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Ein Wintermärchen
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Minute um Minute vergeht... ich kann nicht schlafen... ich fühle deinen Arm an meinem, kann deinen schweren Atem hören... du merkst nicht, dass ich seit Stunden wach bin und pausenlos auf die Anzeige meiner Anlage starre... wie gebannt seh ich ihr zu, wenn sie von einer Zahl auf die nächste springt...
du bist erst seit zwei Tagen hier, doch ich hab das Gefühl es ist schon ewig... ich hab am Bahnhof auf dich gewartet... draußen... in der eisigen Kälte... im dunklen Nichts... du hast mich begrüßt als wäre ich für dich der unwichtigste Mensch auf Erden... aber du bist meinetwegen gekommen...
du hast gesagt du findest meine Wohnung schön... die ganze Gegend würde dir gefallen... du hast mich in den Arm genommen und geküsst... so läuft es immer zwischen uns... seit Monaten... seit fast zwei Jahren... kaum jemand weiß davon... du hast es niemandem erzählt... weil es dir peinlich ist...? oder hast du einfach nur zu große Angst davor ehrlich zu sein...? ehrlich zu dir selbst...? du sagst, du hast Freunde denen du alles erzählen kannst... aber irgendwie bin ich die einzige der du dein Herz früher oder später ausschüttest... ich bin dein großes Geheimnis... werde es wohl auch immer bleiben...
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ich hatte Angst vor unserem Wiedersehen... Angst vor deiner Reaktion... bedeute ich dir irgendwas...? sie sagen alle, dass ich dir wichtig sein muss... sonst wärst du jetzt nicht hier... haben sie recht...? immer wieder geht mir diese Frage durch den Kopf...
du hast mich heute gefragt, warum ich letzten Sommer sauer auf dich war... du hast mich schon oft danach gefragt, aber nie eine Antwort bekommen... warum...? ich dachte, es geht dich nichts an... dachte, es wäre dir egal... aber diesmal war ich ehrlich zu dir... du warst geknickt, als du es gehört hast... entschuldigt hast du dich trotzdem nicht... warum auch...? seit unserem Gespräch bist du komisch zu mir... mit deinen Gedanken ganz woanders... wahrscheinlich bei ihr...
1:41
ich fange an zu weinen... ich spüre wie die Tränen auf meinen Arm und das Kissen tropfen... höre wie du dich im Schlaf umdrehst... deine Haare kitzeln meinen Hals... du ziehst mir unbewusst die Decke weg... ich suche nach Taschentüchern, finde aber keine...
1:56
immer noch nicht zwei Uhr... ob die Nacht jemals vorbei geht...? ich denke über unser Gespräch nach, werde wieder traurig... fühle mich hässlich und ungeliebt... wieso ist sie dir immer noch so wichtig...? sie hat es nie ernst mit dir gemeint und jeder wusste es... du wolltest es nicht wahr haben... auch heute nicht... ihr wart nie richtig zusammen und doch denkst du nach so langer Zeit immer noch daran... mich hast du damals schnell vergessen... obwohl ich lange bei dir geblieben bin... und obwohl du noch heute zu mir kommst... ich bin die einzige die dir geblieben ist... wieder fließen Tränen...
1:59
mir ist warm... draußen brummt ein Auto... ich drehe mich um und sehe aus dem Fenster... irgendwo in einer Wohung ist noch Licht... was die Leute da drin wohl gerade machen...? ich möchte aufstehen und irgendwas tun... nur was...? ich überlege ob ich den Fernseher anmachen soll, aber dann würde ich dich wecken und du brauchst deinen Schlaf... du hast bald deine Prüfung und musst die nächsten Tage noch viel lernen...
2:07
ich stehe auf, gehe ins Bad... schon zum zweiten mal diese Nacht... im Spiegel sehe ich meine roten, verheulten Augen... ich sehe schrecklich aus...ich weiß nicht wie lange ich vor dem Spiegel stehe, aber ich will nicht zurück...
2:15
verdammt... war doch nicht so lange weg... du liegst jetzt mitten auf dem Bett, in die Decke eingerollt... ich überlege ob ich auf dem Boden schlafen soll... schaue mich im dunklen Zimmer um... im Halbschlaf machst du mir Platz und flüsterst, ob alles ok ist... ich antworte kühl mit einem Ja und lege mich wieder hin... du drehst dich mit dem Rücken zu mir... meine Füße sind kalt... ich fühle mich einsam und lege den Arm um dich... bleibe eine Weile so liegen...
2:37
ich drehe mich wieder auf den Bauch und starre gebannt aus dem Fenster... es hat angefangen zu Schneien... eigentlich müsste ich jetzt aufstehen und die Balkon-Heizung anmachen damit die Rohre draußen nicht zufrieren, aber ich bin zu faul... ob der Schnee wohl liegen bleibt...? ich sehe mich im Zimmer um... auf dem Tisch liegen deine Bücher... du hast gestern viel gebüffelt... auf dem Boden liegen deine Klamotten... und meine Unterwäsche... irgendwie sieht alles sehr chaotisch aus, seit du hier bist...
2:43
ich sehe die Kondome, die vor dem Bett liegen... irgendwo liegt noch eine leere Verpackung... ich müsste mal aufräumen... ich drücke mich in mein Kissen... vielleicht hätte ich dir die Sache vom Sommer nicht erzählen sollen... jetzt ist es wohl zu spät... ob du wohl sauer auf mich bist...? du fängst an im Schlaf zu reden... hast wohl schlecht geträumt...
