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Die Neuen oder Herrn Schills Komparativ, Eva und ich

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12.04.2007
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Die Neuen oder Herrn Schills Komparativ, Eva und ich

Die Neuen, Herrn Schills Komparativ, Eva und ich
oder
Geburt und Herkunft der Querdenkerszene​

Als ich aus dem Wagen steig, liegt er auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernehm zum ersten Mal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“

Schon als wir eingezogen sind, ist mir der dicke große Kerl aufgefallen. Während ein anderer neuer Nachbar ungefragt mit anpackte, stapfte der große dicke Kerl mitten durchs Gewimmel amateurhafter Möbelpacker, hielt mit der rechten Hand einen mächtigen Spieß schräg über seine Schulter gelegt und verschwand im Treppenhaus ohne ein Wort.

Ich sollte ihn von nun an täglich sehen und selbst wenn ich grüßte, er blieb stumm. Er ist der Mensch, der dafür sorgt, dass der Rasen vor und hinterm Haus englisch kurz bleibt und er scheint der Mensch zu sein, der Unkraut und Kraut zu definieren weiß und mit chemischen Keulen die natürliche Auslese kultiviert. Aber zu Anfang sprach er kein Wort, obwohl der andere Nachbar mich beim ersten Pils nach dem Umzug vor diesem Ehepaar warnte, denn es wären Sabbeltaschen, sie träten alles breit, tratschten rum und wähnten sich als Blockwart und Hausmeister.

Als ich ihn also das erste Mal sah, trug er mit der rechten Hand eine Partisane schräg über seine Schulter gelegt ins Haus. Und jetzt, als ich aus dem Wagen steig, liegt er auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernehm zum ersten Mal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“

Auf meine Frage, warum, antwortet er: „Weil S’e hier falsch parken …“

„Das wüsst' ich aber“, antworte ich.

„Hör’n S’e mal, ich wohn hier seit zwanzig und mehr Jahren, bin hier der älteste Mieter und ich werd doch wohl wissen, wer wo hier parken darf.“

Ich wiegle ab: „Kann sein, muss aber nicht. –
Und warum geht Sie das was an?“

„Hör’n S’e mal, junger Mann“, betont er übermäßig, „ich will Sie vor ’nem Strafmandat schützen, denn die Straße wird oft kontrolliert.“

„Ach ja?“, sag ich nur noch.

„Aber sicher!
Zudem lieb ich Ordnung, kenn mich aus in Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, -
bin der einzige hier, der Auge und Ohr offen hält.
Und ich sag Ihnen, die Ordnungswidrigkeit wird Sie vierzig Euro kosten.“

Vierzig Euro -
rattert’s in Cents durch meinen Kopf.

Ich steig wieder ein und fahr den Wagen weg, wenn auch nur gleich um die Ecke und vielleicht auch nur um des lieben Friedens willen.

Wie ich zurückkehr, seh ich schon von der Ecke aus, dass vorm Eingang ein anderer Wagen steht. Ich gehe schnell hin. Eine dralle Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt, hantiert am Kofferraum mit vollen Einkaufstaschen, die sie offensichtlich allein nicht tragen kann. Ich sprech sie an: „Wissen Sie, dass Sie hier falsch parken?“

Sie antwortet zunächst mit einem „Ach!“, und schüttelt den Kopf.

„Das wüsste ich aber“, antwortet sie und fährt fort: „Junger Mann, ich wohn mit meinem Mann seit mehr als zwanzig Jahren hier und ich werd doch wissen, ob ich hier parken darf oder nicht.“

Ich versuch’s weiter: „Liebe Frau, ich will Sie vor einem teuren Strafmandat bewahren. Mein Nachbar hat mir gerade gesagt, dass es vierzig Euro koste, hier falsch zu parken.“

„Ach wissen Sie, junger Mann, das sagt mein Mann immer, wenn jemand Fremdes unbefugt unseren Parkplatz vor der Haustür blockiert.“

Publikum sammelt sich auf der Straße. In den anderen Fenstern bewegen sich Gardinen, Fenster werden quergestellt, gar geöffnet. Wetten werden abgeschlossen, was als Nächstes geschieht.

Jetzt merk ich erst, dass der dicke Kerl immer noch im Fenster liegt, denn er mischt sich ein: „Seh’n S’e nicht, dass die Frau die schweren Taschen allein nicht tragen kann?
Geh’n S’e ihr doch zur Hand, Mann.
Oder können S’e keine Taschen tragen?
Sie sind doch kein Hedonist, oder?
Haben S’e’s im Rücken? –
Oder woll’n S’e einfach nicht helfen?“

Wie im Reflex ergreif ich vier Taschen und überlass der drallen Frau eine Packung seidenweichen Toilettenpapiers, die ich nicht mehr untern Arm klemmen kann. Wir gehen gemeinsam durch die Haustür in den zwoten Stock. Ich schleppe mich mit dem Zeug vier lang andauernde Treppen hinauf, muss auf halbem Weg auf dem Treppenabsatz eine Verschnaufpause einlegen. Sie aber schreitet rüstig und frisch voran.

