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Die Pforte zur Hoelle

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07.02.2004
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Die Pforte zur Hoelle

Prolog


Die Nornen spinnen die Lebensfäden und weben mit ihnen das Netz des Schicksals.

Kein Sterblicher kann das ewige Muster erkennen. Die Mühlen der Zeit mahlen ewig und unerbittlich. Es gibt kein Entrinnen. Alles was ist, wird dereinst zwischen den kalten, erbarmungslosen Steinen zermalmt – doch die Nornen kümmert es nicht. Gleichgültig gegen die Schreie der Lebenden und der Toten spinnen sie die Fäden des Lebens und schneiden sie wieder durch.
Kein Flehen kann sie erreichen – kein Schluchzen rührt ihre steinernen Herzen.

Doch manchmal erhören sie einen Fluch.......

Es war eine verängstigte Johanna, die die ganze Nacht auf den Knien in der alten Kirchenruine betete. Der Mond schien groß und bleich über ihr in die halbverfallene Ruine und Johanna meinte ein Flüstern zu hören. Die Luft, in der immer noch die Hitze und Schwüle des vergangenen Tages lag und völlig still war, begann sich zu regen.
Ein eisiger Lufthauch erhob sich in dem Gemäuer und strich sacht über die Haut des Mädchens wie die tastenden Finger eines Liebhabers. Johanna erschauerte und lauschte in die Dunkelheit. Was ging hier vor?
Das Flüstern kam mit dem Windhauch und sie drehte ihren Kopf nach den Stimmen. Was sagten sie? Sie lauschte angestrengt. Immer näher kam die Stimme und sie begann, zu verstehen. OH, JA! Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie löste ihre Hände aus der Gebetshaltung und hob sie dem bleichen Mond entgegen. JA JA JA!!!!

Die Stimme sprach jetzt direkt zu ihr. Sie lauschte und verstand die Botschaft ohne Mühe.
Es würde keine Schläge mehr geben, keine Demütig-ungen mehr – alles würde sich ändern.
Die Stimme wies ihr den Weg, den sie gehen musste. Sie würde ihre Rache bekommen!
Nie wieder würde sie Angst haben müssen vor Daniel, Sabrina und den Anderen.
Die Stimme versprach es ihr. Doch was musste sie tun? Aus einem Buch lesen? Welches Buch? „Das welches vor dir liegt. Schlag es auf und lies.“
Sie tat wie geheißen. Ein uraltes, gammeliges Buch war auf dem verwitterten Altar vor ihr erschienen. Sie schlug es auf und begann zu lesen. Sie kannte die Sprache nicht, hatte aber keinerlei Probleme, die ihr fremden Wörter auszusprechen.
Die Atmosphäre veränderte sich. Die Luft war auf einmal zum Schneiden dick und eine unnatürliche Kälte senkte sich herab. Die Sterne verdunkelten sich und der fahle Mond schien zum Greifen nah.
Dem Mädchen wurde es unheimlich, doch sie konnte nicht mit dem Lesen aufhören. Etwas zwang sie dazu, die Worte auszusprechen. Sie hatte auf einmal ein ganz mieses Gefühl bei der Sache und dann fing die Stimme an zu lachen. Und das Lachen war nicht von dieser Welt.....

Sie floh.

Die Pforte zur Hölle


Es war noch recht kühl an diesem Frühsommermorgen.
Und obwohl die Sonne noch nicht ganz aufgegangen war und ein frischer Wind wehte, konnte man schon die stechende Hitze erahnen, die schon bald herrschen würde.
Es war ein Klassenausflug geplant an diesem Tag. Die Schüler der 10. Klasse an der Gesamtschule in Koblenz wollten heute das Foltermuseum in Rüdesheim besuchen.
Im Geschichtsunterricht wurde grade die Inquisition durchgenommen und Herr Stein, der Geschichtslehrer, hielt es für eine gute Idee, sich die Befragungsmethoden der kirchlichen Inquisition mal aus der Nähe anzusehen.
Die Schüler waren begeistert und ausnahmsweise meckerte mal keiner.
Und so war es dann soweit: Der Tag des Ausfluges war gekommen.

Ein Schüler nach dem Anderen trudelte ein. Die Mädchen standen im Pulk beieinander und giggelten, was das Zeug hielt. Die Jungs verteilten sich locker, unterhielten sich, rauften ein wenig, lachten und alberten herum. Herr Stein stand mittendrin und kontrollierte die Anwesenheit. Auch die notorischen Zu-Spät-Kommer schafften es heute ausnahmsweise, einigermaßen pünktlich zu erscheinen. Die Klassenrowdys Daniel, Benni, Tobias und Mark standen dicht beieinander und flüsterten. Es schien fast, als würden sie auf jemanden warten und was aushecken. Sie lachten jetzt und gute Laune war bei ihnen immer ein schlechtes Zeichen für die anderen. Es war ein böses Lachen und die Mädchen rückten sicherheitshalber ein Stück weiter weg. Herr Stein tat wie immer so, als bemerke er nichts.

Er kontrollierte die Anwesenheit ganz unbeteiligt, so wie er es immer tat. Er hatte es aufgegeben. Es interessierte ihn nicht mehr.
Der Bus bog um die Ecke, hielt an der Bushaltestelle und ließ die Schüler einsteigen. Es gab natürlich ein Riesengerangel um die besten Plätze ganz hinten, das Daniel – der Anführer der Klassenschläger – klar für sich entschied. Mit seiner Freundin Sabrina im Arm lehnte er sich entspannt zurück und blickte triumphierend um sich. Seine Kumpels scharten sich um ihn und johlten, während das Mädchen sich in seinen Arm kuschelte und wohlig die Augen schloss. Sabrina war mit Abstand das hübscheste, aber auch bösartigste Mädchen in der
Schule und stand ihrem Freund in nichts nach.
Die Einzige in der Klasse, die sich nicht auf den Ausflug gefreut hatte, war Johanna. Sie war der Prügelknabe der Schule und sie wusste aus leidvoller Erfahrung, das die vier Jungs während der Besichtigung mehr als genug Zeit haben und ebenso viele Möglichkeiten finden würden, sie zu quälen. Sie schlich sich als Letzte in den Bus und setzte sich ganz vorne hin, weit weg von Daniel und seinem Terrortrupp. Daniel war zu diesem Zeitpunkt mit Angeben abgelenkt und beachtete sie nicht weiter. Sabrina jedoch – die nur zu gern andere schikanierte – bemerkte Johanna sehr wohl.

Die Fahrt nach Rüdesheim verlief erstaunlich ruhig. Die Jungen johlten, die Mädchen lachten und die gute Stimmung hielt auch dann noch an, als der Bus in der kleinen Gasse zum Halten kam, in der das Museum lag. Die Sonne brannte jetzt heiß vom Himmel und die Schüler murrten ein wenig, als sie sich um ihren Lehrer scharten. „Hört mir mal zu! Wir gehen jetzt zusammen die Gasse hoch. Auf der rechten Seite ca. 500 Meter weiter oben ist das Museum. Das sich ja keiner absetzt!“

Das Museum selbst wirkte von Außen eher unscheinbar und recht klein. Als der Lehrer die Gruppenkarte gelöst hatte und die Schüler nacheinander in die Gewölbe hinabstiegen, sah man erst, wie groß es eigentlich war. In gruftartigen Gewölben aus altem Stein gemauert – untermalt mit den kalten Klängen gregorianischer Choräle und Glockengeläut - ruhten hinter Glasscheiben die Werkzeuge der katholischen Inquisition. Rostige Zeugnisse einer der blutrünstigsten Zeiten der christ-lichen Geschichte lagerten kalt und gleichgültig für alle sichtbar und sprachen ihre eigene Sprache über das Grauen und den Schmerz, die sie einst ausgelöst hatten.