3:01
gehe wieder ins Bad... kann eh nicht schlafen... setze mich auf den Klodeckel und schaue mich um... ziemlich kalt hier drin... ob du wohl doch nur hier bist um deinen Spaß zu haben...? bin ich wirklich nur zum Poppen gut genug...? ich finde keine Antwort... ob sie wohl wirklich hübscher ist als ich...? ich hatte bis heute Nacht nie den Eindruck, aber jetzt...
3:23
wieder etwas Zeit vergangen... mir ist furchtbar kalt... vielleicht sollte ich doch meinen Pyjama anziehen... irgendwie hab ich dich wohl geweckt... du hast auf mich gewartet, während ich im Bad war... du fragst mich was lost ist... ich verstehe nicht... „du warst so lange weg. ist was passiert? alles ok?“. du klingst besorgt und ich kriege ein schlechtes Gewissen. „es ist nichts. schlaf weiter.“. du glaubst mir nicht, machst aber trotzdem wieder die Augen zu... ich krieche unter die Decke und gebe dir einen Kuss...
4:56
muss wohl für eine kurze Zeit eingeschlafen sein... bin trotzdem nicht müde... es schneit immer noch... magst du mich wirklich...? oder bin ich nur billiges Spielzeug für dich...? ich habe Angst, dass du dich bei mir nicht wohl fühlst, obwohl du schon oft genug gesagt hast, dass du gerne bei mir bist und deinen Besuch nicht bereust... ich sollte anfangen dir zu vertrauen... aber es fällt mir so schwer... obwohl du dein Versprechen gehalten hast und wirklich hier bist... ich hab dich nicht gebeten zu kommen, du bist aus freien Stücken hier... ich hab dir bis vor zwei Tagen nicht geglaubt, dass du es ernst meinst... habe alles für leere Worte gehalten... habe so getan, als wäre es mir gleich ob du kommst oder nicht... wollte dir nicht zeigen, dass ich dich vermisse... war zu stolz... bin es auch jetzt noch...
einige Nächte später...
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unsere letzte gemeinsame Nacht... ich bin müde, war es schon den ganzen Abend... wir waren den ganzen Tag unterwegs, quasi umsonst... haben uns im Zug Essen geteilt und seit langem mal wieder etwas Spaß gehabt... du warst heute besser drauf als die letzten Tage... haben die ganzen Leute wiedergesehen... du hattest das Gefühl, dass sie dir gegenüber kühl sind... den Eindruck hatte ich irgendwie auch... ist ihnen aber wohl auch nicht zu verdenken... nach allem was passiert ist...
0:07
wieder fang ich an zu weinen... obwohl ich mich die letzten Tage mies gefühlt habe, wirst du mir trotzdem fehlen... ich habe fast täglich geweint... weiß noch nicht mal warum... wollte einfach nur mal in den Arm genommen werden... du warst die letzten Tage abweisend zu mir und irgendwie auch in Gedanken abwesend... hast bestimmt viel an sie gedacht... oder an deine Prüfung...? keine Ahnung... wir haben viel geredet, aber nicht über uns... vielleicht wollen wir beide es ja auch überhaupt nicht... vielleicht wollen wir gar nichts klären... ich hab nicht gefragt ob wir uns wiedersehen... du hast irgendwas von wegen Treffen zu mir gesagt... gestern... ich soll dir ein Päckchen schicken... soll dir ein paar Sachen besorgen, die du zu Hause nicht kaufen kannst... ich verspreche dir, dass ich es mache... aber in Gedanken möchte ich es gar nicht... vielleicht vergesse ich es ja...
0:16
meine Augen fallen langsam zu... du schläfst schon tief und fest... wir müssen früh aufstehen... du musst ja wieder an den Bahnhof... ich will nicht dass du gehst... obwohl deine Nähe mich wahnsinnig macht...
05:12
ich habe tatsächlich einige Stunden geschlafen... muss auf Klo...
05:23
hab mal wieder kalte Füße, aber meiner Blase geht es besser... bin unglaublich müde... krabbel unter die Decke... wir haben vor zwei Tagen die Seiten getauscht... du konntest auf der Innenseite vom Bett nicht so gut schlafen... ich starre die Decke an, merke dass ich Schlaf brauche und drehe mich zur Wand... du hast mal wieder den Großteil der Bettdecke...
05:27
ich höre wie du dich umdrehst... du wirkst unruhig... ich schließe die Augen... merke wie du deinen Körper ganz eng an meinen drückst und deinen Arm um mich legst... so viel Nähe wolltest du die ganzen Tage nicht von mir... zumindest nicht nachts... hast immer auf deiner Seite gelegen... mein Herz pocht und zum ersten Mal, seit du hier bist, fühle ich mich richtig gut... dein Bauch ist ganz warm... ich drehe mich zu dir um und wir küssen uns ganz lange... vielleicht hab ich mich ja doch in dir getäuscht...
05:48
eigentlich sind wir beide viel zu müde dafür, aber es ist unsere letzte Nacht... ob mein Nachbar uns wohl hört...? soll mir egal sein... warum sollten wir uns zurück halten...? wer weiß wann wir uns wiedersehen...? oder ob wir uns überhaupt jemals wiedersehen...? bestimmt kriegt das jetzt das ganze Haus mit... mir hat mal jemand gesagt, dass man alles im Treppenhaus hören kann... egal... ich bin glücklich und du anscheinend auch...
06:32
ich zittere... mir ist warm und ich bin müde... es war schön... du siehst glücklich aus... in ein paar Stunden bist du weg... vielleicht für immer... ich hoffe wir sehen uns wieder, aber ich werde dich nicht danach fragen... du weißt, dass du jederzeit willkommen bist... „geht’s dir gut, kleines?“... du fragst mit einem Lächeln, bist selber ganz geschafft... ich lächle und nicke... wir küssen uns lange... ich mache die Augen zu und kuschel mich in die Decke... dein Körper ist ganz warm...