Es geht in die Puppenstube meines neuen Nachbarn. An der Tür steht groß Herrmann & Schill. Und da weiß ich, woher ich die Frau kenn’.

Der dicke Kerl begrüßt mich mit den aufmunternden Worten: „Junger Mann, von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß! Den schlechten Mann muss man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt. Das ist's ja, was den Menschen zieret und dazu ward ihm der Verstand, dass er im innern Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand.“

Und seine Frau Eva, da bin ich mir jetzt sicher, fährt fort, während ich durch beider Hilfe mit vier schweren Taschen an der Hand in die Puppenstube bugsiert werde: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muss wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.“

Nachdem beide mir Stuhl und Getränk angeboten haben, fährt Frau Herrmann fort: „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben, und reget ohn' Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn.“

Und der Herr des Hauses fähret fort mit dem hoch gebildet’ Wort: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild’ gestalten, wenn sich die Leute selbst befrei’n, da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n. Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte der Feuerzunder still gehäuft, der Mensch, zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift! Da zerret an der Glocken Strängen der Aufruhr, dass sie heulend schallt und, nur geweiht zu Friedensklängen, die Losung anstimmt zur Gewalt“, das Frau Herrmann weitergibt: „Freiheit und Gleichheit! hört man schallen, der ruh’ge Bürger greift zur Wehr, die Straßen füllen sich, die Hallen, und Würgerbanden zieh’n umher. Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz, noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, zerreißen sie des Feindes Herz. Nichts Heiliges ist mehr, es lösen sich alle Bande frommer Scheu, der Gute räumt den Platz dem Bösen, und alle Laster walten frei.“

Schließlich sprechen beide zugleich: „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden des Lichtes Himmelsfackel leih’n! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden und äschert Städt’ und Länder ein.“

Ich bedanke mich für meine Mühe und werde den Herrmanns und Schills „ihren“ Parkplatz direkt vor der Haustür überlassen.

 

Hallo Sirius,

jedem bleibt seine Sicht der Dinge und die Meinung unbenommen. Dass es Leser gibt, die beim einen oder anderen Text oder Teilen von ihm abschalten, sehe ich als ganz normal an.

Wie käme ich dazu, jemand vorzuschreiben, wie er einen Text zu lesen oder gar zu bewerten habe? Dass er ihn so oder anders zu befinden habe? Bin ich oder bistu irgendeines andern Vor-Mund?

Dass zu einer Stellungnahme Stellung bezogen wird oder aber auch, dass sie – gelegentlich – einfach ignoriert wird, ist jedermanns Recht, so find ich.

Einfach nur komisch und lachhaft find’ ich von Dir, mich meinem Schicksal zu überlassen.

Ich dank Dir für diese großmütige Haltung.

Doch halt: War das nicht immer schon so?


Friedrichard

 

Hätt’ er selbstverständlich n i c h t ,

liebe Are-Efen,

„dass [Du oder ein anderer Deine oder] seine Äusserung und Verbesserungsvorschläge ganz [Dir/sich] hätte sparen können.“

Doch wo anfangen?

Da das Stück bereits mit einigem Erfolg vorgelesen wurde, hab ich versucht, den Ablauf der Lesung zu rekonstruieren, denn auch dort hab ich im letzten Drittel (dem „klassischen“, den Antiquitäten) improvisiert – sehen wir einmal von den geringfügigen Änderungen am Schiller ab, die vorher schon vorgenommen wurden. Hab aber trotz Nachfrage nur zwo Stellen rekonstruieren können, die ich im folgenden in Kapitälchen schreib:

»Der dicke Kerl begrüßt mich mit den aufmunternden Worten: „Junger Mann, von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß!“

UND ER REZITIERT SEINEN KOMPARATIV WEITER: „Den schlechten Mann muss man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt. Das ist's ja, was den Menschen zieret und dazu ward ihm der Verstand, dass er im innern Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand.“«

Hernach soll ich nur noch an einer Stelle improvisiert haben, und zwar derart unbedeutend, dass sie mir selbst nicht mehr einfiele, in dem ich das Adjektiv „schillernd“ einfügte:

»Nachdem beide mir Stuhl und Getränk angeboten haben, fährt Frau Herrmann SCHILLERND fort: „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben, und reget ohn' Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn.“

Und der Herr des Hauses fähret fort … «

Du hättest „da irgendein kleines Malheur eingebaut - etwas kippt um, wird verschüttet oder fällt - und der Redefluss gerät ins Stocken, oder schlimmer noch, es wird etwas durcheinander gebracht“,

vielleicht,

dann aber, so fürchte ich, verlegten wir die kleine Geschichte nach Kalau.

Wie zitier ich schon in meiner „seltsamen Reise“ Brecht in der Sprechart MRRs:

„Wir sitzen hier enttäuscht und sehn betroffen
Die Klappe zu und alle Fragen offen!“

Ich dank Dir für die rege Teilnahme

Friedel

 

„Dieser Geschichte wird davon nichts hinzugefügt werden können. Sie wirkte aber so wie ein Auftakt.“ A. E.

