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Ein Treffen mit Roque

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01.09.2004
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Ein Treffen mit Roque

Mein Blick segelt aus dem Fenster wie eine hilflose Papierschwalbe die schlecht gefaltet ist. Er veräppelt auf dem Platz der abgerissenen Brauerei. Nur die Reste aus rotem Backstein und das halb leere Bier in meiner Hand, erinnern lediglich an Leuchtreklame. Ich bin mal gespannt, was sie da wieder für ein´ Klotz von Stundenhotel hinhauen? Na ja, wenigsten kann man jetzt für einige Zeit auf den Hafen gucken.

Ich geh´ zu Alex´ Kühlschrank, um noch ´n kühles Bier zu ergattern. Aber Alex war schneller am Drücker. Was solls, ich also raus, zum Höker um die Ecke, immer mit dem Hintergedanken, dass die fünf Stockwerke schwerbeladen die Hölle sind.

„Ja n´ Abend. Wie ich sehe hast du ´n neuen Haarschnitt“, begrüßte ich den Besitzer. „Yep, hat meine Frau mir verpasst. Nicht grade schön, dafür aber kurz.“ „Na ja wie auch immer. Ich wünsch noch was“ und mache mich mit ´ner Plastiktüte voll Bier auf, zurück zu Alex.

Die Storys von Alex aus der Zeit in Panama sind große Klasse, obwohl schon tausendmal gehört. Dort isst man Mangos mit Essig und schlägt sich mit ´ner Machete durchs grüne Dickicht. Aber das Beste sei der Rum, den man an allen Ecken und Kanten für´n Appel und ´n Ei bekommt. Oder man brennt ihn gleich selbst.

„Weißt du woran man merkt, dass es kalt geworden ist“, frage ich Alex. Er zuckt mit den Schultern, während er einen Schluck von seinem Bier nimmt. „Na wenn die Mädels unten in der Davidsstraße ihre Overalls auspacken.“ „Yep, da hast du wohl recht.“

Die Treppen, welche auf die Straße führen, spülen mich zusammen mit Gewohnheit und den letzten zwei Euro, in den Beatclub. Es läuft gerade „Don´t drag me down“ von Social Distortion und ich lege Jan die zwei Euro auf den Tresen und bekomme zum Tausch dafür ein Bier.

Antoine hockt zusammengekrümelt an der Bar und weiß anscheinend mit sich und seinem Glas nichts anzufangen. „Hey, Roque! Ich werd´ verrückt, was immer du auch hier machst, wie geht´s dir“ und ich klopfe ihm dabei auf die Schulter, als würden wir uns schon ewig kennen. Nun, ich kenne ihn ja auch in gewisser Weise, nur beruht das nicht auf Gegenseitigkeit. Er guckt mit seinen kleinen Augen zu mir auf und seine Mundwinkel hängen kraftlos im Gesicht rum. Seine Zigarette brennt herrenlos im Aschenbecher vor sich hin und sein roter Harrschopf ist wirr und zerzaust. „Lass mich in Ruhe, ich denke nach.“ „Ah, ich sehe, bei dir hat sich wohl in den ganzen Jahren nichts geändert.“ „Weißt du, es ist nicht leicht einzusehen, dass deine Existenz von jemand Anderen abhängen soll. Es macht sich in mir ein neuer Ekel breit. Größer und bedeutender als der davor.“ „Wolltest du nicht ein Buch schreiben, für die Nachwelt?“ „Was nützt ein Buch, wenn später alle sagen: Roquentin, ist das nicht der Typ von dem und dem?“ „Ah ich verstehe, ´n Egoproblem.“

Das hätte ich besser nicht sagen sollen, den der Rotschopf stand darauf unwirsch auf und fuchtelt mir, mit seinen Fäusten, vor meinem Gesicht rum. Dafür, dass er nachdenken wollte, ist der Kerl ganz schön hitzig. Wie auch immer ich schwinge mich raus in die Kälte und setzte Kurs auf nach Hause. Und ich prüfe mich selbst, aber da war nichts mit Ekel. Nicht heute und nicht jetzt. Klar, ich weiß was er meint, aber dieser Moment und der Gedanke an den wahrscheinlich letzten wunderbaren Herbsttag, lässt mich nur den bittersüßen Duft von der Holstenbrauerei einatmen.

 

Hey Flip

Recht interessante Geschichte. Allerdings hast du einen Zeitwechsel eingebaut. Am Anfang schreibst du im Präsens, nachher wechselst du in die Vergangenheit (gewollt?).
Keine Rechtschreibfehler soweit ich sehen kann, :D

Der Protagonist gefällt mir, du beschreibst ihn gut (zwischen den Zeilen) und so wie er redet, das passt zu ihm. So typisch Biertrinkerisch eben. Solche Leute mag ich an sich gar nicht, aber ich glaube so wie viele andere ist dein Protagonist gar nicht. Er denkt wenigstens noch über das Leben nach.

„Weißt du, es ist nicht leicht einzusehen, dass deine Existenz von jemand Anderen abhängen soll. Es macht sich in mir ein neuer Ekel breit. Größer und bedeutender als der davor.“
Der Satz gefällt mir echt gut. Hat Wahrheit und macht nachdenklich.

