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Die Burg

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05.03.2013
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Die Burg

Sehnsüchtig schaute Jaro Bobul mehrmals am Tag zur Burg. Über dem Fluss thronend, beherrschte sie die Ebene. Mauern, Laufgänge und Türme auf dem Hügel wiesen mit gesichtsloser Mächtigkeit jede Hoffnung auf Eroberung ab. Seit der Besiedelung der Gegend schützten die Felsenquader ihre Bewohner: die Herrscher über das Land. Zu ihnen wollte Jaro gehören.
Das Volk duckte sich unter den Schatten der Anhöhe. Wollte ein Abgesandter zu den Herren, um Wünsche zu äußern, gab er sie auf einem Zettel beim Pförtner ab. Das ist lange nicht mehr geschehen. Die Boten kamen nie zurück. Angst hielt die Menschen fern. Sie gehorchten willig den Befehlen von oben, die sie schriftlich zugestellt bekamen. Von Weitem beobachteten sie die Autos und Hubschrauber, die offensichtlich Menschen hin und her transportierten. Es imponierte ihnen die Geschäftigkeit, mit der Bedeutsames, das weit über ihren Horizont hinausging, in der Burg geschehen musste.
Zwei Visionen überwältigten den vierzehnjährigen Jaro immer wieder: Es sah Tausende von Käfern aus den Mauern der Burg kriechen, wie eine Lawine die Ebene überfluten und alles auffressen, was essbar war, auch die Menschen, auch ihn selber. Er spürte schon das Knabbern an seinen Beinen, bis er davon aufwachte. Die andere Vision erfüllte ihn mit warmer Lebensfreude, denn ein wunderschönes Mädchen flog in Engelsgestalt von Burgfried herab, flüsterte ihm zu »Ich liebe dich« und küsste ihn. Davon erwachte er.
»Dergestalt sendet die Burg Glück und Unglück in die Welt, das ist die Macht der Burg«, resümierte Jaro die Botschaft. Er wollte zu denen gehören, die Macht über die Verteilung von Gutem und Schlechtem besitzen.
Seine Großmutter und er bewirtschafteten eine Hofstelle mit einer Kuh, einer Ziege, zwölf Hühnern und drei winzigen Äckern. Die Armut beflügelte die Vorstellungskraft von Jaro. Seit dem Tod seiner Eltern, die von einem der Autos überfahren wurden, wohnte er bei der Oma. Kopfschüttelnd hörte sie die Fantastereien des Enkels, wenn er ihr vorschwärmte, wie gut sie leben könnten, wenn er nach dem Studium ans Tor der Burg klopfen würde, um eine gut bezahlte Stelle zu bekommen.
»Jungchen!«, warnte die Oma, »Jungchen, der Hügel ist für unsereiner unerreichbar. Deine Eltern wollten auch in die Burg. Dabei haben sie sie überfahren.«
Die Traumbilder stachelten den Jugendlichen an, für die Schule und Universität Tag und Nacht zu arbeiten. Seine Doktorarbeit über »Sakrifizierung von Raum und Zeit: Ordnungsprinzipien einer bürokratischen Verwaltung«, mit »summa cum laude« bewertet, sollte dafür eine gute Grundlage schaffen, Herrschaft in der Burg auszuüben. Mit den Bestnoten des Abschlussexamens eilte er zur Brücke, zeigte dem Pförtner das Zeugnis und bat um Zugang zur Personalabteilung. Das Gelächter des Wächters fegte die akademischen Ehren hinweg.
Dr. Jaro Bobul schlich zurück zum Haus der Oma und bestellte den Garten. Immerhin konnte er zurückkehren und blieb nicht wie die Boten verschwunden. Das weckte in ihm große Hoffnungen. Punkt acht Uhr am nächsten Morgen stand er erneut vor dem Eingang und wies das Zeugnis vor. Das Lachen klang heute höhnischer als gestern. Ähnlich ging es an den folgenden Tagen, Wochen, Monaten und Jahren: Jaro verlangte, den Chef der Personalabteilung zu sprechen, wurde jedoch abgewiesen. Den Rest des Tages versorgte er die Tiere, bearbeitete die Felder oder verkaufte die Erzeugnisse in dem Dorf. Der Wunsch Jaros, in der Burg zu arbeiten, bereitete der Oma Sorgen. Sie ahnte, dass die Leute aus der Ebene nicht fähig waren, dort zu arbeiten. Jaro würde Zugrunde gehen. Dieser Kummer raubte ihre Lebenskraft und sie starb nach fünf Jahren.
Das Gelächter hatte der Pförtner im Laufe von sieben Jahren eingestellt, ließ Jaro aber nicht in die Burg, bis dieser ihn fragte: »Warum?« Schulterzucken war die Antwort.
Trotz Nachforschungen wusste Jaro absolut nichts über die Menschen in der Burg. Glaubte er, in einem Buch den Namen der Burg gefunden zu haben, war er schnell enttäuscht: Die Seiten waren herausgerissen oder geschwärzt worden. Fragte er Menschen, so hatten die nie etwas von deren Bewohnern gehört oder gesehen.
Einmal hatte Jaro versucht, einen Wagen anzuhalten, um mit der Person in ihm zu sprechen. Er wäre beinahe totgefahren worden. Geschwärzte Fenster verhinderten einen Blick ins Wageninnere.
Die Landwirtschaft gedieh unter seiner Leitung in vierzehn Jahren zu einem Gut, dessen Ländereien die Hälfte der Ebene umfasste. Jeden Morgen ließ sich der Gutsherr in einem Luxuswagen zur Pforte fahren und wies sein Zeugnis vor. Die Burg durfte er nicht betreten. Mit Gewalt wollte er den Zugang nicht erzwingen.
Nach einundzwanzig Jahren - inzwischen gehörten Jaro alle Ländereien der Ebene - riss ihm die Geduld. Er befahl dem Pförtner: »Öffne das Tor!« »Nein! Ich warne dich! Du bist ein erfolgreicher Mann. Ich achte dich. Ich möchte nicht, dass dir Böses geschieht.« »Was soll mir schon geschehen. Lass mich in die Burg.« »Wie du willst! Ich habe dich gewarnt.« Der Torhüter gehorchte.
Jaro war am Ziel seines größten Wunsches. Als er zufrieden im Hof stand, ängstigte ihn die Totenstille. Die Mauern starrten feindselig auf den Eindringling, der ihr Reich erobern wollte. Eine Tafel am Tor zu den Gemächern schickte dem Besucher einen in grellem Gelb gemalten Spruch entgegen:
Eintritt verboten! Lebensgefahr!
Jaro achtete nicht darauf. Er ging von Zimmer zu Zimmer; alle waren leer. Menschen begegnete er nicht. Nur sein Tritt hallte durch die Flure. Überall erblickte er nur kahle Steine.
»Wo sind die Menschen, die herkommen und wegfahren?«, fragte Jaro den Pförtner.
»Hierher kommen keine Menschen.«
»Wer fährt die Autos und fliegt die Hubschrauber?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wem gehört die Burg?«
»Ich weiß es nicht.«
Jaro ging nach Hause, setzte sich in seinen Lieblingssessel und dachte nach. Am nächsten Morgen erschien er Punkt acht Uhr beim Pförtner, ließ sich das Tor aufsperren und wanderte den ganzen Tag durch die Räume, als suchte er etwas. So vergingen die Jahre.
Da Jaro seine Zeit damit verbrachte, entweder durch die Burg zu gehen oder im Sessel zu meditieren, zerfiel allmählich sein Gut durch Misswirtschaft, Unfähigkeit und Betrug der Untergebenen. Nach weiteren sieben Jahren besaß er nur noch das Häuschen der Oma. Aber täglich ging er zur selben Zeit zur Pforte, bis er eines Tages den Pförtner tot vorfand. Er beerdigte ihn und nahm seinen Platz ein.
Wenn ein Auto kam, öffnete er das Tor und schloss es. Nie hat er einen Fahrer oder sonst einen Menschen gesehen. Mehrmals hatte er es probiert, die Käfer aus seinen Fantasien zu entsenden oder das küssende Mädchen. Es misslang.
Das störte ihn keineswegs. Er lebte auf der Burg, das war ihm das Wichtigste. Er hatte seinen Lebenssinn gefunden. Aufopferungsvoll verrichtete er bis zu seinem Lebensende den Dienst. Er öffnete und schloss das Tor für die Autos mit den unbekannten Insassen. Nach seinem Tod fand sich kein Nachfolger ein. Heute liegt die Burg verlassen da. Nie wieder fuhren Autos über die Brücke noch landeten Hubschrauber.

