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Die Hüter
Ifa Jallow
Unter den Rekruten gab es ein Gerücht: Wenn du in der Tiefe verloren gehst, dann öffnet sich zuletzt ein verborgenes Ventil und Gas strömt in den Helm. Du lächelst, während du stirbst.
Noch atme ich.
Wieder geht ein Ruck durch die Luzifer, die schimmernden Außenkanten verrutschen. Ich gerate ins Trudeln. Wenn sie diesen Ort wirklich verlässt, wird sie mich mitziehen. Mich. Meine Hülle. Aber sie werden sich Zeit lassen. Dort drinnen ist viel passiert. Sie hat den Bauch voll Wasser bekommen, die große Luzifer, mehr Platz für ihre neue Besatzung, aber auch mehr Gewicht. Sie hat uns aufgenommen, Deniz und mich, sie hat uns ein paar ihrer Geheimnisse gezeigt, aber sie hat nur mich wieder ausgespuckt. Deniz wird schon tot sein. Heute Morgen roch er nach Muskat. Nicht an Deniz denken.
Bewegungslos hänge ich über dem Meeresgrund. Atemgas sparen, idiotisch. Ich sollte etwas unternehmen, um es abzukürzen. Vielleicht singen. „Bruder Jakob, Bruder Jakob ...“ Die Stimme verzittert, ein Winseln ohne Hall in dem toten Helm. Schluchze ich etwa? Mein Fuß, abgedreht wie ein Hühnerbein, hängt lose im Gelenk. Vielleicht werde ich nur noch vom Anzug zusammengehalten. Es tut weh. Hör auf. Eine Faust schiebt sich zwischen Brustbein und Kehle. Ich würge. Nicht in den Helm kotzen. Deniz, wie er sein Visier hochklappte und erbrach. Nicht daran denken, Deniz hat es hinter sich, diese Krakenkreaturen haben kurzen Prozess mit ihm gemacht, ganz bestimmt.
Ich trete mit der Flosse, die mir geblieben ist. Erahne dort vorne die Umi, unsere Umi, umkreist von Kraken, die blaue Funken ausstoßen. Wie viele Arten von Licht es hier unten gibt. Meine eigenen Schulterlampen dagegen sind ausgefallen, wie das Display, das Mikrophon, die Fledermaustechnik, alles. Nur das Gasgemisch strömt in meine Lunge, als ob es noch etwas zu tun gäbe für mich. Die Wahrheit ist: Es gibt nichts zu tun, außer zwischen drei Leichenhäusern zu schweben, bis mir die Luft ausgeht. Ava, vielleicht schon tot in der Umi. Ein Stück weiter auf PX 2.11, die Leichen der Arbeiter, befallen von leuchtenden Luciferin-Bakterien. Da drüben die Luzifer, Grab für eine ganze Besatzung. Und für Deniz. „Raus hier, bevor sie uns in Lampen verwandeln können“, hat er gesagt. Ich schlottere. Schweiß rinnt in meine Augen und ich kann nichts dagegen tun.
Ava, ich brauche ein Kommando. Ava. Früher wollte ich so sein wie du. Deniz war es, der mich darauf aufmerksam machte, dass ich das Essen auf deine Art hinunterschlang, ohne hinzuschauen, ohne ein Messer zu benutzen. Aber auch er war so stolz, dass du uns ausgewählt hast. Ausgerechnet uns, den verträumten Deniz und mich, obwohl ich viel zu viele Fragen stellte. Eigentlich war ich schon im Aufbruch, weißt du das, Ava? Wie viele Runden wir bei Sonnenaufgang ums Deck gejoggt sind, Tausende müssen es gewesen sein. Die Ausbildung war die schönste Zeit meines Lebens. Aber ich wusste es nicht.
