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Ein Baum

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03.12.2002
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Ein Baum

Bis vor wenigen Augenblicken lebte ich außerhalb der Zeit, denn seit dem Tage meiner Geburt aus Mutter Erde war ich ihr entrissen. Zeiten kamen und gingen und alles was sich änderte waren die Bewohner meines Hauptes. Ich gewährte Vögeln und Käfern Unterschlupf. Und ich schütze meine Brüder und Schwestern vor den Tücken des Windes. Dann grub ich meine Wurzeln tiefer ins Erdreich, klammerte mich an meine Mutter und trotzte den Launen des Himmels. Im Frühling sog ich die Sonne auf. Ich entwickelte mich zum hungrigen Tier, dass unbarmherzig seine Beute jagt. Wenn der Sommer kam, entfaltete ich meine ganze Pracht und trug eine Krone aus grünen Blättern. Der Herbst nahm sie mir und der Winter belegte mich mit einer Schicht aus weißen Schnee. Und so vergingen die Jahre, ohne das ich sie zählte. Nur manchmal wurde ich mir der Vergänglichkeit bewusst, denn ich wuchs stetig heran und ich wusste, dass dies einmal sein Ende haben würde, doch das es nun so nahe ist, kann ich nicht begreifen.
Ich höre die schweren Stiefel der Männer, die mit ihren Sägen durch das Unterholz direkt auf mich zu schreiten. Und all das Getier, dass ich über die mir nun bekannte Zeit, geschützt hatte wirft sich ihnen nicht entgegen, um nun mir Schutz zu gewähren. Nein, sie verstecken sich in und unter meinen jüngeren Geschwistern, deren Laub ich zittern sehe. Selbst die Käfer in meinem Inneren scheinen die Gefahr zu spüren, denn sie kriechen aus ihren dunklen Höhlen und verlassen meinen Leib.
Leichter Feuerschein dringt durch die Büsche und ich beginne den Geruch von verbranntem Leben wahrzunehmen. Die Menschen bahnen sich ihren Weg und ihre lichtspendenden Fackeln versengen die Arme der jungen Bäume und Büsche. Sie zertreten unsere Kinder, welche ihnen den Weg versperren und die älteren werden mit stählerner Hand beseitigt.
Die Welt um mich herum änderte sich und ich beginne die Gegenwart wie die Vergangenheit zu betrachten.

Sieben Männer standen unter mir, als der Mond hoch am Himmel empor stand und in ihren fahlen Gesichtern die Gier nach meinem Fleisch zu sehen war. In ihren Händen erkannte ich den nackten Stahl ihrer Instrumente und welch Ironie, dass diese Werkzeuge des Todes getragen wurden, von den Resten meiner Verwandten. Körper, geschnitzt und behauen zu Stielen und Bögen.

Unbarmherzig drang der kalte Stahl in meinen Leib. Er schnitt meine Haut entzwei und durchtrennte meine Adern. Unter jedem Schlag erzitterte mein Körper und jeder Hieb schickte Wellen aus Schmerz durch meinen Stamm. In meinem Haupt arbeiten zwei der sieben Männer und ihre Sägen schabten sich durch meine Äste, so dass meine Krone nach und nach zu Boden ging. Qual und Pein waren allgegenwärtig und der Wunsch der Flucht überdeckte all meine sonstigen Gedanken. Doch meine Mutter ließ mich nicht gehen, denn das Geschenk meiner Geburt ging einher mit unserer unzertrennlichen Verbindung. Ich wollte fliehen, doch ich konnte nicht und so war ich dem Schmerz ausgesetzt; gezwungen ihn zu ertragen und gezwungen mit anzusehen, wie ich Stück für Stück verstümmelt wurde.
Sie umschlangen mich mit Seilen, die sich immer kräftiger um meinen Körper legten und meine Haut begann unter ihrem Druck zu brechen. Überall an meinem Körper brachen nun Quellen des Leides aus und mein Geist zerbrach unter der entsetzlichen Pein. Elend und Kummer waren mein Ende und sie zogen wie ein gewaltiger Sturm über mich hinweg, doch meine Wurzeln bildeten für diesen kein Bollwerk der Sicherheit. Ausgeliefert der Willkürlichkeit.

Frieden und Gediegenheit waren nicht mehr länger und so verwandelte sich mein Verstand, meine Seele der Natur zu etwas, dass ich nie zuvor spürte. Aus Angst und Schmerz wurde Hass und Wut. Der Wille des Widerstandes durchdrang mich und ich wusste, dass meine knorrigen Äste bald zu Fingern werden würden, welche nach den Menschen greifen und Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich werde sie aus dem Leben reißen und mir ihre Körper zu nutzen mache, indem ich mir ihre stinkenden Leichen zu Füßen lege und sie dort verfaulen lasse, so dass mich ihr verrottendes Fleisch ernährt und sich meine Wunden schließen. Aber ich kam nicht dazu, denn mein Leib fiel und der Schmerz verebbte im Tode meines Körpers.

