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Die Stille im Maisfeld

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28.12.2009
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Die Stille im Maisfeld

Winfried Schell saß auf der Gartenmauer hinter dem Haus, die Beine im Gras ausgestreckt, in der Hand eine Tasse Kaffee. Auf dem Boden vor ihm lag die Motorsäge, die er am vergangenen Wochenende gekauft hatte. Über dem Schwert befand sich noch der Kettenschutz aus ölig glänzendem PVC. Er trank einen letzten Schluck aus der Tasse und stellte sie auf der Mauer ab. Der Verkäufer hatte ihm zum größeren, leistungsstärkeren Modell mit mehr PS geraten. Winfried nahm die Säge, hielt sie fest am Griff und zog am Anwerfseil - einmal, zweimal, danach sprang der Motor an.

Ein bereits gespaltenes Stück Meterholz lag vor ihm auf dem Bock. Er klappte den Gehörschutz fest und flach auf die Ohrmuscheln. Die Säge lag gut in der Hand, kaum Vibrationen, aber er ahnte die Kraft. Das Schwert senkte sich langsam ab, glitt durch die Rinde und folgte der Schwerkraft, arbeitete sich mühelos durch den Stamm. Er hielt inne, spürte, wie seine Muskeln warm, der Nacken schweißfeucht wurde. Das Sägen von Brennholz barg keine Geheimnisse: es war, was es war. Die Scheite fielen auf die Grasnarbe, immer gleich große Teile, danach das nächste Meterholz.

Er hielt den Blick stets auf das schmale, scharfe Blatt der Säge gerichtet, das trockene Knurren des Motors unter dem Gehörschutz dumpf und wie aus weiter Entfernung. Er arbeitete konzentriert und vorsichtig, Scheit für Scheit, machte nur Pausen, um das Holz in dem kleinen Verhau neben dem Blumenbeet zu stapeln. Als er den vorletzten Meter Holz auf den Bock legte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Gestalt vor dem Gartentor wahr. Er senkte die Säge ab und legte die Bremse ein. Der Postbote war schon durch. Er klappte den Gehörschutz hoch und wartete ab, bis die Person hinter dem großen Haselnussbaum auftauchte.

Ach, der Hajo …Mensch, machstn du hier, sag mal?
War in der Gegend und wollt einfach mal vorbeischauen.
Winfried schaltete die Säge ganz ab, stellte sie auf die Erde neben dem Bock und zog sich den Sicherheitshelm vom Kopf.
Haste dir ne neue Kettensäge zugelegt?
Ja, wollt mal wieder n bisschen Holz machen.
Der Winnie … fleißig, fleißig.
Und du? Was hat dich denn in die Pampa verschlagen? Er sah ihn an. Willste n Bier?
Nee, bißchen früh, wa?
Winfried zuckte mit der Schulter. Na ja. Kannst ja nicht immer nur Kaffee saufen.
Ist auch wieder wahr.
Ich hab Helles da, hat mir mein Schwager aus Bayern mitgebracht. Kellerkalt.
Lass mal, ich muss noch fahren.
Winfried nickte. Na, wenn das so ist.
Die Große von STIHL, oder?
Na ja, groß … ein bisschen mehr PS hat die. Gönnt sich ja sonst nichts.
Na sicher, sagte Hajo und lächelte.
Also … bist aber doch nich nur wegen bißchen plaudern gekommen, oder?
Nee …
Winfried räusperte sich. Willst mich nachher noch zurückholen?
Du weißt, wie es is, würd ich gerne, aber …
Schon gut. Er schüttelte den Kopf. Brauchen wir jetzt ja nicht drüber reden. Schnee von gestern. Hab auch schon alles weggegeben; Büchsen und Flinten, das ging alles an den Ulf, die Kurzwaffen auf eGun.
Aber den LADA hast du noch?
Du meinst den Niva?
Ja, genau, genau den … hier, Allrad, in Petrol.
Hab ich noch, ja.
Das ist n super Wagen, sagte Hajo Peters.
Isser.
Fährste damit hier innen Forst? Wegen Holz machen?
Ach wat, sagte Winfried. Ich hatt einfach noch n paar Raummeter rumliegen, die sind jetzt erst richtig trocken. Der Bernd hatte mir das damals aber nur gespalten, ich wollt die jetzt auf Scheit sägen.
Der Bernd Hollerbach vom Driesch?
Der auch die Motorsägenkurse gibt.
Kenn ich.
Brauch doch nix mehr an Holz, ich sitz hier draußen an der Feuerschale und trink mir n Bier und rauch n paar Zigaretten … das war’s.
Mitm Rauchen hab ich ja aufgehört.
Ach ja?
Mit so nem Medikament, das war hart am Anfang, aber dann, so nach zwei Monaten, da hats dann gewirkt, ich hatt echt kein Verlangen mehr, keine Schmacht - und ich hab echt gerne geraucht, gerne und viel.
Früher nie ohne, heute nie mit.
Sie lachten.
Seitdem gehts mir aber bedeutend besser, sagte Hajo Peters. Geh auch noch n bisschen joggen jetzt.
Joggen?
Ja, kleine Rentnerrunde um den Allner See, zwei, dreimal die Woche. Bisschen fit halten.
Verstehe.
Und du?
Ich? Ich rauch immer noch ne Schachtel pro Tag.
Änderst dich nicht mehr.
Nem alten Hund bringste keine neuen Tricks bei.
Hajo zeigte auf die STIHL. Stör ich dich, wo du grad deine neue Säge einweihen wolltest.
Ach, spielt keine Rolle. Hab doch Zeit ohne Ende.
Ja?
Kann mich nur nirgendwo mehr blicken lassen …
Komm, so schlimm kanns nu auch wieder nicht sein.
Nee? Winfried Schell hob die Augenbraue. Die haben mir vor nem Monat die Fensterscheibe eingeworfen - direkt hier, unten in der Küche das große Fenster … riesen Trumm, ist aufm Tisch gelandet. Zum Glück saß da keiner.
Ach du Scheiße! Das kann ich doch nicht wissen! Hamse die Schweine denn drangekriegt?
Drangekriegt! Natürlich nicht. Wie denn auch?
Haste denn die Polizei gerufen?
Klar, klar hab ich die gerufen … aber was wollen die da groß machen? Da sagt der zu mir: Ja, also, sie könnten ja schließlich nicht jeden Tag hier Streife fahren, denn man müsste die ja wenn auf frischer Tat ertappen, und außerdem wär ich doch versichert. Dann bau ich meine Wildkameras auf, sag ich, ich hab ja Dutzende, da nehm ich die mit auf, wenn die nochmal kommen … aber da sagt der, selbst wenn die dann da drauf sind, selbst wenn ich die erwisch, also inflagranti, dann könnte man das nachher vor Gericht nicht verwenden … da fällt einem doch nix mehr zu ein, oder?
Ich versteh das ja immer nicht, ich mein - das Ganze, das ändert doch jetzt auch nichts mehr, oder?
Winfried Schell schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann sagte er: Nein, nein, das ändert jetzt auch nichts mehr.
So eine Scheiße.
Kannste laut sagen.
Und Fenster haste ersetzt?
Sofort, denkste ich will hier wie die Hottentotten hausen? Aber auch nur Ärger mit der Versicherung, das sind alles Verbrecher sag ich dir, Politiker, Anwälte und Versicherungen, in der Reihenfolge.
Muss ja alles seine Richtigkeit haben, weißte doch.
Richtigkeit, Richtigkeit … da wollten die Kostenvoranschlag hier, und noch das Formular von der Polizei, und dann das noch und das auch noch, da hatt ich die Faxen nachher aber dicke. Na ja, jetzt isses erledigt.
Besser is.
Also, wenn kein Bier, kann ich dir denn was anderes anbieten - Kaffee, Limo?
Nee, alles gut.
Na dann …
Sag mal. wo isnen eigentlich die Monika?
Schwester, die is bei ihrer Schwester … die haben doch jetzt ein Welpen, seit kurzem erst, kleinen Münsterländer, genau wie unser Harras damals, deswegen ist die öfters da.
Ach so, ja dann … wie gehts ihr denn? Gehts ihr gut soweit?
Ja, ja. Kennst doch die Monika, die bringt nix aus der Fassung, die behält immer die Ruhe.
Und du?
Was ich?
Ja nen Hund. Ich meine, wo du jetzt so viel Zeit hast, wär das nix?
Nee, das is vorbei, will ich nicht mehr. Was soll ich auch mitm Hund? Kann ich ja nirgends hin … und immer nur so durch den Wald traben, nee, das ist was für Rentner.
Wasn das fürn Helles, was dein Schwager dir mitgebracht hat?
Aus Rosenheim. Willste jetzt doch eins.
Eins!
Eins ist keins, weißte doch.
Nee, wirklich nur eins.
Moment, ich geh grad holen.
Winfried Schell ging über den Rasen auf den gemauerten Bereich der Veranda, über die Treppe weiter in den Keller, wo es kühl und dunkel war.

