Ein Engel auf Erden
Ein Engel auf Erden
Ein kleiner Windstoß hauchte gegen sie. Es war ein später Frühlingsnachmittag. Sie stand da, sie war aber in Gedanken. Sie achtete nicht um ihr Umfeld oder darauf wo sie stand. Sie stand einfach nur da.
Ihre Gedanken kreisten sich um fast alles. Um ihre Freunde, um den frühen Morgen den sie heute erlebt hatte, um ihr ganzes Leben. Ein Windstoß umgab sie, ihre Haare wehten umher, aber sie machte sich nichts draus. Sie würde sowieso niemand sehen. Dies gab ihr wieder den Anlass um über ihr Leben nachzudenken.
Was für ein Leben hatte sie bis jetzt überhaupt geführt?
Sie wuchs in der Großstadt auf, in New York. Als Kleinkind hatte sie eine schöne Kindheit, ihre Eltern umhegten und pflegten sie, nichts hatte ihr gefehlt.
Im Kindergartenalter hatte sie immer mit ihren vielen Freunden gespielt, jeden Tag bis spät abends. Sie war glücklich, sie hatte viele Freunde, ihre lieben Eltern und keine Probleme.
Bis eines Tages der Tag kam, an dem sie in die Schule kam, da sie aber auch noch sehr klug war, schickten ihre Eltern sie auf eine Privatschule, an der nur kluge und aus besserem Verhältnis kommenden Kindern. Dort fing ihre Misere an. Zugegeben sie war nicht besonders hübsch mit ihrer Brille. Dies nutzten die Kinder der gehobenen Klasse aus um sie zu ärgern, zu mobben. Sie war ein Außenseiter auf der Schule, sie war die einzige die klug war und nicht aus einer gehobenen Klasse kam. Sie wurde hauptsächlich wegen ihrer Brille geärgert.
Sie wurde dadurch zu tiefst gekränkt und trat zu Hause absichtlich paar Mal auf ihre Brille, damit sie sie nicht mehr tragen konnte. Ihre Eltern haben dann, als sie es erfahren haben mit ihr geschimpft und sie eine Woche lang nicht mit ihren Freunden draußen spielen gelassen. Sie hat sich trotzdem immer wenn die Eltern nicht da waren aus das Haus geschlichen. Ihre Freunde mit denen sie immer spielte, hatten nichts gegen ihr Äußeres, sie akzeptierten sich alle so wie sie waren. Die schätzte sie so sehr an ihnen.
Als sie in das Alter für die High School kam, wollten ihre Eltern in eine andere Stadt ziehen, in eine Stadt in Mary Land. Sie wehrte sich massiv gegen den Willen ihrer Eltern, doch ohne Erfolg. Wochen lang hatte sie geweint. Sie wollte ihre Freunde nicht verlassen, sie waren ihr doch so wichtig.
Der letzte Tag in New York kam bald, schweren Herzens verabschiedete sie sich von ihren Freunden. Sie versprach ihnen zu schreiben, alle waren traurig und wollten sie nicht gehen lassen. Der Weg in dem Auto nach Mary Land verlief schweigend. Gekränkt saß sie da und sah aus dem Fenster. Sie müsste ganz neu anfangen an einer neuen Schule, wo sie eigentlich froh sein kann, dass sie nicht mehr die arroganten Kinder ertragen muss, aber auch müsste sie sich neue Freunde suchen. Dort angekommen waren sie erstmal einen Monat damit beschäftigt das haus wohnbar zu gestalten.
Sie ging schon auf die High School, aber Freunde hatte sie im ersten Halbjahr noch keine. Keiner wollte sich mit ihr anfreunden oder beschäftigen. Sie schrieb jeden Tag mit den Freunden aus New York und telefonierte mit ihnen. Sonst hatte sie ja niemanden. Zumindest mobben die Mitschüler sie nicht, dachte sie immer.
Aber eines Tages zog in das Nachbarhaus eine neue Familie ein. Sie hatten drei Kinder, wie sich herausstellte. Da gab es einen Jungen der war schon achtzehn, der zweite Junge war vierzehn, genau wie sie selbst, und dann gab es noch ein kleines Mädchen, dass erst sieben war.
Sie nahm sich den Mut und ging zu ihren neuen Nachbarn rüber und freundete sich mit dem vierzehn jährigen Jungen an. Mit der Zeit waren sie die besten Freunde. Sie war so glücklich, genauso wie der Junge, er war in der Schule auch immer alleine gewesen. So schlossen sie sich zusammen zu einem Dream-Team.
Die High School war auch schon bald beendet. Beide gingen auch wieder zusammen zum College.