„Wir sitzen hier enttäuscht und sehn betroffen
Die Klappe zu und alle Fragen offen!“,

Gero,

ist tatsächlich eine Abänderung auf Brechts

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen“,

aus dem Epilog zum „guten Menschen von Sezuan“.

Wie Brecht uns mit seinem epischen Theater dabei hilft, indem er uns nicht hilft, d. h. die Lösung(en) muss das Publikum selbst finden, sag ich doch immer so schön: sonst schrieben wir Gebrauchsanweisungen oder betrieben Lebensberatung.

Hallo Are-Efen,

jeder kann schon Mal eine schlechte Stunde erwischen. Aber dann hat er (der ja auch eine „sie“ sein kann) hoffentlich bald wieder eine gute, denn niemand ist nur Vermalörer.

Zu Schiller hat Safranski im Jubiläumsjahr eine ganz hervorragende Biographie veröffentlicht.

Dass man mit Wehmut an Zeiten zurückdenkt, in denen man sich auf gut deutsch den Arsch aufgerissen hat, ist verständlich. Gleichzeitig löst das von Dir geschilderte Gemälde in mir so etwas wie eine absurde bonheur aus:

Während man unterm Vorsitz des Alten Fritz fürnehm speist, kokst ein ehemaliger Innenminister, während das hauseigene OЯKЭSTʁA die Brandenburgischen Konzerte psychedelisch aufbereitet. Bevorzugt sähe ich hier gerne die Leningrad Cowboys verstärkt um einen mitsummenden &
-rummenden Chor der Roten Armee.

Ich wünsch Euch ein schönes Wochenende!

Friedel

PS: Nemo möge mir verzeih’n, dass ich ihn zum Apachen gemacht habe, wenn auch neben Winnetou (kleiner Scherz) und Cochise zum berühmtesten …

 
Zuletzt bearbeitet:

Mich dünkt, dass sich die Kommentare immer mehr vom Text entfernen. Selbstverständlich kann ich, falls der Prot einer Geschichte eine Kuchengabel verwendet, auf die Genesis im Allgemeinen, die Probleme der metallverarbeitenden Industrie und Kopien durch Drittländer eingehen, was jedoch den Bezug fragwürdig werden lässt.

Die Herrschaften wissen, was ich meine?


Dankbaren Gruß
Antonia


Off-Topics werden nach Absprache mit meinem Co-Mod entfernt.

 

Schön und richtig, wie Du,

liebe Are-Efen,

Improvisation beschreibst.

Wär’ alles nach Regieanweisungen geregelt, ginge viel Spontaneität verloren und mancher Auftritt (Lesung, Kabarett) geriete zur Fortsetzung der Arbeitswelt mit anderen Mitteln, der Autor geriete zum Buchhalter, der Interpret zum Buchprüfer, der nach Recht und Gesetz das (Zahlen-)Werk auslegte und mit einem Vermerk versähe. Selbstverständlich ist das geregelte einfacher, weil berechenbarer, als das Spontane.

Aber erst in der Improvisation wird das Publikum von der schweigend zuhörenden, vielleicht auch nur gaffenden & konsumierenden Menge Teil des Vortrages. So etwas ist doch lebendiger als der Vortrag des Ewiggleichen in ausformulierten und festgefügten Texten, in denen Punkt und Komma, Wort, Satz und Absatz nicht verrückt werden dürfen – genau in der doppelten Bedeutung, wie’s hier steht. Das zeichnet ja auch das durch Gisanne hineingebrachte Kabarett aus: Improvisation.

Eine Variante hierzu bietet, wenn der Künstler den Faden verliert. Aber das ist dann schon wieder ein anderes Thema …

Kurz und gut: ich bin überrascht, welche Bandbreite an Reaktionen (zum Text, an vergleichbaren Erinnerungen) ausgelöst worden sind bis hin zum Verdacht des off-topic und bedank mich nochmals für die rege Teilnahme

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard,

das ist eine Geschichte die hauptsächlich von den Anspielungen auf zwei (meines Erachtens sehr unerfreuliche und uninteressante) ZeitgenossInnen lebt. Witz/Ironie werden sich nur jenen erschließen, die mit deinen beiden Prots etwas anfangen können. Das setzt ein gewisses "Fachwissen" über diese nördlich auf jeden Fall bekannten Dumpfbacken voraus, sonst funzt die KG nicht.

Die Geschichte beginnt recht schwungvoll und witzig, um sich in der zweiten Hälfte nur noch in einer Art Theaterdialog viel zu üppig zu erschöpfen. Die Worte sind dann besonders geschliffen und man merkt ihnen an, dass du dich im zweiten Teil der Geschichte richtig austobst. Der scheint dir zweifellos große Freude gemacht zu haben.

Mir als Leser ging es allerdings genau umgekehrt. Mir hat die erste Häfte mehr Freude gemacht, in der zweiten Hälfte verlor sich das zunehmend.