 

Was würdest du von einem Urteil über dein Kommentieren halten, wenn ich schriebe: Hier denke ich, tja, er wollte seinen Kommentar schreiben, kritisieren, vergleichen etc. Aber es löst bei mir keinen einzigen Gedanken aus.
ich würde denken: na gut, wir erreichen uns gegenseitig nicht. Anscheinend verschiedene Wellenlängen. Dann lassen wir es eben.

Lollek

 

Lieber Wilhelm!

Ja, früher war es die Burg, die die Macht beherbergte und von dort wurde sie auch ausgeübt. Doch im Laufe der Epochen verändert sich die Macht oder die Möglichkeiten der Macht wandeln sich.
Das ist an Foucault angelehnt. Macht (die moderne) braucht keine magischen Orte oder Symbole mehr. Sie selbst ist nicht sichtbar und doch überall und zur gleichen Zeit.

Nur der, ich sage mal, vermeintlich ohnmächtige Mensch sucht nach solchen Orientierungspunkten. Das sieht man auch gut an den Verfechtern diverser Verschwörungstheorien. Die brauchen halt Namen, Orte usw. Wenn die wüssten, dass die ganze Sache in Wahrheit viel schlimmer ist als vermutet, und das deutet ja auch deine Geschichte an, dann würden die durchdrehen.

Das war mein erster Gedanke zur Geschichte. Inzwischen gibt es weitere. :D
Aber für heute ist es genug.

Lieben Gruß!

 

Lieber Asterix,
schön und tröstlich für mich ist dein Statement zu der „Burg“! Bingo! Es freut mich, dass du unter mehreren Möglichkeiten den Kern triffst: Die Macht ist unsichtbar, nicht zu fassen, ein Gespenst, das umgeht, ohne dass es aus einer Gespenstergeschichte entlaufen ist. Man (wer?) weiß nur nicht, wo suchen und welche Form.
Noch besser, dass du weitere Gedanken hast.
Und noch besser bzw. betrüblicher ist es,

dass die ganze Sache in Wahrheit viel schlimmer ist als vermutet.
Danke für dein Verstehen.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm!

Man (wer?) weiß nur nicht, wo suchen und welche Form.
Die Formen der Macht sind ungezählt. Aber wo sie zu suchen ist, zeigt deine Geschichte.

Mein heutiger Beitrag hierzu:

die Herrscher über das Land. Zu ihnen wollte Jaro gehören.
Später, als Jaro längst die Herrschaft über das Land hat, begreift er immer noch nicht, dass er die Burg nicht braucht. Die Burg hat weiterhin Macht über ihn. Diese Macht beruht demnach nur auf Jaros subjektiver Wahrnehmung der Burg.

Das ist auch eine der Aussagen dieser Geschichte. Macht ist nur eine Vorstellung, die sich alle Beteiligten, die Herrscher und die Beherrschten, teilen müssen. Sonst funktioniert Macht nicht. Es gibt keine objektiven Mittel (etwa eine Burg), die einem Menschen Macht verleihen.

