- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Ein Baum
Bis vor wenigen Augenblicken lebte ich außerhalb der Zeit, denn seit dem Tage meiner Geburt aus Mutter Erde war ich ihr entrissen. Zeiten kamen und gingen und alles was sich änderte waren die Bewohner meines Hauptes. Ich gewährte Vögeln und Käfern Unterschlupf. Und ich schütze meine Brüder und Schwestern vor den Tücken des Windes. Dann grub ich meine Wurzeln tiefer ins Erdreich, klammerte mich an meine Mutter und trotzte den Launen des Himmels. Im Frühling sog ich die Sonne auf. Ich entwickelte mich zum hungrigen Tier, dass unbarmherzig seine Beute jagt. Wenn der Sommer kam, entfaltete ich meine ganze Pracht und trug eine Krone aus grünen Blättern. Der Herbst nahm sie mir und der Winter belegte mich mit einer Schicht aus weißen Schnee. Und so vergingen die Jahre, ohne das ich sie zählte. Nur manchmal wurde ich mir der Vergänglichkeit bewusst, denn ich wuchs stetig heran und ich wusste, dass dies einmal sein Ende haben würde, doch das es nun so nahe ist, kann ich nicht begreifen.
Ich höre die schweren Stiefel der Männer, die mit ihren Sägen durch das Unterholz direkt auf mich zu schreiten. Und all das Getier, dass ich über die mir nun bekannte Zeit, geschützt hatte wirft sich ihnen nicht entgegen, um nun mir Schutz zu gewähren. Nein, sie verstecken sich in und unter meinen jüngeren Geschwistern, deren Laub ich zittern sehe. Selbst die Käfer in meinem Inneren scheinen die Gefahr zu spüren, denn sie kriechen aus ihren dunklen Höhlen und verlassen meinen Leib.
Leichter Feuerschein dringt durch die Büsche und ich beginne den Geruch von verbranntem Leben wahrzunehmen. Die Menschen bahnen sich ihren Weg und ihre lichtspendenden Fackeln versengen die Arme der jungen Bäume und Büsche. Sie zertreten unsere Kinder, welche ihnen den Weg versperren und die älteren werden mit stählerner Hand beseitigt.
Die Welt um mich herum änderte sich und ich beginne die Gegenwart wie die Vergangenheit zu betrachten.
Sieben Männer standen unter mir, als der Mond hoch am Himmel empor stand und in ihren fahlen Gesichtern die Gier nach meinem Fleisch zu sehen war. In ihren Händen erkannte ich den nackten Stahl ihrer Instrumente und welch Ironie, dass diese Werkzeuge des Todes getragen wurden, von den Resten meiner Verwandten. Körper, geschnitzt und behauen zu Stielen und Bögen.
Unbarmherzig drang der kalte Stahl in meinen Leib. Er schnitt meine Haut entzwei und durchtrennte meine Adern. Unter jedem Schlag erzitterte mein Körper und jeder Hieb schickte Wellen aus Schmerz durch meinen Stamm. In meinem Haupt arbeiten zwei der sieben Männer und ihre Sägen schabten sich durch meine Äste, so dass meine Krone nach und nach zu Boden ging. Qual und Pein waren allgegenwärtig und der Wunsch der Flucht überdeckte all meine sonstigen Gedanken. Doch meine Mutter ließ mich nicht gehen, denn das Geschenk meiner Geburt ging einher mit unserer unzertrennlichen Verbindung. Ich wollte fliehen, doch ich konnte nicht und so war ich dem Schmerz ausgesetzt; gezwungen ihn zu ertragen und gezwungen mit anzusehen, wie ich Stück für Stück verstümmelt wurde.
Sie umschlangen mich mit Seilen, die sich immer kräftiger um meinen Körper legten und meine Haut begann unter ihrem Druck zu brechen. Überall an meinem Körper brachen nun Quellen des Leides aus und mein Geist zerbrach unter der entsetzlichen Pein. Elend und Kummer waren mein Ende und sie zogen wie ein gewaltiger Sturm über mich hinweg, doch meine Wurzeln bildeten für diesen kein Bollwerk der Sicherheit. Ausgeliefert der Willkürlichkeit.
Frieden und Gediegenheit waren nicht mehr länger und so verwandelte sich mein Verstand, meine Seele der Natur zu etwas, dass ich nie zuvor spürte. Aus Angst und Schmerz wurde Hass und Wut. Der Wille des Widerstandes durchdrang mich und ich wusste, dass meine knorrigen Äste bald zu Fingern werden würden, welche nach den Menschen greifen und Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich werde sie aus dem Leben reißen und mir ihre Körper zu nutzen mache, indem ich mir ihre stinkenden Leichen zu Füßen lege und sie dort verfaulen lasse, so dass mich ihr verrottendes Fleisch ernährt und sich meine Wunden schließen. Aber ich kam nicht dazu, denn mein Leib fiel und der Schmerz verebbte im Tode meines Körpers.