Er drehte am Lichtschalter, ging an den Regalen vorbei, in denen noch Trophäen lagen, die seit Monaten darauf warteten, abgeschlagen und gebleicht zu werden. Die Getränkekisten lagerten unter dem kleinen Fenster. Er holte zwei Flaschen Bier aus dem Kasten, stellte sie in einen Eimer und ließ am Nebenhahn der Waschmaschine kaltes Wasser hinein. Hajo trank selten nur ein Bier, das wusste er. Dann nahm er noch zwei weitere Flaschen heraus, prüfte mit seinem Handrücken, ob sie kühl genug waren. Vorsorglich ließ er das Licht eingeschaltet. Auf der Treppe drehte er sich noch einmal um, übersah die Werkbank, auf der die große Geweihsäge sowie mehrere Behälter mit Wasserstoffperoxid standen. Er bekam sich wieder in die Hand und stieg die Treppe hinauf.

Hajo stand jetzt neben dem Sägebock, den Oberkörper über die Kettensäge gebeugt.
Wo haste die her, sagste?
Vom Endress, in Spich, Industriegebiet.
Ja, sagte Hajo. Da hab ich meine auch her, guter Laden, kriegste als Jäger glaub ich auch paar Prozente noch.
Winfried nickte. Meine alte Husqvarna, die war eigentlich noch in Ordnung, aber ich dacht mir, was Neues kann auch nicht schaden.
Ach, Flötzinger … Hajo zeigte auf die Bierflaschen in Winfrieds Hand. Kenn ich, Oberbayern, war ich früher öfters wandern, in den Alpen, ist super da, tolle Landschaft.
Schwager ist ja regelmäßig vor Ort, wegen der Arbeit, der ist in nem Logistikunternehmen tätig, ab und zu bringt der mir mal n Kasten mit. Kann man schon trinken.
Schaumermal, wie der Kaiser sagen würde.
Sie lachten.
Winfried öffnete die Flaschen mit der Feuerzeugkante. Die Kronkorken fielen in das kurz geschnittene Gras.
Lass einfach liegen, sagte er und reichte die Flasche weiter.
Sie stießen an und tranken.
Ja, geht gut, isn Zechbier.
Winfried hielt die Flasche gegen das Licht. Das Helle geht so oder so gut runter …
Und, sag mal, Hajo nahm einen kleinen Schluck und stellte die Flasche auf die Mauer, wie biste denn deinen Kram losgeworden, der Ulf macht doch an sich gute Preise, oder?
Ach, Preise … war ja nicht mehr viel, der Sauer Drilling, ne Bockbüchsflinte und die Mauser in .308, aber sagen wir so, war schon in Ordnung. Winfried zuckte mit der Schulter. Ging ja nicht ums Geld, das ich da noch möglichst viel Reibach mache, weißte? Ich wollt die einfach loswerden, war schwierig nachher, der Schrank stand ja im Arbeitszimmer, und da bin ich ja immer dran vorbei, gehste in die Küche, runter in den Keller, aufs Klo … immer kommste da dran vorbei und immer …
Verstehe … einfach ne Scheißsache.
Tja, machste nix, und dann war ich wirklich froh, dass alles weg war.
Fehlt’s dir denn?
Was meinste?
Na ja, also …
Das Jagen?
Hajo nickte.
Ich sags, wie es is: klar. Fehlt mir, Hajo, jeden Tag, jeden Tag denk ich drüber nach, ins Revier zu fahren, oder wie’s wär, jetzt ins Revier zu fahren, aber nee …
Klar, sagte Hajo, klar.
Dann tranken sie wieder aus ihren Flaschen.
Die Jule ist jetzt mit dabei, wo du’s gerade sagst. Im Revier, weißte?
Hatse ihren Schein doch noch gemacht?
War auch erstaunt, aber …
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Tja, könnte man so sagen.
Dann seid ihr jetzt ja wieder vollzählig, ist doch alles gut. Musst halt nur gucken, wie du das mit den Ansitzen machst, wenn du da mal einen versetzen willst … die Jule ist doch so zierlich. Aber fragste einfach den Ott, hier aus Puderbach 1, der hilft ja immer gerne.
Winnie, sagte Hajo. Das kann man ja nicht vergleichen, weißt du doch auch. Erstens ist die Jule meine Tochter, und zweitens … die hat ja noch gar keine Erfahrung, und du hattest fünfzig Jagdjahre.
Die hab ich immer noch, Hajo. Das ist nichts, was einfach so verschwindet, ganz egal, was passiert ist, das bleibt.
Klar, klar. Hast natürlich Recht. Ich mein ja nur, das …
Das was?
Nee, nix. Schon gut.
Sie tranken wieder aus ihren Flaschen, kleine Schlucke, den Blick auf die gegenüberliegende Mauer gerichtet.
Hajo, sagte Winfried dann und legte seine freie Hand auf das Meterholz, das noch in einem Stück auf dem Bock lag.
Was?
Winfried senkte die Flasche. Kommst doch nich den ganzen Weg hier raus wegen nix?
Ach ja … Hajo atmete aus, sein Oberkörper sank dabei leicht zusammen, dann richtete er sich wieder auf und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. Na ja, also ich dacht, wegen dem LADA, weißte?