Ein winziger Lichtschimmer nähert sich. Gibt es hier noch Leben, nachdem sie den Meeresboden abgeräumt haben? Deniz wäre begeistert. Da, tatsächlich ein Anglerfisch! Er rückt vor mein Visier, schwenkt seine Laterne, um ein Tierchen anzulocken, das neugierig genug ist, um zu sterben. Wenn es die Täuschung bemerkt, ist es schon halb zerrissen, ein kleines Drama im unaufhörlich fallenden Meeresschnee.
Atme ich noch?
Die Umi - da passiert etwas. Sie setzt sich in Bewegung, aber so merkwürdig. Wie eine Spindel dreht sie sich, ganz langsam. Funken verteilen sich im Wasser. Was … ?! Da ist etwas mit der Beleuchtung, sie schimmert jetzt silbrig. Die Kraken reagieren. Ihr Ring schließt sich dichter um die Umi, sie pulsieren im Reigen um das rotierende U-Boot. Tanzen sie mit ihr? Die Farbe ihrer Mäntel, ungewöhnlich, wie edle Schirme, wandelt sich von kupferrot über magenta und lila in das Silber der Umi. Sie sind kaum noch zu unterscheiden. Das will ich noch sehen und wenn es das Letzte ist.
Hoffnungslos mit einem Fuß zu paddeln, ich japse nach Luft, halte inne. Da blenden die Scheinwerfer der Umi grell auf. Etwas schießt heraus, auf einen Kraken zu, sein Körper erschlafft, sinkt, wird gegriffen und in die Umi gezogen. Die anderen zucken zusammen, stoßen sich zurück, Blitze, Pfeifen. Die Umi feuert. Feuert, bis sie alle auf den Boden des Meeres sinken. Und dann ist die Umi weg. Alles weg. Dunkel.
Ava?
Avanka Daxton
So, das wars. Meldung machen. Einen Moment noch. Dieses Zittern, scheiße, wie kann das sein, ich bin so fit wie noch nie in meinem Leben. Fokus, Ava, zieh es jetzt durch. Stampf mit den Füßen, trampeln, trampeln, das bringt mich zurück. Unter mir das Vieh. Fast schwarz hat es sich in eine Ecke zurückgezogen, aber das nützt ihm nichts, ich kann es gut erkennen auf dem Bildschirm. Umgestülpt hat es sich, in seine eigenen schleimigen Häute verkrochen. Es reagiert auf mein Getrampel, zuckt mit den Tentakeln bei jedem Tritt, die Spitzen leuchten. Wie empfindlich die Dinger sind. Widerlich.
Meldung machen. Was knackt da? Das verdammte Ohr, mal gurgelt es, mal knackt es. Egal, ich bin durch, Meldung machen. Fokus. Fokus. Fokus.
„Kommandantin Daxton an Oberkommandant Miles. Melde Erfolg. Bildmaterial von PX2.11 und dem Inneren der Luzifer liegt Ihnen vor. Ein Objekt ist betäubt und aufgenommen worden. Die Offiziere Jallow und Kent haben es nicht geschafft. Kent befindet sich noch auf der Luzifer. Keine Bilder mehr, keine Kommunikation möglich, aber vom Sender im Helm kommt ein klares Funksignal. Wir werden ab jetzt das Schiff orten können. Jallow habe ich komplett verloren. Ihr Helm sendet noch vom Meeresgrund, aber ich konnte die Leiche nicht mehr bergen.“
Ein Schemen hinter den explodierenden Oktopoden, ein Schemen, aufrecht, nein, da war nichts, kein Schemen. Was hätte ich denn machen sollen? Abbrechen? Wieder das Knacken rechts im Ohr. Warum antwortet der nicht, lasst mich nicht allein mit dem Ding da unten. Was denke ich da? Endlich, seine Stimme.