Meine Meinung: Hättest du die ironische Leichtigkeit der ersten Hälfte konsequent durchgezogen, hätte mir das besser gefallen. Aus den Kritiken aber geht hervor, dass es bei anderen Lesern durchaus umgekehrt war. Insofern kann sich halt jeder zu seiner Lieblingshälfte bekennen. Und das ist allemal besser als nix.

Grüße von Rick

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rick

und danke für Deinen Kommentar.

Ob man „Fachwissen“ für die Spießbürger braucht, weiß ich nicht (Gisanne - bewohnt die Schweiz - z. B. wusste, was gemeint ist), aber vielleicht wird das tatsächlich durch die Namensgebung provoziert. Aber, wie schon Mal dargelegt, Schill-Schiller bot sich an, Müller-Lafontaine weniger. Von der Bandbreite der Stellungnahmen, wie auch schon gesagt, bin ich wohl am meisten überrascht worden.

Mich hat’s gefreut, von Dir zu lesen!

Hallo Aren-Efen,

Deine Stellungnahme veranlasst mich, ungehorsames Kind, das ich immer schon war, den gelöschten Kommentar hier hinein zu setzen. Denn dass der nix mit dem Thema zu tun hätte, bezweifel ich. Der ist aktueller als mancher glauben mag.

Here it comes:

Um die „möglichen“ Reaktionen auf diesen kleinen text

(- dass es mir nie gelingt, den ersten Buchstaben „groß“ zu schreiben! -)

zu relativieren, sei mir eine abschweifende Bemerkung erlaubt, denn Schillers „Glocke“ hat von Beginn an unterschiedlichste Reaktionen ausgelöst:

Sigrid Damm berichtet in „Christiane und Goethe“, dass die jungen Leute sich „über Schillers Familienidylle mokieren, sich über sein Werk lustig machen, über sein ‚Lied von der Glocke’ fallen sie vor Lachen fast von den Stühlen …“ (19. Auflage, Ffm. Und Leipzig 1999, S. 276) Die Fortsetzung schreibt quasi Safranski (Friedrich Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, München Wien 2004), als nämlich Friedrich Schlegel „jedem der es hören will, erzählt, er würde bei Schillers ‚Glocke’ vor Lachen vom Stuhl fallen, da muß der eine Olympier [Goethe nämlich] dem anderen doch die Stange halten, … Friedrich Schlegel bekommt den Kopf gewaschen und geht nach Berlin …“ (ebd., S. 393) und später: „Bei den Schlegels [und nicht nur bei denen] fiel man vor Lachen vom Stuhl, Goethe aber äußerte sich bewundernd.“ (ebd., S. 465; es folgt eine Interpretation der „Glocke“)

Wem das zu aufwändig ist, der schaue einmal ins Internet und „google“ unterm „Lied von der Glocke“.

Wie sagte ich vordem noch zu feirefiz in alter Neuss’ Deutschland Manier:

Frohe Ostern & fröhliche Western (für’n Rest der Feiertage) wünscht

Friedel

 

Hallo Are-Efen,

schade um den ersten „Erguss“, der „verheerend schön“ war und auch um den zwoten „Schwung“. Aber der vorliegende Beitrag ist – wie alle zuvor – hervorragend, wenn ich das mal so sagen darf. Dass dann noch nebenbei der – hoffentlich letzte – grammatikalische Schnitzer gefunden ist, zeigt, wie schwierig und langandauernd das Lektorieren sein kann und was ein gutes Lektorat wert ist. Die Rohfassung war halt einfach so „dahingehauen“, dass ich einen Rahmen hatte, in der „Generalprobe“ wurden handschriftliche Änderungen (insbesondere Umstellungen) vorgenommen und letztlich in der Lesung immer noch improvisiert. Wer weiß, wie der Text aussähe, hätten die Zuhörer Schiller als „heilige Konstante“ angesehen. So bleibt alles im Fluss.

Um auf die Glocke selbst wieder zurückzukommen: unter Wikipedia wird sie ausführlich behandelt (positive wie negative Reaktionen) einschließlich des Nachweises sachlicher Fehler im Textablauf Schillers bzgl. der Glockengießerei.

Mir selbst ist gerade aufgefallen, wie unkonzentriert ich in den letzten Kommentaren gearbeitet habe, dass ich nunmehr nicht nur am Text die letzte Korrektur – vorerst – vornehme.

Gruß

Friedel

PS: Morgen ist die nächste Lesung mit einem anderen Text (natürlich!), mal schaun, was daraus wird.

 

Hallo + Glückwunsch, Are-Efen,

100 Beiträge, ein schönes Jubiläum feierstu mit diesem Kotzbrocken von Text (und wer wollte bezweifeln, dass es kein Text wäre, eines kleinen Jubiläums würdig?).

