Die Verhandlung
Die Verhandlung
Gibt es so etwas wie Vergebung? Gibt es Gnade? War er schon irgendwann mal gnädig gewesen, oder hatte er Gnade erfahren? Er wusste es nicht, aber es ging ihm durch den Kopf und zu gern hätte er eine einfache Lösung für das Problem gefunden. Heute musste er ins Gericht wegen dem Vorfall vor einer Woche, er hatte sich sorgfältig darauf vorbereitet. In der Verhandlung sollte es nicht um ihn gehen, er war nur als Zeuge geladen, aber dennoch traf er Vorbereitungen. Wo ist mein Zerreißpunkt, wo ist die Grenze des erträglichen? Es wollte nicht aufhören in seinem Kopf zu rumoren. Das ganze Nachdenken brachte ihm schwere, pulsierende Kopfschmerzen ein. Er stellte sich vor den Spiegel und konnte kleine Äderchen an seiner Schläfe entdecken. Es war Zeit, er musste jetzt los, aber noch zögerte er. Manchmal wenn er zum Kickboxen ging, verspürte er dass Gleiche. Ein Zögern, keine Lust, aber dennoch das Gefühl dass er los muss. Meistens ging er dann auch los, heute ging es nicht um Training, es ging um eine Entscheidung. Letzten Endes zog er sich die Schuhe an, die Jacke und steckte seinen Schlüssel in die Tasche – abschließen tat er nie. „Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man Dir das nicht erklärt?“, diese Zeile einer Berliner Rockband biss sich auf dem Weg zur Haustür in seinem Kopf fest.
Was steht am Anfang, die Liebe oder der Hass? Er konnte sich auf dem Weg zur U-Bahn nicht beruhigen. Er hatte sich etwas vorgenommen, er musste es einfach durchziehen. Die Fahrt, die einem sonst ewig vorkommen würde, ging wie im Flug vorüber, die Zeiger seiner Uhr schienen sich schneller zu drehen als sonst.
Seine Entschlossenheit war auf dem Weg zum Gerichtsgebäude wieder klar. Die Metalldetektoren fanden seinen Schlüssel und sein Geld, er steckte es nach der Waffenkontrolle wieder ein und betrat das Foyer mit seinem glänzenden Marmorboden. Er wusste, dass man hier mehrmals kontrolliert wurde, bis man überhaupt in den Gerichtssaal kam, fast wie auf einem Flughafen. „Wupp, wupp, wupp“, die Kopfschmerzen pulsierten synchron zum Herzschlag und waren unerträglich. Er schwitzte, roch nach Schweiß und Restalkohol vom Vortag – er ertrug sich kaum noch selbst.
Auf der Anklagebank saß ein ordentlich gekleideter Mann im Hugo-Boss-Anzug, er hatte gleich zwei Anwälte, die immer und immer wieder den Klägern ins Wort fielen. Die Frau im mittleren Alter, die hier Klagte, lächelte ihn gequält an, man sah dass schon Tränen geflossen waren.
Er musste in der zweiten Reihe sitzen und wartete dass er aufgerufen wurde.
„Mein Auto hat einen Totalschaden, eigentlich müsste ich SIE verklagen!“, sagte der Angeklagte und wieder flossen Tränen über die Wangen der Klägerin. „Ihnen ist klar, dass Ihr Verhalten nicht gerade zu einer ordentlichen Verhandlung beiträgt.“, sagte der noch recht junge Staatsanwalt zum Autobesitzer.
Die Klägerin sollte nun aussagen und unter Tränen schilderte sie, wie sie sich von ihrer Tochter verabschiedet hatte, bevor diese zu ihrem Freund wollte. Später riefen dann Polizeibeamten bei ihr an und überbrachten ihr die Nachricht des Todes. Der Freund, dass war er, er hatte alles mit ansehen müssen. Sie hatten sich an der Straßenbahnhaltestelle vor seinem Haus verabredet, er stand auf der anderen Straßenseite. Seine Freundin kam und als die Autoampel auf gelb schlug, lief sie los und wartete nicht auf das grüne Männchen. Ca. einen Meter vor seiner Nase, wurde sie von einem nagelneuen SLK-Mercedes erfasst, der so um die neunzig Stundenkilometer fuhr. Mit einem lauten Knall schlug sie gegen die Motorhaube, wurde in die Luft geschleudert und landete schon tot auf der Fahrbahn.
Er rief sofort Krankenwagen und Polizei, doch selbst er wusste, dass es schon längst zu spät war, als er ihren toten Körper in den Armen hielt und ihr über das Gesicht strich.
Als er sich alles noch mal durch den Kopf gehen ließ, wurde ihm kotzübel und er fing an zu zittern. „Herr K., würden Sie bitte nach vorn kommen und dem Gericht den Verlauf des Unfalls noch mal erklären.“, forderte ihn die Richterin auf. Genau auf diesen Moment hatte er gewartet, jetzt war die Zeit gekommen. Er ging den kleinen Gang zwischen den Sitzen entlang, ganz langsam. Als er in Höhe des Angeklagten angekommen war, schlug er als erstes explosionsartig auf den Anwalt, der zwischen ihm und dem Fahrer saß, ein, um dann in Sekundenschnelle den Angeklagten zu packen. Die Gerichtsdiener zogen sofort ihre Waffen und forderten ihn auf, sich zu ergeben. Nun schlug er schnell mit dem Ellenbogen auf den Kehlkopf des Angeklagten, um sofort danach seinen Kopf am Kinn zu packen und selbigen mit voller Wucht herumzureißen bis es laut knackte. Der Angeklagte sank tot zu Boden, er wurde angeschossen, aber nicht getötet.
Die Zuschauer flohen entsetzt, die Klägerin lächelte ihn für den Bruchteil einer Sekunde an und lief zum Ausgang. Er kam dafür vier Jahre ins Gefängnis, aber eigentlich hatte er ja nicht mal damit gerechnet diese Tat zu überleben.
Heute wird er aus dem Gefängnis entlassen und noch immer konnte er kein Gefühl der Reue verspüren. Er fühlte sich gut…