Trauben von Schülern bildeten sich um die Exponate und mehr oder weniger ehrfürchtig wurde diskutiert, wie die Foltergeräte wohl einst eingesetzt wurden. An jedem Ausstellungsstück hing ein kleines Kärtchen, auf dem die Nutzung des jeweiligen Instruments bildlich dargestellt wurde. Zangen, Daumenschrauben, spanische Stiefel, glühende Eisen, Steckbanken – alles was der kranke, menschliche Geist sich an Entsetzlichkeiten ausdenken kann, war hier vertreten.
Johanna fröstelte. Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen und sie rieb sich schaudernd die klammen Hände. Vor ihrem geistigen Auge liefen fürchterliche Szenen ab, als sie sich die Folterkeller der Geistlichkeit vorstellte. Angeregt durch die Ausstellung gewann die Vorstellung von der Grausamkeit der Folterknechte Gestalt und fast meinte sie, die schmerzerfüllten Schreie zu hören, meinte den flüsternden Stimmen der Richter zu lauschen, die in selbstherrlicher Gerechtigkeit vermeintliche Geständnisse forderten. Roch es nicht auf einmal leicht nach Angst und Schmutz?


„Wen haben wir denn da? Unsere Johanna.“ Ätzend und höhnisch drang Daniels Stimme in ihr Bewusstsein ein und sie schrak zusammen und drehte sich um.
Daniel, Sabrina und seine drei Kumpels umringten sie. Scheiße!! Sie hatte nicht aufgepasst und sich einkesseln lassen. „Was sehen wir uns denn da an? Ohhh, die eiserne Jungfrau! Wie passend.“ Gehorsam lachten seine Kumpels über den faden Witz. Sabrina lächelte kätzisch, nur Jan sah betreten zu boden. Er tat Johanna leid. Jan war der Schwächste der Gruppe und nur zu oft selbst der Prügelknabe, der sich nicht lösen konnte. Er ließ sie nach Möglichkeit immer in Ruhe. Johanna hatte Mitleid mit ihm. Sein Schicksal war auch nicht besser als das ihre.

Die Jungs rückten näher. Sabrina löste sich aus Daniels Umarmung und schaute dem Treiben von hinten genüsslich zu. Daniel stieß Johanna die Faust hart an die Schulter und sie stolperte rückwärts gegen die Eiserne Jungfrau. Die Jungs gröhlten vor Vergnügen; und rückten immer näher. Fest gegen das metallene Folterinstrument gepresst gab es kein Entkommen. „Was haltet ihr davon, sie in das Ding einzusperren? Mal sehen, wie gut sie bluten kann.“ Daniels Bösartigkeit entsetzte das verängstigte Mädchen und der stechende Blick aus den eiskalten Augen des Jungen und das begeisterte Lachen der Gang ließen keinen Zweifel daran, das sie durchaus bereit waren, sie wirklich in den Eisenpanzer mit den innen angebrachten Stacheln zu zwingen um sie bluten zu sehen.
Johanna keuchte vor Angst und Entsetzen auf und blickte panisch um sich.

„Keiner da, um dich zu retten, du kleine Schlampe. Jetzt bist du fällig.“ Daniel und Tobias packten sie. Johanna schrie panisch auf und wehrte sich heftig.

„Was ist denn hier los? Hört sofort mit dem Scheiß auf, Jungs!“ Herr Stein kam angelaufen und musterte die Bande zornig. Daniel und Tobias ließen Johanna abrupt los und das Mädchen rettete sich erleichtert hinter den Lehrer.
„Was regen Sie sich denn auf, Herr Stein. Es war doch nur Spaß.“ ließ Sabrina sich jetzt von weiter hinten vernehmen. „Nur ein kleiner Spaß. Gell Johanna?“ „Was du und deine ....Freunde unter Spaß versteht, ist mir durchaus bewusst. Aber jetzt ist Schluss. Ich will nichts mehr von euch hören.“ Mit steinerner Miene musterte der Lehrer das Mädchen und wunderte sich einmal mehr darüber, das ein so bösartiger Geist in einem so schönen Körper stecken konnte. Da fiel ihm was ein. „Wenn du es so lustig findest, jemanden in die Eiserne Jungfrau zu stecken, warum steigst du nicht selbst rein und erheiterst uns höchstpersönlich mit deinen Schreien?“
Sabrina schluckte und sagte nichts mehr.

Johanna hatte sich derweil in ein ruhiges Eckchen eines der Gewölbe im Kellergeschoss des Museums verzogen. Kalt und unbeteiligt hallten die kristallklaren Gregorianischen Choräle durch die Stille und das Schlagen der Kirchenglocken verlieh den Gesängen eine zusätzliche unheimliche Macht und machte Johanna frösteln. ’Ich hasse dich Daniel, du Missgeburt!
Zur Hölle mit dir!’ flüsterte sie ‚Brennen sollst du für das, was du mir angetan hast!’

Plötzlich schauderte Johanna. Die Luft wurde zu Eis. Die Gewölbe schienen zu schrumpfen und ein Dröhnen schwoll an und es war ihr, als wolle es sie zerreißen. Merkwürdige Gedanken schossen dem Mädchen durch den Sinn und sie verdrehte ihre Augen und ergab sich. Eine fremde und eisige Macht durchströmte sie und ergriff Besitz von ihr. Sie begann sich zu drehen, streckte die Arme aus und tanzte. Ihr Körper schien ein
Eigenleben zu entwickeln, sie drehte sich im Takt uralter Tänze, wiegte ihren schmalen Leib in ekstatischer Wonne. Ihre Hände beschrieben Muster in der Luft, die sie noch nie gesehen hatte. In wilder Ekstase und sinnlicher Lust löste sie ihre Haare und eine Flut goldener Locken ergoss sich bis weit auf ihren schlanken Rücken hinab. Ihre Sinne explodierten in einem gleißenden inneren Licht. Sie wandte sich in Richtung des tiefstem Endes des Gewölbes und schritt gleichmäßig und ruhig auf die nackte Steinwand zu.

Was sie tat, wusste sie nicht mehr. Sie war nicht mehr sie selbst.
Der Geist, dessen Stimme sie schon in der Kirchenruine gehört hatte, übernahm nun die Kontrolle und das Rad des Schicksals begann sich unbarmherzig zu drehen.
Nun gab es kein Zurück mehr. Der böse Geist frohlockte.

Daniel, Sabrina und die Anderen aus der Gang spürten einen wilden Hass in sich hochsteigen. Sie suchten Johanna und ihre bösen gnadenlosen Blicke und Flüche sprachen Bände über das, was sie der Kleinen antun würden, sollten sie sie finden. Wie Jäger in der Nacht eilten sie durch die Gänge hinab in die tiefer liegenden Gewölbe. Die in ihrer Reinheit fast unerträglich schönen Choräle folgten ihnen auf ihrer Suche und die weit hallenden Glockenschläge gaben den Rhythmus zu den infernalischen Gedanken in ihren Köpfen und die Glocken schlugen, als wollten sie dieser neuerlichen Inquisition ihren Takt aufzwingen. Von unkontrolliertem Hass getrieben, der selbst seine Kumpels erschreckte, nahm Daniel die Jagd auf und suchte mit allen Sinnen nach Johanna. Seine Freunde folgten ihm und nahmen den Hass in sich auf.

Mit einer schon teuflischen Präzision, fast so, als hätte eine diabolische Macht den Jungen geführt, fanden die Jäger das Ziel ihrer Hatz genau zur rechten Zeit.

Johanna bemerkte von den Dingen um sie herum nichts mehr.
Sie war völlig besessen von einer ihr unbekannten Macht und ließ sich willig von ihr leiten.
Tief in ihrem Inneren wusste sie, das ihre Verwünsch-ungen erhört worden waren. Die Dinge nahmen jetzt ihren Lauf.
Die ewigen Mächte waren erwacht und hatten Ereignisse in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten waren. Johanna spürte das Gewebe des Lebens und sah ihren eigenen Lebensfaden – verwoben im ewigen Muster konnte sie mit ihrer Seele jene schrecklichen Wesenheiten erkennen, die alle Lebensfäden sponnen. Die Zeit hatte hier keinerlei Bedeutung und Johanna schrie stumm vor Entsetzen innerlich auf, als eine der Nornen den Kopf hob und sich langsam zu ihr umdrehte.

Sie sah Dinge, die von sterblichen Wesen nicht gesehen werden durften. Sie hörte Stimmen flüstern, die niemals gehört werden durften. Ihre Seele erblickte Geheimnisse, die sie nie hätte erfahren dürfen und sie erkannte, das sie dafür einen schrecklichen Preis würde zahlen müssen.

