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Die Tänzerin im Schatten

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24.04.2003
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Die Tänzerin im Schatten

Aufgewacht.

Im Schlafzimmer ist es still. Nur die Decke raschelt, als ich sie zur Seite schiebe, um den Radiowecker sehen zu können.
Es ist kurz nach vier. Wo bleibst du bloß?
Das Essen habe ich in den Kühlschrank gestellt, damit du dir morgen davon nehmen kannst. Natürlich bin ich enttäuscht. Es sollte eine Überraschung werden. Sogar neue Kerzen habe ich gekauft, um das Ambiente abzurunden.
Seit du nach München versetzt worden bist, sehen wir uns kaum noch. Aber du hast mir versprochen heute Abend hier zu sein. Ich habe mich auf dich gefreut.

Draußen fängt es zu regnen an. Die Tropfen werden vom Wind gegen das Fenster geweht. Ich greife neben das Bett und suche die Wasserflasche. Sie ist beinahe leer und ich kann meinen Durst bloß ein wenig besänftigen.
Anschließend setze ich mich im Bett auf und lausche dem Herbstwetter, dessen Geräusche beruhigend durch die angelehnte Scheibe dringen. Es ist dunkel, aber nicht völlig. Der große Baum im Garten wirft seinen mächtigen Schatten in den Raum und die knorrigen Äste sind die Tänzer, die anmutig und schwerelos der Bühne des Stammes entgleiten.

Knarrend öffnet sich die Tür. Ich drehe mich um und erkenne deine Silhouette im Rahmen. Also bist du doch gekommen. Der Sturm hat dich nur etwas aufgehalten.
Langsam kommst du auf mich zu, ziehst dir die Schuhe aus und legst dich zu mir ins Bett.
Ich spüre deine kalte, nasse Haut und deinen heißen Atem, der so im Kontrast dazu steht. Jetzt bin ich dir nicht mehr böse. Du bist bei mir.
Ich will etwas sagen, doch du legst bereits deinen Zeigefinger auf meine Lippen.

"Es tut mir Leid", flüsterst du.
Vorsichtig drückst du mich auf die Matratze und streifst den Pulli ab.
Wie sehr ich deinen Geruch doch liebe.

Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir das letzte Mal so richtig miteinander geschlafen habe. Ich meine damit keinen gewöhnlichen Sex.
Auch lange nachdem wir uns aus der gegenseitigen Umklammerung gelöst haben, sprechen wir noch miteinander; scherzen, lachen. So etwas haben wir seit Ewigkeiten nicht mehr getan.
Wir reden im Flüsterton über die alten Zeiten. Darüber, wie es war, als wir uns damals auf dem Hausboot sahen. Diese bescheuerte Party von dem Typen, dessen Namen wir heute beide vergessen haben. Du in diesem roten Rock, der dir zu groß war, weil du ihn von einer Freundin geliehen hattest. Und ich total angetrunken. Darum bemüht, möglichst nüchtern zu erscheinen.
Wir sind schon ein Team gewesen, an jenem Abend. Du hast es mir gleich angetan.

"Es wird Zeit zu schlafen", hauchst du mir ins Ohr, und beinahe auf Kommando kehre ich zurück in die Traumwelt.


Aufgewacht.


Es ist kalt. Ich stehe auf und schließe das Fenster.
Habe ich nur geträumt? Du bist nicht da. Deine Kleidung ist verschwunden.
Ein erschreckender Gedanke hält mich gefangen.
Es klingelt an der Tür.
Ich brauche sie nicht zu öffnen, um zu wissen, dass zwei Polizisten vor ihr stehen; starr wie Statuen, mit traurigem Blick.

Du hättest bei dem Wetter in München bleiben sollen.

 

Hallo Cerberus,

obwohl das Ende deiner Geschichte sehr traurig ist, fand ich es sehr schön, dass der Prot. seine Freundin wohl auch im Tod noch einmal sehen durfte.
Ob so was wirklich möglich ist?
Keine Ahnung, aber ich finde es schön an solche Dinge zu glauben.

Sprachlich fand ich es auch sehr schön. Einerseits sehr gefühlvoll, andererseits überhaupt nicht schmalzig und das ist bei Liebesgeschichten ja nicht immer so einfach.

Eiziger Kritikpunkt: Das mit den Polizisten, die mit der Mütze vor der Tür stehen empfand ich ein wenig als Klischee. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich so abläuft, aber ich hab schon einige Male gelesen, dass Polizisten mit irgendeinem Souvenir von Toten vor der Türe stehen.

Kleinigkeiten im Text:


Draußen fängt es zu regnen an.

Ist nur mein höchsteigenes Sprachgefühl, aber ich finde: "Draußen fängt es an zu regnen", hört sich besser an.

Der große Baum im Garten wirft seinen mächtigen Schatten in den Raum und die knorrigen Äste sind die Tänzer, die anmutig und schwerelos der Bühne des Stammes entgleiten.

