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Die Rasur

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29.11.2014
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Die Rasur

„Was tun Sie denn da?“
„Ich rasiere mich“, entgegnete der Mann.
„So hören Sie doch auf damit, Sie tun sich ja weh.“
„Stören Sie mich bitte nicht, gnädiger Herr, mein Vorhaben ist von grosser Wichtigkeit.“
„Was soll denn dieser Unfug? Jetzt legen Sie die Klinge weg! Sie bringen sich ja noch um!“
Grosse Teile der Haut an den Wangen der Person hingen in grausigen Fetzen herunter. Das Hemd über der Brust war vom heruntersickernden Blut befleckt. Trotzdem hörte er nicht auf, sich zu rasieren. Im Gegenteil: Mit entschlossener Miene fuhr der Mann fort, sich mit der Rasierklinge kräftig die wunde Haut abzuschaben.
„Sehen Sie wie ernst und wichtig mir die Rasur ist? Man darf sie nicht vernachlässigen. Meinen Sie nicht? Die Haare müssen alle ab! Kein einziges Härchen darf übrig bleiben.“
„Aber es sind doch keine Haare mehr da, besinnen Sie sich doch, ich bitte Sie, sonst muss ich Ihnen das Messer wegnehmen!“
„Werter Herr, Haare können durchaus klein, ja geradezu winzig sein. Haben Sie das denn nicht gewusst? Man denkt, es sind keine mehr da, und doch steht ein einzelnes Haar trotzig da und macht die ganze Rasur zunichte. Besonders die hellen Haare sind mit dem blossen Auge nur sehr schwer zu erkennen. Man muss die Augen ganz schön zusammenkneifen um diese Schlingel zu sehen. Und das Schlimmste ist, dass sie ständig nachwachsen! Technisch gesehen sollte man also niemals, unter keinen Umständen mit der Rasur aufhören!“
Mit grossen Hieben stiess er sich die Rasierklinge in die Wangen. Er grinste sein Gegenüber an, als wollte er ihn provozieren. So als würde er auf etwas warten…
„Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Bei allem Respekt, was reden Sie für einen Unsinn.“
„Meinen Sie, dass ich Unsinn rede? Nun, vielleicht haben Sie recht... Das spielt jedoch keine Rolle, denn ich werde bald ein glattrasiertes und somit völlig haarloses Gesicht haben. Kein verfluchtes Haar, und sei es noch so winzig, wird mehr übrig sein... Stellen Sie sich das mal vor!“
Er deutete mit dem Rasiermesser auf seines Gesprächpartners Hände, so als hätte er im Sinn, ihm die Klinge zu geben.
„Sie gehören ins Irrenhaus, krank sind Sie, völlig krank!“, schrie sein Gegenüber entsetzt und wich panikartig einige Schritte zurück. Der Griff des Rasiermessers war von einer Blutkruste überzogen und es tropfte von der Klinge, welche schon lange stumpf geworden war, Blut zu Boden.
Da sprang ihm der Rasierende entgegen und beugte sich so weit vor, bis dem verängstigten Mann der metallene, beissende Geruch des Blutes in die Nase kroch.
„Ach, bin ich das? Sind Sie sich da sicher? Meines Erachtens handelt es sich hier um eine reine Ansichtssache“, raunte ihm der mittlerweile schwer verletzte Mann zu.
Jetzt streckte er ihm das Rasiermesser in der offenen Hand langsam entgegen, als wollte er es ihm als Geschenk überreichen. Der völlig bleich gewordene Mann machte noch einen weiteren Satz zurück. Da holte sein Gegenüber aus, bevor er sich mit dem Rasiermesser kurzerhand die Kehle durchschnitt. Röchelnd sank er zu Boden. Erst jetzt erwachte der angsterfüllte Mann aus seiner Starre und kniete sich zu dem Verletzten nieder. Dieser blickte ihn an und flüsterte: „Ruhig mehr Mut zur Tat, mein Herr. Die Welt gehört den Handelnden.“
Da stand der Andere auf und verliess den Sterbenden. Er machte sich auf den Heimweg, welchen er jedoch kurz unterbrach, um Rasierschaum zu kaufen.

 

Hallo AlexK,
solche Typen wie Deinen „Rasierer“ kenne ich viele. Leider, überall begegnet man denen. Da ist zum Beispiel einer, der mit der Motorsäge ununterbrochen Bäume umsägt, dann der, der dauernd mit Pflanzenvernichtungsmitteln im Garten spielt, die Frau, die ständig putzt, der Mann, der seine Frau schlägt, der Bürokrat, der nur noch Formulare ausgefüllt haben will, der Militarist, der in jede Ritze eine Bombe legt und dabei lacht … bis zu dem, der täglich am Krötenteich sitzt und alle Kröten mit Strohhalmen durch den After wie einen Luftballon aufbläst, damit sie nicht mehr tauchen können. Und all diese meinen, man müsste sie beachten, loben und vor allem nachmachen, genau so, wie bei Deinem Rasierer. Der Vorteil Deines Rasierers ist jedoch, dass er sich bald die Großhirnrinde abschürfen wird. Damit wäre die Menschheit von ihm erlöst. Der Pflanzenvernichter wird dagegen erst in 10 bis 20 Jahren in der Tumorklinik landen und seine Experimente mit Zytostatika fortsetzten. Und die anderen sollen das nachmachen, weil er der Wissende sei und das tun würde, was das Weltall bräuchte. Sicher sind diese Typen bei den Psychologen schon alle mit schwierigen Namen kategorisiert. Daher gibt es den Psychologen, der an jedem Verhaltensstörungen sucht und findet, und … … Ja, Dein Rasierer ist wirklich harmlos, fast schon normal in seiner Einfachheit.
Eine naheliegende Idee. Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Ich habe sie sehr gerne gelesen. Bau das bitte irgendwann noch weiter aus.
Viele Grüße
Fugu