Mit bloßen Füßen schritt Johanna langsam auf die kahle steinerne Wand zu. Die Luft war jetzt vor Kälte erstarrt und ihr Atem wurde als feiner Dunst sichtbar und wand sich um ihr Gesicht. Ihre Augen glühten in übernatürlichem Feuer und ihre Haut schimmerte weiß, während sie sich Schritt für Schritt wie in Zeitlupe der Wand näherte. Bodennebel hatte sich gebildet und
die unheimliche Stille wurde nur von dem weit hallenden Glockengeläut durchbrochen.

Die Jäger fanden ihr Ziel.
Daniel und seine Clique kamen die Stufen herunter, bogen um die Ecke und sahen das Mädchen, wie es auf die Wand zuschritt. Blutrünstig und bis zum Wahn gesteigert brüllten die Jungs im Zorn und ihr Hass sprang auch auf Sabrina über und als Daniel, Tobias, Benni, Jan und Mark aufbrüllend auf Johanna losgingen, folgte auch sie der rasenden Meute.

Johanna hörte das Brüllen ihrer Jäger, doch sie fürchtete sich nicht. Obwohl nur noch wenige Meter zwischen ihnen lagen und der Mob rannte, wusste sie, das diese sie nicht rechtzeitig erreichen würden. Sie lächelte wissend.
Als sie nur noch einen Schritt von der Wand entfernt war, holte sie tief Luft und sprach Worte in einer Sprache, die nicht von dieser Welt waren und es erschien eine Pforte in den Steinen.
Die Pforte war aus Holz gemacht und mit Eisen kunstvoll beschlagen. Ruß geschwärzt und rostig hing sie in den Angeln und obwohl sie jetzt erst erschienen war, hätte man annehmen können, sie wäre schon immer dort gewesen.
Hinter der Pforte erhob sich ein Flüstern und Raunen. Stimmen, die leise und eindringlich auf jemanden einredeten – Stimmen, die schluchzend und weinerlich flehend um Gnade bettelten.
Um eine Gnade, die niemals gewährt werden würde.

Johanna sprach einen weiteren Befehl. Die Pforte öffnete sich.

Mit leisem Quietschen bewegte sich die schwere Tür in den Angeln, deren Scharniere laut und mit rostiger Stimme gegen die Bewegung protestierten. Eine tiefe schwarze Dunkelheit offenbarte sich. Das Flüstern wurde lauter – eindringlicher – diabolischer – verführerischer – entsetzlicher. Und verstummte.

Johanna schritt hindurch in die tiefe Finsternis und verschwand in der pechschwarzen Düsternis. Alle Jäger folgten – bis auf einen.
Jan durchschritt die dunkle Pforte nicht, er stolperte und stieß beim Fallen mit dem Kopf heftig gegen einen steinernen Sockel und verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, erinnerte er sich nicht mehr an den rasenden Zorn, der ihn und die anderen so heftig aufgewühlt hatte und er erinnerte sich auch nicht mehr an die Pforte. Nur ein unbestimmtes Gefühl der Angst, der Hilflosigkeit blieb für den Rest seines Lebens sein steter Gefährte.

Hinter den Jägern schlug die Pforte zu und verschwand.

*

Finsternis hüllte die Jäger ein. Ein stetes Tropfen von Wasser, das durch altes Mauerwerk dringt und auf einen steinernen Fußboden platscht, war das einzige Geräusch, das zu hören war.
Der blinde Hass fiel von der Gruppe ab und ließ einen verängstigten Haufen zurück. Sabrina drückte sich ängstlich an ihren Freund, doch der stieß sie grob zur Seite. Er hatte jetzt andere Probleme. Er streckte die Hände aus und begann, die umliegenden Wände abzutasten.

„Wo zum Teufel sind wir?“
„Was ist passiert? Wo kam denn diese Tür her?“
„Ich will zurück!“
Panik bemächtigte sich langsam der Gruppe. Die Jungen drängten sich dicht aneinander und redeten wirr durcheinander. „Maul halten!“ fauchte Daniel wild und die Anderen verstummten.
Um keinen Preis hätte er zugegeben, das auch er von plötzlicher Panik befallen war und sich dem Gejammer seiner Kumpels nur zu
gerne angeschlossen hätte. Aber Daniel zeigte niemals Angst – oder sonst ein Gefühl. Das war Weiberkram.
Doch jetzt war auch er ratlos.
Er starrte angestrengt in die Finsternis. Von Johanna keine Spur. Seltsam! Sie war doch direkt vor ihnen gewesen. Er hatte sie fast berühren können und jetzt war sie verschwunden!
„Ich will hier weg!“ Tobias´ Schrei hallte durch die Dunkelheit und er begann, verzweifelt mit den Fäusten an die Wand zu schlagen, durch die sie gekommen waren.
„Pssst, beruhige dich, wir werden schon herausbekommen, was hier los ist. Das ist bestimmt nur so ein Trick.“ Benni legte Tobias den Arm um die Schulter, doch auch er war alles andere als ruhig.

Dann näherten sich wieder Stimmen. Unruhiges Licht flackerte an den Wänden entlang und kroch hoch bis an die Gewölbedecke. Nun konnten die Jungen sehen, wo sie waren. Sie standen in einem niedrigen Gang, der recht weit vorne in einen Raum mündete. Die flackernden Lichter und die Stimmen waren jetzt aus einem anderen Gang dort angekommen. Füße schlurften über den Boden, Ketten rasselten und nun waren die Stimmen auch zu unterscheiden. Es waren Männerstimmen, die fragten und eine Frauenstimme, die flehend weinte.
Daniel entspannte sich erleichtert. Offensichtlich waren sie in einer Art Show von diesem verfluchten Museum gelandet! „Kommt schon. Lasst uns gehen. Da vorne führen sie wohl irgend so ein scheiß Theaterstück oder so was ähnliches auf. Der blöden Fotze von Johanna reiß ich den Arsch auf, wenn ich sie das nächste Mal erwische!“ Daniel stiefelte entschlossen los und seine
Gefährten folgten ihm widerspruchslos.


„Und hör verdammt noch mal endlich auf zu flennen, du Schlappschwanz!“ Tobias zuckte zusammen das Schniefen verstummte.

Die verbotene Pforte, die seit ewigen Zeiten verschlossen gewesen war, war geöffnet worden.
Die Nornen sponnen neue Fäden, zogen welche heraus und fügten dort neue ein. Dinge, die nicht hätten geschehen dürfen, waren geschehen. Die Kräfte des Schicksals begannen zu wirken und die Mühlen der Götter begannen zu mahlen.
Der Geist, der von Johanna Besitz ergriffen hatte, lächelte.
Doch der Fluch, den Johanna ausgesprochen hatte, um ihre Peiniger zu treffen, kehrte zu ihr zurück. Unrettbar in das Schicksal ihrer Mitschüler verwoben war sie selbst in den tödlichen Sog gerissen worden und war nun ebenso ein Opfer der Mächte, die sie leichtsinnigerweise heraufbeschworen hatte.

Daniel führte seine Gruppe in den Raum am Ende des Ganges.
Mit jedem Schritt wurden die Stimmen lauter und nach und nach wurde ihm klar, das die Sprache, in der gesprochen wurde, altes Deutsch sein musste. Eine Frau weinte und flehte um Gnade. Der fremdartige Gebrauch des Deutschen durch die Frau verwirrte Daniel und er musste sich arg konzentrieren, um die Worte zu verstehen. Im immer heller werdenden Licht der Fackeln wurden mehr und mehr Einzelheiten sichtbar und als sie den Raum erreichten, war sich Daniel nicht mehr sicher, in einem Theaterstück gelandet zu sein - ganz und gar nicht mehr sicher. Sabrina und er sahen sich an, die Jungs waren schon lange verstummt und folgten ihrem Anführer wie Opferlämmer zur Schlachtbank.
„Verdammt, was wird hier gespielt?“


„Ich weiß es nicht! So eine Scheiße!“
Sabrina runzelte angestrengt die Stirn, als sie versuchte,
das was sie sah zu begreifen. Es wurde offensichtlich eine Inquisitionsbefragung – wie hieß das gleich noch mal? – ach ja, eine peinliche Befragung durchgeführt.
An der von ihnen aus rechten Seite des gruftartigen Raumes stand ein massiver Tisch mit den drei Richtern der katholischen Kirche, links daneben stand der Folterknecht und vorm Tisch stand weinend eine junge Frau, die verzweifelt versuchte, sich die Blöße mit den Händen zu bedecken. Ein hagerer raubvogelartiger alter Kirchenmann stand vor ihr und flüsterte mit dünner, kalter Stimme auf sie ein und sie schüttelte immer heftiger den Kopf, als wäre das was er ihr sagte, ihr Untergang.
Die Wände waren über und über mit eisernen Masken, Zangen, Ketten und anderen merkwürdigen Dingen behangen und auch das restliche Inventar deutete stark darauf hin, das es sich hierbei um eine Folterkammer handelte.
Aber verdammt, wenn dies ein Theaterstück war, wo waren die Zuschauer? Warum wirkte dann alles so echt? Daniel starrte die nackte Frau an. Sie verlor grade vor Furcht die Kontrolle über ihre Blase und der Urin rann ihre Schenkel hinunter. Taten Schauspieler das?
Er schüttelte verwirrt den Kopf.