„Gute Arbeit, Daxton. Ja, das Material ist brauchbar. Es wird das Komitee überzeugen, dass wir hier eingreifen müssen. Sogar die Kanzlerin wird nachgeben. Vermutlich werden wir freie Hand bekommen, das Schiff zu zerstören. Wir sollten uns beeilen, wer weiß, wie lange wir Signale empfangen können. Jallow und Kent werden in die Ehrenhalle aufgenommen. Wir benachrichtigen die Angehörigen.“
„Die beiden haben keine Angehörigen. Sie sind Waisen der dritten Pandemie.“
„Wir wissen, nach welchen Kriterien Sie Jallow und Kent ausgewählt haben. Ich meinte die Angehörigen der PX2.11 Arbeiter. Und natürlich die Familien der Luziferbesatzung. Die warten seit zehn Jahren auf Antworten.“
„Natürlich. Entschuldigung.“
Meine Beine trampeln. Wieso passiert mir jetzt so ein Scheiß. Fokus halten. Seine Stimme, freundlich, zu freundlich.
„Ist in Ordnung, Daxton. Ich verbinde Sie jetzt noch mit Herrn Reimers, Medienberater bei der Firma PX Deepwater. Er hat noch ein paar Fragen.“
Was?!
„Glückwunsch, Kommandantin Daxton. Toll, was ihr da unten leistet, wir sind sehr, sehr zufrieden.“
Als würde meine Hand von einer schwitzenden Pranke ergriffen und geschüttelt. Oder meine Kehle? Ava, Schluss jetzt! Was für kranke Gedanken. Nerven behalten, gottverdammt!
„Danke.“
„Tragisch, der Tod so vieler guter Leute. Sehr tragisch.“
„Ja.“
„Was macht denn unser Freund im Keller?“
„Er verhält sich ruhig.“
Auf dem Bildschirm, das Auge, milchigblau, es kann mich nicht sehen, seine Filamente züngeln in alle Winkel, es untersucht sein Gefängnis, zur Not verpasse ich ihm einen Stromschlag, der Blick gefällt mir nicht, überhaupt nicht ... na also – , es zuckt und stülpt wieder den Mantel über den Kopf. Das Vieh soll wissen was Sache ist. Zu oft darf ich das nicht machen. Leider. Der Typ ölt weiter. Was?
„... wunderbar. Sind ja mächtig gefährlich, die Biester. Bevor wir zu den Vampirkraken kommen - erzählen Sie mal: Was hat das mit diesen Luziferin-Bakterien auf sich?“
„Dazu hat Kommandant Miles alle Informationen.“
„Warum so wortkarg, Daxton? Jetzt können wir die Luzifer endlich zur Hölle jagen mit ihrer Krakenbrut! Och, nun feiern sie sich doch ruhig mal ein bisschen! Sie sind schließlich die Heldin in dem Spiel. Jedenfalls die, die übrig ist. Unsere Firma hat die Operation zu 90% finanziert, ist Ihnen das bewusst? Das hier ist ein Interview. Ich brauche schlicht ein paar O-Töne von Ihnen. In einer Stunde sind wir auf Sendung.“
Vorbei mit lustig, wir können auch anders. Los, hol das Stöckchen.
Das Vieh scheint sich zu erholen, der fischige Körper mit den Flossen schiebt sich langsam aus der Hülle, die Filamente zittern. Scheiße. Nicht nochmal Strom, sie brauchen es intakt. Guck nicht hin. Ich bin kurz vorm Ziel. Fokus, Avanka.