 

Moin Alex,

die Kürze Deiner Geschichte und bereits 20 Antworten darauf machten Lust auf ein Lesevergnügen in der Mittagspause.
Leider bin ich von der „Rasur“ nicht angetan. Warum?
Struktur und Sprache sind okay, ich kriege allerdings immer einen Hals, wenn das Grundlegende und Offensichtliche nicht passt.
In diesem Fall das beharrliche Weiterschneiden Deines Opfers ins eigene Fleisch. Jeder, der sich schon mal einen kleinen Schnitt mit scharfem Werkzeug zugefügt hat (oder stundenlang in der Gewalt eines Irren verbracht hat) weiß, wie groß der Schmerz ist. Keiner, der sich so zurichtet, wird weiterschneiden und dabei noch logische Sätze bilden.
Allerhöchstens steht er unter Medikamenteneinfluss, oder er ist, in schönster Horror-Manier, komplett plemplem – dann gelingt ihm aber ein solcher Dialog nicht mehr.

Der ständige Hinweis gerade mal einigermaßen erträglich geschriebener Geschichten auf Kafka geht mir, wie einigen anderen auch, auf den Sack. Man sollte erst mit Kafka vergleichen, wenn es die Geschichte zulässt – hier nicht der Fall.
Zum Ton: Wie schon von anderen bekrittelt, sehr altmodisch, gestelzt. Funktioniert nur im Kontext, hier nicht gegeben.
„…bevor er sich mit dem Rasiermesser kurzerhand die Kehle durchschnitt…“ Viel zu abrupt und lieblos für eine Sterbeszene. Entweder hattest Du keine Lust oder keinen Mut, ihn richtig zu meucheln.
Aber bei aller Kritik: Schreiben kannst Du.

Wirklich eindrucksvolle Selbstverletzungsszenen übrigens derzeit im Kino, in „Homesman“ von der wunderbaren Sonja Richter zu sehen. Unbedingte Empfehlung!

Ciao und einen schönen Tag,
nastro.

 

Hey Alex,
Also ich finde auch gerade die Länge deiner Geschichte sehr gut! Denn kurz und knackig. Auf den Punkt gebracht was zu sagen ist, was sollen lange Worte in einer Sache, die schnelle geklärt werden kann! Ich würde auch sehr sehr gerne mehr von dir lesen, vll auch etwas ohne soviele konkrete wörtliche rede, die meiner Meinung nach das surreale in eine unpassend anmutende Umgebung werfen. Aber das, bleibt lediglich ein Wunsch von mir.

Beste Grüße
Jeremias

 

Hallo AlexK,

ich finde Deine Geschichte einfach genial. Gut geschrieben, lebendig und auch witzig. Und sie hat eine Botschaft, man muss natürlich ein bisschen zwischen den Zeilen lesen. Einfach Klasse.
Nur eine Frage hätte ich: Könnte einer, der sich mit dem Rasiermesser die Kehle durchgeschnitten hat, wirklich noch flüstern? Ich glaube aber, das spielt hier überhaupt keine Rolle, weil das, was er sagt, so viel Wahrheit enthält.

„Werter Herr, Haare können durchaus klein, ja geradezu winzig sein. Haben Sie das denn nicht gewusst? Man denkt, es sind keine mehr da, und doch steht ein einzelnes Haar trotzig da und macht die ganze Rasur zunichte. Besonders die hellen Haare sind mit dem blossen Auge nur sehr schwer zu erkennen. Man muss die Augen ganz schön zusammenkneifen um diese Schlingel zu sehen. Und das Schlimmste ist, dass sie ständig nachwachsen! Technisch gesehen sollte man also niemals, unter keinen Umständen mit der Rasur aufhören!“

Diesen Abschnitt finde ich großartig!

Sehr gern gelesen!

khnebel

 
Zuletzt bearbeitet:

Mein Eindruck ist, dass der Autor mit dieser Geschichte das Leben spüren will, er nimmt sich eines riskanten Vorhabens an, indem er unvermittelt Jemanden öffentlich und grausam meuchelt. Die Leser werden kein Vergnügen beim lesen haben und doch habe ich verständniss für den Autor, weil er so unkonventionell arbeitet, so unverschämt einen Menschen leiden lässt. Es zeugt schon von einer interessanten Person, das man so abstrakte und wahrschienlich absurde Vorstellungen vom Leben vertritt, in welchen man aufschreit um gehört zu werden oder wie ich persönlich erlebt habe oder immernoch erlebe (nicht ich, sondern eine Bekannte), mit Alpträumen zu kämpfen hat die dann verarbeitet werden (müssen).
Mich selbst erinnert es an meine eigenen Anfänge im Schreiben. Ich dachte damals wohl ich müsse irgendwie interessant Wirken, oder fand das Thema Tod und/oder Selbstverletzung interessant, sodass ich mir selbst ohne irgendwelche persönlichen Bezugspunkte das Thema erschloss. Es war wohl Ausdruck meiner damaligen Gefühlswelt, die im Erwachsenwerden mit Schmerz und Leid besetzt war.

 

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