Erst jetzt viel ihm der infernalische Gestank auf, der in der dicken, trägen Luft hing.
Es roch bestialisch nach Fäkalien, nach Angst, Schmerz und Tod. Es war der widerwärtige, süßliche Geruch nach Fäulnis und Verwesung.
Der Junge verzog angeekelt das Gesicht und hielt sich die Nase zu.

Auch die Anderen hatten den Gestank bemerkt und versuchten nun ebenfalls, dem unerträglichen Geruch zu entkommen. Benni lief grün an und versuchte verzweifelt, sich nicht zu übergeben.

Die gesamte Gruppe stand nun versteckt im Durchgang und beobachteten still das Geschehen.
Keiner von ihnen bemerkte, das hinter ihnen der Gang erschwand, als hätte es ihn nie gegeben.

Die Richter schrien die Frau nun immer lauter an, hielten ihr das Kreuz vor die Augen, umkreisten sie und begafften gierig ihren entblößten Körper. Weinend sank sie hernieder und versuchte, sich vor den Blicken zu schützen. „Ich habs nicht getan! Ich wars nicht! Ich bin unschuldig, so glaubt mir doch!“
„Schreiber, notiere er: Die Hexe ist nicht geständig. Sie wird nun der hochnotpeinlichen Befragung unterworfen, um ihre arme Seele zu retten. Möge der allmächtige Gott ihrer Seele gnädig sein.“ Die kalte, schneidende Stimme des Inquisitors wankte nicht einen Moment, als er das Todesurteil über die Frau sprach.
Die Frau sank in Ohnmacht und der Folterknecht packte sie ohne viel Federlesens und brachte sie auf der anderen Seite der Kammer die wenigen Stufen hoch und zur Tür hinaus.

Der Schreiber kratzte mit einer Gänsefeder über das Pergament und die Richter packten leise ins Gespräch vertieft ihre Sachen und wandten sich über dieselbe Treppe zum Gehen.

Die unfreiwilligen Zeugen der Befragung hielten den Atem an und rührten sich nicht.
Tobias hatte ausgerechnet jetzt einen Niesreiz und hielt sich verzweifelt die Nase zu, um sich und die Gruppe nicht zu verraten. Und obwohl sich keiner von ihnen erklären konnte, wie sie hierher gekommen waren, hatte niemand mehr auch nur den kleinsten Zweifel daran, das dies alles echt war.
„Verdammt, jetzt sitzen wir aber knietief in der Scheiße. Was zur Hölle..“
„Schnauze du Idiot“ fauchte Daniel Benni an. Dann flüsterte Tobias „Scheiße Mann, der Gang ist weg!“
„Was soll der Mist? Ein Gang verschwindet doch nicht!“ Daniel wandte sich vorsichtig um, um die Richter nicht auf sich aufmerksam zu machen. Er sah zurück und aus dem Gang war eine kleine Nische geworden. Der Weg zurück war einfach verschwunden!
Er keuchte vor Entsetzen auf. Was wurde hier gespielt? Er bekam es nun entgültig mit der Angst zu tun.
Panik drohte auszubrechen in der Gruppe, doch Daniel war nicht umsonst der unangefochtene Anführer und hielt seine Mannschaft eisern unter Kontrolle.

Der Geist in Johanna beobachtete mit dämonischer Schadenfreude die Szene und lächelte.

Ein bösartiger Blick Daniels und den Daumen quer über den eigenen Hals gezogen brachte die Jungen zum gehorchen.
Keiner muckste auf.

Die Richter wandten sich zum Gehen. Die Jungs rührten sich nicht.

Stille.

Der Geist hörte auf zu lächeln und in Johanna´s fordernd vorgestreckter Hand materialisierte sich ein kleiner, dürrer, trockener Ast.

Die Richter öffneten die Tür und einer nach dem Anderen verließ die Kammer.

Die Jungen hielten die Luft an.

Vom Geist getrieben nahm Johanna das Stöckchen fest in beide Hände.

Der letzte der Richter durchschritt nun die Tür, die rechte Hand auf der Klinke.

Sabrina starrte in Todesangst den Richter an. Benni zitterte am ganzen Körper und fing leise an zu wimmern. Daniel hielt ihm den Mund zu. Keiner aus der Gruppe wandte den Blick von dem Mann, der die Frau ohne mit der Wimper zu zucken, dem Tode ausgeliefert hatte.
Instinktiv ahnten sie, das wenn er sie bemerken würde, sie keine Chance haben würden.
Es wäre ihr Todesurteil – aus diesen Kellern gab es kein Entrinnen.

Sie waren in einem Alptraum gefangen!

Der letzte Richter verharrte kurz, runzelte die Stirn und sah noch einmal zurück, als hätte er was gehört. Doch dann wandte er den Kopf wieder nach vorn und durchschritt mit festem Schritt die Tür.

Johanna erschien vom Geist getrieben in der Mitte des Raumes, den trockenen Ast fest in beiden Händen. Sie drehte sich zu der verängstigten Gruppe um, ein diabolisches Lächeln auf dem Gesicht. Ihr Mund formte lautlos ein einziges Wort: Rache!!!
Die Jäger erbleichten.

Sie genoss für eine Sekunde die Angst auf den entsetzten Gesichtern ihrer früheren Peiniger.
Dann wandte sie sich entschlossen um und zerbrach mit einem Ruck den Ast und verschwand wieder.

Die Tür, die sich schon fast hinter den Inquisitoren geschlossen hatte, flog mit einem lauten Krachen auf und die Richter stürmten in den Raum. Angeführt von dem umbarmherzigen alten Mann mit dem Raubvogelgesicht kamen sie zurück und suchten den Urheber des Geräuschs.
„Meister, was war das für ein Geräusch? Ein Dämon?“ die kindlich hohe, eifrige Stimme des Schreibers durchbrach das Klatschen der Sandalen auf dem steinernen Boden.

Der eisige, intelligente Blick aus den schwarzen Augen des Richters durchdrang die Schatten in der Nische und fixierte die Jungen und das Mädchen. Er bleckte die Zähne.

Sabrina verlor die Nerven und schrie.

Johanna beobachtete. Der Geist lächelte kalt doch das Mädchen weinte still.


*

Es war kalt.
Wie ein verzehrendes Fieber fraß sich die eisige Kälte durch das Fleisch der Jungen und kroch ihnen tief in die Knochen. Zitternd und zähneklappernd litt jeder für sich allein unter den Qualen der Folter. Ausnahmslos hatten sie sich tief in sich selbst zurückgezogen und mit leerem Blick starrten sie ins Nichts.
Daniel stierte verstört die Tür vor sich an. Die Tür durch die sie hier in dieses Verlies gekommen waren, die Tür, die sich hinter ihnen mit ächzendem Knarren geschlossen hatte und an deren Innenseite blutige Kratzspuren ein wildes Muster zeichneten. Blutige Spuren derer, die vor ihnen hier eingesperrt worden waren und deren Todesqual und Agonie hier zurückgeblieben waren und die gepeinigten Sinne der Jungen folterte. Sein stierer Blick wanderte durch den Raum, der zu ihrem Gefängnis geworden war, der Ort, in dem sich unter dem stinkenden, verrottendem Stroh ekelerregende Lachen aus Urin und Kot vermischt mit verfaulenden Essensresten gebildet hatten, um die sich die Ratten stritten. Die Ratten waren klug. Sie wussten, das ihre Zeit noch nicht gekommen war. Aus sicherer Entfernung beobachteten sie die Jungen und warteten ab.
Sein Blick fand Benni, dessen Augen sich wild verdreht und dessen Sinne sich tief in den Wahnsinn zurück-gezogen hatten. Er wiegte sich sacht vor und zurück und lallte leise irgendein Lied vor sich hin. Auf seinem verdreckten, unrasierten Gesicht lag ein Ausdruck irrer Verzückung. Eine mutigere Ratte leckte die eiternde Wunde an Bennis Fußgelenk ab und knabberte an dem fauligen Fleisch in der Wunde. Der Junge spürte es nicht. Daniels Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen und Ekel über diesen Anblick und ein gequältes, ersticktes Lachen entrang sich seiner Brust und vermischte sich mit dem stummen Schrei, der ihm auf der Seele lag und ihn zu ersticken drohte.

