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Ein Ausflug ins Grüne
Schnarchend hatte er seinen Kopf auf die Schreibtischplatte sinken lassen.
Der Computer war schon seit fünfzehn Stunden in Betrieb und flimmerte nun schwarz und gelb vor sich hin. Sein Arbeitszimmer im zwölften Stock des California Centers in San Fransisco war schummrig. Die Putzfrauen hatten alle Lichter gelöscht; die einzige Lichtquelle bot nun die kleine weiße Halogenlampe auf Teds Schreibtisch. Der Computer schaltete seinen Bildschirm mit einem leisen "Klick" aus.
Teds Kopf schnellte hoch.
War das die Tür? Hatten die Putzfrauen ihre Arbeit erledigt und ihn etwa erneut in seinem Büro eingeschlossen?
Ted arbeitete bereits seit einigen Jahren bei Moon microsystems, einer neuen hoffnungsvoll gegründeten Softwarefirma. Die Stelle als Programmierer kam ihm damals wie gerufen. Er war jung, ledig, aus Washington DC und auf der Suche nach Herausforderungen. Routine schreckte ihn ab, weshalb er gedachte, nur ein bis zwei Jahre bei Moon microsystems zu arbeiten.
Jetzt hatten sie ihn in der Falle.
Die Geschäftsführung hatte früh erkannt, mit welch enormen Talent sie es zu tun hatte, und tat alles daran, den jungen Programmierer mit einer Fülle an Projekten an seinen Schreibtisch zu fesseln.
Er steckte sich seine 24. Zigarette an diesem Tag an.
Das Inhalieren des blauen Dunstes beruhigte ihn.
Er saß seit nunmehr fünfzehn unscheinbar langen Stunden in seinem Büro und arbeitete an einer Homepage einer japanischen Behörde zur Aufklärung über längst vergessene Traditionen und Sagen Japans.
Er lud das letzte Bild der Serie herunter. Die Texte zu den Bildern interessierten ihn dabei herzlich wenig, jedoch hatte dieses Bild sein Interesse für kurze Zeit geweckt. Es zeigte eine Japanerin in einem roten Kimono, welcher vor Verrat, Unglück und Verdammnis schützen sollte.
Seine Zigarette war ihm im Moment wichtiger.
Er blies Kreise und lies diese am Bildschirm zerschellen.
Da die Türschlösser in seiner Etage an diesem Tag ausgewechselt worden waren und er vergessen hatte, sich einen neuen Schlüssel beim Abteilungsleiter abzuholen, war er wohl oder übel gezwungen die Nacht in seinem Büro zu verbringen.
Blauer Rauch stieg von seiner fast erloschenen Zigarette hoch und das letzte was er sah, bevor sein Kopf erneut auf den Schreibtisch sank, war das Bild der japanischen Frau im Kimono, das er soeben hochgeladen hatte.
Sie verfolgte ihn in seinen Träumen, die japanische Frau mit ihrem roten Kimono, der strengen Hochsteckfrisur und ihrem grünen Spiegel.
Als er am nächsten Morgen von seinem Kollegen geweckt wurde, war das Geträumte nur noch ein blasser Schleier seiner Wahrnehmung. Dass die Japanerin seine Zigaretten gestohlen und anschließend seinen Computer aus dem Fenster geworfen hatte, davon wusste Ted am nächsten Tag nichts mehr.
"Hier, ich hab dir ne Packung Kent mitgebracht. Siehste, hatte recht, das deine wieder alle sind", sagte sein Kollege als er Teds Augenlider zucken sah.
"Bist wohl wieder vor deinem Bildschirm eingeschlafen, was? Mensch Ted, du bist ja schon fast mit dem Computer verheiratet. Mach mal Urlaub Mann, dann hättest du auch nicht so riesige Augenringe!"
Ted öffnete langsam seine Augen. Der würzige Kaffeegeruch umschmeichelte seine Nase und weckte seine erschlafften Glieder.
Nicht eine Nacht mehr wollte er in seinem Büro übernachten müssen. Drei Jahre hatte er sich nun keinen Urlaub mehr genommen, seine Wochenenden fast ausschließlich an seinem Computer verbracht.
Mit der Zeit verloren die Dinge seinen Sinn.
Früher war Ted ein passionierter Maler und Basketballspieler gewesen, der viel Zeit an der freien Luft verbrachte und die Mädchen um den Verstand brachte. Heute hätten die 30 Zigaretten am Tag jeder Teerstrasse Konkurrenz gemacht und sein schlaksiger, ungepflegter Körper konnte heutzutage kein vernünftiges Mädchen mehr begeistern.