Lieben Gruß!

 
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Hallo Asterix,

also auf eine weitere Erklärung.

Aber wo sie zu suchen ist, zeigt deine Geschichte.
Wo ist die Macht zu finden? In den Wörtern? In der Ein-Bildung? In der Aura?
Mich ärgert an Jaro, dass er nicht mieser Kapitalist geblieben ist. Er schnüffelt am Hintern der Herrn, die für ihn unerreichbar sind. Als Pförtner gibt er dem Nichts die Bedeutung von Etwas. Sinnloses macht er, um sich zu erniedrigen, um an der Macht der Herren ein ganz klein wenig teilnehmen zu können.
Macht ist noch weniger anschaulich als Geld, welches man zählen kann. Macht hat nur der, der von anddeeren diese aufgedrängt bekommt.
Macht ist ein soziales Problem.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Das die Macht heute keine "magischen Orte oder Symbole" mehr brauche,

Ihr Lieben,

bezweifel ich. Diese magischen Orte finden sich nicht so sehr auf dem Zirkus und in der Glaskugel oder im Kaffeesatz der fortuneteller, sondern in Prachtbauten, welche die Burgen ersetzen, wenn ich – wie vor wenigen Tagen - nach Mainhattan schau und die Prachtbauten der Banken, insbesondere Zentralbanken und Börsen sehe, moderne Burgen der Bouregoisie. Selbst das Wort „Bürger“ stammt von der „Burg“.

Aber „Macht“ (schon im got. mahts und erst recht im ahd. maht [h =heutiges ch] zu erkennen, leitet sich ab vom Verb „mögen“, ursprünglich weniger ein gern[e]-haben als ein „können/vermögen“). Die Wortzusammensetzungen sagen darum auch viel mehr aus, als das Wort selbst etwa in der Streit-/Heeresmacht und der Ohnmacht, dem Machthaber und dem Machtwort.

Womit ich bei der berüchtigten Definition Max Webers wäre: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung [und wäre sie zwischen Pförtner und Antragssteller] den eignen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“
Nehmen wir den Pförtner, der die Erwartungshaltung eines mehr oder wenigen anonymen Vorgesetzten (was auch eine bloße VORschrift sein kann) erfüllt, indem er Bittsteller abweist, gerüchteweise gar um- oder ins (in einer Burg sicherlich vorhandenen) Verlies bringt.

„Herrschaft“ solle nach Weber heißen „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam … zu finden.“
[Zitate aus M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, § 16. Macht und Herrschaft]

Ich sag’s mal so: Die Architektur hat sich geändert, das (evtl. eingebläute) hierarchische Denken und Handeln nicht.

Warum fiel mir bei der Erwähnung Frankfurts der mainstream ein? Er ist, was die öffentliche – und das ist zunächst eine veröffentliche – Meinung zum Herrschaftsinstrument macht. Ob dem Hut Geßlers gegrüßt werde oder jeder im Main schwimme: Am Anfang steht die Gewalt in all ihren Formen mit dem Zwang, von wenigstens einem Menschen – und sei’s zunächst nur die Mutter oder Amme – abhängig zu sein. Die Folge ist, das Mündel will - wenn schon nicht frei - Vormund sein! Selber herrschen, und sei's wieder über die eigene Brut.

Die geflügelten Worte aus dem hessischen Landboten gelten immer noch: Friede den Hütten ...

Gruß

Friedel

 

Lieber Wilhelm!

Mich ärgert an Jaro, dass er nicht mieser Kapitalist geblieben ist.
Ich ahnte schon, dass der Text auf akribische Beobachtungen basiert.

Was mich vielmehr erstaunt hat, ist, dass Jaro auch nach dem Tod seiner Eltern, der von der „Burg“ verschuldet wurde, sich nicht von der Burg abwendet oder sie gar bekämpft. Denn normalerweise ändern sich Machtverhältnisse, wenn der Leidensdruck (durch die bestehenden Verhältnisse) zu groß wird. Siehe die Freiheitsbewegungen in Nordafrika. Darauf geht deine Geschichte nicht ein.

Wo ist die Macht zu finden? In den Wörtern? In der Ein-Bildung? In der Aura?
Ich glaube, in den Zwischenräumen. Macht drückt ein Kräfteverhältnis aus. Ein Kräfteverhältnis kann nur zwischen verschiedenen Kräften herrschen, soweit, so einfach.

Macht ist ein soziales Problem.
Ob Problem oder nicht, hängt sicher an vielen Dingen. So pauschal würd ich es nicht sagen.
Macht ist wohl eher ein „Phänomen“ in jeder Gesellschaft. Denn das Verhältnis der Kräfte (Kräfte = Gruppen) innerhalb einer Gesellschaft wird im Laufe der Zeit zur Norm in der Gesellschaft. Diese Norm überträgt sich auf jedes Individuum. Wird die Norm von einem Einzelnen nicht anerkannt, ist er ein Außenseiter.
Das zeigt ja Jaros Oma recht gut. Die da oben, wir hier unten. Und so soll es bleiben.

Bis morgen dann!

Lieber Friedel,
dich hab ich zu spät gesehen. Zumindest auf die Prachtbauten wäre ich gerne eingegangen. Vielleicht morgen. Muss mich nun Schlafen legen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wilhelm,

nach wie vor bin ich fasziniert von deinem Rätsel. Habe den Text inzwischen bestimmt zehn mal gelesen und entdecke jedes Mal neue Facetten. Dir gelingt es hier wunderbar einen Gedanken so festzuhalten, dass der Leser ihn bei jedem Lesen erneut und anders weiterdenken kann. Das ist, finde ich, eine wesentlich größere Leistung als eine eindeutige, dafür vielleicht emotionalere Botschaft zu vermitteln.

schön und tröstlich für mich ist dein Statement zu der „Burg“! Bingo! Es freut mich, dass du unter mehreren Möglichkeiten den Kern triffst: Die Macht ist unsichtbar, nicht zu fassen, ein Gespenst, das umgeht, ohne dass es aus einer Gespenstergeschichte entlaufen ist.

