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Ein perfekter Mord
Ich habe den Käfig fertiggestellt.
Er steht im Keller und wartet nur auf seinen Gast.
Natürlich wäre er niemals gut genug für meinen lieben Bruder. Er hätte schönere Schweißnähte und gleichmäßigere Verbindungen verlangt. Wie er eben alles besser weiß, aber nichts besser kann.
Egal wie minderwertig er meine Arbeit beurteilen wird. Der Käfig ist stabil genug, um ihn darin gefangen zu halten und ihm beim Sterben zuzusehen.
Ich habe die Schutzschalter überbrückt und ein Kabel am Käfig angebracht. Ich muss nur noch den Stecker in die Dose stecken und zusehen, wie er brät.
Heute Abend werde ich ihm ein Schlafmittel ins Essen mischen und wenn er aufwacht, wird er seinem Tod ins Auge blicken.
Dieses eine Mal werde ich lachen.
"Tja, das hast Du dir ja fein ausgedacht, kleiner Bruder", meinte Thorsten hämisch und klappte mein Tagebuch zu, aus dem er gerade laut vorgelesen hatte.
Dann lachte er.
Wie ich dieses Lachen hasste. So hatte er schon immer gelacht, wenn er sich überlegen fühlte. Das war das Lachen der puren Gemeinheit. Dieses Lachen ließ mich Jahre vergangener Demütigungen erneut erleben. Der seelische Schmerz schwappte wie eine gigantische Welle negativer Emotionen über mir zusammen und ließ mich mit Tränen in den Augen zurück.
"Oh, jetzt weint der Kleine", kicherte er und klopfte auf den Einband des Buches. "Das ist ja alles hochinteressant hier, Kleiner. Ich bin beeindruckt. Du hast alles bis ins kleinste Detail geplant. Der Käfig, meine Hinrichtung. Ja, sogar die Beseitigung meiner Leiche.
Aber, wenn das alles so perfekt ist, wie kommt es dann, dass Du in dem Käfig sitzt und ich hier draußen stehe?" Er hielt das Buch hoch und zeigte darauf. "Das hier! Du glaubst wohl, du könntest Dinge vor mir verbergen? Du bist ein Idiot. Ich lese doch schon immer in deinem Tagebuch. Ich weiß von deinen intimsten Geheimnissen! Was glaubst du, wie es mir immer gelang dich genau da zu treffen, wo es weh tat?" Er lachte wieder.
In diesem Augenblick fühlte ich mich wirklich hilflos.
Er hatte mich nackt hier eingesperrt. Aber ich würde ihm nicht die Genugtuung geben, ihn anzuflehen.
"Weißt du was?" sagte er schließlich. "Ich will dich nicht töten. Ich meine, du bist doch immerhin mein Bruder, auch wenn ich manchmal... na ja, ziemlich oft, gemein zu dir bin. Ach verdammt, ich kann dich nicht leiden und das weißt du auch, aber töten wollte ich dich nicht. Und dass du das willst, erschreckt mich. Ganz im Ernst, es macht mir Angst. Ich meine, dein Plan hat nicht geklappt, ich bin dir auf die Schliche gekommen. Aber was, wenn du es wieder versuchst?" Er machte eine Pause und vertiefte sich wieder in meinem Tagebuch.
"Du musst es nicht tun, Thorsten. Du lässt mich in Ruhe und ich lass dich in Ruhe. Wir gehen uns einfach aus dem Weg", schlug ich vor. Ich würde ihn um nichts bitten.
"Nein, es hat keinen Sinn, ich könnte mich nicht mehr sicher fühlen", murmelte er geistesabwesend, dann blickte er auf.
"Du hast einmal in deinem Leben Köpfchen bewiesen. Dieser Plan ist so gut, dass ich mich entschlossen habe, ihn auszuführen. Nur mit einer Änderung. Du wirst die Leiche sein und ich bin der Mörder. Ich werde mich genau nach deinen Angaben richten, kleiner Bruder." Er zögerte kurz und sah sich um. "Du hast recht, der Käfig ist wirklich mies geschweißt", meinte er dann, während er sich bückte, um das Kabel mit dem Stecker aufzuheben.