Jetzt brauchte er eine Zigarette, oder nein, lieber einen Kaffee, schwarz.
Teds Vorgesetzter zeigte sich wenig begeistert von seinem Urlaubsgesuch, doch er konnte ihn Ted aus rechtlichen Gründen nicht ablehnen. Jedoch fürchtete er durch die Abwesenheit Teds eine gute Arbeitskraft zu verlieren. Zwar nur auf Zeit, doch Zeit ist Geld, wie er immer zu sagen pflegte.
Drei Tage Urlaub schienen in Teds Augen völlig zu genügen und so buchte er noch am selben Tag ein Zimmer im Taifun Plaza in Las Vegas.
Es war das letzte freie Zimmer der ganzen Stadt.
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Bunte Lichter leuchteten ihm entgegen, als er mit dem Taxi in Richtung Hotel fuhr. Das Reiseprospekt hatte nicht übertrieben. Er tauchte ein in das Lichtermeer, den flimmernden Sternenhimmel, die hoffnungsgetränkte Luft und lies sich treiben.
Das Hotel, welches er bewohnte war eine täuschend echte Kopie dessen, was er sich unter einer typischen japanischen Ortschaft vorstellte. In diesem Teil von Las Vegas liefen die Kellnerinnen in roten Kimonos und Hochsteckfrisuren herum.
Die meiste Zeit des Tages verbrachte er in den größten und schillerndsten Casinos der Stadt.
Und die Versuchung lockte überall.
Leichtbekleidete Mädchen die alkoholische Getränke verteilten und dicke Zigarren die er sich nach seinen Siegen beim Roulette ansteckte, bestimmten seinen Tagesablauf. An seine Arbeit mochte er nicht im Entferntesten denken.
Er war wie gebannt von den vielen Lichtern und dem Glanz der Spieltische, das er gar vergaß zu essen. Ihm reichten seine Zigaretten, Wodka und der süße Atem der Nutten, die er sich abendlich mit aufs Zimmer nahm.
Er konnte nicht mehr aufhören.
Die Spieltische wurden sein täglich Brot, der Wodka sein Herzblut und der Schlaf Zeitverschwendung. Je länger er an seinen Spieltischen verbrachte, desto mehr vergaß er die Zeit. Wenn er nicht spielte, hingen Pike von den Plastikbäumen, hob er seine Wodkagläser mit Kreuzen hoch und Frauen bedeckten ihre Brüste mit Herzen.
Den Tag seiner Abreise hatte er im Suff verschlafen.
"Was solls" dachte sich Ted und verlängerte seinen Aufenthalt um zwei Wochen.
Er konnte und wollte seine neue Existenz nicht aufgeben.
Die nächsten Tage schlief er kaum. Viel zu magisch war die Anziehung der Roulettetische, Kartenmuster und blinkenden Lichter der Automaten, wenn er ausnahmsweise ein Spiel gewann. Den Frust über den Verlust von bereits zehntausend Dollar betäubte er mit Wodka, pur.
Am dreizehnten Tag seines Urlaubs hatte er soviel Alkohol im Blut, wie eine Maus, die in ein Weinfass gefallen ist.
Die Wände seines Zimmers bewegten sich auf ihn zu und drohten ihn mit ihren chinesischen Verziehrungen zu erstechen.
Er sah nur noch die Flucht.
Als er sich in der Spielhalle wiederfand zündete er sich eine Zigarette an, oder waren es seine Finger, die er da in Brand gesetzt hatte? Er sah sich um.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
Er saß direkt vor ihm, der Satan höchstpersönlich, mit seinem gezwirbelten Bärtchen, dem schwarzen Anzug und fragte ihm mit einem diabolischen Grinsen, ob er nicht Lust auf eine Runde Karten hätte.
Doch plötzlich verformte sich sein Kopf in einen Computer, der an seiner rechten Ecke ein Einschussloch besaß das blutete, regelrecht spuckte.
Ted wollte sich übergeben, doch er fürchtete den Verlust seiner Augen, die nun wie Messer aus seinem Schädel hervorstanden.
Er flüchtete sich auf die Strasse.
Die Palmen wiegten sich im Wind und schienen nach Ted zu schlagen, forderten seine Exekution durch Auspeitschung.
Doch womit hatte er diese verdient?
Ein ungleichmäßiges Rauschen machte sich plötzlich in seinem Kopf breit, betäubte seine Ohren, benebelte seinen Verstand und zwang ihn zum Innehalten. Ein dumpfes Geräusch und ein stechender Schmerz trafen schließlich seinen Kopf und brachte ihn zu Fall.
