Die Prämisse
Hinter einem Begriff, der so unangenehm klingt wie „Prämisse“, irgendwie sogar diktatorisch und Furcht einflößend, kann sich nichts Gutes verbergen.
Wer bei diesem Wort so empfindet, liegt mit seinem Gefühl gar nicht so falsch. Die Prämisse ist diktatorisch gegenüber ihrem Untertan, dem Erzähler, und sie macht dem Autor Angst, solange er sie noch nicht gefunden hat. Denn: kein guter Roman ohne Prämisse! So heißt es.
Es gibt aber auch gegenteilige Meinungen. Man kann auch ohne Prämisse eine Geschichte schreiben. Die Geschichte kann interessant und spannend sein, warum nicht. Bei der Krimimassenware, die beinahe täglich auf den Markt kommt, ist das oft der Fall. Es sind sogar Bestseller bekannter Krimi-Autoren dabei. Die „leben“ meist von den Hauptfiguren und ihrer Tätigkeit als Kommissar und Pathologe usw.
Was solchen Romanen fehlt, und der Leser spürt das am Ende, ist die Nachhaltigkeit, eine einprägsame Grundlage.
Nun, wie auch immer, dieser Streit soll hier nicht das Thema werden. Auch andere Arbeitsweisen beim Schreiben sind hier nicht relevant. Wir gehen einfach mal davon aus, dass wir eine Prämisse brauchen, um einen sauguten Roman zu schreiben.
Zunächst ein paar einfache Fragen
Kann man statt Prämisse auch Pitch sagen?
Nein. Der Pitch (in einem Exposé) ist eine radikal gekürzte Fassung der Handlung in zwei bis fünf Sätzen. Er vermittelt einen Eindruck zum Thema, dem Motiv, dem Genre und dem besonderen „Dreh“ der Story.
Kann das Thema die Prämisse ersetzen?
Das kommt darauf an, welcher „Glaubensrichtung“ man folgt. Im US-amerikanischen Raum versteht man unter „Thema“ etwas anderes als unter den Literaturwissenschaftlern des deutschsprachigen Raumes. Hier sind Thema und Motiv getrennt. Daher taugt das Thema allein nicht als Ersatz einer Prämisse (siehe – demnächst - Thema und Motiv).
Was kann eine Prämisse?
Der Autor hat die Absicht, etwas zu erzählen (zu lassen). Ziemlich am Anfang kennt er sehr wenige Details und vielleicht nur zwei oder drei Figuren seiner zukünftigen Geschichte. Aber er weiß genau, was er mit der Geschichte aufzeigen will. Er kennt den Anfang und das Ende. Die Prämisse hilft dem Erzähler, sich auf dem Weg zwischen Anfang und Schluss nicht zu verlaufen. Denn es geht immer, mit jedem Satz darum, die Aussage der Prämisse mithilfe der Geschichte zu beweisen.
So kann das Erzählte zu einer organischen Einheit werden. Die Geschichte wirkt schlüssig. Sie unterscheidet sich von den Anekdoten, die das reale Leben schreibt, dadurch, dass der Leser am Ende versteht, warum sich die Dinge so entwickelt haben. Das ist etwas, was der Leser in Geschichten sucht, weil er es im realen Leben allzu oft vermisst: die logische Erklärung für das Geschehene.
Wann ist es an der Zeit, sich über die Prämisse Gedanken zu machen?
Vielleicht macht es Spaß, sich zuerst eine total verrückte Prämisse auszudenken und dann zu versuchen, diese mittels einer Geschichte zu beweisen. Bestimmt hat es der eine oder andere schon getan. Hier geht es jedoch darum, eine Prämisse zu einer bereits im Kopf vorhandenen Roman-Idee zu finden.
Es ist nicht zwingend, die Prämisse noch vor dem ersten Satz oder Kapitel zu bilden. Man kann nur raten, nicht zu lange damit zu warten.
Nun geht’s ans Eingemachte
Wie finde ich die Prämisse zu meinem zukünftigen Roman?
Der Autor weiß zum Beispiel, dass ein „guter“ Samariter, mit beinahe krankhaftem Helfersyndrom, einem alten Mann hilft, seine Enkeltochter in einem fremden Land zu finden. Das kostet Geld, was den beiden schnell ausgeht. Inzwischen hat sich der junge Held in das Bild der Enkeltochter verliebt und geht immer höhere Risiken ein, sie zu finden. Am Ende findet der gute Samariter bei der Suche den Tod.
Diese Idee zu einer Story hat eine schöne Abwärtsspirale. Ihr konsequent zu folgen, wird dem Erzähler nicht leicht fallen. Es gibt hier zwei Aspekte, die beim ersten Hinsehen zu diesem tragischen Ende führen: die Hilfsbereitschaft eines jungen Mannes sowie seine Verliebtheit in eine Unbekannte.
Das kann leicht zu Unstimmigkeiten zwischen Autor (Ideengeber) und Erzähler (Gestalter der Geschichte) führen. Ein Erzähler verliebt sich fast zwangsläufig in seine Hauptfigur. Er möchte daher vielleicht eher eine romantisch tragische Liebesgeschichte erzählen. Der Autor hingegen hatte ursprünglich eine ganz andere Vorstellung. Er möchte eine Geschichte erzählt haben, die einen Helden mit beinahe krankhaftem Helfersyndrom gnadenlos in die Arme des Todes treibt.
Wie also, lautet die Prämisse?
„Liebe führt zum Tod“, sicherlich nicht. Für die Prämisse muss man den Anfang allen Übels benennen, und das ist hier ausnahmsweise mal nicht die Liebe.
Die Prämisse lautet: Bedingungslose Hilfsbereitschaft führt zum Tod.
Was mache ich nun damit?
Aufschreiben und gut sichtbar am Schreibplatz anbringen. Und dann wird der Erzähler die Story nach dieser Prämisse gestalten. Er wird die Verliebtheit des Helden bestenfalls als Booster für den Fortgang der Handlung nutzen. Die primäre Eigenschaft des Helden wird jederzeit seine Hilfsbereitschaft sein. Sie wird sein Handeln jederzeit bestimmen; sie wird sein Untergang sein. Und am Ende liegt eine schlüssige Geschichte vor.
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