Ein wenig enttäuscht war ich über die teilweise Auflösung des Rätsels. Dass es um den Charakter von Macht bzw. die Illusion davon geht und um die Bereitschaft, für sie alles andere aufzugeben, ist zwar offensichtlich, aber so eine "offizielle" Deutung vom Autor wirkt für andere Interpretationen für mein Empfinden etwas einschränkend.

Sprachlich stört mich eine Stelle im Text, über die ich jedes Mal stolpere.

Zwei Visionen überwältigten den vierzehnjährigen Jaro immer wieder: Aus dem Gemäuer quellen Tausende von Käfern und fressen alles auf, selbst die Menschen. Weiterhin: Ein Mädchen fliegt von der Spitze des Burgfrieds zu ihm, um ihn zu küssen.

Die Formulierung behindert den Lesefluss und besonders die Verknüpfung durch weiterhin: wirkt im Gegensatz zu den anderen, sehr gelungenen Formulierungen etwas lieblos. Ich weiß zwar nicht, ob du das an der Stelle bewusst gemacht hast, als Leser finde ich es allerdings nicht gut.

Liebe Grüße
blackfyre

Die Kafka-Vergleiche zu wiederholen, habe ich mir an dieser Stelle mal gespart, auch wenn ich sofort an "Eine kaiserliche Botschaft" denken musste.

 

Das die Macht heute keine "magischen Orte oder Symbole" mehr brauche,

Ihr Lieben,

bezweifel ich. Diese magischen Orte finden sich nicht so sehr auf dem Zirkus und in der Glaskugel oder im Kaffeesatz der fortuneteller, sondern in Prachtbauten, welche die Burgen ersetzen, wenn ich – wie vor wenigen Tagen - nach Mainhattan schau und die Prachtbauten der Banken, insbesondere Zentralbanken und Börsen sehe, moderne Burgen der Bouregoisie. Selbst das Wort „Bürger“ stammt von der „Burg“.

Hallo Friedel,

Diese Bauten bestehen heute noch, sind es aber nicht Bauten von vergangenen Zeiten, in denen die Menschen vom Sichtbaren fasziniert wurden. Sind heute nicht Zeichen der Macht 1 und 0, liegt die Macht nicht in der Festplatte oder im Server oder wie alle diese fremden, beinahe unsichtbaren, aber doch unscheinbaren Objekte heißen?

Womit ich bei der berüchtigten Definition Max Webers wäre: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung [und wäre sie zwischen Pförtner und Antragssteller] den eignen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“
Das „gegen Widerstreben“ fällt heute weitestgehend weg. Political correctness ist eine freiwillige Unterordnung unter hohe Werte, die nicht zu bezweifeln sind. Die Herrschaft, die Macht ist sanft geworden und herrscht durch Rührseligkeit, durch Erzeugung von schlechtem Gewissen und durch moralische Erhöhung. Die Macht sind Wörter, die ans Herz greifen.
Nehmen wir den Pförtner, der die Erwartungshaltung eines mehr oder wenigen anonymen Vorgesetzten (was auch eine bloße VORschrift sein kann) erfüllt, indem er Bittsteller abweist, gerüchteweise gar um- oder ins (in einer Burg sicherlich vorhandenen) Verlies bringt.
Richtig: Schrift; 0 und 1 sind auch Schrift.

„Herrschaft“ solle nach Weber heißen „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam … zu finden.“
[Zitate aus M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, § 16. Macht und Herrschaft]
Macht heute heißt Herrschaft ohne Befehl, sondern durch „Einsicht“.
Ich sag’s mal so: Die Architektur hat sich geändert, das (evtl. eingebläute) hierarchische Denken und Handeln nicht.
Richtig.
Warum fiel mir bei der Erwähnung Frankfurts der mainstream ein? Er ist, was die öffentliche – und das ist zunächst eine veröffentliche – Meinung zum Herrschaftsinstrument macht. Ob dem Hut Geßlers gegrüßt werde oder jeder im Main schwimme: Am Anfang steht die Gewalt in all ihren Formen mit dem Zwang, von wenigstens einem Menschen – und sei’s zunächst nur die Mutter oder Amme – abhängig zu sein. Die Folge ist, das Mündel will - wenn schon nicht frei - Vormund sein! Selber herrschen, und sei's wieder über die eigene Brut.
Vor-Mund ist derjenige, der vorspricht, also die Sprache, also Zeichen: Macht ist Zeichen. Aber hinter dem Zeichen steckt etwas oder jemand.
Die geflügelten Worte aus dem hessischen Landboten gelten immer noch: Friede den Hütten ...
Krieg den Symbolen?
Fröhlichen Vatertag mit Burgenbesuch

 

Lieber Asterix,

Was mich vielmehr erstaunt hat, ist, dass Jaro auch nach dem Tod seiner Eltern, der von der „Burg“ verschuldet wurde, sich nicht von der Burg abwendet oder sie gar bekämpft. Denn normalerweise ändern sich Machtverhältnisse, wenn der Leidensdruck (durch die bestehenden Verhältnisse) zu groß wird. Siehe die Freiheitsbewegungen in Nordafrika. Darauf geht deine Geschichte nicht ein.
Es gibt auch das Stockholm-Syndrom. Es beschreibt, dass sich Gefangene mit den Wärtern identifizieren. Auch die Identifikation mit dem Aggressor sei zu erwähnen. Jaro ist besonders dankbar gegenüber der Burg, weil sie ihn, obwohl die Eltern etwas „verbrochen hatten“, verschonte.