„Nun gut. Wir vermuten, dass es sich um mutierte Bakterien der ersten Generation handelt, die für die Schiffsbeleuchtung der Luzifer entwickelt wurde. Sie produzieren Luciferine und wurden ursprünglich durch Gase ernährt.“
„Ursprünglich?“
„Mittlerweile akzeptieren sie auch Fleisch.“
„Menschenfleischfressende Glühwürmchen?!“
„Wenn Sie so wollen. Wir haben herausgefunden, dass die Kopffüßer sie offenbar auch nutzen, um die Energie für den Antrieb der Luzifer zu produzieren. Die Leichen der Besatzung sind durchsetzt mit Luziferin-Bakterien. Ich denke, Sie haben die Bilder gesehen, die Kent und Jallow übermittelt haben.“
„Ja, grauenhaft. Die Leiche, mit dem abgerissenen Kopf, wo die Bakterien aus dem Hals leuchten wie ein Bündel Wunderkerzen, da wird einem ja kotzübel. Und damit sind wir bei den Killer-Kraken. Die haben da unten einen Krieg gegen uns angefangen, kann man das so sagen?“
„Sie haben vermutlich vor zehn Jahren die Besatzung der Luzifer getötet, als die in ihr Gebiet einbrach. Und vor ein paar Tagen die Arbeiter der Abbaustation PX.2.11.“
„Ich bitte Sie, getötet klingt so niedlich. Ein grauenhaftes Gemetzel mit zerfetzten Gesichtern und abgerissenen Körperteilen. Todbringende Kraken in der Tiefsee. Hochaggressiv. Eine Bedrohung für unsere Zivilisation!“
„Na jedenfalls eine Bedrohung für die Ausbeutung der Manganvorkommen in der Tiefsee.“
„Was dasselbe ist, oder sehen Sie das anders?“
Nerven behalten. Warum sehe ich plötzlich Miles vor mir, lauernd auf einen Fehler? Er hat mir einiges versprochen. Herkunft spielt heute keine Rolle mehr, hat er gesagt, Leistung und Courage, das zählt. Und Selbstbeherrschung.
„Selbstverständlich sehe ich das so, ich habe gerade zwei Leute verloren, damit die Welt erfährt, was hier auf dem Spiel steht.“
„Wir wissen, welche Opfer Sie da unten bringen, glauben Sie mir. Genau wie wir. Einundzwanzig Kollegen auf PX2.11. ...“
Es knackt wieder im Ohr, verdammt, warum ist mir immer noch so schwindelig. Es flackert. Der Typ redet sich in Wallung. Wieso flackert das Licht?
„... verfüttern Menschen an Bakterien, haben unsere Luzifer gekapert … bösartig und extrem intelligent … wollen uns alle umbringen ... das muss die Öffentlichkeit erfahren … harte Antwort … teuflische Vampirkraken …“
Dem kommts gleich, das gibt dem echt nen Kick. Kick. Klick. Klick. Klick. Wo ist der Krake?! Komm, Schätzchen, schau nochmal in die Kamera. Was ist mit dem Mikro los? Es rauscht. Ist das mein Ohr?!
„... gut, ich bedanke mich, das reicht fürs Erste … großartig … einen Sender einzuschleusen ... feiern … die Labore … gibt es Calamares satt …“
„Nein, bitte, ich muss mit Miles sprechen. Hier passiert gerade etwas, die Krake ist ... hallo?“
Tot. Warum denke ich „tot“? Plopp. Wo kommt das Rauschen her?
Deniz Kent
Blau. Das Auge vor meinem Visier ist blau wie ein Marienmantel von Giotto und riesig, eine Kugel, die meine Vergangenheit zeigt, denn eine Zukunft habe ich nicht mehr. Ich kenne ihn. Er ist der Grund dafür, dass ich hier bin. Zwischendurch hatte ich den Weg verloren, aber jetzt bin ich am Ziel. Bei anderen Kindern klebten Elefanten und Superhelden an der Wand. Über meinem Bett hing er. Mein Vater hat mir geholfen, das Poster mit Heftzwecken aufzuhängen: Vampyroteuthis infernalis. Niemals wäre ich Biologe geworden, wenn er nicht Nacht für Nacht durch meine Träume gegeistert wäre. Die Vampirkalmare an meiner Seite sind so riesig wie in meinen Träumen, größer als ich, viel größer als die bekannten Arten. Ihre Mäntel, die die Draculaphantasien ihrer Entdecker weckten, wogen vor meinen Augen. Etwas schiebt sich in meinen Ärmel, umschlingt seidenweich mein Handgelenk. Da muss ein Riss sein im Anzug. Fühlen die meinen Puls? Sie haben drei Herzen, sind wahrhaft blaublütig. Ich stöhne und der Druck am Arm erhöht sich. Ah. Gefühl ist noch da, verdammt.
