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Die Brücke

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22.02.2024
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Die Brücke

Es war Sommer und die Welt war in Ordnung. Es gab wohl kaum eine bessere Zeit auf dem Land zu wohnen. Die Welt war satt in Farbe und die Wälder kühl und schattig. Jasper und ich hatten uns nach der Schule verabredet. Er wohnte um die Ecke und ich konnte einfach zu ihm rüber radeln. Ich erinnere mich noch an das Geräusch meiner fast platten Reifen auf dem heißen Asphalt. Es war eine Art Surren, das rhythmisch meine Tritte begleitete. Meine Badehose schabte an der Innenseite meiner Oberschenkel und das Badehandtuch drückte meinen Nacken runter. Im Sprint erklomm ich die Treppenstufen zur Haustür der Winters und drückte auf die Klingel. Jaspers Mutter öffnete die Tür und lächelte mich an. Hinter ihr sah ich Jasper auf der hölzernen Wendeltreppe hocken, er zog sich gerade die Schuhe an. Zusammen flogen wir durch die Straßen. Freihändig und johlend bretterten wir über Schotterwege. Wir nahmen die Abkürzung über das Feld am Kompostplatz. Der Bauer, dem das Feld gehörte, hatte es uns eigentlich verboten, also traten wir ordentlich in die Pedale. Durch unser Heimatdorf floss ein Seitenarm der Weser, die Emmer. Sie schlängelte sich durch das gesamte Dörfchen hindurch. Ab und zu verschwand sie in einem kleinen Kanal und tauchte woanders wieder auf. Nach Ortsausgang schnitt sie durch eine Landschaft aus Wiesen und Apfelbäumen und endete einige Orte weiter in einem Stausee. Es war so heiß, dass wir eigentlich keine andere Wahl hatten, als schwimmen zu gehen. Die Hitze ließ unsere Köpfe anschwellen und es war höchste Zeit etwas Dampf abzulassen. Jasper wollte von der Brücke springen, die am Ortsausgang war. Ich war skeptisch, Höhen waren noch nie meine Stärke gewesen. Sowieso hatte ich vor so ziemlich allem Angst. Wäre Jasper und unsere jahrelange Freundschaft seit dem Kindergarten nicht gewesen, dann wäre ich wahrscheinlich nie aus meinem Zimmer rausgekommen. Mein Bauch grummelte nervös. Heute würde ich mich trauen, ich würde endlich springen, das konnte ich in meinen Knochen spüren. Jasper legte einen Endspurt an und strampelte wie wild an mir vorbei. Das ließ ich mir nicht nehmen und so legte ich mich ebenfalls ins Zeug. Gegen Jasper konnte ich nie gewinnen, aber das war in Ordnung. Ich war kein schlechter Verlierer und Jasper kein nerviger Gewinner. Wir lehnten unsere Fahrräder an die metallenen Brückenpfeiler und zogen unsere T-Shirts aus. Meine helle weiße Haut schien in der strahlenden Sonne zu leuchten. Jasper hingegen war braungebrannt und für einen 13-Jährigen sportlich gebaut. An seinem Arm trug er sein Lieblingsarmband. Das mit dem Anker dran. Eigentlich war er alles, was ich sein wollte. Er kam immer gut bei den Mädchen an und lachte immer so laut wie er wollte. Ich hingegen war eher ruhig und wurde von Jasper immer mitgeschleppt. Unsere nackten Füße berührten den heißen Teer und wir mussten von dem einen aufs andere Bein springen, damit unsere Sohlen nicht verbrannten. Ein größerer Junge hatte Jasper erzählt, dass die Emmer unter der Brücke tief genug sei, um hineinzuspringen. Wir standen auf der Reling und hielten uns an der Hand, um nicht die Balance zu verlieren. Jasper sah mir ins Gesicht und ich konnte seine Grübchen erkennen, so breit war sein Lächeln. Natürlich bekam ich kalte Füße und kühler Schweiß rann mir den Rücken herab. Ein leichter Wind ging über die Brücke und ich sah in den Fluss unter uns. Das braune Wasser kräuselte sich unter mir in kleinen Wirbeln, die sich ineinander drehten. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte mir Jasper einen kleinen Schubs gegeben und ich segelte durch die Luft Richtung Wasseroberfläche. Der Aufprall war erfrischend und kalt. Es fühlte sich so an wie das Geräusch, das man hört, wenn man eine neue Flasche Wasser aufmacht. Der Sog zog mir die Beine weg und ich merkte, wie schnell der Fluss eigentlich floss. Ich tauchte auf und stieß das brackige Wasser aus meiner Nase. Jasper sprang in dem Moment, als mein Kopf auftauchte. Er fiel langsam und die Zeit schien still zu stehen. Dann krachte er in die Emmer. Ich strampelte mit meinen Beinen und hielt mich so über Wasser. Gespannt wartete ich darauf Jaspers Kopf aus den Strudeln auftauchen zu sehen. Aber er tauchte nicht auf. Panik packte mich im Nacken und ich tauchte hinab in die kühle Tiefe. Das dreckige Wasser verhinderte meine Sicht. Ich konnte gerade so noch meine Hände sehen. Mit kraftvollen Zügen pflügte ich durch die glitschigen Algenwälder am Boden des Flusses. Mein Körper zitterte vom Adrenalin. Ich vergaß, dass ich atmen musste. Trotz des kühlen Wassers schien mein Körper zu brennen. Ich konnte Jasper nicht finden. Er würde sich nie erlauben jemals über so etwas Witze zu machen, dafür kannte ich ihn zu gut. Als ich wieder auftauchte, war er nirgendwo zu sehen. Also schrie ich. Ich schrie, bis ich nicht mehr schreien konnte, wobei ich Wasser schluckte und husten musste. Jasper war nicht mehr aufgetaucht. Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, vergingen und ich hievte mich ans matschige Ufer. Die Panik entzog mir jede Kraft. Über mir hörte ich das Quietschen einer Fahrradbremse und die eiligen Schritte einer schweren und großen Person.

