Downhill
Downhill
Jetzt stehe ich hier. Ich stehe hier und sehe nach unten. Ich werde nicht zurückgehen. Ich habe genug Tequila getrunken, um so zu tun, als wäre das die dumme Idee eines Besoffenen. Gut möglich, dass ich wirklich so viel getrunken habe. Dafür hab ich noch nicht genug Erfahrung mit Alkohol. Genug Erfahrung mit dem Rollbrett hab ich. Dieses wird umgangssprachlich auch gerne Skateboard genannt. Eigentlich wird es immer so genannt. Da sag ich ja noch eher Set-Up als Rollbrett. Ich persönlich bevorzuge aber Deck zu sagen, auch wenn das rein theoretisch nur den hölzernen Teil meines Gefährts beschreibt.
So, jetzt hab ich genug gewartet, genug Angst hat sich angestaut.
Ich muss nur den Punkt erreichen, an dem das Bremsen oder abspringen zu gefährlich wird.
Ich streife meine Schuhsohlen am staubigen Boden ab, setze den linken Fuß über die vorderen Schrauben und bewege ihn leicht drehend, um mich vom Halt des Griptapes zu überzeugen.
Der Blick ist immer noch bergabwärts gerichtet. Mit dem rechten Fuß stoße ich mich ab. Ich fange nur langsam an zu rollen, und fange schlagartig an mit Vollgas zu pushen. Mein Puls erhöht sich. Bis jetzt habe ich nicht bemerkt, wie viele Schlaglöcher auf meinem Weg nach unten sind. Ich habe mich nicht herangetastet. Gleich von ganz oben. Ich fange an, Kurven zu fahren, um nicht zu viel Geschwindigkeit aufzubauen. Ich merke, wie meine Hinterachse kurz davor ist wegzurutschen, wenn ich die Kurve zu stark einlenke. Hier beginnt der schmale Grat zwischen Kontrolle und Sturz. Aber ich weiß noch, wo das Limit liegt. Ich vertraue auf mich. Auf mich.
Ein Auto kommt mir entgegen, jetzt muss ich geradeaus fahren. Keine Möglichkeit zu bremsen. Es sind zu viele Unebenheiten vorhanden, um nur auf meiner Spur in Schlangenlinien zu fahren. Ich muss den sichersten Weg einlenken. Ich fahre geradlinig. Ich bin zu schnell. Ich bin viel zu schnell. Ich gehe in die Hocke, um windschnittiger zu werden. Ich muss schneller werden. Jetzt ist es egal. Vollgas.
Egal wo der Berg angefangen hat, ich blicke nach vorne. Ich traue mich nicht, nach hinten zu schauen. Ich kann nicht anders, als an die nächsten fünf Sekunden, die nächsten fünf Bewegungen, zu denken. Mal sehen was passiert.
Ich bemerke, dass ich beobachtet werde. Die Gäste eines Restaurants beobachten mich, sehen mir nach. Die Gäste, die sich zum Essen auf die Terrasse gesessen haben, um sich nicht eingesperrt zu fühlen. Aber ich beachte sie nicht. Ich bemerke sie nur. Ich bemerke sie, und genieße es, wie sie mich sehen. Sie sehen mich frei. Sie beneiden mich. Sie könnten mir folgen. Sie müssten nur aufstehen. Wir könnten zusammen leben. Wir könnten uns gut fühlen. Sie verstehen das aber nicht. Sie meinen ich bin schneller als sie, dabei habe ich nur eine andere Geschwindigkeit. Es gibt so viele Geschwindigkeiten. Und alle sind OK, ich glaube an alle, fahre aber meine. Es gibt kein Limit. Wenn sie das verstehen, bin ich nicht mehr alleine auf der Straße. Ich wünschte so sehr, sie würden alles so verstehen, wie ich es jetzt verstehe.
Ich glaube es zerreißt mich. Wie kann man sich nur so gut fühlen? Wie kann man nur so tief einatmen? Wieso ist alles so verdammt wunderschön. Ich schließe die Augen, weil es Zeit dafür ist. Ich hoffe nicht, dass nichts Schlimmes passieren wird, sondern vertraue darauf, dass schon das Richtige passieren wird. Jetzt fühle ich nur noch, wie meine Rollen jede Wölbung des rauen Asphalts aufnehmen, und an meine Füße weiterleiten. Der Wind ist so schön warm. Und ich bin so schön schnell. Meine Hand streift am Boden, um jedes Steinchen zu spüren. Ich weiß gar nicht, ob die meisten Menschen das kennen, ohne Worte zu denken.
Es wird gehupt. Hinter mir. Wahrscheinlich wegen mir. Trotzdem schrecke ich nicht auf. Ich halte kurz inne und öffne langsam meine Augen. Ich bin noch immer am richtigen Platz.
Der Berg geht langsam dem Ende zu. Wie es aussieht, habe ich genug Strecke vor mir, um gemütlich auszufahren. Wieder gerade stehend fahre ich leichte Kurven. Ich springe über einen Gullideckel, anstatt ihn zu umfahren. Ich komme allmählich komplett zum Stillstand. Mit einer flüssigen Bewegung manövriere ich mein Skateboard in meine linke Hand. Ich werde von einem dicken BMW überholt. Der Fahrer zeigt mir einen Vogel, und ich gehe weiter.