Hab mir noch einmal die Kommentare angeschaut und komm selbst aus dem Staunen nicht mehr heraus. Aber: es sollte niemand zu sehr mitnehmen, gar den geistigen Zustand verheeren. Da braucht’s dann auch nicht zu viel Aufmerksamkeit für die vier Taschen: die sind nicht bedeutungsschwer & -schwanger, sie stecken allein bleischwer voller Konsumgüter, wie’s die fleißige Hausfrau halt beim Einkauf so überkömmt.

Ich dank Dir und wünsch eine gute Nacht

Friedel

Aufs Jubläum gibt's itzo ein' Maibock!

 

„Neben dem Komparativ, der bei Substantiven ja eher ungewöhnlich ist, existiert noch der Semitismus, …“

liebe Are-Efen,

spannt den Bogen sehr weit und mit dem „Semitismus“ komm ich – wie gero – auch nicht weiter, ohne mich zurückziehen zu wollen. Der Komparativ ist m. E. für Substantive nicht nur „ungewöhnlich“, sondern gar nicht erst vorgesehen (gero wüsst’ das sicherlich besser als so ’n abgehalfteter Betriebswirtschaftler wie ich). Aber dass es darum Typen wie Schill mit und ohne er-(„Komparativ“)Endung, Eva H. etc. und die Ideologie nicht gäbe, wäre eine gewagte Behauptung. Wie schon gero hab ich bzgl. des Semitismus nix gefunden außer einem aufwändigen Beleg unter

"http://books.google.de/books?id=ymQgnezMMO0C&pg=PA79&lpg=PA79&dq=Komparativ+%2B+Semitismus+%2B+Jesus&source=web&ots=lWl-jD4vM3&sig=e3PEuXzub-1SvlRG7QrZe4k8rhA&hl=de –",

doch wem mag ich das zumuten?

Gleichwohl:

nix für ungut

Friedel

 

Könnt’ es besser als durch gero ausgedrückt werden, wie’s sich mit dem Komparativ (und gleich mit dem Superlativ) verhält?

Ist es nicht schön, dass es neben den sich gerüchteweise selbstregulierenden & -heilenden Märkten geregelte Bereiche gibt, deren Grundregeln schon im Kindesalter begriffen und angewendet werden, ohne dass sie unbedingt erklärt werden könn(t)en –

und selbst wenn dem nicht so wäre, niemand ernstlich zu schaden käme, gar verarmt, ach, gibt's ja nicht, also: in prekäre Lage käme?

Ich danke allen für die rege Beteiligung,

insbesond’re aber A. E. + gero

und ziehe mich einstweilen in die 40-jährige Trauer um Luther-King jr. & Dutschke zurück.

Und um es auf die Spitze zu treiben, widme ich den kleinen Text der "Neuen" Hans-Jürgen Krahl …

 

Hallo Friedel,

schöne Geschichte und wie aus dem Leben gegriffen. Ich erinnere mich sofort an Sätze wie: "Nach'm Krieg ham'se das Haus jebaut und seid dem wohn ich hier und wenn S'e ihre Wäsche auf'm Dachboden ..." Egal.
Eine Sache wäre da aber noch. ;)

„He, Sie da! Parken S’e Mal rasch woanders!“
Biste dir sicher, dass das "Mal" hier groß geschrieben wird?

Ciao

MiK

 

Hallo MiK,

schön, dass Dir die Geschichte gefällt. Ist selbstverständlich korrekt von Dir, aufs „Mal“ hinzuweisen, denn da es umgangssprachlich für „einmal“ steht wird’s nun mal klein geschrieben. Wieder ein Beispiel, wie mühselig ein Lektorat ist.

Dank Dir und gute Nacht wünscht

friedel

 

„Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte“ aus Büchners Lenz soll Krahls Lieblingssatz gewesen sein. Er selbst stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und schien darin gefangen zu sein, bis er sich Mitte der 1960-er eben selbst von diesen Fesseln befreite. Nach Aussage der taz (Kai Schönberg am 26. 7.2007) ist „Dutschke heute Ikone und Krahl nur Reliquie der Studentenbewegung“, was der eine für Berlin, war der andere für Ffm.,

liebe A. E.

Mir selbst liegt nur der Krahlsche Aufsatz „Bemerkungen zum Verhältnis von Kapital und Hegelscher Wesenslogik“ aus dem von Negt hgg. Band „Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels" (Ffm. 1970, S. 137 ff.) vor, in dem für ein gerade einmal 26 Jahre währenden kurzen, auf der Überholspur währenden Lebens bemerkenswerte Gedanken geäußert werden. Vielleicht kann ich Krahl knapp & bündig als hass-geliebten Lieblingsschüler Adornos beschreiben, den die „späten“ Auseinandersetzungen mit den SDS-Leuten – zu denen, s. o., Krahl zählte – sicht- + sicherlich sehr mitgenommen hatte.

Zum Verhältnis der psych(olog)ischen Instanzen hab ich irgendwo schon was gesagt, unordentlicher Mensch, der ich bin, hab ichs aber jetzt nicht parat. Wie flaxten wir doch in jungen Jahren herum: „Momentan bin ich nicht momentan …“

Ich komm aber drauf zurück!