Winfried nickte. Er nahm einen Schluck Bier, räusperte sich und antwortete: Für die Jule, nehm ich mal an?
Wär doch ne gute Lösung, ich mein … bevor der nachher nur rumsteht, Rost ansetzt, oder?
Jaja, schon nicht verkehrt gedacht, sagte Winfried. Er leckte sich über die Oberlippe.
Eben fürs Revier, wo die Jule jetzt demnächst dabei ist, da kam dann halt die Frage auf - wie hin, wie zurück, und wenn schon nen eigenen Wagen, ob neu oder nicht, und da musst ich an dich denken …
Ja, klar, aber ich weiß nicht, Hajo. Weißt doch, was ich meine?
Versteh schon … hängt ganz schön was dran, an dem LADA. Er trank den letzten Schluck Bier, hielt die leere Flasche zwischen den Fingern am Hals.
Ne ganze Menge hängt da dran … also.
Verstehe ich natürlich. Aber kannst ja trotzdem mal drüber nachdenken, oder? Ich mein, nachdenken kostet ja nix.
Ich denk drüber nach, ja? Sag dir Bescheid, lass mir n bißchen Zeit. Winfried zeigte auf die leere Flasche. Willst noch eins?
Nee, danke, echt, aber das Eine reicht, wirklich, is nett von dir aber … muss noch fahren! Nachher stehen die irgendwo und ziehen mich raus, und dann … geht so schnell heute, is der Lappen weg, und das kann ich nicht gebrauchen.
Klar, klar.
Winfried trank seine Flasche leer. Na ja, also biste nur deswegen hier raus gekommen, wegen dem LADA?
Nich nur wegen dem LADA …
Winfried lächelte mit zusammengekniffenen Lippen. Nee, nicht nur, aber eigentlich schon, oder? Oder nicht?
Na ja, so isses ja auch nich.
Mein Vater sagte immer, versuch nichts zu kaufen, was nicht zum Verkauf steht. Winfried lachte trocken. War so einer seiner Regeln.
Regeln, wiederholte Hajo Peters und schüttelte den Kopf. Ich weiß ja nich … ist so ne Sache mit den Regeln.
Winfried stellte die leere Flasche auf die Mauer und bedeutete Hajo mit einer Handbewegung, ihm seine ebenfalls zu reichen. Bring ich gleich runter innen Keller, stehen die hier nicht so rum. Komm, ich bring dich noch zum Tor.
Hajo nickte. Aber denk mal drüber nach, ja?
Winfried nahm die Flaschen in eine Hand. Ja, Hajo. Wie gesagt …
Und lass dich doch wenigstens mal wieder beim Stammtisch blicken, ist immer noch im Alpenhäuschen, jeden ersten Dienstag im Monat, alles wie gehabt.
Und was soll ich da? Rumsitzen und mir einen lümmeln?
Mensch, Winfried, komm.
Ich guck, Hajo, ich guck.
Mach das, und danke fürs Bier.
Winfried Schell schloss die Fahrertür und lehnte sich im Sitz zurück, das kalte Plastik der Nackenstütze ließ ihn kurz erschaudern. Er hatte den Wagen schon seit Monaten nicht mehr benutzt, es sogar vermieden, ihn anzusehen. Deswegen stand der LADA ganz hinten im Carport. Durch die Windschutzscheibe konnte er auf das brachliegende Feld gegenüber der Straße blicken. Vor ein paar Tagen hatte er dort zwei junge Füchse beim Spielen beobachtet. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen ersten Zug. Im Fond vor dem Beifahrersitz lag noch der ausgeleierte Gehörschutz vom DJV. Er beugte sich über die Mittelkonsole, hob ihn vom Boden auf und klemmte ihn sich über den Oberschenkel.

Der Junge war siebzehn Jahre alt gewesen und hatte die vorschriftsmäßige neonfarbene Warnweste getragen. Der Mais stand über zwei Meter hoch. Winfried hatte die Bewegung gesehen, die Geräusche gehört. Damals war er sicher gewesen. Doch wenn er jetzt versuchte, sich an diesen Tag, an den Moment zu erinnern, war da nichts, nur ausgegraute Zeit, eine Nicht-Erinnerung. Es war, als hätte nicht er selbst abgedrückt, sondern jemand anderes. Jemand, den er nicht kannte und auch nicht kennen wollte.

Er legte seine Hände auf das Lenkrad, umfasste den Kranz, der sich fremd anfühlte, ungewohnt hart und neu, als sei es kaum benutzt worden. Dann kurbelte er die Seitenscheibe herunter, zog an der Zigarette und sah dem entweichenden Rauch hinterher. An diesem Tag, an den er sich nicht mehr erinnern konnte oder wollte, hatte er sich in diesen LADA gesetzt und war darin nach Hause gefahren, die bis heute letzte Fahrt. Polizisten fanden ihn in der Küche sitzend, den geladenen Revolver vor sich auf dem Tisch. Die Waffe gegen sich selbst zu richten, hatte er nicht fertiggebracht. Etwas hatte ihn zurückgehalten, ein letzter, verzweifelter Lebenswille, die Möglichkeit der Sühne oder die Hoffnung auf Gnade … er konnte es nicht benennen.