In der anderen Ecke stöhnte jemand. Daniel fuhr herum -und sah Mark dort liegen. Der einstmals kräftige Körper des Fußballers und Schlägers war über und über bedeckt mit blutenden und schwärenden Wunden, die Schultern wie die Hüftgelenke ausgekugelt und zerrissen in den Folterkammern ihrer Peiniger, die Zähne zerborsten, Finger und Zehen zerquetscht war von ihm nur noch ein gestaltloser Klumpen wunden Fleisches übrig. Die entsetzlichen Schmerzensschreie – die schon aus den Tiefen der Gewölbe zu Daniel gedrungen waren - waren schon lange verstummt. Nur ab und zu entfloh ein leises Wimmern und Stöhnen dem bis zur Unkenntlichkeit entstelltem Körper. Auch bei ihm hatten die Wunden angefangen zu eitern und in ihnen feierten tausend Maden windend diesen Festschmaus.
Völlig von Sinnen fing Daniel an zu lachen. Er konnte nicht mehr damit aufhören und er lachte hysterisch schluchzend immer lauter und lauter, doch sein Gelächter erstarb abrupt, als sich schwere Schritte näherten. Die Schritte verstummten vor ihrer Tür.
Ein Schlüsselbund klirrte leise und Metall begann zu quietschen, als sich der Schlüssel im Schloss drehte und sich die Verriegelung öffnete.
Als sich die Tür knarrend öffnete wurde es still in der Kammer. Das Stöhnen verstummte und sogar die Ratten ergriffen die Flucht und schwiegen. Einer der Wärter kam keuchend herein und warf seine sperrige Last mitten im Kerker auf den Boden.

Es war Tobias. Heute hatten sie ihn geholt – und befragt.

Der Wächter bedachte Daniel mit einem abschätzenden Blick und schnaubte dann verächtlich, als der verängstigte Bursche auf allen Vieren in die hinterste Ecke kroch und sich zitternd an die Wand drückte.

Der Wächter verließ den Raum und hinter ihm fiel die Tür krachend ins Schloss. Wilde Panik stieg in Daniel auf. Er taumelte zur Tür und trommelte schreiend dagegen.

„Ich will hier raus! Lasst mich raus! Ich will nicht sterben!“

Weinend und wahnsinnig vor Angst und Schmerz schlug der Junge immer wieder gegen die Tür. Seine durch die Folter und den Nahrungsentzug pergamentene Haut riss auf und hinterließ blutige Spuren an der von altem Blut geschwärzten Tür.
Doch die Kraft verließ ihn schnell.

Tobias kam langsam zu sich. Er kroch vorsichtig auf seinen Anführer zu und nahm ihn in den Arm. Sie hielten sich aneinander fest und wiegten sich.

„Was geschieht hier, Toby? Was zur Hölle ist hier los?“
„Ich weiß es auch nicht. Aber weißt du, was ich am Merkwürdigsten finde? Sie haben mir noch keine einzige Frage gestellt.“

Stumm sahen sie sich an.

Tobias nahm Daniel wieder in den Arm und sie hielten sich erschöpft aneinander fest.

Johanna sah unbemerkt zu und der Geist ergötzte sich am Leid der einstigen Peiniger.
`Das habe ich nicht gewollt! Nicht das – nicht so!`
„Ich weiß“ flüsterte der Geist in ihrem Kopf „und doch geschieht es so. Wer den Wind säht, wir den Sturm ernten, wusstest du das nicht?“ fast schien es dem Mädchen, als könne es das zynische Lächeln auf dem unsichtbaren Gesicht des Dämons erkennen.

„Du wolltest sie leiden sehen, sterben sehen. All das hast du dir gewünscht und ich habe dir deinen Wunsch erfüllt. Es gibt kein Zurück. Was begonnen wurde muss beendet werden.“
Die flüsternde Stimme des Dämons durchdrang ihren Geist und hallte unüberhörbar in ihrem Kopf. Das Mädchen erschauerte und erinnerte sich an die Schreie der Jungen während der Folter. Ihr Blick wandte sich nach innen und die Erinnerung füllte ihr Bewusstsein mit den grauenvollen Bildern dessen, was in den Tiefen der Kerker der Inquisition geschehen war.

*

Der hagere Richter mit dem Raubvogelgesicht hatte bei jeder Befragung der wie aus dem Nichts aufgetauchten merkwürdig gekleideten jungen Männer aufmerksam beobachtet.
Es war gar keine Frage – ihr Auftauchen war das Werk einer unnatürlichen Macht. Kein Zweifel! Das hier war das Werk des Teufels. Sie mussten von Satan besessen sein. Dämonenbrut! Sie schrien und jammerten bei der Befragung in einer Sprache, die kaum zu verstehen war. Sosehr er sich auch anstrengte, er konnte nicht ausmachen, welche Sprache sie sprachen. Und doch war der Klang irgendwie vertraut. Er runzelte die Stirn und überlegte weiter. Ahhh, jetzt wusste er es! Thiudisc. Ja, das war es! Eine starke Abwandlung des Dialektes, den die Bauern hierzulande sprachen.
Das hagere, vom religiösen Wahn ausgemergelte Gesicht des Inquisitors verzog sich zu einem dünnen Lächeln, als er seine Entdeckung weiter verfolgte – zu ihrem rechten Ende.
Oh ja, die Befragungen der drei Burschen waren sehr aufschlussreich gewesen und wenn erst der vierte, der Anführer der widernatürlichen Brut verhört war.....nun, dessen Verhör war für morgen gleich bei Sonnenaufgang angesetzt. Man würde sehen.

Zufrieden mit sich selbst drehte sich der Mönch in seiner Kammer um und sah das Mädchen an, das sich nackt und zitternd vor Kälte und Angst unter die Bettdecke kauerte. Schon regte sich seine Männlichkeit wieder und verlangte nach ihrem Fleisch und er ging zu ihr und beugte sich über sie. Sie wich zurück.
„Du weißt Weib, wenn meine Männlichkeit versagt, wirst du als Hexe auf dem Scheiterhaufen enden.“ er lächelte jetzt ‚das wirst du sowieso’ fügte er in Gedanken hinzu und zog die Decke von ihrem seinen gierigen Händen geschundenen Leib weg. Sein Mund wurde trocken und sein Fleisch schmerzte vor Erregung und sein Blut pulsierte heiß und wild in seinen Adern. „Also enttäusche mich nicht, du Lilith! Sonst lasse ich dich brennen.“
Obwohl Sabrina das alte Latein des Geistlichen kaum verstand, war die Botschaft unmissverständlich. Sie hatte keine Chance und sie wusste es.


*

Die Zeit verrann.
Dunkelheit senkte sich über das Land, kroch in die hintersten Ecken, erstickte das Licht und fand ihren Weg in die Folterkeller der Inquisition. Bleich stand der Vollmond über der Welt und selbst die Gefangenen in den Verliesen wurden von seinem fahlen Licht berührt.

