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Ego

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18.04.2004
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Ego

In einer hölzernen Staubatmosphäre, umwogt von mehligem Licht, das in Streifen durch die schirmenden Jalousien wanderte, stand ich und meine Augen waren starr wie von Frost. Es war ganz abgeschlossen hier, man war fern jeder Beobachtung, es war höhlenhaft, schützend mild-mütterlich. Einzig der Atem rieb ein wenig, von unendlichen Staubkörnern beschwert. Ich hörte das dumpfe Pumpen seiner Lunge zwischen meinem aufgeregten Luftholen. Zwei Betten, versiegelt mit rauen, braunen Wolldecken, standen - Kopf an die Wand - gleich hinter mir. Auf ihnen sträubten sich, wie Igelsstacheln, die in Richtung der Türe hin wachsenden Lichtlinien. Eine Menge an losen Brettern, Schränken und nutzlosen Akten, sinnlosen Niederlegungen, waren lieblos hinter seinem Rücken zu brüchigen Stapeln geschichtet. Dieser Raum war tot und verlassen, eine Sammelklause für zu kurzsichtig Erzeugtes. Fragen sie nicht, wie ich wissen konnte, wo ich war, was um mich war. Seit ich denken kann, habe ich nur seine Augen betrachtet, war in sie verkeilt, wie mit unerbittlichem Stahl daran geschmiedet, gar nicht anders vorzustellen, als in ihnen, wie in einem Fieberkrampf. Seine Pupillen schälten sich schwarz glänzend aus den staubumwitterten Lidern heraus. Fast waren sie ein wenig oval, als wollten sie die zerrende Anspannung, unter der er stand, ausdrücken. Dem Eiligen kaum erkenntlich, mir in meiner fatalen Bindung aber seit einer Ewigkeit grauenerregend verinnerlicht, war die Art, in der sich das Schwarze immer und immer wieder quellend und schwemmend ausdehnte, manchmal in Zuckungen, als würde es zurückstolpern wollen, manchmal ganz gleichmäßig. Wie es einfach über jede Grenze, die der gesunde Verstand zu ziehen vermochte, hinauswuchs, wie ein Krebs. Wie es ihn beinahe ganz auszufüllen schien, wie man unversehens den Arm nach oben zog, als wollte man sich vor einer nahenden Explosion schützen, vor diesem Anblick schützen. Doch zur Zerstörung kam es nicht. Die Pupillen krampften sich stattdessen ein jedes Mal wieder in konvulsivischen Krümmungen zusammen, als würde mit Schmiedehämmern auf sie eingeschlagen, fügten sich in eine Kleinigkeit von Kreis, schutzsuchend. Doch Sicherheit fanden sie nie, denn gleich darauf begann erneut ihr bedrohliches Blühen. Menschen haben versucht, die Endlosigkeit der Zeit mit Verstandeskraft zu leugnen, ihr die Messbarkeit im Unendlichen abzusprechen. In diesen Augen gab es keine Zeit. Ich konnte mich keines Anfangs und Endes entsinnen, keines Gefühls eines Verstreichens, keiner Zahl. Sah immer nur das Wachsen und Vergehen der Schwärze und war dahinein verbannt, wie in einen Alptraum. Doch hatte ich Macht. Ich wusste, dass ich diesen bizarren Krampf verursachte. Ich war der Grund für dies alles. Es musste so sein. Ich drang auf ihn ein, er war auch an meine Augen gebunden, genauso unfähig zur Änderung, doch in Angst zerrissen. Der Gedanke an meinen eigenen Blick trieb die Übelkeit in mir auf wie Meeres-Sand in einem dunklen Strudel. Was sah er? Das Bedürfnis die Augen zu schließen, sie in einer gedankenlosen Attacke zusammenzupressen, war stark in diesem Moment. Ich wollte nicht jenes Schreckliche in mir wissen, das ich durch seinen Blick sah, wollte das Äußere vor mir schützen, diesen unsäglichen, zerrüttenden Fluch von mir nehmen. Doch ich konnte es nicht, ich musste ihn bannen, durfte die Kontrolle über dieses flirrende Grauen nicht verlieren. Ich musste ihn töten.