Er zog ein letztes Mal an der Zigarette und atmete den Rauch langsam aus. In dem LADA war es jetzt genauso still wie damals auf dem Maisfeld, nachdem der Schuss gebrochen war. Kein Wind, kein Rascheln, kein Lachen.

 

Lieber @jimmysalaryman,

jo und deine neueste Version gefällt mir noch besser.
Wobei und das ist immer ein wenig schwierig, ich mich immer wieder dabei ertappe, dass ich mich frage: "hm...stand das so schon in der letzten Version? Oder ist das hier jetzt umformuliert?" Meist erinnere ich mich nur exakt an diejenigen Storybestandteile, zu denen ich mich auch im Detail geäußert habe.
Die Kellerszene ist neu, nicht wahr? Und natürlich hast du den Dialog geschärft, die Sache mit dem Helm ist klarer.

Hier also meine derzeitigen Punkte, die mir auffielen:

Er arbeitete konzentriert und vorsichtig, S
Würde vorsichtig streichen, weil in der Konzentration bereits enthalten.
War in der Gegend und wollt einfach mal vorbeischauen.
Da ich ja die Story schon kenne, weiß ich, dass er hier lügt.
Du meinst den Niva?
Ist echt nur winziges Dingelchen, aber wie wär es noch kürzer? Einfach nur: "Den Niva?"
Kann mich nur nirgendwo mehr blicken lassen …
Anstelle von nur würde ich "leider" wählen. Das passt für mich viel besser. Aber wahrscheinlich und darauf bin ich jetzt schon gespannt, hast du dir bei "nur" mehr als nur einen Gedanken dazu gemacht.
Er bekam sich wieder in die Hand und stieg die Treppe hinauf.
Hier erhöhst du die Spannung, weil man nicht weiß, was ihn da triggert im Keller bzw. wieso es ihn triggert. Finde ich gar nicht schlecht, dieser leichte Hinweis.
Ich sags, wie es is: klar. Fehlt mir, Hajo, jeden Tag, jeden Tag denk ich drüber nach, in
Hier musste ich zweimal lesen, wer was gesagt hat. Klarer wäre es so: Ich sags dir Hajo, wie es is: klar, fehlt mir, jeden Tag. Jeden Tag denk ich drüber nach ...
Also das ist ja wirklich das Allerletzte!
Nein, das ist zu heftig, weil zu schnell. So reagiert ein Choleriker. Bislang hat er aber nur Süssholz geraspelt, sich also noch nicht als Choleriker geoutet und ist es wahrscheinlich auch nicht. Ich würde mindestens zwei Sätze lang eine Art Überleitung zum sog. "Dichtmachen und Weggehen" schreiben. So in der Art, dass er sich mit Druck zwar, aber doch mit Zweifeln bei Winnie versichert, dass der tatsächlich eben grad übersetzt nein gesagt hat. So nach dem Motto" das meinste wirklich ernst jetzt?" oder "ehrlich jetzt? ", du wirst garantiert deine eignen Worte dafür finden. Mir ist Hajo viel zu unvermittelt eingeschnappt. Der braucht wenigstens zwei Sätze mehr, bevor er so radikal dicht macht.
nur ausgegraute Zeit, eine Nicht-Erinnerung.
ausgegraut: wunderbare Formulierung
Es war, als hätte nicht er selbst abgedrückt, sondern jemand anderes, jemand, den er nicht kannte und auch nicht kennen wollte.
Klasse beschrieben!
Die Waffe gegen sich selbst zu richten, hatte er nicht fertiggebracht. Etwas hatte ihn zurückgehalten, ein letzter, verzweifelter Lebenswille, die Möglichkeit der Sühne, die Hoffnung auf Gnade …
Das ist jetzt etwas ungewohnt narrativ für diese Geschichte. Wie wär es dann anders: Die Waffe gegen sich selbst zu richten, das hatte er noch fertiggebracht. Aber etwas hatte ihn zurückgehalten. Er wusste selbst nicht, ob ein letzter, verzweifelter Lebenswille, die Möglichkeit der Sühne, die Hoffnung auf Gnade ...


Vielleicht ist für dich was dabei, was du ändern magst. Aber auf jeden Fall ist die Geschichte noch eine deutliche Ecke klarer geworden.


Lieben Gruß

lakita

 

Moin, @lakita und @Henry K.

danke für eure Rückmeldungen. Ich antworte nur schnell, bin auf dem Weg nach HH, Tyler Childers Konzert. Nur kurz: ich denke, ich nehme die Eskalation komplett raus, die gehen einfach auseinander und Winnie überlegt sich den Deal, und DANN erfährt der Leser, was es mit dem Wagen auf sich hat. Da braucht es dieses Drama gar nicht, denke ich.

Gruss, Jimmy

 

Moin @jimmysalaryman ,

Nur kurz: ich denke, ich nehme die Eskalation komplett raus, die gehen einfach auseinander und Winnie überlegt sich den Deal, und DANN erfährt der Leser, was es mit dem Wagen auf sich hat. Da braucht es dieses Drama gar nicht, denke ich.
Wehe dir! Die Geschichte ist doch an dieser Stelle klasse!
Regeln, wiederholte Hajo Peters und schüttelte den Kopf. Ist das jetzt dein Ernst? Grade du kommst mir mit Regeln, Winnie? Also das ist ja wirklich das Allerletzte! Ich denk, ich komm hier raus, ich denk, ich tu dir nen Gefallen, und dann kommt sowas? Nee, komm, lass mal gut sein, hat sich schon erledigt, danke fürs Bier, aber ich hau wieder ab. Gibts ja nicht. Dann stellte er die Flasche wieder auf die Mauer, drehte sich um und ging, ohne das Gartentor zu schließen.
Gegenformulierungsvorschlag:

Regeln, wiederholte Hajo Peters und schüttelte den Kopf. Ist das jetzt dein Ernst? Grade du kommst mir mit Regeln, Winnie? Also das ist ja wirklich ... Ich denk, ich komm hier raus, ich denk, ich tu dir nen Gefallen, und dann kommt sowas? Den Niva brauchst du doch gar nicht mehr. Machst du das jetzt extra? Gibts ja nicht. Nee, komm, lass mal gut sein, hat sich schon erledigt, danke fürs Bier, aber ich hau wieder ab.