Schöner Satz

LG
Bella

 

Hi Bella!

Danke für deine Kritik.

Dieses Klischee mit den Mützen habe ich ausgebessert. Bibber Gerade mir, dem es so sehr graut vor schmalzigen Bildern, hätte das nicht passieren dürfen.
Ist allerdings auch mein erster Versuch in dieser Rubrik.
Ich hab immer noch ein wenig Angst davor, vielleicht ein wenig zu sehr kitschig gewesen zu sein.

Viele Grüße

Cerberus

 

Hi Cerberus,

ja, so ist´s besser!

Nein, fand sie wirklich nicht kitschig. Ich fand du hast alles sehr schön eingefangen, was einem in einer solchen Situation wohl durch den Kopf geht, ohne kitschig zu werden. Kitschig wäre:
Ich bin verzweifelt, mein Herz blutet - warum kommt sie nicht bla, bla, bla... :D
Du solltest mal meine erste Geschichte in diesem Forum lesen. *graus*
Die könnte man kitschig nennen...

Sehr schön auch für einen ersten Versuch.

LG
Bella

 

Hi Cerberus,

ich finde deinen ersten Versuch weniger kitschig, als unentschlossen. Es scheint, als hättest du vor lauter Angst kitschig zu werden lieber auf Gefühle und Sehnsüchte verzichtet.

Vielleicht liegt das aber auch nur an einigen Formulierungen, die mir einfach zu wissenschaftlich erscheinen oder einfach stimmungstötend wirken.

Sogar neue Kerzen habe ich gekauft, um das Ambiente abzurunden.
Dies ist zum Beispiel so ein Satz. Zum einen rundet der Kauf allein die Atmosphäre nicht ab (Ambiente klingt mir zu technisch), dazu müssen die Kerzen angezündet werden, zum anderen würde ich diese Begründung gar nicht nachschieben.
Es sollte eine Überraschung werden. Sogar Kerzen hatte ich angezündet. bringt mich als Leser glaube ich eher in das abgerundete Ambiente. ;)
Sie ist beinahe leer und ich kann meinen Durst bloß ein wenig besänftigen.
Anschließend setze ich mich im Bett auf und lausche dem Herbstwetter
Auch in diesem Absatz könntest du mE mit einer kleinen Umstellung für mehr Stimmung sorgen.
Lasse deinen Prot aufstehen und sich eine neue Flasche Wasser holen. Lasse ihn in der Küche stehen und dem Wetter lauschen. Lasse ihn im Wohnzimmer schauen, ob sie vielleicht gekommen ist, ihn aber nicht wecken wollte. Lasse ihn dann enttäuscht wieder zu Bett gehen und besser liegend als sitzend noch in den Regen horchen bevor sich die Tür knarrend öffnet. Dann hast du für mein Gefühl mehr von seiner Unruhe eingefangen.
Ich spüre deine kalte, nasse Haut und deinen heißen Atem, der so im Kontrast dazu steht.
Noch so eine Erklärung, die raushaut. Der Kontrast zwischen heiß und kalt ist doch jedem auchso klar. Beende den Satz lieber nach Atem.
Den erotischen Part hast du mir zu wenig ausgebaut. Was meint Prot, wenn er schreibt, keinen gewöhnlichen Sex? Das ist ein dämliche Floskel, die Männer immeer gebrauchen wenn sie sich im Bett für was besseres halten. Sie sagt nichts aus. Beschreibe mehr von dem, was sie tun, gehe etwas mehr ins Detail. Die Rückblende braucht es nicht, besser, er erlebt wirklich in dieser Fantasie ihre Haut.

Und wenn du schon diese leider nicht sehr originelle Todespointe bringen musst, könntest du das auch gezielter aufbauen.

Ein erschreckender Gedanke hält mich gefangen.
Damit nimmst du die Ahnung ja schon vorweg bevor es klingelt. Das wäre dir in der Horrorrubrik bestimmt nicht passiert. ;)

Mir persönlich wäre ja lieber, er hätte ein bisschen Angst bekommen, das Klingeln wäre die Müllabfuhr gewesen und danach ruft sie ihn an und entschuldigt sich, dass es ihr bei dem Wetter zu gefährlich war, zu fahren. Das liegt aber vielleicht einfach daran, dass mir der Tod als Abschluss solcher Geschichten zu häufig begegnet und ich es inzwischen deshalb origineller finde, die Protagonisten weiter leben zu lassen. Der Tod verleiht nicht automatisch mehr Tiefe und seine Einsicht hätte dein Prot auch erleichtert gewinnen können

Wie du siehst, lasse ich leider kaum ein gutes Haar an deinem ersten Versuch. Aber ich denke, du kannst die Geschichte noch wesentlich steigern.

Lieben Gruß, sim

 

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