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Die Dame im weißen Cabriolet
Es ist eine dieser lauwarmen Sommernächte. Der Wind haucht durch die Grashalme und lässt das Laub an den Bäumen erzittern. Von Mal zu Mal schieben sich weißgraue Wolken vor den Mond, doch der Rest der Nacht ist klar.
Einzelne Sterne glimmen am Himmel wie kleine, weiße Stecknadelköpfe in einem dunkelblauen Stück Satin.
Von draußen singt der Wind sein Lied durch alle Ritzen und Fugen des alten Hauses.
Hier sitzt sie, jeden Abend das selbe Spiel.
Im Inneren dieser Hütte erstreckt sich weiterhin Dunkelheit von Raum zu Raum. Nur die Stube wird vom Flackern des Kaminfeuers erhellt. Ein stetiges Knistern erfüllt den Raum.
1979 war es - damals hatte er ihr versprochen diesen kleinen Kamin für sie zu bauen, und er hielt sein Versprechen. Er war ein Mann der Taten und las ihr jeden Wunsch von den Augen. 2 Jahre später sollten sie heiraten.
Ihr dunkelbraunes Haar liegt auf ihren trägerfreien Schultern wie ein schwarzes Tuch Seide. Langsam hebt sie den Arm um an ihrem Glas zu nippen. Rotwein - das war ihr Lieblingsgetränk geworden seit er sie verlassen hatte. Eine Flasche mehr oder weniger, das machte keinen Unterschied. Einsam sitzt sie in der Dunkelheit und fragt sich ob sie an einem gewissen Punkt ihres Lebens etwas falsch gemacht hat, wenn doch... was? Hatte sie ihre Liebe geliebt und wartete nun auf das Alter, das sie Stück für Stück verschlang? Dieses grausame Gefühl der Unwissenheit zerrt an ihrem Zwerchfell. Wenn sie jemals wieder so lieben könnte wie sie ihn liebte, so glaubte sie, würde sie alles geben.
Einsam sitzt die junge Frau vor dem Kamin und starrt mit leerem Blick ins Feuer. Ihre Hände liegen im Schoß, die rechte hält ein Glas Rotwein. Ihr weißes Kleid leuchtet orangefarben im Licht des Feuers, sie scheint die Sonne selbst darzustellen. Eine gleißende Sonne im eisigen Dunkel der schwarzen Nacht... der alles vernichtenden Nacht.
Ein Donnerschlag in der erfrischenden Stille- die große Wanduhr schlägt 1 Uhr.
Langsam kehrt die Erinnerung zurück.
Sie verlor ihren Geliebten damals durch ihre beste Freundin. Die Frau, für die sie gelegentlich den Haushalt führte. Sie bezahlte sie dafür sogar sehr gut, zumindest so gut, dass sie halbwegs über die Runden kam.
Ja, sie war es, die ihr ihren Mann stahl. Sie entführte ihn - sie verführte ihn.
Und er... er hatte nie wichtige Meetings- nein, er belog sie. Er belog seine Frau um sich jeden Abend mit ihrer besten Freundin zu treffen.
Der letzte Hall des Donnerschlags verklingt. Zorn brennt in ihren Augen als wäre ein Funken des Feuers in ihren Körper übergegangen. Sie glüht in ihrem Inneren, und ohne es zu merken zerdrückt sie das Glas, es zerspringt. Scherben und Rotweinspritzer bedecken den unteren Teil ihres Kleides. Ihr Herz pumpt, als wolle es eine ganzes Heer mit Blut versorgen. Eine Armee, die das Böse zum Leben erweckt. Kleine Scherben kleben an ihrer blutigen Hand, die sie unmerklich an ihrem Kleid abwischt. Wut brennt in ihrem Körper. Sie stemmt sich auf und wirft die letzten Scherben des zerbrochenen Glases an die Wand. Das zarte Klirren der Glasstücke durchbricht nun das zeitlose Knistern des Kaminfeuers.
