Mitglied
- Beitritt
- 18.12.2023
- Beiträge
- 3
- Anmerkungen zum Text
In meinen Kurzgeschichten treffe ich mich stets mit dem klugen und weisen Geist des Kölner Doms. Er ist mein geschätzter Freund und vertrauter Gesprächspartner, der übrigens sehr gerne schon Mal einen Espresso zu sich nimmt.
Aus diesem Grund wird er am Beginn der Erzählung erwähnt.
Die Uhr
Irgendwo in Köln befindet sich die Pantaleonsgasse.
Dort an der Ecke des alten und ehrwürdigen Benediktinerklosters scheint sie sich dem ewigen Schweigen verschrieben zu haben. Dem Kölner Dom ist sie auf jeden Fall bekannt (dies hat er mir irgendwann einmal glaubwürdig versichert).
An einem verlorenen Abend begab ich mich genau in diese Straße, besser gesagt zu dem Café welches dort, versteckt irgendwo im Martinsfeld, ein Eigenleben führt. Dies Café, ich gebe es zu, ist nicht leicht zu finden. Den Namen habe ich leider vergessen, aber ich glaube, dass er irgendwas mit Nebel zu tun hat, mit Sonnenstaub und mich an die verlorenen Motorengeräusche trauriger, träger Segelflieger an einem unwirklichen Sommertag irgendwo auf Sardinien erinnerte. Die, die im Sommer bei Celentanos Lied „Azzurro“, brummend über den Himmel zogen, wie das missglückte Lied meiner melancholischen Kindertage. Bei dem Abschied von meiner Heimat. Welch Amputation!
Meine Uhr hatte mich um ein Treffen in genau diesem Café gebeten (sie hatte Kontakt zu mir aufgenommen, als ich in meinen Spiegel sah). Den Tag und die Zeit könne ich bestimmen, meinte sie. Man braucht dort übrigens keinen Tisch zu reservieren. Es ist immer etwas frei. Das Café hat jedoch eine Bedingung: Der Einlass wird nur mit dem Tragen einer Sehhilfe erlaubt (die Uhren selbst sind übrigens alle blind. Stockblind sogar!).
Ein großer, müde blickender Marabu der über ein mächtiges Kaleidoskop wacht, überreicht jedem der das Café betritt (ob Mensch ob Tier) stets die passenden Brillengestelle. Er verfügt über verschiedene Brillen, die er dann aus seinem dichten Gefieder hervorzieht. Tolle, verrückt bunte, sehr schlichte sowie unscheinbare bis völlig unsichtbare Gestelle. Alle mit einzigartigen Gläsern, die sich beim aufziehen der Brille automatisch scharfstellen. Diese wurden übrigens für jeden Menschen irgendwann einmal primitiv angefertigt. Im Laufe des Lebens werden diese Gläser automatisch immer besser, immer schärfer. Insofern man mutig ist und dies zulässt natürlich.
Alle Uhren, ausnahmslos alle, lieben dies Café. Es ist ihr Geheimtipp sozusagen. Man sieht sie ständig dort. Nie alleine. Sie befinden sich stets in Begleitung eines anderen Menschen oder eines Tieres und manchmal, aber nur manchmal sieht man sie auch in Begleitung einer anderen Uhr. Ich weiß nicht was sie sich erzählen. Durch die Scheiben sieht man sie, mit ihren runden augenlosen Gesichtern (manchmal aber auch eckige denn es gibt ja auch eckige unter ihnen). Mit ihren gekrönten Häuptern. Ach ja, ich vergaß es fast zu sagen, ihre Häupter sind alle gekrönt. In Wahrheit sind alle Uhren nämlich blinde Königinnen, die kein Herz besitzen.
Sie begleiten alle Lebewesen vom Anbeginn bis zu deren Ende.
Mit allen Menschen und Tieren wird dieser Zwangsvertrag, schon zu Anbeginn des jeweiligen Seins, geschlossen und die Uhren sorgen für die unerbittliche Erfüllung.
Im Gegensatz dazu haben alle Menschen, auch wenn sie nicht immer blind sind, ein Herz und genau diesem folgen sie. Mögen ihre Taten noch so merkwürdig anmuten, am Ende steht immer das Herz hinter all deren Aktionen.