Wie vom Wind gestreiftes Blattwerk begannen unsere Stimmen zu wispern. Sie fielen als Zahnräder ineinander in einen Disput um Macht. Sein formelhaftes Flehen zeitigte mein kühles Ablehnen. Wie in einer schleierhaften Choreographie, an deren Ende der Tod steht, sprachen wir für lange Zeit, in dem Bewusstsein ein Ritual zu vollziehen, jedoch gleichsam im Ungedachten, Undenkbaren zu tanzen. Die einzige Tatsache, die unser immer in der Halb-Stille verweilendes Flüstern dem Wahnsinn abspenstig machte, war, dass die Kraft auf meiner Seite ruhte, dass er machtlos war. Nur zum Worte fähig, zu substanzlosen Verwerfungen aus Luft und doch wie ein verwundetes Tier blind dorthinein verkrallt, als letzte, wirre Ausflucht. Er trug eine Waffe in seiner Hand, doch ich war im Besitz der Macht. Unser Singsang pochte hin und her, ich ihn beschwichtigend und dazu auffordernd die Waffe an seinen Kopf zu legen, er in panischer Scheu still lamentierend. Er streckte die Formung aus Metall weit von sich, wie einen stinkenden Tier-Kadaver. Lange hatte sich unser rhythmisches Gespräch hingezogen. Ein Silbereflex stach mein Auge, seine Hand zitterte wohl. Er wollte es nicht, er würde es nicht tun. Ich musste weiterreden, wurde ihm jedoch überdrüssig. Ein Nebel aus Langeweile umschloss mich. Ich hatte keine Waffe, doch ich besaß Macht. Ich besaß das formlose Kräftige, das stärkste von allen. Bald würde ich ihn zwingen. Ich ließ meinen Blick zu Boden schweifen. Schon immer habe ich mich gefragt, ob das Wesen, das die Waffe, das Todesinstrument fertigt, eine Vorstellung hat, von dem, was aus seinen Händen erwächst. Ob es nachts erwacht, in einer phantastischen Raserei an Orte geschickt wird, an denen die Waffe ist. Ob ein Teil der Person mit der Waffe geht, ob eine Verbindung, eine Vorstellung existiert von dem, was mit der Waffe geschehen wird. Ob dies den Menschen inspiriert, träumen lässt. Oder ob er vor seinem Tun eine Widerlichkeit empfindet, das Gerät, die Waffe mit dem teuflischen Zuspruch einer Hassliebe zusammenfügt, dem stärksten aller Baumeister. Ob er vielleicht in schluderndem Sarkasmus, unter Ausblendung alles Gefühlten, die Teile der Waffe wählt und verbindet? Gar rein mechanisch, wie unter dumpfen Drogendecken, den Handgriff am Fließband ausübt? Immer wollte ich dem Fertiger der Waffe einen dieser faszinierenden Zustände antun, ihn in einen dieser bunten Tümpel stoßen. Ich spürte warmes Metall in meiner Hand.

Ich hatte die Waffe!

Riss meinen Blick auf zu ihm, er lächelte! Seine Augen waren... zusammengekniffen. Er hielt die Macht in seiner Hand, zur Faust geballt, mir entgegengestreckt! Verwirrung durchflutete mich wie heißes Öl. Bald begann ein grauenhafter Brand in mir zu toben. Ich würde sterben! Kein Schicksal lässt sich zweimal herab zu solch einem Possenstück! Ich musste reden, begann eifrig wie ein Kind am ersten Schultage Worte an ihn zu senden. Doch sie gingen unter in meiner eigenen Verzweiflung. Ich kannte das schon! Hatte das schon erlebt, angetan, war gerade er gewesen, wusste um die langweilende Widerlichkeit dieser Abfolge von geflüsterten Silben! Ich hatte meine individuelle Kraft verloren, die Sicherheit, Ich zu sein, im Recht zu sein. Zu nah war noch mein arrogantes Abschweifen als Er. Es war ein Horror von menschlichem Lernen, von Merken und Schließen auf das kommende Verscheiden, vorbestimmt und unabwendbar, ganz hoffnungslos ersäuft in der Erkenntnis der eigenen Mords-Bestimmtheit vor so wenigen Augenblicken! Er hatte seinen Arm zurückgenommen, neben seinen Körper gelegt und stand, so ruhig wie entschlossen, vom Staub in Schwaden umspült, vor mir. Plötzlich war alles fort. Gedanken schossen wie aus einem geplatzten Rohr in meinen Geist, in meine Seele. Mein anderes Leben, an das ich schon nicht mehr geglaubt hatte, als ich in seine Augen versponnen war, das ich geleugnet hatte, schrie mich an. Überschüttete mich mit Bildern, knatternd und kreischend wie ein hysterisch gewordener, alter Filmprojektor. Giftgrünes Adrenalin durchdrang mich, peitschte meinen Puls, ließ eine noch ungeahnte Hitze in mir aufkochen, einen Zuckerbrei aus Sentimentalem, aus Emotion, aus Sein-Wollen, aus quietschend in meinem Kopf hin und her geschleuderten Momenten der Menschen-Zärtlichkeit, die wie rasend an ihren drängenden Nachfolgern zerbarsten. Ein Überlauf von in dicker Farbe gemalten Skizzen, der sich selbst in hitziger Übertreibung zerstörte und brüllend verglühte. Und doch: dahinter, am Horizont, schwebte bläulich schimmernd ein reines, klares, ätherisches Ozon. Die Liebe, das Entrückte, das Schöne als abstraktes Destillat dieser ganzen Flut von Leben. Sie blieb, fast greifbar.