Sie läuft durch die Stube und reißt ihre Autoschlüssel vom Haken an der Wand im Flur. Ihre Zähne reiben beständig aufeinander, während sie barfuss ihr Haus verlässt und mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zuwirft. Ein strahlend weißer Cabriolet steht auf der anderen Straßenseite gegenüber ihrem Haus. Ihr Mann hatte ihr diesen damals geschenkt. Vor 2 Jahren, da waren sie schon getrennt. Vielleicht sollte es eine Art Abfindung sein. Tausche meine Liebe zu dir gegen diesen tollen Cabrio. Friss oder stirb.
Und sie hatte ihn angenommen, vielleicht auch aus Verzweiflung, jetzt wusste sie es nicht mehr genau, und es war ihr egal. Sie hätte ihn ebenso gut aus Höflichkeit genommen haben, weil sie ihren Mann doch so liebte. Und sie liebt ihn immer noch - das hatte sie heute Nacht beschlossen.
Sie setzt sich ins Auto, zieht die Tür zu, steckt den Zündschlüssel ins Schloss. Anschließend folgt ein raues Geräusch des Motors. Sie hasst dieses Aufkreischen des Motors. Sie hasst dieses ganze Auto, weil es von ihm war.
Wie Katzenaugen schneiden sich die Scheinwerfer durchs Dunkel der Nacht. Häuser, Bäume, Laternen rauschen an ihr vorbei. Einen Moment lang hat sie das Gefühl zu schlafen, doch sie sieht die Straße deutlich vor sich. Alles kommt ihr vor, wie in einem Alptraum.
Sie hatte das Gefühl zu Fliegen, doch sie konnte den Boden deutlich unter sich spüren. Und der Boden schwankte. Sie fühlte sich unsicher.
In ihrem Traum würde sie die lange, schwarze Straße entlang fahren, dann würde die Einfahrt kommen, in die sie einbiegen würde. Sie würde auf die Bremse treten und das Auto würde langsam zum stehen kommen.
Sie träumte, die Scheinwerfer des Autos würden erlischen und sie würde aus dem Auto in die Dunkelheit steigen.
Zeitlupenartig würde sie nun auf das Haus zu gehen, das vor ihr stand. Dieses große Haus mit dem kleinen Schuppen nebenan, in dem so viele Werkzeuge standen. Sie würde kleine, grüne Metallkisten durchsuchen und die dunkelbraunen Regale, die sich vor ihr ausbreiteten, bis sie einen geeigneten Gegenstand fand, der in ihre Hand passte. Gleich würde sie aufwachen und feststellen, dass es das Lenkrad war, das sie in ihren Händen hielt. Doch bis es so weit war, lief sie noch ein Stück mit dem Gegenstand in die Richtung des Hauses. Vielleicht würde sie die Tür öffnen können? Natürlich könnte sie das, wenn sie wollte, denn sie hatte ja die Schlüssel dazu. Und sie wollte.
Träumend würde sie sich in die warme Wohnung begeben und die Tür zum Schlafzimmer öffnen, in dem friedlich ein Pärchen schlummerte. Sie hielten sich in den Armen, als würden sie sich gegenseitig beschützen wollen. Dieses Gefühl des Schutzes hatte sie schon lang nicht mehr gespürt und eine Hitzewelle brach in ihr aus und durchströmte ihren ganzen Körper, besonders aber ihren Kopf. Als nächstes würde sie den schweren Gegenstand in ihrer Hand über ihren Kopf heben. Und sie würde ihn auf die eng umschlungenen Körper herunterpreschen lassen. Und wenn die Echos in ihrem Kopf zu schreien begannen, würde sie noch einmal zuschlagen. Und ein drittes Mal, wenn es sein müsste. Denn die Echos in ihrem Kopf befahlen ihr, damit aufzuhören. Sie wollten, dass die Schmerzen ihr Klagen einstellten und das Blut aufhörte zu fließen.
Und plötzlich....kam ihr die Einsicht dass es nie einen Traum gegeben hatte, und die Echos in ihrem Kopf verloren hatten, das Blut, welches ihr in den Augen brannte, echt war, und sie ihren Ex Mann und seine Geliebte soeben mit einer Axt erschlagen hatte.