Ich bemühte mich pünktlich zu sein, was mir trotz all dieser Überlegungen, auch gelang.
Als ich das Café betrat sah ich meine Uhr sofort. Der Marabu reichte mir, recht müde blickend, eine Brille. Sie war fast unsichtbar und fiel kaum auf. Beim aufsetzen der Gläser war es nicht so als ob ich besser hätte damit sehen können als ohne sie, ich behielt sie aber dennoch auf der Nase. Man weiß ja nie.
Am Tisch angekommen begrüßte mich die Uhr nicht gerade überschwänglich aber doch höflich. Nachdem ich Platz genommen hatte bestellte sie mir, wie immer übrigens, eine Suppe.
Dies tat sie jedes Mal ohne mich zu fragen (das war wohl ein kleiner aber dennoch wichtiger Bestandteil des Vertrages) und ich war mal wieder gespannt ob mir die Suppe munden würde.
Meine Uhr lächelte mich erneut an. Sie schien mir wohlgesonnen. Ich traute ihr aber dennoch nicht. Wusste ich wirklich was sie vorhatte? Ihre Pläne? Gab es doch so viele Uhren die erst freundlich und wohlwollend taten um dann doch plötzlich stehen zu bleiben.
Ja! Ohne Vorwarnung einfach stehen blieben!
Und da sie Königinnen waren, mussten sie nichts erklären! Mussten sie nichts entschuldigen oder rechtfertigen!
Ich grüßte ebenso freundlich zurück und erwartete ihre Botschaft.
Sie musste ja einen Grund gehabt haben mich treffen zu wollen.
Sie kam auch schon zur Sache: „Du vergisst mich oft“ klagte sie „aber du weißt, dass ich irgendwann einmal stehen bleiben werde“.
Es klang wie eine Drohung und ich hatte das Gefühl, dass sie versuchte mir Angst zu machen.
Ich antwortete nicht darauf. Sie hat ja recht, dachte ich. Natürlich würde sie irgendwann einmal stehen bleiben und ich müsste dann mit ihr stehen bleiben. Würde dann gehen müssen. Wohin auch immer. Eben weg. Das war ja der Pakt!
Während ich weiter grübelte brachte mir ein entspanntes Om*) mit unterschiedlich großen Brüsten und lächelndem Gesicht, die bestellte Suppe.
Ich dachte an sein Herz. Ja, ja… er hatte eins. Aber es war stehengeblieben. Als seine Uhr stehen blieb. Sie war wie aus dem Nichts geborsten. Und mit ihr auch mein Herz!
Seine Uhr war stehen geblieben. Ja. Aber nicht meine.
Meine ging und ging und ging immer weiter und saß nun vor mir, eine Antwort erwartend.
Ich schaute auf meinen Teller. Ich verspürte keine Lust auf die Suppe.
Die blöde, blinde und herzlose Uhr sollte sie doch selber essen (Königin hin, Königin her – es interessierte mich nicht). Ich hatte sie nicht bestellt. Ich verließ fluchtartig das Café (was sollte ich noch da?).
Rasend vor Zorn über sein nun ewiges, stilles Fernsein beschloss ich tausend Jahre bei seiner Asche zu wachen.
Die mir zur Verfügung gestellte Sehhilfe gab ich nicht zurück. Ich stahl sie einfach.
So wie ich ganz heimlich seine stehengebliebene Uhr stahl. Damals. Nachts.
Ihre Zeiger steckte und stieß ich in mein Hirn.
Den Rest der Uhr verspeiste ich. Ich verschluckte sie einfach, so wie man eine Hostie verschluckt.
Seitdem denke und fühle ich sie immer…. die beiden Zeiger und den restlichen Körper des Zeitmessers.
Besonders bei seiner Asche, die ich nun fortan bewache.
Bei seiner Asche, die zu meinem Schicksal geworden ist, bis die nächste Sekunde ohne mich beginnen wird.
ADore14.08.2020
- Quellenangaben
- Lexikon:
*) Heilige Silbe der Hindus, Jainas und Buddhisten; soll das Herz besänftigen und auf das Karma wirken