Lieben Gruß

lakita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jimmy,
auch eine Geschichte um das Thema Schuld. Wieder ist ein Junge gestorben. Der Winfried ist ein Täter aus Fahrlässigkeit und da ist niemand so richtig vor gefeit, auch mit dem Auto könnte man aus Unachtsamkeit viel anrichten. Insofern hat so jemand mein Mitgefühl und ich denke mit Schrecken daran, wie schnell so etwas gehen kann. Trotzdem hat Winfried, wie ich ihn in diesem Dialog empfinde, etwas Verstörendes. Er hat einen Jungen erschossen und sich selbst damit aus seinem Jägerleben katapultiert. In dem Dialog spüre ich ausschließlich das Leiden an dem Letzteren, den Verlust des Jagens und der Gemeinschaft, die ihn jetzt in dieser Situation nicht unterstützt, sondern ihn ausstößt und schnell die Reihen wieder schließt. Zumindest in dieser Situation erlebt man noch gar keine Auseinandersetzung mit der Schuld und das hat vielleicht auch seine Gründe. Das Zusammentreffen mit Hajo hat was sehr Bitteres, Enttäuschendes.

Winfried räusperte sich. Willst mich nachher noch zurückholen?
Du weißt, wie es is, würd ich gerne, aber …
Hier das finde ich einerseits irgendwie herzzerreißend, denn seine Tat hat ihn aus dieser Jägergemeinschaft ausgestoßen, die ihm ein wichtiger Lebensinhalt war. Und gerade mit so einer Schuld bräuchte man umso mehr den Beistand der anderen, die offenbar auch auf andere Weise nicht erfolgt. Und dieser kleine Versuch, die ihm auch gleich die Abfuhr einbringt, ist eine heftige Stelle in dem Text. Einerseits ist er von Anfang an misstrauisch und rechnet damit, dass der Hajo was von ihm will, also er ist nicht naiv, er kennt seine Leute und er wäre vermutlich auch nicht anders. Umso mehr berührt diese irrationale, fast schon kindliche Hoffnung.
Für mich ist es jedoch nach so einem Unfall unvorstellbar, dass jemand überhaupt noch einmal eine Waffe in die Hand nehmen will und da finde ich ihn als Figur auch interessant, spüre bei ihm doch mehr Selbstmitleid als Schuldgefühl.
Beim ersten Lesen erzeugt diese Stelle hier übrigens gut Spannung, was wohl passiert ist.
Sag mal. wo isnen eigentlich die Monika?
Schwester, die is bei ihrer Schwester … die haben doch jetzt ein Welpen, seit kurzem erst, kleinen Münsterländer, genau wie unser Harras damals, deswegen ist die öfters da.
Ach so, ja dann … wie gehts ihr denn? Gehts ihr gut soweit?
Ja, ja. Kennst doch die Monika, die bringt nix aus der Fassung, die behält immer die Ruhe.
Ich vermute, hier macht er sich etwas vor. Möglicherweise herrscht da auch eine gewisse Sprachlosigkeit zwischen ihm und seiner Frau. Der Hajo will es aber auch lieber nicht so genau wissen, denke ich und vielleicht spürt Winfried das auch.
Wasn das fürn Helles, was dein Schwager dir mitgebracht hat?
Aus Rosenheim. Willste jetzt doch eins.
Eins!
Eins ist keins, weißte doch.
Nee, wirklich nur eins.
Das ist auch anders als in der letzten Version. Da fand ich es irgendwie auch hart, dass Hajo nichts trinken wollte, da war noch mehr dieses: "Ich bin nicht so wie du. Ich trinke nicht mehr, ich rauche nicht mehr, ich gehe joggen." Irgendwie als hätte Winfrieds Unglück bei allen gute Vorsätze ausgelöst und man will sich weit von ihm entfernen.
In dieser Version lässt er sich doch hinreißen. Oder ist das evtl. Berechnung?
Eine Frage wäre für mich auch, ob der Alkoholkonsum auf Dauer nicht auch was mit der Tauglichkeit beim Jagen macht. Immerhin hat er ja eine gravierende Fehlentscheidung getroffen, war leichtsinnig und hat sich überschätzt. So ein schwerer Fehler macht ja auch normalerweise demütig, wenn man da die Verantwortung übernimmt. Davon spüre ich bei ihm noch nichts oder in dieser Situation, mit dem Hajo jedenfalls nichts.
Ging ja nicht ums Geld, das ich da noch möglichst viel Reibach mache, weißte? Ich wollt die einfach loswerden, war schwierig nachher, der Schrank stand ja im Arbeitszimmer, und da bin ich ja immer dran vorbei, gehste in die Küche, runter in den Keller, aufs Klo … immer kommste da dran vorbei und immer …
Verstehe … einfach ne Scheißsache.
Ich dachte erst, er kann die Gewehre nicht mehr sehen, weil sie ihn an die Tat erinnern, also aus einem Schuldgefühl heraus. Oder geht es doch eher darum, dass er nicht mehr jagen darf? Vielleicht um beides.
Winnie, sagte Hajo. Das kann man ja nicht vergleichen, weißt du doch auch. Erstens ist die Jule meine Tochter, und zweitens … die hat ja noch gar keine Erfahrung, und du hattest fünfzig Jagdjahre.
Die hab ich immer noch, Hajo. Das ist nichts, was einfach so verschwindet, ganz egal, was passiert ist, das bleibt.
Er spricht von ihm schon fast wie von einem Verstorbenen und Winfried reagiert da sehr empfindlich drauf. Ich vermute, er hatte auch eine respektable Rolle in dem Verein.
Deswegen biste also hier raus gekommen, wegen dem LADA?
Naja, nich nur wegen dem LADA …
Winfried lächelte mit zusammengekniffenen Lippen. Nee, nicht nur, aber eigentlich schon, oder? Oder nicht?
Na ja, so isses ja auch nich.
Versuch nichts zu kaufen, was nicht zum Verkauf steht, sagte Winfried dann. Gibt ein paar Regeln, an die ich mich mein Leben lang gehalten hab.
Regeln, wiederholte Hajo Peters und schüttelte den Kopf. Ist das jetzt dein Ernst? Grade du kommst mir mit Regeln, Winnie?
Tolle Stelle. (Sehe gerade, dass du die streichen willst? Ich bin dagegen.) Winfried fühlt sich ertappt und beißt dann zu. Dieser Unfall muss bei allen extrem viel ausgelöst haben, auch bei den anderen Jägern, auch Wut auf Winfried, Trauer um den Jungen und seine Familie, Entsetzen. Aber es wirkt so, als sei alles Praktische schnell geregelt worden und mit dem Ausschluss aus dem Verein versuchen alle, dass jetzt schnell zu vergessen, vielleicht noch was abzustauben. Irgendwie hat das auch so eine Strategie wie nach dem 2. Weltkrieg, nicht mehr mit beschäftigen, weitermachen, nach vorne gucken, sich schlecht behandelt fühlen, aber auch niemanden mit dem eigenen Kram belasten. (Wahrscheinlich überinterpretiert). Heute würde man auch denken, so jemand muss sofort in Therapie um das zu verarbeiten. Ist vielleicht in der Jägerszene noch nicht so.
Etwas hatte ihn zurückgehalten, ein letzter, verzweifelter Lebenswille, die Möglichkeit der Sühne, die Hoffnung auf Gnade … er konnte es nicht benennen, es war eine Art Instinkt gewesen.
Das ist jetzt sehr auserklärt. Darauf könnte ich wiederum verzichten.
Und du? Was hat dich denn in die Pampa verschlagen? Er sah ihn an. Willste n Bier?
Nee, bißchen früh, wa?
Insgesamt glaube ich, Anführungszeichen würden zu der Art der Geschichte passen. Vielleicht, weil die so erdig ist und sonst ja ganz klassisch erzählt, da denke ich mir, wieso auf einmal son neumodischer Kram. :D Das oben ist aber die einzige Stelle, wo ich wirklich kurz gehakt bin, weil ich erst dachte, er korrigiert sich selbst.
Ach, spielt keine Rolle. Hab doch Zeit ohne Ende.
Ja?
Kann mich nur nirgendwo mehr blicken lassen …
Komm, so schlimm kanns nu auch wieder nicht sein.
So zarte Versuche was anzusprechen, wimmelt der Hajo aber auch ab.
Ich versteh das ja immer nicht, ich mein - das Ganze, das ändert doch jetzt auch nichts mehr, oder?
Die Steineschmeißer haben aber schon was mit dem Unfall zu tun, oder? Also Jagdgegner, die sich jetzt noch bestätigt fühlen, oder so?
Es war, als hätte nicht er selbst abgedrückt, sondern jemand anderes, jemand, den er nicht kannte und auch nicht kennen wollte.
Das ist wahrscheinlich der Punkt. Aber das ist jetzt schon sehr reflektiert, auserklärt. Ist mir auch eher zuviel.
Er zog ein letztes Mal an der Zigarette und atmete den Rauch langsam aus. In dem LADA wurde es jetzt genauso still wie damals auf dem Maisfeld, nachdem der Schuss gebrochen war. Kein Wind, kein Rascheln, kein Lachen.
Den Schlusssatz finde ich übrigens großartig.