Sie ziehen mich mit, schlagen mit den Flossen, kupferrrot blähen sich die Mäntel. Ich hänge zwischen ihnen, wie zwischen Vater und Mutter.
Ich weiß, wo sie mich hinbringen.
Meine Augen, ich kann es nicht wegblinzeln, es bewegt sich und blendet, selbst wenn ich die Augen schließe. Ich habe Angst. Gott, warum töten die Kalmare mich nicht gleich. Der links von mir hat Verbrennungen am Schnabel, das war der, den ich erwischt habe, als wir versuchten, zu fliehen, Ifa und ich. Wieder der Husten, Blut am Visier. Ifas Blick, als sie die Bakterien in meinem Rachen glitzern sah.
Wir halten an, ich verstehe nicht … doch jetzt verstehe ich: Vor mir Panzerglas, draußen die Umi, silberglänzend, die … rotiert, seit wann kann sie das und wofür? Schemen von Kraken, die sich an die Umi schmiegen. Meine Begleiter zucken unruhig. Irritiert es sie genauso wie mich, dass ihre Kollegen mit unserem U-Boot flirten?
Da ist Ifa. Ich schreie, dränge zur Scheibe, es hat keinen Sinn, Ifa hört mich nicht, wie auch. Sie paddelt näher an die Umi, mühsam, das Bein ohne Flosse merkwürdig verrenkt. Ach Ifa, du bist der Knaller, fast schon tot und immer noch neugierig!
Das Bild bricht. Inferno, Blitze, die Umi feuert, zerfetzte Kalmare draußen, Ifa, wo bist du? Die Tentakel an meinem Körper krampfen, sie amputieren meine Glieder, ich schreie, gurgele, huste und sie lassen etwas nach. Dann ist die Umi fort.
Ich habe das U-Boot überhaupt nicht gekannt.
Die Kalmare ziehen mich weiter, sehr langsam. Eine Vibration, es schüttelt das Schiff, ein saugendes Geräusch, irgendwo lassen sie Wasser ab, davon verstehen sie etwas, vielleicht, weil sie selbst mehrkammerige Wesen sind. Wir kommen an ein Schott. Der Kalmar neben mir zieht sich zusammen, dann eine Schallwelle, wie ein Schrei in ein Kissen. Das Schott öffnet sich und wir sind da, wo Ifa und ich nicht hingelangt sind.
War das mal ein U-Boot? Das hier ist eine Kathedrale, überwachsen mit Algen, Korallen, Schwämmen und soviel Leben wie nirgends sonst mehr. Erstaunlich wenige Vampirkalmare im Hintergrund. Dafür andere Arten von Meerestieren, leuchtende Krebse in grün und orange, Oktopoden, Sepien. In den ehemaligen Kojen hängen an Schnüren Millionen von zarten durchsichtigen Eiern, wie Schleier von orientalischen Hochzeitsgemächern, beschützt und gestreichelt von verblassenden Kraken aller Arten und Größen. Sie werden ausgezehrt sterben, nachdem die kleinen Kopffüßer geschlüpft sind. Nur eine Gattung der Kopffüßer kann mehrmals gebären, der Trägste und Harmloseste unter ihnen: der Vampirkalmar. Doch die Kalmare an meiner Seite sind nicht die von meinem Poster. Vor über fünfhundert Millionen Jahren muss es eine Abzweigung gegeben haben, von der der Mensch nichts wusste. Sie sehen mich an, lassen es zu, dass ich mich hinunterbeuge zu den Oktopodenweibchen, die ihre Eier mit Algenfäden an Manganknollen geknüpft haben. Der Boden ist komplett bedeckt. Eine Millionen Jahre braucht eine Knolle, um ein paar Millimeter zu wachsen. Auch das hat mich als Kind schon fasziniert. Wann habe ich erfahren, dass sie alle zu Schrott werden, nachdem ihre Bestandteile in Handys und PC's ihren Dienst getan haben? Seit sich die Beziehungen der Union zur Föderation verschlechtern, giert vor allem die Rüstungsindustrie nach Material.