Ich sagte ihm:
"Ich kann sterben. Diese Angst ist mir fern." Dachte zugleich befriedigt, dass ich es nun doch noch dem Schicksal abgeknöpft hätte, das andere, das Würdevolle. Dass ich es besser gemacht hätte als er, stark sei im Untergang. Sagte weiter: "Angst habe ich jedoch, dass diese Waffe mich gar nicht töten könnte, mich verstümmeln würde."

Er lächelte und nickte. Ich schluchzte auf, doch vielmehr auf Grund der Anstrengung, die es mich kostete den Arm zu erheben, als aus irgendeiner Empfindung, denn so leer, wie in diesem Moment, hatte ich mich nie gefühlt. Ich legte an. Dann blickte ich prüfend zu ihm, in seine immer noch verkniffenen Augen, um zu erfahren, ob er es jetzt freigab, zuließe und auch ob er meinen Tod wirklich ernst meinte, ich also wirklich sterben würde. Denn die schattenhafte Furcht einer selbsterzeugten geminderten Subexistenz keimte erneut in mir. Nie war mir die Erinnerung an einen zerteilten Regenwurm grauenerregender aufgestoßen. Nie hatte ich mehr mit dem von unkundiger Hand der Verendung preisgegebenen Tier gelitten. Taumelnd fiel ich in einen Sog aus Beschleunigung. Er lächelte weiter und nickte mir zu. Ich nahm es als sein Wort und drückte ab. Fragte mich aber im Moment, in dem die Kugel die Mündung erreichte, woher er es wissen konnte.

Dann spürte ich einen Schlag, fühlte an dem Punkt, an dem die Waffe meinen Kopf berührt hatte ein kurzes Zischen, gleich einem sterbenden Wassertropfen auf viel zu heißer Oberfläche, ein längliches Stechen, einen in meinen Schädel getriebenen Reißnagel. Alles wirkte entfernt, es schien mich nur zu streifen, allerdings ohne dass ein Ersatz für die mangelnde Substanz da war, so als würde ich mich einfach auflösen. Doch schon im nächsten Moment fiel ein plumper Vorhang aus samtenem Dunst vor mir herab, dachte ich nur noch ein gemeiner blechener Sekt-Korken wäre mir gegen den Kopf geprallt und bald müsste irgendwo ein ulkig-entlastendes Lachen beginnen. Anstatten wurde es dunkel. Ein kränkliches Sirren wie von einer angeschlagenen, zerbogenen Stimmgabel hob an. Dann: Helle. Das Sirren ging über in ein milchig-dumpfes Blubbern und ich wurde von schalem, pudrigem, sommerhellen Licht geblendet. Alles war flach-wulstig, verschoben, verschmiert. Vor mir stand er, ich lag, hatte eine braune, raue Wolldecke um mich gewickelt, lag in einem der Betten! Er blickte ruhig, seine Lippen formten eine perfekte Linie. Ich konnte nicht sprechen! War wütend, kochte auf eine abbindende, matschige Art. Er hatte mich betrogen, der Teufel! Ich versuchte ihn doch zumindest mit meinen Gesichtszügen anzukeifen, doch ich spürte nicht, dass sie sich rührten. Er ging einfach. Ihm hinterherzublicken war mir nicht möglich. Nichts war mir möglich. Draußen zwitscherte etwas in schneidender Höhe. Die Töne schlugen blutige Blasen in meinen Ohren. Ein summendes, dickes, bestimmt pelziges, giftiges Insekt prallte ungleichmäßig gegen das Zimmerfenster. War es angelehnt? War es offen? Ich hatte Angst.

Es endete in Unendlichkeit.

 

Hallo Bosch,

ich habe deine seltsame Geschichte zwar gelesen, inhaltlich kann ich aber wenig dazu sagen. Eine Interpretation fällt mir schwer, und zumindest ich habe etwas Erklärungsbedarf bei dem Text nötig. Wo befindet sich dein Protagonist? Was ist das für ein eigenartiger Raum? Und mit wem kämpft er? Mit sich selbst, seinem Inneren? Vielleicht kannst du mir ja einen hilfreichen Hinweis geben, in welche inhaltliche Richtung dein Text hinausläuft ...?

Sprachlich ist die Geschichte sehr gut und flüssig zu lesen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

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