- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Die Waffen einer Frau.
"Du musst", sagte er mit einer Endgültigkeit, deren Grundlage sich ihr vollkommen entzog.
"Warum sollte ich müssen?", fragte sie mit einer Aufrichtigkeit, die ihr in seinen Augen nicht zustand.
"Weil, na ja, weil Du müssen wollen solltest... ", sie hörte erste Risse in seinem Selbstverständnis entstehen.
"Ich will aber nicht. Das ist ganz einfach, nein." Sie sah ihm mit ihren unschuldig blauen Augen gerade und aufrecht in die seinen. Diese flackerten etwas und richteten sich alsbald zu den Fußspitzen, als wäre dort etwas besonders Aufregendes zu beobachten. Fast begann ihr, das Spiel ein bisschen Spaß zu machen. Er war so hinfällig wie eine eindimensionale Wildwestkulisse, hinter der sich vielleicht noch etwas Gestrüpp befand, aber kein Saloon, keine starken Kerle, die noch stärkeren Whisky saufen, um sich hernach gegenseitig das Gehirn raus zu pusten.
Nein, hinter seiner gestelzten Fassade aus Rüschenhemd, schwarzer, speckiger Jeans, einem Gürtel mit dicker Schnalle, die den Blick vermutlich auf die Beule in seiner Hose lenken sollte, sah sie nur einen verängstigten Jungen, der sich nicht traute, einer freien Frau ohne Fesseln zu begegnen. Seine Wohnung spiegelte seinen schlechten Geschmack. Ziegeltapete, Ledersofa, ein liederlich wirkendes Andreaskreuz. Sie fühlte sich in einem Klischee gefangen.
Was zum Teufel hatte sie geritten? Wie ein Film spulten sich die vergangenen Jahre vor ihr ab, all die gescheiterten Beziehungen zu Männern, die ihr bald wie hypnotisierte Bassets hinterher dackelten, die Würde in Form von langen Ohren im Staub am Boden schleifend. Wie hatten sie die traurigen, treuen Hundeaugen immer genervt. Wenn doch einer so aufrecht geblieben wäre, wie er sich zu Beginn verkaufte.
Nein, alle hatten bald Gummi in den Knien, betört von ihrem Schneewittchenaussehen. Dem schimmernd schwarzen Haar, das sich wie ein Rinnsal über ihren zarten Marmorkörper ergoss, die blasse Haut so durchscheinend, dass man dahinter das Blut durch ein Geäst sich verzweigender Pfade fließen sah. Ihre zierliche Gestalt, die schmalen Hände, denen man höchstens zutraute, eine Harfe anzuschlagen.
All das täuschte die Männer. Sie waren verzaubert von ihrer Walt Disney Erscheinung. Und ahnten nicht, dass hinter ihrer Kulisse echte Kerle zotige Witze rissen, den Tresen mit einem gezielten Schlag mit dem Klavierhocker zu Kleinholz verarbeiteten und danach schneller zogen als das der eigener Schatten vermochte.
Alle behandelten sie wie ein Kleinod, verloren in ihren Märchenaugen den Blick für ihre eigenen Bedürfnisse.
Da keiner sein eigenes Spiegelbild liebt, und ewige Jasager ihre Würde verkaufen, sah sie sich irgendwann gezwungen, sie dahin zu schicken, wo der Pfeffer wächst, oder in die Wüste, die Entscheidung mochte sie ihnen nicht auch noch abnehmen.
Nach langer, erfolgloser Suche kam sie an einen virtuellen Ort, wo sie echte Männer wähnte, die sich nahmen, was sie wollten. Die ihr versprachen, die ewigen Entscheidungen, was gut für sie wäre, abzunehmen, oder wenigstens zu wissen, was sie selber wollten. Die nicht sofort einknickten, wenn sie den Wimpernkranz ein wenig flackern ließ.
So war sie zu ihm gekommen.
"Dein strenger Herr", nannte er sich dort. Sie machte mit einer Hand eine schnelle Bewegung zum Mund und versuchte, den Wettlauf zu gewinnen, der Mund war leider schneller, denn das Kichern war ihm schon entfleucht, bevor die Hand es hätte ersticken können.
"Was gibt es hier zu lachen?", versuchte er die Situation mit einer besonders strengen Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen.
"Nichts, schon gut." Nun war es an ihr, eine besonders spannende Szene, die sich an ihren Fußspitzen abzuspielen schien, zu beäugen.
