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Die Französin
Die Französin
01.12.1935
“Meine liebste Sophie!
Oh, wie lange ist es her, dass wir uns gesehen! Welche Sehnsucht macht sich in mir breit, wenn ich an die einzigartigen, die herrlichen Momente denke, die ich mit dir teilen durfte. Jede einzelne Sekunde war ein Segen, gleich einer Gabe Gottes.
Dein lieber Brief hat alles, was ich im grauen Alltag zu verdrängen gewusst, wieder hearufbeschwört. Die Erinnerung wallte stürmisch in mir auf, ihr war kein Einhalt mehr geboten! Nein, wie könnte ich es jemals vergessen? Deine zierliche Gestalt, deine tiefen, dunklen Augen, dein bezauberndes Lächeln? Oh, niemals hat eine Frau mich so sehr in ihren Bann ziehen können wie du! Sophie, meine liebste, süße, gute Sophie! Allein der Klang deines Namens lässt mich wohlig erschauern. Wie ein Geschenk des Himmels bist du in mein Leben getreten, damals, als ich allein, verloren und deprimiert meiner dunklen Wege ging! Erinnerst du dich noch?
Es ist schon so lange her, aber es scheint mir, als wäre es gerade eben erst geschehen. Nur die Wehmut der Erinnerung ruft mir die Strenge der Zeit wieder ins Gedächtnis. Du und ich, wir trafen uns vor 12 Jahren in Koblenz, damals, als du noch glaubtest, Frankreich wäre Deutschlands Rettung, und als ich vehement die Meinung vertrat, jeder Franzose verdiene einen grausamen Tod. Ja, ja, du hast dich ganz schön verändert seit damals.
Es dauerte nicht lange, da war ich deinem Charme erlegen und gehörte ganz und gar dir. Oh, wie jung und naiv wir uns benahmen, auch wenn wir dachten, wir seien die weisesten Geschöpfe Gottes. Kurze Zeit, waren es drei oder vier Monate, entschlossen wir zu heiraten. Ach, Sophie, gedenkst du noch der grausamen Stunden der Ungewissheit, als wir dachten, wir seien nicht stark genug, um den Widerstand meiner und deiner Eltern zu überwinden? Doch unsere Liebe hat gesiegt, gottlob. Es musste ja so sein. Auch wenn wir erst 20 Jahre alt waren, so waren wir uns doch sicher, ein Leben miteinander teilen zu wollen.
Keiner von uns ist mehr derselbe, doch haben wir unser Versprechen der ewigen Liebe keineswegs gebrochen. Durch schlimme Zeiten sind wir gewandert, durch dick und dünn. Existenzielle Fragen drohten, uns zu überwältigen, ganz besonders während jener Jahre, in denen uns deine Eltern nicht helfen wollten. Ach, der französische Hochmut hat eine solch fest verankerte, alte Tradition, dass ich versucht bin, vor Ehrfurcht zu erzittern.
Trotz aller Schwierigkeiten schafften wir es, uns Kraft unserer Liebe durchzubeißen, zu überleben und uns gegenseitig verständnisvoll zur Seite zu stehen. Und als dann unsere Kinderchen auf die Welt kamen, oh, welch überschwengliche Freude! Sie sind ja mein Alles und mein Sonnenschein!
Wie schön war dann doch die Belohnung, die der Herr uns schließlich zuteil kommen ließ.... das Geschäft begann zu florieren, unsere soziale Position festigte sich und wir gewannen Ansehen in der Gesellschaft. Glücklicher hätte ich gar nicht mehr sein können. Und dann der fast unglaubwürdige Brief des Verzeihens deiner Eltern aus Compiègne. Wir hatten schon gar nicht mehr zu hoffen gewagt! Das war vor etwas mehr als einem Jahr. Damals drückte ich mein Verständnis aus, als du beschlossest, sie mit den Kindern besuchen zu gehen. Ich verblieb in Deutschland aus mehreren Gründen: Die Arbeit, die Verpflichtungen, die Bitterkeit, die zwischen mir und deinen Eltern herrscht. Natürlich habe ich ihnen längst vergeben, doch ich fürchte, meine Anwesenheit würde lediglich einen neuen Streit heraufbeschwören.
Natürlich weiß ich, dass du gar nicht vorhattest, so lange in Frankreich zu bleiben, doch die schwere Krankheit deiner Mutter verpflichtete dich. Nun schreibst du mir, sie sei wieder wohlauf und du bereit zur Heimkehr. Gottlob!