Ich bin gespannt, was du mit der Geschichte noch machst.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hey @jimmysalaryman

Ich hab den Fehler gemacht, zunächst in einen Kommentar reinzuklicken und mir dabei das Lesevergnügen zur Sau gemacht. Ich mache mal einfach das Beste draus und schreibe dir, dass der Text auch recht gut funktioniert, wenn man bereits weiss, wie er endet, bzw. was der reale Hintergrund ist. Mein Fokus lag dann eher auf der Frage: Wie spricht man über so eine Sache, welche Worte wählt man, welche Umwege, um nicht aussprechen zu müssen, was geschehen ist? Also war es dann doch auch ein Vergnügen, ich denke, das ist - auch in der Länge - gut gelöst. Ich weiss nicht, ich hätte mir allenfalls die längeren Dialogpassagen durch noch etwas Beschreibung, etwas minimale Handlung unterbrochen gewünscht, noch etwas mehr die bedrückende Stimmung aufgenommen, und zwar nicht nur über das Gesprochene. Ich habe den Text aber auch so gerne gelesen.
Wenn ich mich nun in den unwissenden Leser hineinversetze, denke ich, dass die Hinweise gut platziert sind, sodass sich die Fragen an den richtigen Stellen auftun. Von der Strukur her ein Rätselplot, der sich mäandernd und zögerlich entfaltet, was dem Inhalt absolut angemessen ist.
Unterwegs ist mir nur wenig aufgefallen:

Er hielt inne, spürte wie seine Muskeln warm, der Nacken schweißfeucht wurde.
Komma nach spürte
Er senkte die Säge ab und legte die Bremse ein. Er erwartete keinen Besucher, der Postbote war auch schon durch. Er klappte den Gehörschutz hoch und wartete ab, bis die Person hinter dem großen Haselnussbaum auftauchte.
Bewusst drei mal "er"? Gefällt mir hier nicht so.
Seit dem gehts mir aber bedeutend besser
Seitdem
denn man müsste die ja wenn auf frischer Tat ertappen
das wenn muss weg
ob seine Sinne ihn betrogen hatten.
Geht wohl schon, ist aber ungewöhnlich, finde ich. Normalerweise sagt man ja, dass die Sinne trügen. Also "getrogen". Aber wenn ich das so schreibe, merke ich, dass das im Perfekt auch ziemlich ungewöhnlich klingt. Schau selbst!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Und irgendwie scheint es mir fast plausibler, dass so eine nette Geste Winnie dazu bringt, sich (noch einmal) grundsätzlich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Moin,

ich habe den Text nochmals umgeschrieben, ist jetzt was blöde mit den Kommentaren, die sich überschneiden. Aber ja, ich muss mich da manchmal zurücknehmen, weil es nicht immer die totale Zuspitzung braucht, da muss nicht noch mehr Schwere drauf, das reicht. Ist in der neuen Version besser eingefangen, hoffe ich.