Wo ist die Macht zu finden? In den Wörtern? In der Ein-Bildung? In der Aura?
Ich glaube, in den Zwischenräumen. Macht drückt ein Kräfteverhältnis aus. Ein Kräfteverhältnis kann nur zwischen verschiedenen Kräften herrschen, soweit, so einfach.
Richtig, Macht findet nur in kommunikativen Akten statt.
Macht ist ein soziales Problem.
Ob Problem oder nicht, hängt sicher an vielen Dingen. So pauschal würd ich es nicht sagen.
Macht ist wohl eher ein „Phänomen“ in jeder Gesellschaft. Denn das Verhältnis der Kräfte (Kräfte = Gruppen) innerhalb einer Gesellschaft wird im Laufe der Zeit zur Norm in der Gesellschaft. Diese Norm überträgt sich auf jedes Individuum. Wird die Norm von einem Einzelnen nicht anerkannt, ist er ein Außenseiter.
Das zeigt ja Jaros Oma recht gut. Die da oben, wir hier unten. Und so soll es bleiben.
Kann man sagen, mit Kampf werden die Machtverhältnisse etabliert. Dann ist Macht der gefrorene Endzustand des Kampfes (bis er schmilzt)? Kampf – Macht – Kampf eine ewige Melodei?

Es gibt Menschen, die auf Geld verzichten, nur um in der "Zentrale" eine minderwertige Aufgabe verrichten zu dürfen. Dies bedenkend handelt es sich um eine ganz realistische Geschichte. Jaro lebt!
Fröhlichst
Wilhelm

 

"Mein Vater war ein Bauernsohn aus einem uralten Dorfe, welches seinen Namen von dem Alemannen erhalten hat, der zur Zeit der Landteilung seinen Spieß dort in die Erde steckte und einen Hof baute. Nachdem im Verlauf der Jahrhunderte das namengebende Geschlecht im Volke verschwunden, machte ein Lehensmann den Dorfnamen zu seinem Titel und baute ein Schloß, von dem niemand mehr weiß, wo es gestanden hat; ebensowenig ist bekannt, wann der letzte »Edle« jenes Stammes gestorben ist. Aber das Dorf steht noch da, ..." beginnt im "Lob des Herkommens" die zwote Fassung des grünen Heinrichs - und im Ansatz wird die Verfügungsgewalt - bürgerlich reduziert auf "Eigentum" und "Besitz", rechtliche Begriffe, symbolisiert -durch den Spieß (auf dem mehr als ein halbes Jahrtausend später auch Geßlers Hut thronen könnte) und den Namen des Lehensmanns, der nun wiederum das Lehen von einem Mächtigeren erhielt. Zwischen Spieß und Namen liegt die ganze Welt der Symbole, reduziert durch die Boolsche Algebra auf 1 und 0.

Sind heute nicht Zeichen der Macht 1 und 0, liegt die Macht nicht in der Festplatte oder im Server oder wie alle diese fremden, beinahe unsichtbaren, aber doch unscheinbaren Objekte heißen?
Womit Du,

lieber Wilhelm,

keineswegs Unrecht hast.

Aber es gibt sie noch, die "wider-streben".

Und wieder sind es Symbole:

Samson verlor seine Kraft, als ihm das Haar geschnitten wurde. David obsiegte über einen Baum von Kerl, indem er den Kraftprotz mit einer der ältesten und primitivsten Fernwaffen fällte und somit gar nicht erst an sich heranließ. Usw.

Heute geht's abstrakter zu und die große Rolle spielen die Massenmedien, welche die öffentliche Meinung befeuern. Gleichwohl gilt: Die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, Mündel und Vormund hat Bestand, selbst wenn die Anerkennung (jetzt ist der schon beim ollen Hegel angekommen!) bestehender Verhältnisse gegeben ist bei der großen Masse und somit des mainstreams.

Aber wer lebte nicht gern in angenehmen Verhältnissen ohne Aufruhr?

Die Aufregung verschafft uns die Kulturindustrie. Gedächtnis und Denken nimmt uns Guugel ab, dass wir den Kopf für die schönen Dinge frei haben ... Wem das alles zu langweilig wird, betreibt Extremsport. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Flugzeugunglück in den Alpen von der Kulturindustrie aufgegriffen wird für den leisen Schauder daheim in den Pantoffelkinos. Auf dass der gute Bürger unterhalten werde.

So weit für heutevom

Friedel

 

Lieber Wilhelm!

Es gibt auch das Stockholm-Syndrom. Es beschreibt, dass sich Gefangene mit den Wärtern identifizieren. Auch die Identifikation mit dem Aggressor sei zu erwähnen. Jaro ist besonders dankbar gegenüber der Burg, weil sie ihn, obwohl die Eltern etwas „verbrochen hatten“, verschonte.
Eine Konditionierung (man nennt sie allerorts Erziehung) liegt vor. Die Eltern haben Normen der Gesellschaft an Jaro weitergegeben.

Stockholm-Syndrom ist mir zu weit in der Glatteiszone. Angenommen, das S-Syndrom hat neurobiologische Ursachen und hängt mit der Zahl der Spiegelneuronen zusammen, dann wäre eine indirekte Fixierung, also über Dritte (hier wohl die Eltern) schwerlich vorstellbar.
Auch würde es zu weit von der angestrebten Aussage der Geschichte wegführen, denn eine (extrem) erhöhte Zahl an Spiegelneuronen ist kein allgemeingültiges Phänomen in der Gesellschaft. Auch hätten wir dann einen Umstand (Sogar eine Art Naturerscheinung) als „Übeltäter“, der nicht zu verurteilen ginge.