Er war von einer herabfallenden Kokosnuss am Kopf getroffen worden.
"Hey Süßer, wie wär´s denn mit uns beiden?" weckte ihn schließlich eine weibliche, verrauchte Stimme.
Teds Kopf schmerzte. Er war noch benommen, als ihn die Nutte in ihr Auto zerrte und ihm dort Wodka und ihren Körper anbot.
Das ihn dieser Spaß den verbliebenen Inhalt seiner Geldbörse kosten würde, erfuhr Ted Stunden später.
Taumelnd bewegte er sich in Richtung Hotel zurück.
Der Himmel hatte sich inzwischen in ein Wirbel blauer Farbtöne verwandelt, die stufenlos ineinander übergingen und in Ted die Assoziation von Manhattan Ice Cream, seinem Lieblingseis, mit blauen Farbstoffen hervorrief.
Sein Magen, der seit Tagen nur mit Alkohol und gelegentlich Cocktailkirschen versorgt wurde, knurrte wie ein tollwütiger Hund. Wenn er heute Nacht nicht in sein Hotel zurückfinden würde, würde er mit Sicherheit verhungern.
Er sah sich bereits tot unter einem Spielautomaten liegen.
Und plötzlich nahm er sie wahr. Die metallene Klänge der japanischen Glockenspiele, die seinen gedämpften Ohren wie eine Siegeshymne schmeichelten.
Die Wirbel im Himmel wurden immer schneller, die Lichtspiele in seinen Augen immer bizarrer, bis ihn eine kleine weibliche Gestalt in die Welt der Lebenden zurückholte.
Er konnte sie nicht genau erkennen, nahm nur ihren grellroten Kimono zur Kenntnis und die leisen Geräusche die sie machte, während sie ihn die Treppe hinauf auf sein Zimmer trug.
Dann kam die Dunkelheit.
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Die schwüle Mittagshitze trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirn, die sich in einem Fluss vereinten und seine Lippen benetzten.
Er fühlte den stechenden Schmerz in seinen Gelenken als er versuchte sich aufzurichten.
Sein Durst würde ihn umbringen.
Den Nachrichten im Radio konnte er entnehmen, das es bereits Donnerstag war.
Er hatte 34 Stunden geschlafen.
Seine Erinnerungen an die vergangenen Nächte waren dunkle Fetzen des Irrsinns, die ihn an seinem Verstand zweifeln ließen.
Wie war er auf sein Zimmer gekommen? Hatte er es allein fertiggebracht?
Sein Drang nach einer Zigarette und einem Wodka überwogen seine Neugier.
Doch als er sich umdrehte waren dort weder Zigaretten noch Alkohol zu finden, sondern nur ein reich verzierter, grüner Spiegel.
Ted ahnte, auf was er sich einlassen würde. Zwei Wochen zügellose Trinkerei und Schlaflosigkeit würden bestimmt seine erbarmungslosen Spuren hinterlassen haben und doch konnte er sich dem Verlangen sein Spiegelbildes zu betrachten nicht entziehen, nach dem er wie nach einer Zigarette verlangte.
Er erblickte sich, den Ted, den er zu sehen hoffte, Ted mit dem vollen blonden Haar und den strahlend grünen Augen, der vor Herausforderungen nicht zurückschrak, Verantwortung tragen konnte, den Ted, der er einmal war.
Bis sich das Spiegelbild verformte. Was er dort erblickte, ließ seinen Atem stocken.
Er sah einen müden, alten Mann mit schütterem Haar, dumpfen Augen und ängstlichem Blick.
Vom Alkohol gezeichnet.
Er ließ sich rücklings auf sein Bett fallen und begann zu weinen. Aus Verzweiflung? Aus Scham?
Ted wusste es nicht.
Sein Leben sollte einen neuen Sinn gewinnen. Noch heute. Endlich wieder.
Ohne große Überlegungen machte sich Ted an das Packen seiner Koffer. Die Kleider die er am Leibe trug und nach Alkohol stanken, ließ er mit derselben Hoffnung im Hotelzimmer zurück wie auf das baldige Verarbeiten der schrecklichen zwei Wochen, die ihn an den Rand des Wahnsinns und seiner Wahrnehmung geführt hatten.
Von nun an wollte er wieder Verantwortung für sein Leben übernehmen.
Im Taxi sitzend malte er sich sein neues Leben aus. Als Maler mit seiner Familie in einem kleinen Häuschen in einer Kleinstadt.
Hinter ihm sah er die Sonne, den glühenden Feuerball in der ewigen Wüste untergehen.
Den grünen Spiegel sah Ted nie wieder.