Trotzdem hat Winfried, wie ich ihn in diesem Dialog empfinde, etwas Verstörendes. Er hat einen Jungen erschossen und sich selbst damit aus seinem Jägerleben katapultiert. In dem Dialog spüre ich ausschließlich das Leiden an dem Letzteren, den Verlust des Jagens und der Gemeinschaft, die ihn jetzt in dieser Situation nicht unterstützt, sondern ihn ausstößt und schnell die Reihen wieder schließt.
Hallo Chutney und danke dir für Zeit und Kommentar.

Du sagst etwas Wahres. Die Geschichte ist so angelegt, dass der eigentliche Kern ganz am Ende offenbart wird, das Objekt, das Geheimnis. Ich glaube, würde er jetzt schon während des Dialogs oder überhaupt reflektieren über Schuld und Verantwortung, dann wäre das prinzipiell eine andere Geschichte, mit einem anderen Schwerpunkt. Vielleicht müsste ich da sogar wirklich noch mal nacharbeiten. Hat sich ja jetzt schon verlagert, vom offenen Konflikt zu einem sich anbahnenden, jetzt habe ich es so gemacht, dass sie fast freundschaftlich auseinandergehen. Das Auto ist nicht mehr der Zündfunke, sondern ein Symbol der Vergangenheit. Könnte man jetzt argumentieren, dass die letzten Absätze so ein easy way out sind, was irgendwo auch stimmt, ich habe aber momentan keine besser Lösung.

Für mich ist es jedoch nach so einem Unfall unvorstellbar, dass jemand überhaupt noch einmal eine Waffe in die Hand nehmen will und da finde ich ihn als Figur auch interessant, spüre bei ihm doch mehr Selbstmitleid als Schuldgefühl.
Das ist sehr richtig, ich weiß auch nicht, was in einem vorgeht, aber ich habe beides erlebt bei Betroffenen, das Zurückweisen von Verantwortung - das kann immer passieren - bis eben zum akuten und sofortigen Suizid. Ich glaube, es ist wohl beides hier in dem Text, er weiß, dass er Schuld hat, aber er hat sich dadurch natürlich auch seine weitere Jagdpassion versaut, für immer.
Ich dachte erst, er kann die Gewehre nicht mehr sehen, weil sie ihn an die Tat erinnern, also aus einem Schuldgefühl heraus. Oder geht es doch eher darum, dass er nicht mehr jagen darf? Vielleicht um beides.
Ich denke eher, Schuld. Die Waffe, die einen Menschen getötet hat, oder mit der man einen Menschen getötet hat, die will man wahrscheinlich nicht mehr ansehen oder im Besitz haben. Deswegen sagt er ja auch, der Preis war ihm egal.

Irgendwie hat das auch so eine Strategie wie nach dem 2. Weltkrieg, nicht mehr mit beschäftigen, weitermachen, nach vorne gucken, sich schlecht behandelt fühlen, aber auch niemanden mit dem eigenen Kram belasten.
Das ist gut gelesen. Ich denke, das ist menschlich. Man rationalisiert das, drückt das auch weg, weil man im Grunde weiß: das kann mir auch passieren. Trotz 50 Jagdjahren kann das einem passieren, selbst einem sehr erfahrenen Jäger. Nach dem WW2 war ja auch kein Deutscher mehr Nazi, weil man nicht mit den Verbrechen in Verbindung gebracht werden wollte und auch weil man sah, das wird bestraft, man kommt nicht so einfach davon.
Eine Frage wäre für mich auch, ob der Alkoholkonsum auf Dauer nicht auch was mit der Tauglichkeit beim Jagen macht. Immerhin hat er ja eine gravierende Fehlentscheidung getroffen, war leichtsinnig und hat sich überschätzt.
Das weiß man nicht und erfährt man nicht, das kann aber natürlich alles sein. Ich bin schon von Jagden wieder nachhause gefahren, weil der Typ vom Stand gegenüber eine totale Fahne hatte; nein danke. Ist eine implizite Sache, wird aber nie ausdrücklich erwähnt, aber du liest es ja mit.

Die Steineschmeißer haben aber schon was mit dem Unfall zu tun, oder? Also Jagdgegner, die sich jetzt noch bestätigt fühlen, oder so?
Ganz genau. Mir haben sie ja auch schon das Auto zerkratzt, was natürlich eine sehr erwachsene Form der Diskussonskultur darstellt.

Das ist jetzt sehr auserklärt. Darauf könnte ich wiederum verzichten.
Ich musste da jetzt etwas narrativer werden, was ja sonst nicht so meine Art ist. Seltsamerweise denke ich, hat die Geschichte gegen Ende, in den letzten Absätzen, so eine Art Epilog-Charakter, und da finde ich passt das ganz gut. Mal sehen, was andere noch sagen, inwieweit man den Winfried auch erklären muss, um deutlich genug zu bleiben.
Das ist wahrscheinlich der Punkt. Aber das ist jetzt schon sehr reflektiert, auserklärt. Ist mir auch eher zuviel.
Zählt das hier wohl auch zu, also alles in Bewegung.

Den Schlusssatz finde ich übrigens großartig.
Danke dir!

Ja, sehr guter Kommentar, da nehme ich einiges mit, denke nach, überlege und werde das in der neuen Version versuchen, zu verarbeiten. Danke dafür.

Gruss, Jimmy

 

Ich hab den Fehler gemacht, zunächst in einen Kommentar reinzuklicken und mir dabei das Lesevergnügen zur Sau gemacht. I

Moin Peter,

hahaha, ja passt.

