Mitglied
- Beitritt
- 24.09.2004
- Beiträge
- 29
Die Axt
Die Axt
Auf dem Hof hinter dem Zirkuszelt trafen sich die beiden Clowns, als die Vorstellung zu Ende war. Die Zuschauer waren nach Hause gefahren, und nur noch Popcorntüten und Girlanden erinnerten daran, dass sie einmal dagewesen waren.
„Verdammt schlechte Vorstellung!“, sagte der eine Clown und kickte frustriert gegen die kleine Laterne, an der sie standen.
„Die Gags gehen uns aus. Die Zeiten sind härter geworden“, sagte der andere und sah nachdenklich in die Ferne.
„Was du nicht sagst. Heute haben sie gar nicht gelacht.“
„Ich hätte da eine Idee“, sagte der andere Clown und holte etwas hinter einem Holzfaß hervor, das in ihrer Nähe stand. Der Gegenstand blitze im Mondlicht.
„Eine Axt?“ fragte der eine, als die große Waffe im Schein der Laterne Gestalt annahm.
„Hab’ sie noch nicht ausprobiert.“ Er wog die Axt in seinen Händen. „Soll aber gut sein... Würdest du sie testen? Vielleicht können wir sie morgen in die Show einbauen. Wenn wir nicht lustiger werden, sind wir bald pleite!“
Die Augen des anderen maßen das schwere Gerät argwöhnisch. Dann sagte er: „Gib her. Ich werd’s testen.“ Griff die Axt und lief davon in die Nacht.
Die Stadt war verlassen. Die Menschen schliefen bereits, und es dauerte eine Weile, bis er einen Mann traf, der gegen einen Baum gelehnt urinierte. Offensichtlich war er betrunken.
„Was willstn?“ lallte der Mann. Sein Blick war glasig.
Der Clown schwenkte die Axt und präsentierte sie mit verhaltenem Stolz. „Soll unser neuer Gag werden. Wollt’ mal testen wie das Ding bei den Leuten ankommt. Darf ich?“
Der Betrunkene schien nicht verstanden zu haben. „Was willste, Clown? Nen neuen Gag testen?“ Er lachte. „Schieß los, kann’s kaum erwarten.“
Der Clown schwang die Axt nach dem Betrunkenen.
Erst passierte gar nichts, und er fragte sich bereits, ob er das Teil vielleicht falsch bedient hatte, doch dann begann der Kopf des Mannes langsam von seinen Schultern zu rutschen, kippte und fiel mit einen Platsch zu Boden. Der Mann lachte nicht.
Verdammt, dachte der Clown, hat nicht funktioniert!
Er schlenderte ein paar Straßen weiter, als ihm eine Idee kam: vielleicht wirkte der Gag nur bei ihm selbst? Mit neuem Elan beseelt, suchte er erneut in den verlassenen Straßen und wurde bald fündig. Auf einer Brücke, gar nicht weit entfernt von dem Zirkuszelt, stand eine Frau mit ihrem Kind Hand in Hand. Sie beobachteten die Sterne.
Der Clown näherte sich den beiden und grüßte: „Einen guten Abend, meine Dame.“ Er räusperte sich. „Ich bin ein Clown, und ich würde es begrüßen, wenn ich wohl meinen neuen Gag an ihnen ausprobieren dürfte. Oder um genau zu sein: sie probieren ihn an mir aus.“
Die Frau schien gelinde interessiert und nahm die Axt an sich. Das Kind schaute gebannt. „Was muss ich tun?“, fragte sie.
„Nun, sie müssen die Axt nur an mir ausprobieren, dann sollte es funktionieren.“
Die Frau blickte auf die Axt, dann wieder zum Clown, überlegte einen Moment und schwang sie schließlich in weitem Bogen. Kind und Frau zuckten zusammen, als es geschah. Knisternd lag Spannung in der Luft.
Dort, wo die Axt geschnitten hatte, entstand ein haarfeiner roter Strich; dann rannen kleine Blutstropfen. Der Kopf des Clowns rutschte langsam zur Seite, kippte und fiel mit einem Platsch zu Boden.
Die Frau war irritiert und warf die Axt in den Fluss unter der Brücke, wollte sie doch nicht recht einsehen, was daran so lustig war. „Lass uns gehen“, sagte sie.
Als sie einige Meter gegangen waren, drehte sich das Kind noch einmal um. Es sah den Körper des Clowns und schmunzelte. Dann wanderte sein Blick weiter zum abgeschlagenen Kopf; sein Schmunzeln wurde ein Grinsen. Und als sie schließlich weiter gegangen waren und schon längst die Brücke hinter sich gelassen hatten, da lachte das Kind laut und lange. Sein Gelächter schallte durch die Nacht und wollte gar nicht mehr enden.