unter den Leuten. Sie fragen nach denen die anders sind. Es wird einen Aufstand geben, wenn wir nicht bald etwas dagegen tun.�
Am nächsten Morgen wissen es alle:

Hier fehlt mir auch ein Bindeglied. Warum wissen es alle, was ist geschehen, dass die, die anders sind, a la Orwell gemieden werden? Wer gab die Parole aus, was droht, wenn es nicht eingehalten wird? Sicher wäre es falsch, das zu breit zu treten, das passt nicht zu der Geschichte, die mit wenigen Worten recht viel erzählt, aber ein, zwei kleine Sätze vermisse ich hier.


Sie treffen sich in einem alten Keller am Rande der Stadt. Es werden immer mehr, die Nachts durch die Gassen dorthin schleichen. �Es ist nicht richtig, was sie da tun!� sagt Silia. ...

Diesen Teil würde ich stärker absetzen, denn hier wechselt auf einmal die Perspektive zu Silia und Co. Die Aussage in diesem Absatz ist mir auch zu profan. Dass die Ächtung der "anderen" falsch ist, ergibt sich auch so. Wenn du also die Perspektive der Geächteten einbringen willst, bring lieber einen neuen Aspekt, z.B., die Überlegung, ob es Sinn macht, gegen die Ächtung zu kämpfen, oder die Feststellung, warum es keinen Sinn macht.

�Es ist nicht richtig, was sie da tun!� sagt auch Frank.

Welcher Frank? Müsste das nicht Ralf sein?

Das Ende gefiel mir sehr gut. Es vermeidet das Klischee: "Aufgewecktes Mitglied der gleichgeschalteten Gesellschaft ist erschüttert vom Freiheitsgedanken", sondern zeigt eine böse, bittere Logik.

Viele Grüße
Pischa

 

Danke für Deine Kritik!
Stimmt, es müsste Ralf heißen. Werde das bei Gelegenheit verbessern. Auch den rest werde ich mir nochmals durch den Kopf gehen lassen. Ich muss dabei nur bedenken, dass es mir eben nicht um eine Firma oder die ganze Gesellschaft ging sondern um einen freiwilligen Zusammenschluss vieler Menschen der seinen Charakter sehr geändert hat. Diese veränderungen, die mich persönlich betrafen, habe ich in dieser geschichte übertrieben widergespiegelt. Wenn Du es anders ließt, eine Firma darin erkennst, ist mir das aber auch recht. jeder soll seine eigenen Assiziationen haben dürfen. Sonst hätte ich das genauer geschrieben. Trotzdem muss ich eben bedenken was ich ändern muss um meinen persönlichen Sinn nicht zu verfälschen und um das Ganze für andere sinnhafter werden zu lassen. Nochmals Danke für Deine Kritik!
puregold

 

Hallo puregold,

Freiheit kann ganz schön Angst machen, so sehr, dass man sie aussperren möchte. Das scheint nicht nur für die Mächtigen zu gelten, sondern auch für die, die frei sein sollen. Ich mochte deine Geschichte, allerdings habe ich nicht verstanden, warum du in den Zeiten so sehr zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her gesprungen bist.
Alles weitere in den Details.

Sie war echt gut darin.
ich würde das "echt" streichen, da es in dem knappen sachlichen Stil zu beiläufig und umbagssprachlich erscheint.
„Was Silia wohl so schlimmes anders denkt?“
Entweder "Anderes denkt" oder "wie anders denkt Silia?
Deine Lösung wirkt irgendwie ungelenk.
Man hinter vorgehaltener Hand.
Und hier hatte ich den Eindruck, du hast hinterher korrigiert und bei dem Satz was vergessen. Er kann aber eigentlich auch ganz weg.
Das sind doch Lügen, die sie da verbreiten
für "da" gilt das Gleiche wie für "echt"

Lieben Gruß, sim

 

Gut erkannt.


Adolf Hitler musste noch intellektuelle Bücher verbrennen.

Unsere Werbeindustrie schafft es, dass kaum einer noch intellektuelle Bücher lesen will. Das ist viiiel eleganter.
Wenn Freiheit bestenfalls das Tragen von Nike-Schuhen ist, brauchen wir Philosophie nicht emhr zu fürchten.
Gehirnwäsche ist die beste Methode.

Guter Text, diesbezüglich.

 

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