Mein Fokus lag dann eher auf der Frage: Wie spricht man über so eine Sache, welche Worte wählt man, welche Umwege, um nicht aussprechen zu müssen, was geschehen ist?
Das ist ja so das Hauptaugenmerk von den Texten, an denen ich zur Zeit arbeite, die sind vor allem oral, möglichst niederschwellig, aber auch das Eigentliche versteckend, so wie man das eben oft macht im Gespräch.
Ich weiss nicht, ich hätte mir allenfalls die längeren Dialogpassagen durch noch etwas Beschreibung, etwas minimale Handlung unterbrochen gewünscht, noch etwas mehr die bedrückende Stimmung aufgenommen, und zwar nicht nur über das Gesprochene.
Jau, ich weiß, was du meinst. Ich arbeite noch dran, habe jetzt erstmal die neue Version hochgeladen, mal schauen, ich finde sie besser, runder, nicht so fatalistisch auf den Konflikt hinzugeschrieben.
Wenn ich mich nun in den unwissenden Leser hineinversetze, denke ich, dass die Hinweise gut platziert sind, sodass sich die Fragen an den richtigen Stellen auftun. Von der Strukur her ein Rätselplot, der sich mäandernd und zögerlich entfaltet, was dem Inhalt absolut angemessen ist.
Ja, so sollte es sein. Ich frage mich ja immer, wie lange der Leser mitgeht, ohne das er abspringt bei so einem Ping Pong, also wieviel reveal so ein Text braucht, und wie lange sich das erstrecken darf. Wie lange kann man erwarten, dass der Leser sich so ein Rätsel selbst löst, wieviel Transfer? Persönlich lese ich so etwas ja sehr gerne, es muss auch nicht immer zu einem großen Bruch oder einem Konflikt kommen, mir reicht oft auch eine gute Atmosphäre, in vielen solchen Texten ist oft so ein verstörendes Gefühl, weil diese Texte, wenn sie gut gemacht sind, ranzoomen und die Trostlosigkeit oder auch platte Wahrhaftigkeit entblößen.

Die Rechtschreibfehler hab ich ausgebessert!

Danke dir für Zeit und Kommentar, Peter.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

scheinbar sind Dein Thema frustrierte Männer mittleren Alters, die nach außen hin sozial eingepasst sind, aber mit dem bundesdeutsche Way of Life nicht richtig klarkommen und an unerfüllten sexuellen Sehnsüchten leiden, trotzdem sie gebunden sind. Ich habe mir einen Erzählband von Dir bei amazon runtergeladen, und dort geht es auch um solche Männer.

Die Geschichte hier erinnert mich an einen Fall, von dem ich vor einiger Zeit las. 1992 wurden zwei Rumänen, waren wohl Sinti oder Roma, von Jägern in Mecklenburg/Vorpommern erschossen. Sie waren nachts mit einer großen Gruppe in einem Wintergerstefeld in der Nähe der polnischen Grenze unterwegs. Nach diesem Unfall ließen die drei erfahrenen Jäger die Verletzten auf dem Feld liegen und fuhren einfach davon. Erst am nächsten Tag wurden die Körper der Erschossenen von Landarbeitern gefunden.

Welcher Jäger, dem aus Versehen jemand vor die Flinte gelaufen ist, was leider öfter vorkommt, läuft denn davon, und holt nicht sofort Hilfe. Sowas gehört doch in jede Prüfung für die Jagdlizenz. Aber davon abgesehen, wie konnten sie Mitleid und Menschlichkeit so verdrängen? Haben sie etwa die Roma für unwertes Leben gehalten?

Es gab eine jahrelange Untersuchung, die verschleppt wurde, Beweismittel verschwanden und am Ende wurden die Jäger freigesprochen, von dem Gericht in Stralsund, obwohl eindeutig unterlassene Hilfeleistung vorlag. Manche sehen sogar einen Vorsatz in den Schüssen.

In der Gegend, meine Heimatregion, herrschte wohl zu der Zeit ziemlich Progromstimmung. Sogar das Grab der Mutter eines der Getöteten wurde verwüstet. Die Gegend, aus der ich stamme, ist sehr konservativ. Vielleicht hießen etliche die Verhaltensweise der Jäger für gut.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind immer Männer aus unserem Dorf dabei beobachtete, wie sie mit ihrem grünem Jacket, Kickerbockern und Schaftstielen, neben sich den Hund, alleine in Richtung dunkler Wald marschierten. Natürlich hatten sie auch eine Knarre dabei. Das fand ich immer unheimlich. Der Vater von meinem Kindheitsfreund war auch Jäger, und es gab ständig Leber.

Gruß Frieda

 

Hallo @jimmysalaryman,
@Frieda Kreuz ,

und an unerfüllten sexuellen Sehnsüchten leiden,
Woran in diesem ! Text willst du das festmachen?

Ich habe zu keinem Zeitpunkt den Eindruck gehabt, dass der Protagonist an unerfüllten sexuellen Sehnsüchten leidet. Sondern sein Fokus war mehr oder weniger die Frage, inwieweit er wieder der Gemeinschaft (der Jäger) zugehören kann, wohl wissend, dass nach dem Unfall er das wohl nie wieder erreichen wird. Daher die Frustration.

Ich finde, und deswegen meine Erwiderung an dich @Frieda Kreuz , es immer sehr irritierend, wenn User einfach ihre Einschätzung in den Raum werfen, es aber nicht begründen und darlegen. Und ganz besonders irritiert mich, dass du mehr als nur häufig deine Mitteilungen unter den jeweiligen Geschichten dafür nutzt, deine Lebenserinnerungen auszubreiten.
Wie wäre es, wenn du einfach mal darüber ein gewiss nicht uninteressantes Buch schreibst und veröffentlichst, und nicht versuchst, immerzu die Geschichten der anderen als Stichwortgeber für deine Erlebnisse zu verwenden. Wenn man mal ab und zu einem Thema seine eigenen Erlebnisse unter einer Geschichte schildert, dann ist das gewiss nichts, was ich kritisieren würde, aber in deinem Fall ist es bereits zur Serie geworden, das finde ich nicht konstruktiv.

Lieben Gruß

lakita

 

In der Gegend, meine Heimatregion, herrschte wohl zu der Zeit ziemlich Progromstimmung. Sogar das Grab der Mutter eines der Getöteten wurde verwüstet. Die Gegend, aus der ich stamme, ist sehr konservativ. Vielleicht hießen etliche die Verhaltensweise der Jäger für gut.

Ich habe eben selbstgeräuchtere Pastrami mit Bratkartoffeln gegessen und dazu ltalienischen Kaffee getrunken. Danach werde ich einen neuen Schnupftabak ausprobieren und vielleicht ein Bier trinken, wahlweise Leffe Hiver oder aber Lupulus, belgische Biere.

Früher sind wir immer nach Belgien gefahren, um Bier und Ecstasy zu kaufen, die Pillen haben wir verkauft an minderjährige Kids, das Bier selbst getrunken, wir waren auch sehr konservativ.

Haben sie etwa die Roma für unwertes Leben gehalten?
Herman Göring war ja auch Jäger, vielleicht waren das unheimliche Wiedergänger. Ich kenne einen Jäger, der sieht aus wie Rommel.

Danke für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss, Jimmy

 

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