Kann man sagen, mit Kampf werden die Machtverhältnisse etabliert. Dann ist Macht der gefrorene Endzustand des Kampfes (bis er schmilzt)?
Geschmolzen wird. Und einen End-Zustand gibt es nur gefühlt nach dem zeitlichen Maßstab eines Menschenlebens. (»Sakrifizierung von Raum und Zeit: Ordnungsprinzipien einer bürokratischen Verwaltung« ?)
Im Maßstab der Menschheitsgeschichte währt jeder Zustand nur einen Augenblick.
Dieser Kampf ist also an keinen festen Zeitraum gebunden und kann durchaus auch ohne großen Krawall von statten gehen kann, nur geführt mit Einsen und Nullen, wie du schon erwähnt hast.

Kampf – Macht – Kampf eine ewige Melodei?
Ich fürchte, in dem Karussell stecken wir drin, genau wie Jaro. Doch ein halber Trost: Die Ersten werden eines Tages die Letzten sein. Der Haken daran: Nur eines hat Bestand auf ewig: Es sind immer die Letzten, die die Zeche zahlen müssen.
Erst wenn es gelingt, diesen „Haken“ zu entfernen (mit der oben erwähnten Regel brechen), ist (vielleicht) Ruhe im Karton.

Es gibt Menschen, die auf Geld verzichten, nur um in der "Zentrale" eine minderwertige Aufgabe verrichten zu dürfen. Dies bedenkend handelt es sich um eine ganz realistische Geschichte. Jaro lebt!
Und wie realistisch! Selbstverständlich! Ich hoffe, es ist nicht der Eindruck entstanden, ich zweifele deine Geschichte an. Es geht mir darum, immerhin steht Philosophie bei den Stichworten, in der Besprechung, aus Jaro einen Jaroismus zu entwickeln.
Friedrichard …
Prachtbauten, welche die Burgen ersetzen, wenn ich – wie vor wenigen Tagen - nach Mainhattan schau und die Prachtbauten der Banken, insbesondere Zentralbanken und Börsen sehe, moderne Burgen der Bouregoisie.
So ist es. Ich sehe in solch einem Prachtbau weniger die Burg, vielmehr ein Neuschwanstein.
In manchen Dystopien wird diese Entwicklung weiter, beziehungsweise wieder zurückgeführt. Man findet dort wieder Befestigungen, etwa nach dem Vorbild der Alhambra, befestige Oberstädte, für die Oberen - und deren Polizei!

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo blackfyre,
schön, dass du noch bei der Stange bist.

Ein wenig enttäuscht war ich über die teilweise Auflösung des Rätsels. Dass es um den Charakter von Macht bzw. die Illusion davon geht und um die Bereitschaft, für sie alles andere aufzugeben, ist zwar offensichtlich, aber so eine "offizielle" Deutung vom Autor wirkt für andere Interpretationen für mein Empfinden etwas einschränkend.
Die meisten Rätsel sind mit eindeutigen Lösungen versehen. Insofern ist die Geschichte rätselhaft, ein Rätsel im engeren Sinne also nicht.
Ein Autor kann seine Geschichte nicht deuten. Er kann über den Entstehungsprozess etwas sagen, als Deuter ist ein ein Leser wie alle anderen auch. Ich äußere mich zu der Geschichte als Leser wie du und andere. Eine offizielle Autorendeutung ist nicht angemessen. So habe ich als Leser mehr Deutungen als ich als Autor Gedanken hatte. Ich spiele im Nachhinein vieles durch und wundere mich, dass ich das so geschrieben habe. Der Autor hat also keine besondere Autorität. Lass dich durch diese Äußerungen nicht einschränken, der Autor kann auch unrecht haben.
Dies hast du wunderbar hier gezeigt:
Sprachlich stört mich eine Stelle im Text, über die ich jedes Mal stolpere.
Zwei Visionen überwältigten den vierzehnjährigen Jaro immer wieder: Aus dem Gemäuer quellen Tausende von Käfern und fressen alles auf, selbst die Menschen. Weiterhin: Ein Mädchen fliegt von der Spitze des Burgfrieds zu ihm, um ihn zu küssen.
Die Formulierung behindert den Lesefluss und besonders die Verknüpfung durch weiterhin: wirkt im Gegensatz zu den anderen, sehr gelungenen Formulierungen etwas lieblos. Ich weiß zwar nicht, ob du das an der Stelle bewusst gemacht hast, als Leser finde ich es allerdings nicht gut.
Ich hoffe, dass dir meine Änderung gefällt. Vielen Dank dafür, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Herr Berliner,

"Schwere Kost" wie ein Klitschkobruder einst zum anderen über Tolstoi (oder Blinis?) sagte. Zumindest für mich (die zweimal lesen musste und nun von einer gewissen Schwere erfüllt ist).
Aber keineswegs die unangenehme Art schwerer Kost, sondern ein tolles Stück Literatur. ;)
Parabelartig, finde ich, und irgendwie erinnert mich ja jede Parabel dieser Art an Kafka (weshalb ich auch mit den kafkaesken Elementen voll auf meine Kosten kam). :)

Mehr, als dass es mir gefallen hat und warum es mir gefallen hat, kann ich als Kritk leider nicht beisteuern - Oh, Moment, über einen Tippfehler bin ich noch gestolpert:
"An nächsten Morgen erschien er Punkt acht Uhr beim Pförtner"

Die Burg kann ich mir gleich zu Beginn mit ihrer Mächtigkeit vorstellen, das erreichst du mit der Beschreibung an sich un mit der Wortwahl. Das Wort "Quader" zum Beispiel erzeugt sehr viel Atmosphäre in diesem Zusammenhang.
Es war etwas ulkig, weil ich mir zuerst eine mittelalterliche Umgebung vorgestellt habe, aber dann geht's um Hubschrauber und Autos. Und als Jorah diese wie ein Relikt aus einer anderern Zeit wirkende Behausung betreten will und nach dem "Personalbüro" fragt, musste ich lachen. XD Ich weiß nicht, ob es von dir intendiert war, diese komischen Elemente einzubauen, aber ich habe es so empfunden und es hat die Geschichte für mich umso besser gemacht. Auch das Thema der Dissertation hat schon einen versteckten Hinweis auf den "Grund" der Geschichte (zumindest den, den ich für mich darin gefunden habe): durch Bürokratisierung, Anonymisierung, human resourcing (oder wie man das auf neuhochdeutsch so nennt) und eine Art Selbstaufgabe ud ein Negelect gegenüber den Dingen, die man hat, zugunsten von Dingen, die eher der eigenen (überehrgeizigen?) Vorstellung entspringen als den Fakten.