Daniel und Tobias bemerkten des kalten Mondes sachten Schein und beide hoben ihre Köpfe, sahen empor durch die kleine Öffnung weit oben in der Mauer. Es war finster geworden in ihrem Keller, der sie und ihre nicht enden wollende Pein in sich barg.
„Mark ist tot.“
„Ich weiß. Gut für ihn. Er hat es hinter sich.“
„Was haben sie mit uns vor? Was meinst du Danny?“
„Keine Ahnung.“
„Hast du gesehen? Draußen im Hof haben sie Scheiterhaufen aufgebaut. Meinst du, sie werden uns dort verbrennen?“ Schweigen.
„Danny?“
„Morgen holen sie mich.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weiß nicht. Ich weiß es einfach. Ich habe Angst.“
„Ja, die habe ich auch.“

Des Mondes silbriges Licht wanderte langsam weiter und ließ die Gefangenen mit ihrem Elend allein. Stille Nacht senkte sich herab auf die Gefolterten und hüllte alles in dunkles Schweigen. Auch das grässliche Stimmengewirr aus den Tiefen der Gewölbe verstummte nach und nach.
Nur der infernalische Gestank nach Agonie, Schmerz, Angst und Tod blieb ihr stummer, ewiger Gefährte.
Das einzige Stück Brot, das ihr Wärter ihnen zugestanden hatte, lag schimmlig in einer zähen Urinlache und Benni setzte sich aus seiner zusammengekrümmten Haltung auf, kroch auf allen Vieren auf das ekelerregende Stück Brot zu. Er streckte die Hand danach aus, nahm es und begann daran zu nagen.

Daniel und Tobias sahen fassungslos zu. Beide wussten nicht, welcher Anblick der Schlimmere war. Benni, der schimmliges und pisseverpestetes Brot aß oder seine tiefen, eiternden Wunden an Beinen und Rücken, madenverseucht und in denen schon die Knochen zu sehen waren. Mit verzücktem Gesichtsausdruck kaute der Junge auf dem aufgeweichtem Kanten rum und das irre Glitzern in seinen goldbraunen Augen bewies nur zu deutlich, das er schon lange nicht mehr bei Sinnen war.
Der Wahnsinn hielt ihn fest in seinen Klauen. Sein Schicksal war besiegelt. Er war nicht mehr zu retten.


Johanna beobachtete und dachte nach. Der Dämon, der ihre aufgewühlten Gefühle spürte, grinste erwartungsvoll und wartete in den Tiefen ihres Bewusstseins.
Er wusste, das seine Zeit – sein großer Triumph kommen würde.
Er hatte Zeit. Er konnte warten.
Dem Mädchen dämmerte so langsam, welch schreckliche Macht sie da in jener Nacht in der Ruine geweckt hatte. Ungewollt hatte sie Ereignisse in Gang gesetzt, die sie jetzt alle langsam und unerbittlich zermalmten. Fast meinte sie die monströsen Mühlsteine des Schicksals sehen zu können. Das ewige Dröhnen der sich langsam drehenden Steine hallte tief und kalt in ihrem Herz, fraß sich in ihre Seele und schien ihren Kopf schier bersten zu lassen.
Sie keuchte auf. Der Dämon lächelte breiter.
„Wie ist eigentlich den Name?“
Das Lächeln erstarb, der Dämon stutzte.
„Warum willst du das wissen?“
„Nur so. Es interessiert mich einfach.“
„Lilith. Ich heiße Lilith.“

Jetzt begann Johanna zu lächeln. Sie wusste nun, was sie zu tun hatte.

*

Oben in den Zellen der Mönche wurde die Stille der Nacht durchbrochen von unterdrücktem Keuchen.
Der junge Schreiber stand auf, nahm sich seine Nachtkerze und folgte den Geräuschen und fand deren Quelle hinter der Tür zur Kammer des obersten Richters.
Schon erhob er seine Hand um anzuklopfen, doch dann verharrte er. Der junge Mönch kannte seinen Herrn, den Inquisitor schon länger und er kannte dessen Neigung zur nächtlichen Selbstgeißelung zur genüge.
Er zog seine Hand zurück und lauschte. Ja, es bestand kein Zweifel. Sein Herr geißelte sich und sein Keuchen verriet die Inbrunst, mit der er die göttliche Erlösung suchte.
Vorsichtig schirmte er sein Nachtlicht ab und wandte sich um in Richtung seiner Zelle. Im Drehen warf der fromme Schreiber noch einen Segen für seinen Herrn in dessen Richtung und schlich dann auf leisen Sohlen zurück zu seiner Schlafstatt und begab sich wieder zur Ruhe.

Und während der Schreiber seinen frommen Gedanken nachhing, bestieg sein Herr wieder und wieder in geiler Lust jenes Mädchen, welches er am Morgen erst als gefährliche Hexe gebrandmarkt hatte.

*

Zäh floss die Zeit dahin und es schien beinahe, als wolle sie diese eine Nacht bis zur Unendlichkeit ausdehnen. Jeder Augenblick wurde zu einer kleinen Ewigkeit und der silberne volle Mond stand unbeteiligt und kühl über all dem Leid dort drunten.
Sie alle fanden einen seltsamen Trost, als sie unabhängig voneinander und doch zur selben Stunde hochsahen zu der fahlen, silbernen Scheibe des Mondes, der auf sie herabsah.

Daniel und Tobias hielten sich in ihrem Verlies fest und starrten durch die kleine Öffnung nach oben.

Sabrina lag schweißgebadet und blutend auf der harten Pritsche und sah zum Fenster hinaus.

Johanna stand draußen im Hof und beobachtete, wie die Helfer der Inquisition die Scheiterhaufen für den nächsten Morgen vorbereiteten. Es waren vier.

Auch sie sah in diesem seltsamen Moment hoch und ließ das kalte, blasse Mondlicht auf sich herabscheinen.
Und alle traf sie in diesem Moment die bittere Erkenntnis, das sie das volle Gesicht des Mondes nie wieder sehen würden.

*

Der oberste Richter hatte seine Gier gestillt und war schweigend aufgestanden, hatte sich die Kutte übergezogen und ohne ein Wort die Zelle verlassen.
Just in dem Augenblick, als Sabrina die bittere Erkenntnis traf, öffnete sich die Tür zu ihrem Zimmer und der Verhörmeister aus den Verliesen trat ein und mit ihm sein Helfer.
Ohne einen Ton zu sagen, nahm der Helfer das geschundene Mädchen in einen eisernen Griff und der Folterknecht zog ihre Zunge mit geübten Griff und einer Zange heraus und schnitt sie ab. Die blutende Wunde verschloss er mit heißem Öl.
Ihr blieb keine Zeit zum Schreien. Als der siedend heiße Schmerz durch ihren Körper raste, bäumte sie sich auf, verdrehte die Augen und fiel in segensreiche Ohnmacht.

„Jetzt mein Herr, jetzt wird sie sicherlich schweigen.“ grinste der Folterknecht anzüglich, verbeugte sich und verließ mit seinem Gehilfen den Raum. Er kannte das Prozedere schon, es war nicht das erste Mal, das er ein unglückliches Mädchen auf diese Weise behandelte.
Sein Herr war dafür bekannt, das er Hexen sehr sorgfältig befragte. Er lachte in sich hinein. Doch das Geheimnis war sicher bei ihm, er würde schweigen und sein Herr wusste das.
Im ausgemergelten Gesicht des obersten Richters machte sich ein dünnes Lächeln breit, als er der Verstümmelung seiner Buhlin zusah. Er hatte bekommen, was er wollte und bei Sonnenaufgang würde sie das Schicksal ihrer Freunde teilen. Es war eine Gnade für sie, ihre Seele würde dadurch errettet.
Ja, so ließ sich eine Verbrennung heutzutage immer rechtfertigen. Wie praktisch das doch für ihn war! Niemand würde Fragen stellen.

Er lächelte weiter in sich hinein, als er den Raum verließ und in die Gewölbe hinabstieg, um sich auf die Befragung des Letzten aus der Gruppe vorbereitete. Und danach....

*

Doch auch die längste Nacht hat mal ein Ende und als der Morgen graute und die ersten zarten Strahlen der aufgehenden Sonne sich sacht über das stille, schlafende Land tasteten, öffnete sich die Tür zum Gefängnis der Jungen und der Wärter holte den vor Angst zitternden Daniel zum Verhör ab.