"Nichts, HERR!" Ihm quollen ein bisschen die Augen aus den Höhlen und eine widerwärtige Speichelblase bildete sich an seinem Mundwinkel, die sich sachte schwimmend über die feuchte Unterlippe zur Mitte fortbewegte. Schnell schaute sie wieder zu ihren Füßen, um die Fassung nicht nochmal zu verlieren, sie hatte heute noch etwas vor, wenn sie ihn nun offen auslachte, kämen sie nie ans Ziel.
"Also, pass mal auf. Ich sage nicht Herr, ich knie nicht hin und ich mache nichts, was mir keinen Spaß macht. Aber ich will, dass du tust, was du willst. Nimm mich richtig hart.", forderte sie großzügig.
"Ok. Wäre es für Dich richtig, wenn ich Dir die Hände hinter den Rücken..." ihre Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen, "nein?",
"Verdammt, tu was Du willst.", zischte sie ärgerlich.
Sie beobachtete seinen inneren Kampf. Scheinbar gewann er ihn nach einigen Augenblicken, denn nun konnte sie beobachten, wie er sich einen Ruck gab und den Raum zwischen ihnen mit einigen tatkräftigen Schritten überwand. Er griff ihr in die Haare und schloss die Hand zur Faust mit einigen Büschel ihrer Pracht zwischen den Fingern.
"Au! Du tust mir weh...", schnell ließ er die Strähnen fallen und schaute erschrocken.
"Das...", er räusperte sich, und fing eine Oktave tiefer noch mal an, "das gehört dazu."
"Ach so. Na gut. Äh, könntest Du anders anfangen?"
"Herrgott, so wird das nichts."
Sie ging fünf Schritte rückwärts. Jeden einzelnen bewusst bemessend. Dort stellte sie sich breitbeinig auf und suchte seine Augen. Diese fesselte sie mit ihrem Blick und begegnete ihnen auf Metaebene.
Schon hörte sie eine Mundharmonika schaurig das alte Lied spielen. Die Hauptstraße war wie leergefegt. Sie spürte, dass die Szene aus dem Saloon beobachtet wurde. Ihr Kontrahent stand nur ein paar Schritte weit von ihr entfernt. Geschmeidig schlug sie ihre Wildlederjacke nach hinten, um freien Zugang zu ihrer Smith & Wesson zu haben, die in ihrem Holster steckte. Lässig spielte sie mit dem Daumen am Griff. Ihr Antlitz war reglos, fast beiläufig zu beschreiben. Sie suchte den Widerstand in seinem Gesicht.
Leider gelang es ihm nicht, in dem Maße seine Züge zu kontrollieren. Er kniff etwas die Augen zusammen, seine Unterlippe zeigte deutlich seine Schwäche, durch ihren schlaff wirkenden Tonus.
Sie beobachtete Schweißperlen, die sich ihren Weg über seine Stirn bahnten, sich in der Augenbraue sammelten und dann in einem Rutsch in sein Auge liefen. Er zwinkerte.
Jetzt? Sollte sie das Spiel gleich beenden?
Nein, sie war nicht unsportlich und wartete bis er wieder klare Sicht hatte.
"Du bist erbärmlich. So wie alle vor Dir erbärmlich waren. Ich dachte, du könntest eine zarte Frau mit einem Arm über Deinen Sattel werfen, sie in irgendeinem Dickicht an den Baum binden und Täubchen nennen. Ihr Gezeter mit ein paar Backpfeifen unterbrechen, ihr den Rock über den Kopf ziehen und das alte Reinrausspiel erzwingen. Aber so kannst du dich in die Reihe derer stellen, die ebenfalls an mir gescheitert sind."
Sein weinerliches Gesicht verursachte ihr Übelkeit. Des Spiels überdrüssig zog sie in einer organisch anmutenden Bewegung von links nach rechts den Revolver aus seiner Halterung und ließ ihn seiner Bestimmung nachgehen.
Sein Ausdruck war voll unschuldigen Erstaunens. Er hatte noch nicht mal die Hand an der Waffe, als ihn der Schuss in die Brust traf. Er ließ sich nicht gleich fallen, nein, das musste sie anerkennen, er versuchte ein bisschen Würde zu bewahren. Dann begann er zu taumeln. Sie hörte seinen gurgelnden Atem und mutmaßte, dass soeben ein Lungenflügel voll Blut lief.
Schon rann ihm die grell rote Flüssigkeit über das Kinn. Er stürzte auf die Knie, hielt sich einen Moment, um dann in den Staub zu fallen.
Kurz beherrschte sie sich, gedanklich nicht auch noch in den Lauf zu pusten und die Waffe um ihren Zeigefinger kreisen zu lassen, das Bild wäre echt zu abgedroschen.
Packte ihre Handtasche und stöckelte aus seinem Leben.
Und fühlte sich einen kurzen, schalen Moment als Gewinnerin.