"Der muss in die Dose da, richtig?", fragte er, und fügte kurz darauf grinsend hinzu: "Soll ich? Soll ich?"
Es war seltsam, das kurze Gespräch vorhin war wohl das einzige in unser beider Leben, in dem er nicht herablassend gewirkt hatte. Er hatte fast etwas Menschliches an sich gehabt. Jetzt war er wieder in sein hämisches Ich verfallen, das ich so sehr hasste.
Er hatte eine Chance erhalten, und er hatte seine Wahl getroffen. Jetzt zählte für mich nur noch der Gedanke, dass es zu Ende sein würde.
Nein, ich würde nicht um mein Leben betteln. "Steck schon ein, ich kann es kaum erwarten", dachte ich, aber ich sagte nichts. Das einzige was ich bedauerte war, dass noch immer Tränen über mein Gesicht rannen.
Sein Gesicht nahm plötzlich diesen zornigen Ausdruck an, den ich nur zu gut kannte. Immer wenn ich mich ihm widersetzte, sah er so aus. Jedes mal bevor er mich schlug. Gleich würde es vorbei sein. Nie wieder würde ich sein Gesicht sehen müssen.
"Wie Du willst", sagte er und setzte den Stecker an die Dose. Ein kurzes Zögern nur, bevor er ihn hineindrückte.
Ich krampfte meine Hände um die Stangen des Käfigs, warf meinen Kopf zurück und schüttelte meinen Körper.
Das half. Das war so lächerlich, dass ich unweigerlich anfangen musste zu lachen. Laut und schallend lachte ich und hörte auf, Stromschläge zu simulieren. Dann blickte ich ihn an und lachte ihm ins Gesicht. "Wer ist hier der Idiot? Du kannst ja nicht mal nen Stecker richtig in die Dose stecken", presste ich unter Gelächter hervor. Sein Gesicht war rot vor Zorn und er stürmte auf mich zu.
"Pass bloß auf, du..." Weiter kam er nicht.
Er hatte die Gitterstäbe mit beiden Händen erfasst und wand sich unter Schmerzen. Der Metallkäfig ruhte auf Holzpfosten, die ein abfließen des Stromes in die Erde verhinderten. Aber jetzt hatte er seinen Weg gefunden.Wechselstrom floss durch Thorstens Körper und nahm dabei den direkten Weg durch sein Herz. Er konnte nichts tun. Loslassen war unmöglich, der Strom krampfte seine Muskeln zusammen und seine Hände schlossen sich nur noch fester um die Stäbe des Käfigs.
Ich hatte mich davon überzeugt, dass seine Schuhe der elektrischen Spannung kaum Widerstand boten auf ihrem Weg in den lehmigen Kellerboden.
Ich selbst stand geschützt in meinem Metallkäfig und sah zu, wie er vor mir niedersank.
Es war vorbei. Mein Plan hatte geklappt.
Schon bald würde jemand herkommen und uns beide so vorfinden. Dafür hatte ich gesorgt. Ich wollte ja nicht zu lange Zeit neben seiner Leiche verbringen.
Er war vielleicht ein exzellenter Sadist gewesen, aber von technischen Dingen hatte er keine Ahnung gehabt.
Für die Polizei würde der Fall klar sein. Thorsten hatte ja offensichtlich versucht, mich qualvoll zu töten, war aber augenscheinlich selbst Opfer seines Plans geworden.
Auf mich würde kein Verdacht fallen. Ich war ja schließlich im Käfig eingeschlossen.
Mein Tagebuch war zu Boden gefallen und lag nur ein Stück weit weg. Ich hatte keine Namen darin erwähnt. Solange man keine Handschriftvergleiche anstellte, könnte es genausogut Thorsten geschrieben haben.
Es zu vernichten schien mir aber sicherer.
Vorsichtig, um nicht den feuchten Kellerboden außerhalb zu berühren, fischte ich danach, setzte mich in eine Ecke des Käfigs und begann, genüsslich die Seiten aufzuessen.