Im eisernen Griff seiner Folterer stieg Daniel hinab in die tiefen Gewölbe der Inquisition.
Der immerwährende Chor der Qualen wurde lauter, als die Gruppe an den verschiedenen Befragungsräumen und Verliesen vorbeikam, in denen andere Unglückliche unter der Folter Höllenqualen litten und langsam starben.
Der Gestank wurde fast unerträglich und als sie schließlich den für ihn bestimmten Keller erreichten, erkannte Daniel in ihm genau den Kerker wieder, in dem er mit seinen Freunden gefangen genommen worden war.
Wie in Trance stieg Daniel die Stufen hinab in den Raum.
Zu seiner Linken saßen die Richter und in dem Inquisitor in der Mitte erkannte er denjenigen wieder, der sie entdeckt hatte. Der stechende Blick aus erbarmungslosen schwarzen Augen jagte ihm Angstschauer über den Rücken. Es würde keine Gnade geben, kein Erbarmen. Wie betäubt bemerkte er kaum, wie die Helfer der Inquisition ihm die Foltergerätschaften erklärten. Er begriff nicht. Zu nichts Anderem fähig, als seinen Richter und Henker anzustarren, der jetzt die Hände faltete, sein Kinn aufstützte und erwartungsvoll zuschaute und ihn mit raubtierhafter, eisiger Kälte beobachtete und wartete.

Erst als sie ihm die Hände auf dem Rücken mit Stricken zusammenbanden und ihn daran langsam mit einem Flaschenzug hochzogen, holte ihn der Schmerz zurück in die Realität.
Verzweiflung und Panik überwältigten den Jungen und als er seinen Peinigern in die Gesichter sah, erkannte er deren Angst vor ihm. Er war ein Fremder, ein Eindringling – unerwünscht! Und er erkannte noch etwas: Sie hassten nicht ihn, sondern das, für das er stand.
Mit einer überwältigenden Klarheit erkannte er, das sie ihn fürchteten. Ihn und seine Andersartigkeit. Sie sahen in ihm eine Bedrohung ihrer Schreckensherrschaft und sie durften niemals zulassen, das sich auch nur der kleinste, auch nur der geringste Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns in der Bevölkerung breit machte. Wären er und die Anderen entkommen, hätte dies
unvorhersehbare Folgen haben können. Das durfte die Kirche nicht zulassen und Daniel verstand dies alles in einer einzigen Sekunde, doch nun war es zu spät.
Er war gefangen in den Mühlen der Inquisition und er hatte keine Hoffnung auf Rettung mehr.
Erst jetzt verstand er, was sein Lehrer ihm hatte beibringen wollen: die Entsetzlichkeit des religiösen Wahns. Zu seiner großen Verwunderung verstand er auch plötzlich, wie sich Johanna gefühlt haben musste, wenn er sie gejagt, gequält und verprügelt hatte. Und wofür?
Weil sie anders war. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Er hatte sie gequält, weil sie Anders war als die Anderen. Und derselbe Wahn, der ihn damals getrieben hatte, war nun dabei, ihn zu vernichten. Er war nicht besser gewesen als seine Mörder es waren. Wie konnte er sie verdammen? Gut, er hatte nie jemanden getötet, aber war er deshalb besser als sie? Hätte er so etwas nie getan? Er wusste es selbst nicht.


Johanna sah zu, wie Daniel gefoltert wurde und sie sah auch die Veränderung im Gesichtsausdruck des Jungen. Unbemerkt von den Richtern schlich sie näher an den Gefolterten und hörte verdutzt, was Daniel jetzt vor sich hin flüsterte.

„Oh Johanna, kannst du mir verzeihen? Es tut mir so leid. Erst jetzt weiß ich, was ich dir angetan habe. Oh scheiße.“
Dann wurde er vom Schmerz überwältigt und als seine Schultergelenke aus den Pfannen sprangen und seine Muskeln und Sehnen rissen, schrie er in endlosem Schmerz auf und ertrank in ihm.

Der Geist lag in Johannas Gedanken auf der Lauer. Sie schützte sich vor ihm und das beunruhigte ihn ungemein. Doch jetzt genoss er die grauenvollen Szenen, die sich in der Folterkammer abspielten, denn Schmerz und Leid waren seine Nahrung.

*

In ihrer Zelle kam Sabrina langsam wieder zu sich. Voller Entsetzen erinnerte sie sich nach und nach, was die letzte Nacht geschehen war.
Ihr Mund war eine einzige Wunde. Sie beugte sich aus dem Bett und spuckte Blut.
Benommen vom Schmerz taumelte sie zum Tisch und versuchte, etwas von dem kühlen Wasser zu trinken, doch der Schmerz in ihrer Wunde war unerträglich.

Sie sah zum Fenster hinaus hinab in den Hof und sah dort die drei Scheiterhaufen, zu denen jetzt fleißig die Reisigbündel aufgestapelt wurden.
Und noch etwas sah sie dort draußen: Die Sonne ging auf. Der letzte Tag in ihrem Leben hatte begonnen.
Sie weinte nicht - sie hatte keine Tränen mehr übrig.

So stand sie bis ihre Mörder kamen, um sie zu holen. Sie wehrte sich nicht als sie still und aufrecht ihren letzten Gang hinunter in den Hof antrat.

*

Obwohl die Folter nur kurz währte, schien sie eine Ewigkeit gedauert zu haben. Geschickt hielten seine Peiniger Daniel bei Bewusstsein und sorgten dafür, das er alles genau mitbekam.

Doch trotz dieses ganzen Irrsinns brach sein Geist nicht und er fand sich zu seinem eigenen Erstaunen dazu in der Lage, seinem Richter die Meinung zu geigen. Seine ganze Wut, sein Zorn und seine Hilflosigkeit fanden in wilden und wahnsinnigen Anklagen ein Ventil und je mehr Schmerz ihm zugefügt wurde, umso mehr verfluchte er seine Mörder und hielt ihnen den Spiegel vors Gesicht.
Der kleine Schreiber notierte alles fleißig und kam dabei kaum mit.
Flink und fleißig flog die Feder übers Pergament während sie die unglaublichen Aussagen des Gefolterten niederschrieb. Der Schreiber war fasziniert und erschauerte am ganzen Körper vor Freude und Ehrfurcht, hatten sie hier doch einen echten Hexer gefangen. Er war stolz, bei dessen Befragung dabei sein zu dürfen und wandte daher seine ganze Aufmerksamkeit dem Geschehen. Nur eines wunderte ihn: Warum stellte sein Herr keinerlei Fragen an den Teufelsbuhlen?

*

Es war ein grausames und schmerzvolles Erwachen für Daniel, als er zwei Stunden nach Sonnenaufgang wieder zu sich kam.
Schmerz wogte wie glühendheiße Wellen durch seinen Körper und er dankte Gott für die lähmende Taubheit, die sich langsam in seinen zerrissenen Gliedern ausbreitete und den Schmerz betäubte.
Vorsichtig schlug er die Augen auf. Übelkeit durchflutete ihn und er begann zu würgen. Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen und er schloss schnell die Augen wieder zu. Gleich ließ die Übelkeit nach und er atmete erleichtert auf. Seine gequälten Sinne klarten sich nach und nach auf und er nahm seine Umgebung wieder wahr. Er hörte Bennis vom Wahnsinn verzerrten monotonen Singsang und Tobias leises Schnarchen. Nach der
endlosen Nacht war der zu Tode erschöpfte Junge endlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.
Erneut versuchte Daniel, die Augen zu öffnen. Er linste zaghaft durch die Wimpern und sah Benni zusammengekauert in der hintersten Ecke sitzen, während er sich geistesabwesend in den eitrigen und inzwischen brandigen Wunden kratzte. Tobias lag am anderen Ende, zusammengekrümmt und vor Fieber und Kälte am ganzen Leibe zitternd. Den Versuch, sich zu bewegen, bereute Daniel sofort. Es ging nicht, er konnte sich absolut nicht bewegen.
Sein Körper fühlte sich wie zertrümmert an, die Schmerzen waren kaum auszuhalten.
Als er sich umsah, bemerkte er, das seine beiden Arme in einem unnatürlichen Winkel abstanden und seine Schultern sich in eine tiefblau-schwarz-grüne blutende Masse verwandelt hatten.
Er hörte ein leises Rascheln und Quieken, das sich langsam näherte. Die Ratten! Sie wussten, das er sich nicht mehr wehren konnte und jetzt kamen sie, schnupperten an seinem Körper, kitzelten ihn mit ihren Schnurrbarthaaren und dann – bissen sie zu.
Der neue Schmerz vermischte sich mit dem Alten. Der Junge verlor die Nerven und begann zu weinen.


„Sie haben Marks Leiche geholt.“
„Ja.“
„Was wird jetzt werden?“
„Ich weiß es nicht. Ich will es auch gar nicht wissen.“
„Ich will nach hause. Du, Dany?“
„Ich auch, Tob, ich auch.“ Dann herrschte Schweigen.
Einzig Benni´s monotoner Singsang durchbrach noch leise die Stille.