Also, langer Rede kurzer Sinn: Tolle Geschichte, ich habe sie (beide Male) gerne gelesen. :)

Liebe Grüße
Tell

 

„Ich weiß es doch auch nicht!“
, sagt Wilfried Schmickler, der weder ein Pförtner ist, weder war noch sein wird ... zum Pförtner, ob wir nun seinen Namen kennen oder vordem nicht kannten.

Könnte das Kribbeln mit einem Knabbern im Bein verwechselt werden,

lieber Wilhelm,

frag ich mich, dann wäre ja die „andere Vision“ geklärt.

Oder doch nicht?

Immmerhin, eine Lieferung vielleicht einer ausbaufähigen vorletzter Hand!

Die andere Vision erfüllte ihn mit warmer Lebensfreude, denn ein wunderschönes Mädchen flog in Engelsgestalt von Burgfried herab, flüsterte ihm zu »Ich liebe dich« und küsste ihn.
Also doch das Fräulein …burga (von „Diot…“ – worinnen das ahd. „diet“ des Volkes hervorleuchtet, bis zur „Wal…“, wo etwa nicht der Burg- oder sonstige Wälle, sondern der teutsche Wald hervorleuchtet, schließlich gemeinhin die Falle, in die seinerzeit schon Varus tappte, ohne dass es besonderer Befestigungen bedurft hätte.

Nun, nach Kafka, Marx-Picetty-Weber taucht nun „der Engel der Geschichte auf“, W.Benjamin:
"Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."

Sehnsüchtig schaute Jaro Bobul mehrmals am Tag zur Burg.

Bis zum nächsten Mal schönes Wochenende (hier haben jetzt die bisherigen Lau-Heiligen als das sich enttarnt, was sie eigentlich seit Anfang der Woche sein sollten: Eisheilige!

Friedel

 

„Ich weiß es doch auch nicht!“
, sagt Wilfried Schmickler, der weder ein Pförtner ist, weder war noch sein wird ... zum Pförtner, ob wir nun seinen Namen kennen oder vordem nicht kannten.

Könnte das Kribbeln mit einem Knabbern im Bein verwechselt werden,

lieber Wilhelm,

frag ich mich, dann wäre ja die „andere Vision“ geklärt.

Oder doch nicht?

Immmerhin, eine Lieferung vielleicht einer ausbaufähigen vorletzter Hand!

Die andere Vision erfüllte ihn mit warmer Lebensfreude, denn ein wunderschönes Mädchen flog in Engelsgestalt von Burgfried herab, flüsterte ihm zu »Ich liebe dich« und küsste ihn.
Also doch das Fräulein …burga (von „Diot…“ – worinnen das ahd. „diet“ des Volkes hervorleuchtet, bis zur „Wal…“, wo etwa nicht der Burg- oder sonstige Wälle, sondern der teutsche Wald hervorleuchtet, schließlich gemeinhin die Falle, in die seinerzeit schon Varus tappte, ohne dass es besonderer Befestigungen bedurft hätte.

Nun, nach Kafka, Marx-Picetty-Weber taucht „der Engel der Geschichte auf“, W.Benjamin:
"Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."

Sehnsüchtig schaute Jaro Bobul mehrmals am Tag zur Burg.

Bis zum nächsten Mal schönes Wochenende (hier haben jetzt die bisherigen Lau-Heiligen als das sich enttarnt, was sie eigentlich seit Anfang der Woche sein sollten: Eisheilige!

Friedel

 

Aber es gibt sie noch, die "wider-streben".
Das möge so sein.
Und wieder sind es Symbole:

Samson verlor seine Kraft, als ihm das Haar geschnitten wurde. David obsiegte über einen Baum von Kerl, indem er den Kraftprotz mit einer der ältesten und primitivsten Fernwaffen fällte und somit gar nicht erst an sich heranließ. Usw.

Ein Symbol ist ein (sprachliches oder formales) Zeichen für etwas, was nicht sichtbar, nicht anwesend ist oder zu abstrakt. Darin sehe ich die Problematik, dass das Land und die Landkarte nie deckungsgleich sind. Die Karte weist vage auf die Wirklichkeit hin.
Die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, Mündel und Vormund hat Bestand, selbst wenn die Anerkennung (jetzt ist der schon beim ollen Hegel angekommen!) bestehender Verhältnisse gegeben ist bei der großen Masse und somit des mainstreams, auf dem wir gerne schwimmen.
Die Stromschnellen kommen und wirbeln das Wassergespinnst durcheinander.
Aber wer lebte nicht gern in angenehmen Verhältnissen ohne Aufruhr?
Kampf der Langeweile, Kampf der Zeitverschwendung.
Lieber Friedel!
Herr und Knecht sind schon als Figuren der Außenhistoriker interessant. Der Psychohistoriker verlegt das Ganze nach Innen. Wer ist im Inneren Herr und Knecht? Wann findet der Wachtwechsel statt?
Die Aufregung verschafft uns die Kulturindustrie. Gedächtnis und Denken nimmt uns Guugel ab, dass wir den Kopf für die schönen Dinge frei haben ... Wem das alles zu langweilig wird, betreibt Extremsport. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Flugzeugunglück in den Alpen von der Kulturindustrie aufgegriffen wird für den leisen Schauder daheim in den Pantoffelkinos. Auf dass der gute Bürger unterhalten werde.
Unter-haltung? Die Aufregung verschaffen wir uns auch selber, weil wir sie einfach suchen. Als Anlass gelten alle Möchlichkeiten zur großen Erregung.
Einen heiteren Sonntag wünscht Wilhelm