Ich finde sie gut. :thumbsup:

Grüße
Lea

 

hallo leana

was meinst du mit interessante geschichte? der zeitwechsel ist mir nicht aufgefallen, aber ich habe da auch eine schwäche. also wenn du es mir sagst, am welchen punkt die zeit umschlägt, wäre es sehr nett :)
ob der protagonist abders ist, weiß ich nicht. er weiß nur, dass er sich überzählig fühlt, in der zufälligkeit der zeit. nichts rechtfertigt irgendein moment bedeutungsvoller zu erachten als einen anderen. da er es weiß, weiß er auch warum antoine generell ekel verspührt. ich habe es ein wenig weiter gesponnen und habe ein kleines, zufälliges treffen arrangiert ;)
aber halt, ich verrate zu viel :)
nur: ich hatte überlegt, ob ich die story in "philosophisches" reinpacke. nur da hätte man vielleicht gesagt, was soll das denn? ab in den "alltag" :)

grüße
flip

 

hallo marius

also erstmal danke für die kommahinweise.

doch papierschwalben die schlechtgefaltet´sind segeln. aber nur einen kurzen moment und danach veräppeln sie kläglich. sie sind zum scheitern verurteilt.

das ding mit "veräppeln" hat sicherlich zwei bedeutungen. 1. an der nase herumführen und 2. keine kraft mehr haben, etwas nicht schaffen.
das mit dem platz leuchtet ein.

so und nun, wo wir schon mal beim erbsen zählen sind:
natürlich gibt es kein halbleeres bier. es gibt aber genauso wenig eine brennende liebe.
und was meinst du wohl für wen man hotels baut? fängt mit t an und hört mit ouristen auf. ;)

die leuchtreklame stellt ein antogonismus zum abgerissenen gemäuer dar. leuchtend, flackernd, lebendig. im gegensatz zum abriss. der schmutz und zerstörung bedeutet. das bier ist einfach nur das ehemalige produkt aus der brauerei.

der protagonist wohnt nicht auf dem kiez. er ist zu besuch bei seinem kumpel, die einen abend verbringen, wie jeden tag sein könnte. den typ den er in der kneipe trifft kennt er nicht wirklich und es ist auch nicht irgendein choleriker (ich weiß nicht mal, ob man ihn so bezeichnen kann) sondern es ist antoine roquentin.
natürlich habe ich die geschichte auch für die nachwelt geschrieben. ein stück seinsentwurf. und wieso kommst du darauf das der kiez tot ist? das woran du vielleicht denkst, passiert an zwei drei tagen, wenn vergnügungsüchtige durch die straßen strömen. ansonsten passiert ne menge. natürlich auch viel scheiße.

p.s. mir wird klar, dass es ein bischen belanlos wirkt, wenn man mit der figur antoine roquentin nichts anfangen kann.

grüße
flip

 

nun ich kenn mich in sachen tourismus allgemein nicht aus. ist mir auch egal. du hast recht. da soll ein hotel gebaut werden für "gewisse stunden". werde ich noch dazu schreiben.

"Eigentlich war ich sicher, Du würdest das eine oder andere Wort meiner Antwort richtig verstehen... ob "können" oder "wollen" ist hierbei wahrscheinlich entscheidend."

ich lese hier ein wenig boshaftigkeit raus. ich habe doch kritikpunkte von dir dankbar aufgenommen, nur eben nicht alle. genauso könnte ich sagen: "wenn meine geschichte ein spiegel wäre und ein affe hineinguckt, dann kann kein prophet hinausschauen (zitat: u.a. schopenhauer) ;)

ich hebe schon letztesmal überlegt, ob ich es verraten soll, aber nun mache ich es. antoine requentin ist der protagonist aus dem buch "der ekel" von sartre. er erkennt, was leben in der zeit bedeutet und dass alles zufällig ist. usw. dieses bewusstsein löst bei ihm ein gefühl des ekels aus. ich stelle diesen ekel auf eine nächste stufe, dass antoine erkennt, dass sein leben nicht sein eigener seinsentwurf ist, sondern dem seinsentwurf seines schöpfers entspringt. dieser ekel ist größer als der davor, da alles in frage gestellt wird, was vorher war.

grüße
flip

 

ok, ich habe ja gemerkt, dass viele es nicht kennen, oder vergessen haben. ausbaufähig ist es deshalb sicherlich. ich wollte aber auf keinen fall den fokus auf der philiosophie haben. und ich muss mir was einfallen lasse, damit nicht alles von sartres ideen wiedergekäut werden. der beschriebene kiezalltag besteht, aus einem existentialistischen gefühl des überzählig seins und auf sich selbst zurückgeworfen sein und der kontingenz in der zeit an sich. alltag, so trist und harmlos er auch scheint, ist wiederum hochgradig absurd.

gruß
flip

 

also bevor du was in den falschen hals kriegst. so wie die geschichte jetzt ist, ist nichts explizites an sartres gedanken enthalten. wenn du aber sagst, ich soll den fokus auf antoine legen, laufe ich gefahr dies zu tun. darauf bezogen muss ich mir was einfallen. deshalb habe ich auch nicht "geklaut".
"Steig nicht in fremde Schuhe und versuch damit größere Abdrücke zu hinterlassen."
denkst du sartre hat seinen mist ganz alleine entwickelt? bestimmt nicht. da waren hegel, nietzsche, heidegger usw. sartre hat lediglich etwas dazugefügt bzw. was weggelassen. um es mal ganz kurz zu sagen.

wie auch immer. aber danke für deine anregungen

 

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