Ich erinnere mich nicht gerne an diesen Tag, denn es war der Tag, an dem Jasper ertrank. Mein bester Freund für immer von dieser Erde verschwunden. Ich ging den Rest des Jahres nicht mehr zur Schule. Durch einen Artikel in der Zeitung erfuhr ich über einen Monat später, dass sie seinen Körper in dem Gestrüpp einer Baumwurzel gefunden hatten, die in den Fluss hineingewachsen war. Auf seiner Beerdigung konnte ich seinen Eltern nicht in die Augen sehen. Ich fühlte mich schuldig, verantwortlich für den Tod ihres Sohnes. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt, aber damals war es das schlimmste Gefühl der Welt. Es saß in meinen Bauch und fraß ein Loch hinein. Ich rettete mich in die vier Wände meines Kinderzimmers und verbrachte die nächsten Sommer mit Hörspielen. Das Gefühl ging nie ganz weg, manchmal spüre ich es heute noch, wenn ich eine Brücke sehe oder schwimmen gehe. Was damals im Fluss geschah, veränderte mich. Die Welt verlor an Farbe und nie war ein Sommer wieder so warm wie in diesem Jahr. Jetzt wohne ich in einer großen Stadt, weit weg von unserem kleinen Heimatdorf und weit weg von der Emmer. Aber Jasper hat mich nie ganz verlassen. Manchmal sehe ich Fotos von mir und ein paar Freunden aus dem Studium. Dann bilde ich mir ein Jasper zu sehen, eine ältere Version von ihm, die es niemals gegeben hatte. Er hat einen Arm um mich gelegt und den anderen jubelnd ausgestreckt. Um sein Handgelenk hängt sein Lieblingsarmband. Das mit dem Anker dran.

 

Hallo Funkhaus,

schließe mich HK an, deine Geschichte gefällt und lässt sich flüssig lesen. Finde auch, dass der Verlauf vorhersehbar ist, glaube, allein schon ein anderer Titel könnte hierbei helfen. Mein größter Kritikpunkt ist jedoch ein anderer. Fast zwei Drittel deiner Geschichte führen uns wunderbar ein und dann rauscht das Drama und alles was damit einhergeht, die Folgen und angedeuteten Spätfolgen in rund 400 Worten vorbei. Das ging mir zu schnell, wirkte auf mich überhastet, zu schnell zum Ende kommen wollend. Da es ja keinen wirklich spanenden Höhepunkt gibt, könnte nMn ruhig mehr Gewicht auf die Folgen des Unfalls gelegt werden.

Grüße,
Sammis

 

Hallo @Funkhaus,
ich muss mich Sammys und HK anschließen. Als ich etwas von Brücke las, und alle reinspringen, wusste ich schon, wie das ausgeht. Aber der Text ist sehr flüssig geschrieben. Er erinnert mich an den Aufsatz von einem Mädchen, das die Schülerin meiner Mutter war. Ein Stapel Hefte lag zum Korrigieren bereit, und ich las mir aus Langeweile manche der Aufsätze durch. Es ging um einen Bericht über einen Ausflug der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) an einen See. Dort angekommen sprang ein Mann vom Steg mutig in das unbekannte Gewässer. Es endete so wie bei Dir.
Diesen dramatischen Ausflug, der noch jahrelang Dorfgespräch war, verarbeitete das Mädchen zu einem interessanten Text. Ich überredete meine Mutter, ihr dafür eine Eins zu geben, und sie den Aufsatz vor der Klasse vorlesen zu lassen. Die Kleine, sonst keine besonders gute Schülerin, war offensichtlich begabt. Aber leider wurden künstlerische Fähigkeiten nicht besonders gefördert an unserer POS. Ich weiß nicht, ob das heute anders ist. Vielleicht hätte man da als Deutschlehrerin manches machen können: Fördern, Bücher empfehlen usw.
Gruß Frieda

 

@Henry K. @Sammis @Frieda Kreuz
Ich danke euch erstmal für eure doch recht ausführliche Kritik und euren Kommentar generell. Ich habe mit der Antwort ein wenig gehadert, hier herrscht definitiv ein anderer Ton und die Kritikpunkte sind sehr interessant. Teilweise habe ich mich an den Deutschunterricht damals zurückerinnert, da hat mich meine Deutsch Lehrerin überhaupt nicht gemocht. Schnee von gestern.
Ich gebe euch recht, der Text ist vorhersehbar und einfach gestrickt, doch genau das wollte ich von ihm in dem Moment, als ich ihn schrieb. Hinzugefügt sei an der Stelle auch, dass ich den Text für einen Wettbewerb, also mit Zeichenbegrenzung geschrieben habe, deshalb vielleicht das Gefühl der Knappheit. Der Titel muss definitiv anders, das stimmt ;)

Liebe Grüße
Funkhaus

 

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