Gruß

Friedel

 

Alles richtig, was

gero

zu Aly & Konsorten sagt.

Um aber den überwiegend jungen Leuten hierorts eine Vorstellung von Krahls Wort-Kaskaden zu geben, ein kleines, vielleicht unbedeutendes Zitat:

„Die Hegelsche Logik ist der Klassenkampf Gottes mit sich selbst. Hegel verwandelt die konkrete Geschichte in die Logik; begriffene Geschichte ist aufgehobene Geschichte“,

hierbei stell’ ich mir vor, dass Krahl die Sätze geradezu bellte,

„sie ist zur Geschichte, die zur reinen Bewegung des Denkens geworden ist, so dass am Anfang des Denkens das steht, was am Ende herauskommt …“ usw. usf.

Da war Dutschke Entspannung pur ...

Vgl. zum bereits erwähnten Text Krahl, Bemerkungen …, in: Aktualität und Folgen … Hg. O. Negt, a. a. O., S. 145.

Wem kann heutigentags solches zugemutet werden, wer ertrüge es, wenn es uns schon schwerfiel?

K. war von der Herkunft her der Spießer schlechthin und gerät insofern in den lfd. Text.

Gut Nacht & moin

Friedel

 

Meine Wanderungenauf der Suche nach "Ephraim",

liebe Are,

führen mich noch einmal zurück zum Komparativ. Du sprichst als einzige aus, dass der Komparativ "bei Substantiven ... eher ungewöhnlich ist" und Du weist auf die Existenz des "Semitismus" hin, einer "geradezu umwerfenden Steigerungsform, die z. B. das Buch der Bücher aus der Masse aller hervorgehen läßt." (Beitrag vom 2. April d. J., vor geros Abhandenkommen # 42, jetzt # 39). Tatsächlich ist der Komparativ - wie auch Superlativ - gar nicht für Substantive vorgesehen, sondern zunächst allein für Adjektive - mit einigen Ausnahmen, die sich nicht steigern lassen (z. B. weniger als "kein" oder "minimal", besser als "erstklassig" oder "maximal" gibt's nicht). Dazu gesellen sich wenige Adverben, die Vergleichsformen und somit auch den Komparativ zulassen (z. B. "oft", "wohl", "bald").

Da weist mich der Herr Duden darauf hin, dass der Genitiv "Buch der Bücher" als Genitivus explicativus der Genitv der Substantive sei. Nun, "Buch der Bücher" bezeichnet nicht nur eine Steigerungsstufe, die wie auch immer benannt werde, allein schon, weil die Bibel das in Hand- & Druckschriften am weitesten (ha!) verbreitete Buch auf der ganzen Welt ist, sondern vor allem eine Sammlung von Schriften + Büchern aus unterschiedlichen Zeiten.

Kurz: der "Komparativ des Herrn S." ist Wortspiel.

So viel oder so wenig für heute

Friedel

 
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Hallo supertramp,

danke fürs Lesen und schön, dass Dir die Geschichte gefällt!

Da widerfährt Dir aber ein kurioser Irrtum, eine wundersame Verwechslung, der dann irgendwie zum Text passen könnte: die Partisane - der Partisan (hat hier schon political correctness sich mit der Form der Partisanin sich durchgesetzt?). Die Partisane ist nicht die Frau und/oder Weggefährtin des Guerilleros, sondern eine fürchterliche Stichwaffe, eine Weiterentwicklung des Spießes, der sich durch eine einzige Klinge kennzeichnen lässt, während die Partisane mehrere Klingen ("Messer") trägt.

Na, ob ich den Nachbarn mit Zaun durch die Gegend tappern lass ...

Das Problem mit den Apostrophen ist so alt wie die Grammatik und der von mir hoch verehrte Heine hat sie - soweit ich das jetzt parat hab - unterdrück. Aber sie haben ihre feste Funktion, als Faustregel verwende ich z. B. bei Konstruktionen mit "haben", "das" und "es": "er hats" (er hat das) oder "er hat's" er hat es ...

Ich hoffe, es hilft ein wenig weiter ...

Gruß

Friedel


Herrn Duden sei gedankt, dass es zu einem perfekten Epilog kommt. Ist der wirklich so perfekt,

liebe Are?

Jedenfalls dank ich Dir!

Gruß

Friedel

 

Beiträge zusammengeführt!


Hey Friedel!

Es ist natürlich unfair anderer Geschichten gegenüber, wenn die eigene durch wenig aussagende und doppelte Postings des Autors oben gehalten wird. Ich will dir das jetzt natürlich nicht unterstellen, doch wäre es nett, wenn du auf eine Antwort eine gibst oder die erste mit dem Bearbeitungsbutton ergänzt oder die extra Einfälle per PN mitteilst.