 

Lieber Asterix, lieber Friedel,
vielen Dank für eure ausführlichen Stellungnahmen und Argumente. Dies ist ja wieder ein weites Feld; ich fasse einfach mal die Probleme zusammen: Wie zeigt sich Macht heute, welches Verhältnis haben wir zu ihr und wie funktioniert Macht?
Nach außen erscheint Macht in Ding-Form, als Hut, als Gebäude, selbst als Kaisers neue Kleider. Sie ist dann eindeutig zuordenbar. Gibt es auch eine einschleichende Macht, die z, B. durch harmlose Einführung einer Terminologe, ohne dass der Adressat es merkt, über ihn Macht gewinn? Es gibt sie wohl. Gibt es eine Macht auch da noch dahinter? Es müssten wohl auf der biologischen Ebene Elemente vorhanden sein. Vier Ebenen also: Wie arbeiten die zusammen? Wer oder was koordiniert die? Dies müssten wir beantworten.
Wie stehen wir zur Macht? Wir üben Macht aus und werden von Macht unterdrückt, sodass wir ihr zuarbeiten. Das ist vielfach nachzukontrollieren. Warum ordnen wir uns unter? Leicht zu beantworten: Furcht vor Strafe und/oder Vorteile. Warum weinten viele Menschen beim Tod von Stalin bitterlich? Oder wenn irgendein völlig fremder Mensch gestorben ist (sieht man im TV nach Katastrophen). Warum geben wir Persönlichkeitsanteile an die Macht ab? Wie fühle ich die Macht in mir? Warum macht mir Machtausüben Spaß? Ich erinnere mich an eine beobachtete Szene am Kinderspielplatz (Sieben-, Achtjährige). Ein Siebenjähriger befahl den vier anderen, sich in einer vollen Wasserpfütze zu baden. Die taten das! Wie fühlten sich die Kinder? Kommt hier der Wunsch nach Gottähnlichkeit heraus?
Wie funktioniert Macht? Mit zwei Methoden: Gewalt und Geschicklichkeit. Die Kulturpolitik in der DDR war geprägt von Unberechenbarkeit. Mal durfte einer reisen, der mit einer Absage gerechnet hatte, dass durfte einer nicht reisen, der die Erlaubnis für selbstverständlich hielt. Zuckerbrot und Peitsche. Wirken auch Zuckerbot und Zuckerbrot? Wirken auch Peitsche und Peitsche? Das Doublebind-Prinzip als beste Machtausübung? Zur Machausübung gehören wenigstens zwei (Genet: die Zofen; Herr und Knecht). Wann wird es ernsthaft, wann spaßig? Macht legitimiert sich jenseits der Realität, also in der Idealität. Was man nicht sieht, kann man sich gut vorstellen.
Was wir auch denken, seit Tausenden von Jahren funktionieren unterschiedliche Systeme nur zeitweise. Ein ewiges Machtsystem gibt es wohl nicht.
Ist der Apfel in der Genesis das Symbol für den Wunsch, gottähnlich zu werden?
Das sind Fragen, deren Tendenz auf ein (nur) partielles Verstehens von Machtverhältnissen hinweist.
Jetzt mach ich mich aber aus dem Staub und rette den Sonntag.
Fröhlichst und dankbar für die schöne Diskussion mit euch und den anderen
Wilhelm

 

Hallo Tell,

es ist hier üblich, sich zu duzen.

Aber keineswegs die unangenehme Art schwerer Kost, sondern ein tolles Stück Literatur.
Parabelartig, finde ich, und irgendwie erinnert mich ja jede Parabel dieser Art an Kafka (weshalb ich auch mit den kafkaesken Elementen voll auf meine Kosten kam).
Das ist eine sehr aufbauende Bemerkung, die ich gerade nötig habe.
Mehr, als dass es mir gefallen hat und warum es mir gefallen hat, kann ich als Kritik leider nicht beisteuern-
Da bist du viel zu bescheiden (s. u.)

Und als Jorah dieses wie ein Relike aus einer anderern Zeit wirkende Behausung betreten will und nach dem "Personalbüro" fragt, musste ich lachen. XD Ich weiß nicht, ob es von dir intendiert war, diese komischen Elemente einzubauen, aber ich habe es so empfunden und es hat die Geschichte für mich umso besser gemacht.
Gut erkannt. Komik ist nicht lustig, sondern vielleicht verblüffend, überraschend. Komik zeigt den Menschen, wie er unangemessen Probleme lösen will (Don Quichotte). Und das ist eher zum Weinen, weil sich der Mensch lächerlich macht. Komik heißt Scheitern im Alltag! Kafka soll bei Vorlesen seiner Texte immer gelacht haben. Die ganze Geschichte „Burg“ ist ja auch komisch in diesem Sinne.
Tolle Geschichte, ich habe sie (beide Male) gerne gelesen.
Das gilt für mich für deine Rückmeldung, vielen Dank.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,
danke für die gut nachvollziehbare Klarstellung zur Autorendeutung. :) Da hatte ich deine Intention wohl etwas missverstanden.
Die geänderte Textstelle gefällt mir sehr gut. Die beiden Bilder sind jetzt anschaulicher, stärker und es lässt sich angenehmer lesen. Freut mich, dass mein Kommentar hilfreich war.
Liebe Grüße
blackfyre

 

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