Doch leider, liebe Sophie, muss ich dir etwas gestehen. Seit du deinen Aufenthalt in Compiègne begonnen hast, sind viele Dinge nicht mehr so, wie sie mal waren. Du erinnerst dich doch sicherlich, wie du vor einem Jahr noch die deinem Volke feindliche Haltung der neuen Regierung kritisiertest. Es war selbstverständlich recht und billig, denn auch eine Französin besitzt das Recht, patriotisch zu empfinden! Ja, was Recht ist, muss Recht bleiben, und ich sehe mich da auch gezwungen, der Gerechtigkeit ein treuer Diener zu sein! Dabei ist es irrelevant, ob ich die Ansichten der Reichsregierung nun teile oder nicht.
Diese Reichsregierung hält sich aber nicht schlicht mit einer gerechtfertigten Kritik an der französischen Haltung gegenüber Deutschland auf, wie du mit Sicherheit schon erfahren hast. Da sie versprochen hat, ein junges, modernes Deutschland zu schaffen, ist sie auch schon lange dabei, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Dafür hast du bestimmt Verständnis, denn du weißt ja, wie sehr ich die Heimat liebe und wie stark ich mir ihr Wohlsein herbeisehne. Da hast du dann auch allerhand Grund, dich für mich zu freuen.
Ein jeder Patriot, liebe Sophie, wenn es ihm wirklich ernst ist und er nicht nur Phrasen drischt, muss entschlossen sein, mutig zur Tat schreiten zu können, auch wenn es bedeutet, persönliche Opfer zu leisten. Du weißt garantiert, wovon ich spreche, denn deine wie meine Familie haben viel für ihre Heimat getan. Was für ein Volksgenosse wäre ich, sollte ich mich feige zurückstellen und Anstrengungen scheuen? Wenn ein jeder ein solches Gedankengut verträte, so wäre Deutschland dem Tode geweiht. Derart grausames Schicksal könntest du mir doch niemals gönnen? Natürlich nicht, nicht nach alldem, was wir zusammen durchmachten.
Deswegen, im Andenken dieser Liebe, musst du verstehen, meine ewige Sophie, Mutter meiner Kinder, wenn ich dir hiermit mitteile, dass du gar nicht mehr nach Deutschland zu kommen brauchst. Ja, du magst dich vielleicht wundern, doch habe ich mich dazu durchgerungen, diesen Schnitt ins eigene Fleisch zu wagen. Ich liebe dich doch zu sehr, um dir etwas Böses zu wünschen. Deswegen möchte ich dir den Ärger eines Wiedersehens ersparen. Ja, es ist die Liebe zum Vaterlande, die mich zu dieser Entscheidung treibt, darüber besteht kein Zweifel!
Zu diesem Zeitpunkt stellst du dir wahrscheinlich die Frage, wieso ich dir diesen Brief schicke. Nein, es liegt nicht nur daran, dass du Französin bist. Siehst du, liebe Sophie, Begleiterin so langer, entscheidender Jahre, ich habe dir ja bereits erklärt, wie wichtig die Reichsregierung die Aufgabe nimmt, aus unserem Lande ein modernes, junges Deutschland zu machen. Da sieht sie sich auch gezwungen, schwere Entscheidungen zu treffen. Niemand weiß es besser als du: Harte Zeiten erfordern harte Maßnahmen. Gerade weil ich dich so liebe und du mich, musst du es verstehen. Im Vergleich zur Wichtigkeit des Wohles Deutschlands ist unser persönliches Glück doch unwichtig. Vor allem: Je größer das Opfer, desto bedeutsamer der Akt. Ich könnte es doch niemals verantworten, meiner Heimat ein Übel anzutun!
Deswegen sehe ich mich gezwungen, schweren Herzens unsere Verbindung abzubrechen. Um die Scheidung brauchst du dir keinerlei Sorgen zu machen, ich trage Sorge dafür, dass die Ehe annuliert wird.
Ich wünsche dir und den Kindern nur das Beste. Bitte behaltet mein Andenken in Ehren, sowie ich das Eure.
Deinen Mädchennamen kannst du jetzt endlich wieder mit Stolz tragen, bist also ab heute Madame Sophie Amande Levi.
Bitte schreibe mir nie wieder. Ich bin jetzt nämlich Mitglied der Partei, da würde es komisch ankommen, wenn man mich mit jemandem wie dir in Verbindung bringen würde, du weißt schon.
In ewiger, treuer und ehrlicher Liebe:
Dein Sebastian Schneider.“