Gruß
Kasimir

 
Zuletzt bearbeitet:

Erneut steht Ostern vor der Tür, hat bereits einen Fuß drin, da wird der Schill etwas abgeändert. So weit es mir derzeit möglich erscheint, hab ich Are-Efens Nachträge aus dem Februar d. J. (finden sich unter # 2 vom 3. März 2008) berücksichtigt, vor allem aber das letzte Drittel aufgelockert, um denen entgegenzukommen, denen das letzte Drittel - aus unterschiedlichsten Gründen - nicht so gut gefallen hat. Das geht hin bis zum "eingebauten" Malheur. Ob der Text dadurch besser wird, überhaupt besser werden kann, keine Ahnung. Sagt es mir.

Wenn ich allerdings keinen Spaß an der/den Änderung/-en gehabt hätte, hätt' ich's hier nicht eingestellt, wobei das meiste eh unverändert bleibt.

Viel Spaß & frohe Ostern

Friedel

Pig Brother, der Komparativ des Herrn Schill, Eva und ich

Immer, wenn ich aus dem Wagen steig, mein ich, er läg' auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernähme zuerst einmal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“

Schon als wir eingezogen sind, ist mir der dicke große Kerl aufgefallen. Während ein anderer neuer Nachbar ungefragt mit anpackte, stapfte der große dicke Kerl mitten durchs Gewimmel amateurhafter Möbelpacker, hielt mit der rechten Hand einen mächtigen Spieß schräg über seine Schulter gelegt und verschwand im Treppenhaus ohne ein Wort.

Ich sollte ihn von nun an täglich sehen und selbst wenn ich grüßte, er blieb stumm. Er ist der Mensch, der dafür sorgt, dass der Rasen vor und hinterm Haus englisch kurz bleibt und er scheint der Mensch zu sein, der Unkraut und Kraut zu definieren weiß und mit chemischen Keulen die natürliche Auslese kultiviert. Da darf keiner ihm zur Hand gehen, niemand ihm hineinreden! Aber zu Anfang sprach er kein Wort, obwohl der andere Nachbar mich beim ersten Pils nach dem Umzug vor diesem Ehepaar warnte, denn es wären Sabbeltaschen, sie träten alles breit, tratschten rum und wähnten sich als Blockwart und Hausmeister.

Als ich ihn also das erste Mal sah, trug er mit der rechten Hand eine Partisane schräg über seine Schulter gelegt ins Haus. Und jetzt, als ich aus dem Wagen steig, liegt er auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernehm zum ersten Mal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“

Auf meine Frage, warum, antwortet er: „Weil S’e hier falsch parken …“

„Das wüsst' ich aber“, antworte ich.

„Hör’n S’e mal, ich wohn hier seit zwanzig und mehr Jahren, bin hier der älteste Mieter und ich werd doch wohl wissen, wer wo hier parken darf.“

Ich wiegle ab: „Kann sein, muss aber nicht. –
Und warum geht Sie das was an?“

„Hör’n S’e mal, junger Mann“, betont er übermäßig, „ich will Sie vor ’nem Strafmandat schützen, denn die Straße wird oft kontrolliert.“

„Ach ja?“, sag ich nur noch.

„Aber sicher!
Zudem lieb ich Ordnung, kenn mich aus in Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, -
bin der einzige hier, der Auge und Ohr offen hält.
Und ich sag Ihnen, die Ordnungswidrigkeit wird Sie vierzig Euro kosten.“

Vierzig Euro -
rattert’s in Cents durch meinen Kopf.

Ich steig wieder ein und fahr den Wagen weg, wenn auch nur gleich um die Ecke und vielleicht auch nur um des lieben Friedens willen.

Wie ich zurückkehr, seh ich schon von der Ecke aus, dass vorm Eingang ein anderer Wagen steht. Ich gehe schnell hin. Eine dralle Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt, hantiert am Kofferraum mit vollen Einkaufstaschen, die sie offensichtlich allein nicht tragen kann. Ich sprech sie an: „Wissen Sie, dass Sie hier falsch parken?“

Sie antwortet zunächst mit einem „Ach!“, und schüttelt den Kopf.

„Das wüsste ich aber“, antwortet sie und fährt fort: „Junger Mann, ich wohn mit meinem Mann seit mehr als zwanzig Jahren hier und ich werd doch wissen, ob ich hier parken darf oder nicht.“

Ich versuch’s weiter: „Liebe Frau, ich will Sie vor einem teuren Strafmandat bewahren. Mein Nachbar hat mir gerade gesagt, dass es vierzig Euro koste, hier falsch zu parken.“

„Ach wissen Sie, junger Mann, das sagt mein Mann immer, wenn jemand Fremdes unbefugt unseren Parkplatz vor der Haustür blockiert.“

Publikum sammelt sich auf der Straße. In den anderen Fenstern bewegen sich Gardinen, Fenster werden quergestellt, gar geöffnet. Wetten werden abgeschlossen, was als Nächstes geschieht.