Was ist das? Kleine Höhlen, jede kugelrund. Wieder warten die Kalmare geduldig. An den Eingängen winken Scheren und Fischmäuler, Schleier und Tentakel, viele sind erleuchtet. Jetzt sehe ich, aus welchem Stoff die Höhlen sind, zerdrückt, zerschlissen, bewachsen, eine perfekte kleine Reihenhaussiedlung.
Ein Ruck geht durch das Schiff.
Wir wechseln in den nächsten Raum und wieder in den nächsten, die Luzifer ist unermesslich groß, drei Stockwerke hoch, und man kann sagen, dass das Biolabor hier endlich mal den Stellenwert bekommt, der ihm gebührt. Ich sehe den Reichtum, die Farben, die unsere Meere einmal hatten.
Schimmernde Quallen, die sich träge durchs Wasser pumpen, der Krüppelfisch dort ist doch lange ausgestorben, glitzernde Seegurken, ich bin im Biologenparadies, bestimmt schon tot. Aber dann würde ich nicht so entsetzlich husten. Das hier ist eine Arche und vielleicht hätten sie Ifa und mir auch noch ein Zimmer angeboten, wenn wir nicht sofort auf sie geschossen hätten. Warum zeigen sie mir das alles, anstatt mich direkt auf den leuchtenden Leichenhaufen zu werfen, der das Schiff antreibt?
Mir bleiben nur noch wenige Minuten, dann ist mein Atemgas verbraucht. Wahrscheinlich werden wir gleichzeitig ersticken, Ifa und ich, dabei fing unsere Geschichte doch gerade erst an. Aus uns hätte was werden können.
Ava Daxton, nein ich will nicht meine letzten Minuten auf Ava Daxton verschwenden, denn der Verdacht, der sich in meine Gedanken frisst, macht mir den Tod noch bitterer. War es wirklich nur unser Auftrag herauszufinden, was passiert ist, auf der PX.2.11? Was sollten wir wirklich liefern? Wofür hat sie uns geopfert?
Es wird heller in meinem Helm, kein gutes Zeichen.
Und jetzt sind wir da. Der Generatorraum. Wir sind nicht alleine. Von allen Seiten kommen sie jetzt, die Kalmare, führen Leichen mit sich, es müssen die Arbeiter der PX.2.11 sein. Zugleich geht wieder ein Ruck durch die Luzifer, ein großer. Da ist wieder die Leiche, aus deren Hals ...
Ich war bewusstlos. Phantasiere ich, oder ist das Ifa, mit der ich Visier an Visier liege? Tatsächlich, sie haben sie aufs Schiff geholt und zu mir gebracht. Ifa! Ich fange an zu heulen, huste, sie nimmt meine Hand, redet, fast nicht zu hören, ich sehe ihr in die Augen, auf den Mund.
Im Helm, links neben ihrem Kopf, ein grüner Lichtschimmer, seltsam, der Helm ist doch tot.
Sie versucht, mir etwas zu sagen, von Licht, ja, ich weiß, die Luciferinen, sie sind jetzt überall. Sie schließt die Augen. Nein, nein, nicht sterben Ifa! Das kleine grüne Licht, als sei es ihr Lebenslicht.
Sie öffnet die Augen, formt mit den Lippen Worte. Ich dich auch, Ifa! Da erst verstehe ich, „Sender“, sagt sie, „Sender“. Das grüne Licht. Ich begreife. Ich schreie.
„Wir sind der Scheiß-Navi für ihre Torpedos!“
Ifa nickt.
„Ich will das nicht!“
Ifa nickt wieder. Sie tastet an ihrem Körper, während sie mich unentwegt anschaut, zieht aus der Seitentasche des Anzugs einen Phaser. Das ist es. Wir beenden es. Es wird aufhören, das verdammte Signal. Und unser Leben. Ich finde meinen Phaser, setze ihn auf ihr Visier, so wie sie es bei mir tut. Dann schauen wir uns an und zählen bis drei.