 

Hallo morti,

so habe ich das Leben und den Tod eines Baumes noch nie gesehen. Ich denke, wenn es jedem bewußt wäre, dann hätte das unaufhörliche Roden unserer Wälder ein Ende.

Eine sehr schöne und einfühlsame Geschichte; geschrieben aus einer ungewöhnlichen Sicht. Ich glaube, jetzt weiß ich, warum ich Pflanzen so liebe ...

Danke und liebe Grüße! Salem

 

Hi salem,
schön, dass dir der Baum gefallen hat!
Vielleicht sollten wir alle nur noch Fleisch essen und die armen Pflanzen in Ruhe lassen *g*

Liebe Grüße...
morti

 

Hi morti,

"Baum fällt!"

Das würde ich streichen. Es ist ohnehin jedem klar, dass es so ist, auch wenn die Arbeiter sich vielleicht noch einmal warnen, damit niemand von ihnen unter dem Baum begraben wird. Gefallen ist er aber vorher. Der Ruf müsste dann also vor seinem Todesgesang kommen.

Das ist aber auch das Einzige, dass ich zu meckern habe an deiner Geschichte.
Sie hat mir gut gefallen.

Einen lieben Gruß, sim

 

OK OK
er fällt nicht mehr ;)

Freut mich natürlich, dass sie dir gefallen hat. Ich hoffe doch mal, dass nun alle Leser dieser Geschichte in der Mainacht ein schlechtes Gewissen hatten *g*
Sowas nennt man wohl Massenmord...

Lieben Gruß...
morti

 

Hallo morti,

ich schließe mich meinen Vorgängern an, deine Geschichte hat mir auch recht gut gefallen. Vor allem das Einfühlsame. Man kann sich in deinen Baum hineinversetzen und mit ihm bangen.
Die Rachepläne des Baums waren nachvollziehbar für mich; dass er sie niemals umsetzen würde können, sondern es unsere Aufgabe ist, mit dem Roden aufzuhören, ebenfalls.
Eine interessante Sichtweise, die ich gerne gelesen habe und über die es sich lohnt, nachzudenken.

Ein paar Mal hast du Gegenwarts- und Vergangenheitsform vermischt, wenn du den Text bitte noch mal lesen und die betreffenden Stellen berichtigen könntest?

Wo ich gerade dabei bin: ;)

Ich entwickelte mich zum hungrigen Tier, dass unbarmherzig seine Beute jagt
das
Und so vergingen die Jahre, ohne das ich sie zählte
dass
...,doch das es nun so nahe ist, kann ich nicht begreifen
dass
Und all das Getier, dass ich über die mir nun bekannte Zeit, geschützt hatte wirft sich ihnen nicht entgegen, um nun mir Schutz zu gewähren
das / Komma nach "hatte" ansatt "Zeit"
Frieden und Gediegenheit waren nicht mehr länger und so verwandelte sich mein Verstand, meine Seele der Natur zu etwas, dass ich nie zuvor spürte
das

Viele Grüße,

Michael :)

 

Hallo Michael,
ich werde die Fehler und Anmerkungen noch berichtigen.
Danke fürs lesen und verbessern! :)

Liebe Grüße...
morti (der eigentlich auch Michael heißt ;) )

 

Hallo morti!

Auch mir gefällt Deine Geschichte sehr gut! In meinen Augen sind Bäume ein mit Empfindungen ausgestatteter Teil der Natur, und über kurz oder lang wird sich diese eh für Verfehlungen ihr gegenüber rächen.

Cree-Indianer: Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann!

Auch von mir noch ein paar Anmerkungen zum Text:
Und ich schütze meine Brüder und Schwestern vor den Tücken des Windes.
... schützte ...
Der Herbst nahm sie mir und der Winter belegte mich mit einer Schicht aus weißen Schnee.
... weißem ...
Sieben Männer standen unter mir, als der Mond hoch am Himmel empor stand und ...
Unglückliche Wortwahl. Vorschlag: Sieben Männer lauerten unter mir, als der Mond hoch oben am Himmel stand und ...
In meinem Haupt arbeiten zwei der sieben Männer ...
... arbeiteten ...
Qual und Pein waren allgegenwärtig und der Wunsch der Flucht überdeckte all meine sonstigen Gedanken.
Würde ich ändern zu: ... der Wunsch zu flüchten ...
Ich werde sie aus dem Leben reißen und mir ihre Körper zu nutzen mache, indem ich ...
... zunutze machen ...

Ansonsten sehr angenehmer, bildreicher Schreibstil!


Ciao Antonia

 

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