Jetzt merk ich erst, dass der dicke Kerl immer noch im Fenster liegt, denn er mischt sich ein: „Seh’n S’e nicht, dass die Frau die schweren Taschen allein nicht tragen kann?
Geh’n S’e ihr doch zur Hand, Mann.
Oder können S’e keine Taschen tragen?
Sie sind doch kein Hedonist, oder?
Haben S’e’s im Rücken? –
Oder woll’n S’e einfach nicht helfen?“

Wie im Reflex ergreif ich vier Taschen und überlass der drallen Frau eine Packung seidenweichen Toilettenpapiers, die ich nicht mehr untern Arm klemmen kann. Wir gehen gemeinsam durch die Haustür in den zwoten Stock. Ich schleppe mich mit dem Zeug vier lang andauernde Treppen hinauf, muss auf halbem Weg auf dem Treppenabsatz eine Verschnaufpause einlegen. Sie aber schreitet rüstig und frisch voran.

Es geht in die Puppenstube meines neuen Nachbarn. An der Tür steht groß Herrmann & Schill. Und da glaub ich zu wissen, woher ich die Frau kenne.

Der dicke Kerl begrüßt mich mit den aufmunternden Worten: „Junger Mann, von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß!" Ich freu mich, den Komparativ des Namens Schill aus diesem Munde zu vernehmen. „Den schlechten Mann muss man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt", und alle Glocken läuten in mir. „Das ist's ja, was den Menschen zieret und dazu ward ihm der Verstand, dass er im innern Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand.“

Und seine Frau Eva, da bin ich mir jetzt sicher, fährt fort, während ich durch beider Hilfe mit vier schweren Taschen an der Hand in die Puppenstube bugsiert werde: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muss wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.“

Nachdem beide mir Stuhl und Getränk angeboten haben, fährt Frau Herrmann fort: „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben, und reget ohn' Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn.“

Und der Herr des Hauses fähret fort mit dem hoch gebildet’ Wort: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild’ gestalten, wenn sich die Leute selbst befrei’n, da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n", was mir hier recht bedenklich klingt. „Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte der Feuerzunder still gehäuft, der Mensch, zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift! Da zerret an der Glocken Strängen der Aufruhr, dass sie heulend schallt und, nur geweiht zu Friedensklängen, die Losung anstimmt zur Gewalt.“

Was dann folgt, lässt mich -
zunächst stumm -
Gott und alle guten Geister bitten, den Komparativ und mich zu erlösen, zu befrein, denn ausgerechnet die Frau fährt fort: „Freiheit und Gleichheit! hört man schallen, der ruh’ge Bürger greift zur Wehr, die Straßen füllen sich, die Hallen, und Würgerbanden zieh’n umher. Da werden Weiber zu Hyänen" -
ich starre die Frau entgeistert an -
„und treiben mit Entsetzen Scherz, noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, zerreißen sie des Feindes Herz. Nichts Heiliges ist mehr, es lösen sich alle Bande frommer Scheu, der Gute räumt den Platz dem Bösen, und alle Laster walten frei.“

„Bingo!", ruf ich aus -
oder denkt's nur der Kritiker? „Das edle Bild der Menschheit zu verhöhnen im tiefsten Staube wälzte dich der Spott. Krieg führt der Witz auf Ewig mit dem Schönen."

Beide sprechen nun zugleich und ich fürchte, dass sie bald schunkeln werden: „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn."

Sag ich's oder hielt' ich's besser für mich? „Es wachse der Mensch mit größern Zwecken, eng sei die Welt und das Gehirn wär' weit", denk ich nur und spräche dann doch: „Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabne in den Staub zu ziehn, doch fürcht ich nicht, es gäb' hier schöne Herzen, die für das Hohe, Herrliche entglühn",

denn die sind nicht zu bremsen: „Weh denen, die dem Ewigblinden des Lichtes Himmelsfackel leih’n! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden und äschert Städt’ und Länder ein.“

Ich bedanke mich für meine Mühe! Von der Stirne heiß rinnt der Ängste Schweiß. Angst allein macht nicht glücklich und ich verlass fluchtartig die Puppenstube. Stürz zwo Treppen hinab auf den Treppensabsatz. Ich werde den Herrmanns und Schills dieser Welt „ihren“ Parkplatz direkt vor der Haustür überlassen.

 

Hallo Friedel,

zu recht weiser mann genannt. Ich fühlte mch trefflich von der ersten Version dieser zu Recht empfohlenen Geschichte unterhalten. Schill als Blockwart ebenso pointiert wird berechtigt karikiert zu lesen, gefiel mir sehr. Auch die Betrachtung der Frau H. ist dir gelungen.

Die überarbeitete Version fällt für mich persönlich etwas dagegen ab, auch wegen des überarbeiteten Schlusses. Die "Erstgeburt" des Endes traf mehr den Geist der Zeit ins nicht vorhandene Mark (mangels Rückgrat). Das Herr S. und Frau H. bedrohlich nahe kurz vorm Schunkeln standen wollte mir so gar nicht gefallen.

Kurz und Schluß:
wieder einmal hälst du dem Menschen den Spiegel vors Gesicht, auf dass er sich selbst erkenne.

Gerne gelesen.

lieben gruß und frohe Ostern
Dave

 

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