Als aber der Junge eine feste Freundin fand, vernachlässigte er immer seine beste Freundin. Sie fühlte sich allein gelassen. Sie schafften auch das College, danach trennten sich ihre Wege. Der Junge, der inzwischen wieder ohne Freundin war, ging auf eine Universität und sie fing eine Ausbildung an, alleine. Sie kam gut in der Ausbildung als Buchhalterin zurecht und freundete sich auch rasch mit den Mitarbeitern an. Abends ging sie immer mit ihnen in eine Bar. Zufrieden mit ihrem Leben genoss sie alles. Ihre Eltern waren mittlerweile in Rente und kümmerten sich nur noch um den heißgeliebten Garten. Sie wollte schon bald ausziehen, sie hatte eine kleine Studentenwohnung gefunden und ließ sich dort nieder.
Tag für Tag machte ihr das Leben mehr Spaß.
Sie hatte endlich nach langer Zeit wieder ein Date. Sie traf sich mit einem gut aussehenden und sympathischen Typen aus South Carolina. Sie verbrachten den Abend in einem kleinen Lokal, mit vielen Cocktails und guter Laune. Während sie gerade in einem tiefen knisternden Gespräch waren, klingelte ihr Handy.
Es war ihr Vater, der schluchzend redete. Sie konnte ihn durch die Musik aus dem Lokal schlecht verstehen und ging kurz vor die Tür. Ihr Vater erzählte ihr ganz aufgeregt und begleitend von vielen Schluchzern und Heulkrämpfen, dass ihre Mutter gestorben sei, an einem Schlaganfall. Sie starrte auf ihr Handy legte auf und konnte nicht begreifen was los war. Sie war geschockt. Sie ging wieder rein und musste bedauerlicher feststellen, dass ihr Date sie kurzfristig verlassen hat. Sie setzte sich an den Tisch und bestellte für die Nerven einen doppelten Scotch. Sie konnte nicht begreifen was geschehen ist, sie hielt es für einen schlechten Scherz, dass konnte doch nicht wahr sein, und dann haut auch noch der blöde Typ ab, dachte sie sich. Was sollte sie jetzt machen? Sie bestellte sich direkt noch einen Wodka Lemon. Sie legte anschließend einen 20$ Schein auf den Tisch und verschwand in Trance. Irgendwie kam sie nach Hause, aber wie wusste sie nicht. Sie saß auf ihrer Couch und fing an zu weinen. Das Telefon klingelte. Sie ging nicht dran. Es klingelte wieder, sie nahm ab. Es war ihre beste Freundin aus New York. Ihre Freundin sagte ihr, dass sie lebenslänglich ins Gefängnis muss, da sie ihre Schwester getötet hatte und dass sie sich jetzt nicht mehr melden könne. Sie wünschte ihr noch viel Glück im Leben und dass sie sich vielleicht irgendwann sehen würden. Sie legte auf und legte sich auf die Couch mit Tränen im Gesicht. Ihr Leben war doch jetzt so schön da muss alles zerstört werden. Sie dachte sie hätte jetzt alles verloren, alles was ihr lieb war. Sie weinte noch den ganzen Abend und schlief dann irgendwann ein.
Am Morgen fand sie sich auf der Couch mit einer Flasche Chardonney im Arm wieder. Kurz dachte sie es wäre ein Traum gewesen, aber dann kam die Realität. Es war wirklich alles geschehen: Sie hat ihre Mutter, ihre beste Freundin und einen Typen am gleichen Abend verloren. Direkt ging sie zum Kühlschrank und suchte sich etwas Alkoholisches, mehr als ein Cocktail konnte der Kühlschrank ihr aber nicht bieten. Ihr fiel ein sie musste zur Arbeit, aber sie hatte keine Lust dazu hinzugehen. Doch sie ging hin, sie versuchte sich damit abzulenken. Sie setzte sich an ihren Arbeitsplatz und tippte Rechnungen in den Computer ein. Ihr Chef kam und rief sie in sein Büro, zutiefst betrübt schlenderte sie in sein Büro. „Wir müssen einige Mitarbeiter wegen einer Insolvenz erlassen. Mir fällt es nicht leicht ihnen mitzuteilen, dass sie davon betroffen sind. Es wäre am besten wenn sie gleich ihre Sachen packen würden. Ich bitte sie um Verständnis, es ist nicht gegen sie persönlich!“, sagte ihr der Chef. Sie stand auf sagte nichts, packte nicht ihre Sachen und ging direkt weg von ihrem Arbeitsplatz. Sie ging unbeirrt irgendwo hin und blieb stehen.
Sie stand da und ihr Kopf dröhnte schon vor Gedanken. Sie hielt sich die Hände an den Kopf. Sie wollte, dass es aufhörte. Doch es hörte nicht auf. Wieder hauchte ein Windstoß gegen sie, diesmal stärker als der erste.
Sie ging einen halben Schritt nach vorne. Ein sehr heftiger Windstoß umgab sie und sie schwebte in ihm. Jetzt ist alles vorbei und mein Leben macht wieder Sinn, dachte sie, als der Wind sie losließ.
Passanten sahen den Unfall, wie eine Frau vom Hochhaus sprang. Ein Mann ging näher zu ihr heran. Sie lag auf dem Asphalt und hatte keinen Puls mehr, doch ein Lächeln verzierte ihr Gesicht.