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Drinks für sie
Ich sitze hier. Wieder einmal. Beinah täglich teile ich die von Zigarrenrauch verpestete Luft und die bakterienverseuchten Drinks mit denselben betrunkenen Arbeitslosen, Geschiedenen und Pennern.
Es widert mich an, wenn ich sehe, wie sich manche Männer gehen lassen. Wenn ich sehe, wie sie ein billiges Bier nach dem anderen in ihre süchtige Kehle hinunterschütten, eine Zigarette nach der anderen qualmen.
Ihre Entschuldigung? Ja, ich habe meinen Job verloren, doch wenn ich genug trinke, wird es besser. Meine Frau vögelt mit ihrem Chef, oh Verzeihung, meine Exfrau vögelt mit ihrem Chef.
Woher ich ihre Ausreden kenne? Nun, ich müsste blinder sein als Stevie Wonder, nicht aus ihren Gesichtern genau diese Vorwände lesen zu können. Manchmal wird mir aber auch ein Gespräch aufgedrängt, ein Betrunkener haucht mir seinen Bieratem ins Gesicht, während er sich darüber auslässt, wie schlecht die Welt geworden ist.
Wie gesagt, es widert mich an.
Weshalb ich mich von all diesen Menschen unterscheide? Weshalb ich mich über sie auslasse, während mein bereits fünftes Glas Scotch auf dem Tresen steht und in meinem rechten Mundwinkel eine Zigarette baumelt?
Der Grund tritt soeben durch die Tür zum Hinterzimmer in den verqualmten Raum. Sie trägt wieder dieses wundervolle weiße Hemd, wie jeden Abend in den letzten zwölf Wochen. Ihr schwarzes Haar hat sie zu einem Dutt gezwirbelt, kleine Strähnen hängen vor ihren Augen. Immer wieder bläst sie das Haar aus ihrem Gesicht.
Ihre Fingernägel sind in demselben Rot lackiert, in dem auch ihre Lippen schimmern. Die Augen hat sie blau umrandet.
Heute Abend sieht sie schöner aus, als je zuvor. Ja, ich weiß, gestern sagte ich das Gleiche. Doch heute ist es tatsächlich wahr.
Andere Männer halten sie für hässlich. Ihre Hüften sind zu breit, ihre Nase zu flach und ihre Zähne schief.
Doch für mich ist sie perfekt.
In den letzten Wochen habe ich jeden Abend versucht, sie anzusprechen. Immer irgendein Gespräch zu beginnen. Jedes Mal öffne ich meinen Mund und alles was ich sagen kann, ist: „Bitte noch einen.“ Und auch ihre Antwort bleibt immer gleich, ändert sich nie: „Kommt sofort, mein Süßer.“
Weshalb schaffe ich es nicht, mit ihr zu sprechen? Habe ich Angst, dumm zu klingen? Oder habe ich Angst, dass sie sich als dumm herausstellt? Ich weiß es nicht.
Als ich vor Wochen diese Taverne das erste Mal besuchte, wollte ich meiner Wohnung fern bleiben. Meine Frau trieb es gerade mit ihrem Filialleiter, da passte ich nicht ins Bild. Ich ließ ihnen ihre Privatsphäre und kehrte in die nächstbeste Bar ein.
Und da stand sie. Schenkte in geübten Bewegungen Bier in Gläser ein, gab der Jukebox einen gekonnten Schlag und brachte sie wieder zum Laufen.
Ich setzte mich an den Tresen, um ihr so nah wie möglich zu sein.
„Was darf’s sein?“, fragte sie mich mit einem hinreißenden Lächeln, bei dem sie eine Zahnlücke entblößte.
„Scotch.“
„Kommt sofort, mein Süßer.“
Seit diesem Gespräch spiele ich jeden Tag perfekt meine Rolle. Auch sie verpasst nie ihren Einsatz.
Heute jedoch möchte ich improvisieren.
Sie trocknet ein nasses Glas mit einem Geschirrtuch, summt zum eben laufenden Song und wippt mit dem Kopf.
Ich sehe sie an, meine Augen sind trotz des Alkohols klar und meine Gedanken gebündelt. Meine Lippen öffnen sich, warten auf meine Stimmbänder. Sie sieht mich an, ihre grünen Augen glänzen in dem trüben Licht.
Und als meine Stimme endlich ihren Dienst wieder aufnimmt, höre ich mich sagen:
„Bitte noch einen.“
Ich bleibe jeden Abend lange, bis in die frühen Morgenstunden. Bin immer einer der letzten Gäste. Das wird auch heute wieder so sein. Wo sollte ich auch hingehen wollen? Morgen kann ich ausschlafen, meinen Job habe ich schließlich bereits vor sechs Wochen verloren.
Doch ich möchte mich nicht hinter diesen lächerlichen Ausreden verstecken. Ich trinke nicht wegen meiner fremdgehenden Frau. Ich trinke auch nicht wegen meines verloren gegangenen Jobs.
Nein. Ich trinke nur für sie.
© Tamira Samir