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Die Familie

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21.04.2004
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Die Familie

Die Familie hatte sich direkt im Haus nebenan niedergelassen. Mitten im stillen Vorstadtkiez, wo sanft brummende Automotoren, Gartensprenger oder ein unterdrücktes Niesen bisher die höchste Dezibelbelastung verursacht hatten. Die angrenzenden Vorgärten wurden nur von einem dünnen Gartenmäuerchen getrennt, wo doch eine Autobahnschallschutzwand sinnvoller ihren Zweck erfüllt hätte: denn dort, auf dem bisher stillen und verfallenen Grundstück war über Nacht ein urgewaltiger Unruheherd entstanden. Eigentlich waren es zwei Familien, aber Roller nannte sie nur "Die Familie". Warum wusste er nicht. Es war ihm auch egal - nicht egal waren Roller und der Bevölkerung im Kiez das jähe Ende der vorstädtischen Ruhe.
In den groben Händen der Familie verwandelten sich Presslufthämmer und Schlagbohrmaschinen von ratternden Robotern in gute Freunde, mit denen man sich einen schönen Tag machen konnte. Und dann noch einen, noch einen .... bis man den Dauerzustand mit den Wörtchen IMMER STRESS beschreiben konnte.
Wenn der Feierabend gekommen war, wurde unten im Garten hochprozentiger Alkohol gesoffen. Dort war kein Grün, nur Sand, Bauschutt, kahle Mauern. An freien Tagen wurde mit großem Lärm Tischtennis, Fußball oder Karten gespielt. Sogar die Dartscheibe machte bei jedem Treffer ein schrilles Geräusch. Wahrscheinlich hatte sie sich das bei der Familie erst angewöhnt.
Neben großem Geschrei kreiste ein ebenso großes Arsenal an Spirituosen über den Hinterhof.
Die Dialoge peitschten in die kurzen Momente der Ruhe. „Papa, spiel noch einmal Tischtennis mit mir“, bettelte der Sohn. Er wiederholte die Bitte ein paar Mal. „Nein, ist mir zu windig“, antwortete der Vater, er verschärfte das Tempo und die Deutlichkeit seiner Antworten. „Hau ab, oder sitzte uff deene Ohren“, brüllte er irgendwann.
Dann erhob er sich dösig wie ein angeschlagener Boxer und ging zurück ins Haus. Meistens trug er T-Shirts mit dem Logo einer Proleten-Hardrock-Band, die sich erst spät und halbherzig von ihrem zweifelhaften Ruf als rechtsradikale Kultband distanziert hatte. Oder auch gar nicht, wie Kritiker behaupteten. Oder Musikästheten. Oder Intellektuelle. Oder sonst wer, auf keinen Falle dürfte diese Diskussion den ratternden Hinterhof erreicht haben. Die Texte der „Böhsen Onkelz“ dagegen offensichtlich schon: Sie drehten sich um Suff, Weiber und Prügeleien. Um eine ganz besondere Lebenskultur. „Wir sind dick, dick und durstig“, sang der Leadsänger. Sie waren Kneipenterroristen, böse wilde Jungs. So ging es auch bei ihren Fans zu.
Roller hatte versucht, wenigstens am Wochenende etwas mehr Rücksicht zu fordern. Aber die Verhandlungen wurden jäh abgebrochen. Dann starteten er einen Gegenangriff: er postierte einen Recorder mit Multi-Kulti-Musik am Fenster, um ihnen einen Kulturschock zu versetzen. Vergeblich. Die Familie registrierte das Gerät nicht.
Etwas später, an einem Sonntag, einem der wenigen warmen in diesem wenig warmen Sommer wurde nebenan gegrillt. Der Wind wehte den Rauch direkt in Rollers Schlafzimmerfenster, wo er gerade Mittagsruhe hielt. Er lehnte sich leicht verschlafen über die Brüstung: „Wäre es möglich, den Grill umzustellen, der Wind weht den Qualm direkt ins Fenster?“, fragte er leicht gereizt. Die Familien glotzten. Dann wunderten sie sich, als wäre es ihnen zum ersten Mal aufgefallen, dass in ihrer Nachbarschaft auch andere Menschen wohnten. „Das geht schlecht“, antwortete der Chef. Er trug heute ein T-Shirt mit den Tourneedaten der Heavy-Metal-Band. Wahrscheinlich hatte er alle Konzerte besucht und sich dabei längere Zeit in unmittelbarer Nähe der Lautsprecher aufgehalten. Denn er sprach sehr laut. „Hahm´se een Problem.“ „Ja“, sagte Roller. Dann wiederholte er sein Anliegen. Mürrisch wurde das qualmende Corpus delicti ein paar Meter zu Seite gestellt. Allerdings nur für den Moment.
In der Folgezeit stand der Grill wieder an seiner alten Stelle. Und direkt daneben wurde zusätzlich eine Tonne deponiert, wo Holzabfälle verbrannten. Auch wenn ausnahmsweise nicht gegrillt wurde.
Roller unterließ es trotz dieser offensichtlichen Provokation (man wollte ihn ausräuchern), weitere Streitereien vom Gartenmäuerchen zu brechen. Die Familie hatte einfach gewonnen, mit ihrer bräsigen Aggressivität und ihren niveaulosen Provokationen: Denn die Familie kämpfte in einer anderen Gewichtsklasse, wo nicht nach den Regeln des Vorstadtkiezes, sondern mit der ungezügelten Wildheit des Milieus gepunktet wurde. Er kapitulierte und schloss einfach das Fenster, wenn es zu viel wurde.
Später begann Roller sogar die Kulisse zu genießen und zu beobachten. Wenn die beiden monströsen Ehefrauen in ihren schlabberigen Kataloghosen die lärmende Meute Kinder anschimpften. Die Wäscheleine mit Nachschub an dicken Schlabberhosen und Heavy-Metal-T-Shirts der einschlägigen Proleten-Band behängten. Oder sich mit großem Geschrei und röchelndem Lachen einen Witz erzählten. Um dann in der Kaffeezeit fettigen Kuchen und neue Liköre für die Mischpoke auf den billigen Tisch zu stellen, mit dicken Bäuchen und Spargelbeinen über den Hof watschelten.
Die Möbel stammten aus dem gleichen Versandhaus wie die Textilien, wie die Menschen. Roller musste bei ihrem Anblick häufig an die Comedy-Serie einer holländischen Milieufamilie namens „Flodder“ denken, die US-Amerika nach der Übersiedlung mit ihrem chaotischen und lauten Lebensstil erschütterten. Der kleine Kiez war nicht US-Amerika. Und „DIE FAMILIE“ auch keine inszenierte Show. Es war die ungeschminkte Wirklichkeit, die da durch das Fenster wehte. Mit Grillgeruch, verbalen Nebelkerzen, Pressluftgehämmer, Barbecue-Orgien, allen Risiken und Nebelwirkungen.
Mit der Zeit verspürte Roller sogar eine gewisse Dankbarkeit, dass er daran ein bisschen teilhaben durfte. Und wenn es ihm zu viel wurde, einfach das Fenster schließen konnte. Denn das war ausreichend, wie rumzappen mit der TV-Fernbedienung. Es war doch tatsächlich genau wie im Fernsehen. Er hatte die Serie damals gesehen, er hatte sie damals kultig gefunden - warum nicht jetzt auch.
Nicht hinter der Matt-, sondern der Fensterscheibe. Die perfekte Realityshow, der Eintritt frei, der Preis - war lediglich ein bisschen Toleranz.