Dann ging die Tür auf und der hagere oberste Richter trat ein. Ruhigen Schrittes ging der Mönch auf den hilflosen, am Boden liegenden Daniel zu und kniete sich neben ihn.
Die beiden so unterschiedlichen Männer sahen sich lange an. Dann ergriff der Ältere das Wort.
„Sag mir, Junge: Woher kommt ihr und woher wisst ihr soviel über uns und die Inquisition?“
„Ich komme aus der Zukunft, das sagte ich doch bereits.“
„Ja, das sagtest du, wahrhaftig. Und weißt du was? Ich glaube dir sogar.“
Daniel sah sein Gegenüber verblüfft an.
„Sie glauben mir? Wofür dann das alles?“
„Na, was glaubst du? Unten in den Verliesen hast du´s noch gewusst.“
„Also habe ich Recht.“
„Ja.“
„Lassen Sie uns gehen?“
„Nein.“
„Warum?“
„Du weißt zuviel. Wer die Wahrheit kennt, lebt selten lange genug, um sie weiterzuerzählen.“
Der Richter lächelte süffisant. Daniel schloss sie Augen.
Es war aus.

*

Die Sonne näherte sich langsam dem höchsten Punkt.
Sie schickte warme Strahlen auf die Welt und Sabrina wandte ihr das Gesicht zu, ließ sich von der sanften Berührung wärmen und liebkosen. An einem der Tore, die in die Kerker hinabführten, tat sich jetzt was. Wachmänner öffneten einen der großen massiven Flügel. Sabrina konnte drei männliche Gestalten erkennen, die in Richtung der Scheiterhaufen gezerrt und geschleift wurden.
Als sie näher kamen, erkannte sie sie. Es waren Daniel, Benni und Tobias. Daniels Augen waren vor Qual verdreht, seine Arme unnatürlich verdreht und er atmete schwer. Tobias schleiften sie, da er nicht mehr in der Lage war, auf seinen während der Folter von den spanischen Stiefeln völlig zerstörten Beinen zu gehen. Die Maden hatten die Wärter abgewischt und die Wunden notdürftig mit dreckigen Lumpen umwickelt. Benni torkelte zwischen seinen Wärtern hin und her und grinste dämlich. Er verstand nicht, was um ihn herum vorging.
Sie alle sahen aus wie schon zu Lebzeiten verrottende Leichen. Alles hatte sich verändert und sie erkannte ihre einstigen Freunde kaum wieder. Als Daniel sie ansah und erkannte, sah sie in seinem Blick das Wissen um ihrer aller Schicksal.
„Sabrina, hast du eigentlich schon mal daran gedacht, das dies die Rache ist, für das was wir Johanna angetan haben. All die Jahre?“
Sabrina sah ihren Freund fassungslos an. In ihrem Blick lag keine Erkenntnis und erst als sie den Mund öffnete und ihr das Blut herauslief, sah er, was passiert war.
Er schloss die Augen. Sie hatten auch sie nicht verschont.

Zu viert wurden sie weiter geführt und jeder an einen der Scheiterhaufen gekettet.

Dann begann das Warten.

*

Es wurde Mittag. Die Hitze brannte nun erbarmungslos vom strahlendblauem Himmel.
Der Hof füllte sich mit Menschen aus allen Schichten. Es hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, das heute echte Hexer verbrannt werden sollten und es schien den vieren fast, als wäre die ganze Stadt gekommen.

Dann endlich kamen auch die Richter und verkündeten laut das Urteil.

Die Menge johlte und schrie ekstatisch.

Johanna erschien vom Geist beseelt vor den Scheiterhaufen. Sie begann zu kämpfen. Der Geist wurde zornig.

Die Helfer brachten Fackeln und entzündeten die Reisigbündel, die sogleich hochlodernde Flammen nährten. Die vom Blutdurst aufgepeitschte Menge schrie und tobte. Die Wärter konnten die aufgewühlte Menge nur mühsam unter Kontrolle halten.

„Und so findet alles sein Ende.“ flüsterte Daniel, als seine Füße zu qualmen begannen.
Johanna vertrieb den Geist aus ihrem Kopf. Sie materialisierte direkt vor Daniels Scheiterhaufen, sprang hoch und klammerte sich an ihren einstigen Peiniger.
Verwundert sah er sie an und sie lächelte traurig.

„Das habe ich nicht gewollt, Danny. Das nicht“
„Ich weiß. Denk nicht drüber nach.“

Sie lächelten sich an und küssten sich, als die Flammen hochschlugen und sie alle zu Asche verbrannten.

 

Hallo,

puh! Ganz schönes Geschnetzel, das du da ablieferst. Der Horror liegt in der ausweglosen Situation der Protagonisten, es gibt viele verborgene Details (Lillith, Nornen), die, wenn man darüber nachdenkt, einen Sinn in die Geschichten bringen, welcher direkt zu Beginn verborgen bleibt. Deine Geschichte gefällt mir gut, aber die gelegentlichen Durchhänger, die Längen, lassen sie knapp an einer Empfehlung vorbeischießen.

Grüße,

Lestat

 

Hi Christiane,
Die Geschichte war angenehm zu lesen. Besonders der Prolog am Anfang ist gut - würde gut auch zu manch anderer Geschichte passen.

Ein paarmal könntest du die Geschichte straffen - so sind nicht alle Details der Anreise im Bus notwendig- bzw du könntest die Qunitessenz in einer kürzeren Form bringen - Die Qualen der vier waren dann auch etwas zu lang bzw. wiederholten sich . Genau genommen wäre mir lieber gewesen, du hättest die Folter eines von ihnen genauer beschrieben.
Das Ende ist doch irgenwie enttäsuchend. Einmal ist es mir zu einfach, dass sie sich entschuldigt und das war es dann und zum anderen ist nicht klar, wie sie einmal hinkommt und wie das Verhältniss zu ihrem Geist Lilith ist - immerhin hat sie den Namen herausgefunden und wollte einen Nutzen daraus ziehen.


Ansonsten ist die Geschihte sehr gekonnt geschrieben und ich fand nur wenig Details:


Die Luft, in der immer noch die Hitze und Schwüle des vergangenen Tages lag und völlig still war, begann sich zu regen.
Ich weiß nicht, wie sich die Luft zu regen beginnt: Bläst der Wind? abgesehen davon, sind mir dazwischen zu viele Einschübe


schon die stechende Hitze erahnen, die schon bald herrschen würde.
2 x schon
der kirchlichen Inquisition mal aus der Nähe anzusehen.
Das "mal ist mir zu salopp formulilert - besonders weil es aus der Sicht des Lehrers kommt
Und so war es dann soweit: Der Tag des Ausfluges war gekommen.
Das ist so ein Satz, wo du etwas wiederholst, was eh klar ist.
Was sie tat, wusste sie nicht mehr. Sie war nicht mehr sie selbst.
Wenn sie es nicht mehr wüßte, könnte sie es nicht mehr erzählen und sich nicht mehr dagegen wehren - wohl eher, sie verlor die Kontrolle über sich selbst...

 

Hi Christiane,

muß Dir erneut sagen, daß Du wirklich enorm schreiben kannst. Auch hat mir diesmal Deine Geschichte wirklich gut gefallen. Stellenweise ein wenig zu lang, da muß ich Bernhard recht geben (besonders am Anfang).
Zunächst fand ich den Anfang auch etwas weit hergeholt; sind Kinder / Jugendliche wirklich soo grausam. Ein wenig Mobbing kann ich mir ja vorstellen, aber gleich in die eiserne Jungfrau?
Aber beim weiteren Lesen hast Du ja gezeigt, daß das Ganze wichtig war für das Ende.
Bei einigen Szenen stockte mir allerdings doch ein wenig der Atem (und das, obwohl ich eigentlich ein Splatter-Fan bin). War sehr ´anschaulich´ dargestellt.

Bis dahin! Liebe Grüße! Salem

 

Hi Noel,

schön, das dir die Story gefallen hat. Warum ich Hölle mit oe geschrieben habe? grins
Ganz einfach: Ich lebe in Irland und als ich die Story eingestellt habe, hatte ich nur ein englisches Keyboard zur Verfügung und wie du sicher weisst, kennt die englische Sprache unsere Umlaute nicht. Deswegen!!!

 

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