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Die Auto- Hebamme

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30.08.2003
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Die Auto- Hebamme

Es war, als müsse ich durch all die Flaschen hindurch sehen, die ich geleert hatte.
Die Scheibenwischer meines alten Wagens glichen mit ihrem Hin- und Hergewackel meine verschrobene Sichtweise aus, und waren somit auf abstruse Weise das einzige, was ich „wirklich“ sehen konnte.
Zumindest bildete ich mir das ein.
Meine Augen schienen die selben Bilder immer wieder kommen zu lassen, wie Massenware auf einem Förderband.
Das war schon schlimm genug, doch was mich wirklich allemachte, war mein Verdauungstrakt:
Mein Mund, der noch immer den Geschmack von hochprozentigem umklammert hielt, wie einen bösen Geist, den man nur schmecken, aber nicht sehen kann.
Meine Speiseröhre, die ich zu bändigen versuchte wie eine umherpeitschende Schlange.
Und mein Magen, das Säurebad.
Von dort aus würde meine Verdauung heute noch einen gänzlich falschen Weg einschlagen, dessen war ich mir sicher.
Doch nicht nur mein Magen hatte die Orientierung verloren, sonder auch ich, und so kommen wir endlich zu dem Grund, warum ich diesen überaus wichtigen Charles Bukowski Verschnitt überhaupt für die überaus interessierte Nachwelt aufhebe.
Von meinem Hirn aufs Papier, und los geht’s!

Ich erinnere mich an Tage, an denen ich in den falschen Zug gestiegen war, und durch komplett fremdartige Gefielde gerattert war.
Ich erinnere mich auch an Tage, an denen ich ungefähr so betrunken war, wie an jenem Tag.
Doch meine Geschichte beginnt damit, dass ich in betrunkenem Zustand durch gänzlich fremde Gefielde fahre, und noch dazu mit meinem eigenen Auto.
Das volle Programm also.

Den Party- Lärm hatte ich hinter mir gelassen, die Ausfahrt ebenfalls.
Von da an war alles komplett Doktor Gross- verschwommene Erinnerungsfäden, die sich in ihrer zweifelhaften Logik nicht verknüpfen wollen.
Ich sah schwarze Äcker, durchschlängelte sie auf verschlungenen Pfaden, während sich der Rausch um meinen Verstand schlang und sich mein Mageninhalt langsam seinen Weg in meinen Mund hinaufschlängelte.
Verschiedene Landschaften wechselten sich hinter dem Fenster ab wie Tag und Nacht, doch ich bekam wenig davon mit.
Steine, Hänge, Asphalt, Erde, Schotter, Bäume,...

Ein Abschnitt meiner Fahrt prägte sich mir dann doch recht gut ein- die Tannen- Phase.
Kurvige Höhen und Tiefen wanden sich durch einen unglaublich dichten, schwarzen Wald, der aus geschlossenen Tannenreihen bestand, deren Äste so ineinander verschränkt waren, das man weder Stämme noch irgendwas sonst dazwischen sehen konnte.
Ich versuchte mich auf die Straße zu konzentrieren, was schwer war, wie man sich vorstellen kann.
Da waren erstmal die ungezählten Liter ungezählter verschiedener Sorten voll von ungezählten Prozenten...
Außerdem war die Straße zwar sauber asphaltiert, doch gab es weder Straßenschilder noch gelbe Streifen in der Mitte, noch gab es IRGENDWAS an das sich mein Blick halten konnte, außer der Straße selbst.
Und die wand sich und wand sich, ging bergauf, bergab,... und so weiter.
Ich fühlte mich wie Henry Rollins in „Nervous Breakdown“: „I just wanna...dieeeee...“

Während mein Gehirn auf Tauchstation ging, um die Situation die sich vor allem vor meinen Augen und in meinem Magen abspielte möglichst im Hintergrund zu belassen, wurden meine Lider klebrig und lösten sich immer schwerer voneinander.
Ich hatte ungefähr soviel Realitätsbezug wie Jörg Haider.
Während ich in dieser warmen Dämmerwolke versank und mich in sie einmümmelte wie eine zufriedene Sau in einem Meer von unwahrscheinlich stinkender Scheiße...
Da passierte es.
Mein Bewußtsein stieg schlagartig an die Oberfläche, was sich anfühlte, wie wenn ein Eskimo in der Hölle, oder ein Afrikaner am Nordpol aufwacht.
Natürlich kam noch hinzu, dass der Anblick, den dieses schwarze Band der Straße da zutageförderte ausgesprochen... naja „ungewöhnlich“ war.