Nach zwei schweren Jahren waren die Renovierungsarbeiten abgeschlossen. Der Baulärm stoppte abruppt. Die schrille Dartscheibe war von einem dezent klackenden Luftgewehr abgelöst worden. Die Stille war fast schon öde.
Roller hatte im Supermarkt einen billigen kleinen Grill gekauft. Am Abend zündete er auf dem Balkon die Holzkohle an. Es qualmte. Der Chef der Familie glotzte von drüben.
"Nee", rief er besorgt. "Das geht doch nicht. Doch nicht auf dem Balkon. Das ist verboten. Wenn da ein Funken in die anderen Wohnung weht."
Roller übergab sich innerlich, ausgerechnet die Familie und offensichtlich berechtigte Grill-Kritik, aber in der Gegenwart seines kleinen Sohnes bemühte er sich um Gelassenheit.
"Aha und wie soll das sonst gehen, es grillen doch viele Leute auf dem Balkon", rief er zurück.
"Dazu braucht man einen Elektrogrill", meinte der Chef. "Komm rüber, wir haben noch einen da."
"Papa mach schon", bettelte Rollers Sohn, der sich auf das Grillen freute.
Roller ging rüber.
Der Chef stand schon am Gartentor. "Guck mal, bis hier musste Wasser rein machen, damit das Fett abtropfen kann", erklärte er freundlich.
Was sollte man da sagen.

 

Mh...was schreib ich denn mal dazu...also, der Anfang der Geschichte ist etwas langweilig, muss ich gestehen, und man kann auch keinen klaren Handlungsverlauf erkennen. Es wird lediglich die Familie beschrieben und die Provokation. Es wäre spannender, würde man das mit etwas mehr Ironie oder Humor füllen. Die Umschreibung der böhsen Onkelz als

...eine Proleten-Hardrock-Band, die sich erst spät und halbherzig von ihrem zweifelhaften Ruf als rechtsradikale Kultband distanziert hatte.
ist schon mal ein Anfang, aber man könnte es vielleicht noch witziger gestalten...ok, wir sind hier in Alltagsgeschichten und nicht Humor, aber etwas mehr könnte nicht schaden.
Besser finde ich den Schluss, wo man schliesslich eine Quintessenz erkennen kann,
Es war doch tatsächlich genau wie im Fernsehen. Er hatte die Serie damals gesehen, er hatte sie damals kultig gefunden, warum nicht jetzt. Nicht hinter der Matt-, sondern der Fensterscheibe. Die perfekte Realityshow, der Eintritt frei, der Preis: ein bisschen Toleranz.
nämlich, Toleranz zeigen. Nur finde ich dieses Beispiel dann ein wenig zu viel des Guten, denn hier ist eigentlich keine Toleranz mehr angebracht, sondern in diesem Fall wäre es feiges Nachgeben. <-- Meine Meinung; muss nicht richtig/angebracht sein

Die Fragezeichen sollten sicher "Anführungsstriche" sein, oder? Würde ich ändern...
mfG
Cancel

 

Hallo Cancel,

dankeschön für deine einschätzung. habe ein paar sachen geändert, auch den anfang. war wirklich etwas lahm. tja mehr ironie und humor: hatte eigentlich gehofft das wäre schon ironisch und humorvoll ... muss man wohl noch etwas daran arbeiten.
was die quintessenz betrifft, darüber kann man streiten denke ich. feiges nachgeben würde ich das nicht nennen, denn durch aggression entstehen doch die kriege am gartenzaun.
habe das ende verändert, vielleicht passt es jetzt besser. ist übrigens alles wirklich so passiert.

liebe grüße

 

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