Mit den Fehlzündungen meines Jetta Cat könnte man einen Krieg anfangen.
Ich setzte meine Gummifüße auf den festen Boden und bewegte mich mit Gummistelzen auf das zu, was meine Fahrt behinderte.
Die erste Unregelmäßigkeit die seit 20 Kilometern zu sehen war, mußte doch nicht auf so extreme Art... unregelmäßig sein!
Obwohl ich betrunken war, preßte es mir die Furcht durch die Adern.
Was meine Scheinwerfer da bestrahlten! Was sie da in einer Insel aus Licht gefangenhielten!
Es war ein Embryo.
An die vier Meter hoch, steckte er in einer transparenten, orangenen Kugel, die aussah, als hätte sie sich jemand aus einem Kaugummiautomaten heruntergedrückt.
Große Augen hatte das Ding, und mit seinem gewaltigen grünen Schädel sah es so fremdartig aus, wie ein Mensch nur aussehen kann.
Obwohl ich mir mit der Farbe nicht ganz sicher bin.
Vielleicht lag es an der Hülle, die es umgab, dass sich mir dieses Detail nicht eingeprägt hat.
Alles was ich jetzt noch in meinem Kopf sehe, ist ein gewaltiger, irgendwie menschlicher Fötus, der in einer Kugel steckt, die genauso breit ist wie die Straße.
Es war kein Platz um zu wenden, und ich war um einiges zu betrunken, um rückwärts zu fahren, schon garnicht auf einer derart kurvenreichen Straße.
Ich will nicht drumherum reden, es ist mir unangenehm.
Es war mir unangenehm in der Nähe dieses Dings zu sein, und es war mir unangenehm mit dieser alten Klapperkiste auf dieser merkwürdigen Straße zu stehen, ohne zu wissen, wo zum Teufel ich eigentlich war.
Es hätte China sein können.
Also tat ich es:
Mit meinen 75 Pferdestärken schon ich die gewaltige Kugel vorwärts.
Meine Stoßstange hielt, der Motor machte erstaunlich wenig Mätzchen, und der Embryo drehte sich mit seinen mandelförmigen Augen und seinem Riesenschädel vor dem sternenübersähten Hintergrund des Universums.
Dazu kam die merkwürdige Farbe des Wesens (ich weiß nicht, ob es zumindest anatomisch menschlich war, wenn auch die Größe eindeutig nicht stimme).
Ich schob den grünen Fötus mit meinem Jetta Cat über die Straße.
Ich ließ ihn rollen und rollen und rollen...

Der Alkoholzog sich langsam aus meinem Gehirn zurück, und mein Verstand klärte auf, wie wenn man einen Haufen Puzzleteile immer mehr zu einem klaren Bild zusammensetzt.
Vor mir drehte sich die Kugel weiter, und das Kind rotierte so langsam und schwerfällig, dass ich vor Ungeduld ganz kribbelig wurde.
Die Zeit häufte sich wie ein zäher, mysteriöser Brei.
Mein Gasfuß drohte taub zu werden, und ich versuchte die Kugel zu schubsen, doch das erwies sich schnell als unmöglich, denn so leicht die Arbeit für meinen Motor auch war, so fest schien die Kapsel dem Boden aufzuliegen.
Ich blickte hinauf zum Himmel und dann auf die Uhr an meinem Armaturenbrett.
Die Zeit verging nicht nur langsam, sie schien völlig verrückt zu spielen.
Die grün leuchtenden Zahlen liefen rückwärts.
Ich hatte diese Tatsache kaum erkannt, da blieben mir auch nur noch 50 Sekunden, bis der Countdown abgelaufen sein würde.
Ich blickte nach vorne, versuchte irgendetwas hinter der Kapsel zu erkennen, doch dort zeigte sich mir nichts, was ich nicht schon zur Genüge kannte: Bäume, Kurven.

5 Sekunden, das letzte mal drehte sich die Straße.
Und da! Das Ziel- ein Lichtschein, der meine Scheinwerfer auslöschte und den Tunnel aus Tannen erhellte.
Die Kapsel mit dem Riesenembryo erstrahlte und schien von innen her zu glänzen wie ein Diamant.
Das grelle Licht flutete durch eine Art Spalt, der die Form eines mandelförmigen Auges hatte, das auf dem Kopf steht.
Ich versuchte erneut, das alles zu verstehen.
Die verrücktesten Ideen bäumten sich in mir auf:
War ich in einen Körper geraten, der von Straßen durchquert wird, ja von ihnen lebt?
Vielleicht war es Mutter Natur persönlich, deren anatomische Inseln sich über den ganzen Planeten verteilt, jede mit einer gänzlich anderen Funktion, und doch Teil ein und desselben Organismus?
Hatte ich gerade eine neue Welt geboren?
Die Kugel rollte auf den Spalt zu, dessen Licht zum Schluss von dem Körper des Embryos verdunkelt wurde, und nie wieder leuchten sollte.
Er hatte das Kind samt Kapsel verschluckt.
Er schloss sich und bot mir einen freien Weg.
Mir blieb nichts anderes übrig als einfach weiterzufahren.
Von dort an ging es weiter.
Weite Straßen und Länder zogen stumm an mir vorbei, während meine Gedanken kochten.
Ich erreichte wieder Städte und Plätze die mir bekannt waren, und diesmal fühlte es sich an, als wäre ich der erste Mensch, der diese Orte je durchquert hatte.
Selbst meine Wohnung war kalt, leblos und fremd.
Ich legte mich auf mein weiches Bett und schlief meinen Rausch aus.

 

Hallo Vantandriel

Eine interessante und wirklich seltsame geschichte ist dir gelungen. Vor allem haben mir dein manchmal durchaus lakonischer Stil und die gelungenen Metaphern gefallen.

Vantandriel schrieb:
Mit den Fehlzündungen meines Jetta Cat könnte man einen Krieg anfangen.
Cool :)

Bleibt mir nur eine frage: Was hat es mit diesem Riesen-Embryo auf sich? Ich war etwas unbefriedigt mit deinen Erklärungsversuchen. Falls du es selbst weißt, kannst du es mir ja mal verraten.

ansonsten ipy Hagen

 

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