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Eine Geschichte, deren Titel aus achtundfünfzig Buchstaben besteht

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Eine Geschichte, deren Titel aus achtundfünfzig Buchstaben besteht

Der Sumpf, der Sumpf! Schleimig, neblig, feucht und karg. Äste knorrig, Schilf im Wind. Ich stapfe, wate, strauchle. Regen in der Dunkelheit.
Heute bahn ich mir den Weg. Immer voran, immer voran. Das Ziel ist noch weit. Warme Hütte, Brot und Bett, Feuer im Kamin. Was treibt mich nach hier draußen? Einzig der Traum von der Heimathöhle, Speis und Trank im Überfluss. Bald, bald. Doch seht mich an: noch bin ich hier, stakse im Sumpf, hungere meinen Weg durch die Öde.
Was gäbe ich für ein wenig sauberes Wasser, oder eine saftige Frucht. Doch weit und breit sieht man nur Schlamm, Morast, den teerigen Eiter der Erde. Ich keuch und würge eine Weile, stoße Atemnebel hinaus in die Kälte.
Tief ins Herz der Schlammwüste, dorthin muss ich gehen, wo sich drei Pfade kreuzen. Einer führt nach nirgendwo, der andere nach hause, der letzte führt zurück. Wenn ich an diesen Ort gelange, darf ich mich nicht vertun, sonst bin ich verloren und krepiere grauenvoll. Im Nebel gleichen sich alle Straßen. Doch keine Sorge, der liebliche Geruch der Heimat wird mich leiten, ich kann niemals irren.
Wenn nur dieser Hunger nicht wäre!
Eine Reise, die aus fünfhunderttausend Schritten besteht, aus Millionen Atemzügen, aus ungezählten Litern Schweiß, aus mannigfaltigen Stürzen, aus so vielen Kilometern kriechen und krauchen, stolpern und torkeln, und nun führt mich die Schlussetappe ausgerechnet durch die grausliche Schleimhölle an der finsteren Unterseite des Erdballs. Wie riecht es nach Verwesung an diesem Ort!
Eine Wanderung, die aus Tränen und Schluchzen besteht, aus schlottern und frieren, Angst und Verzweiflung, durch ein Gebiet, das aus den stinkenden Überresten meiner Vorgänger besteht, jawohl, entstanden aus den Kadavern der armen Teufel, die bei dem Versuch, diesen abscheulichen Sumpf zu durchqueren, wie Hunde verendet sind. Ihre Gebeine bilden das Gerüst, auf dem dies alles ruht.
Ich hör sie rufen! Sie verlangen nach mir, Fetzen ihrer Klagelaute wehen durch die Nacht, gurgelnde, röchelnde Stimmen, krakeelende Lockrufe.
Komm!
Komm!
Komm zu uns!
So rufen sie, doch ich widerstehe diesem Sirenengesang. Niemals werdet ihr mich bekommen! Ich werde nicht springen!
Tief zog ich mir die Kappe ins Gesicht, verkrieche mich in meinem Mantel, schirme mich ab gegen den lauernden Irrsinn aus der Tiefe. Hinfort mit Euch! Ich werde nicht springen!
Meine Schritte beschleunigen sich. Gen Heimat, immer voran, immer voran. Lass diesen garstigen Alptraum hinter dir. Lass dich nicht einlullen, nicht von diesen Leichnamen, nicht von diesem untoten Gesindel, was glauben die, wer sie sind? Wäre doch gelacht, wenn mich ein Haufen fahler Gerippe dazu verleiten könnte, zu springen.
Doch ich höre sie wieder, ich höre sie wieder.
Komm!
Komm zu uns!
Nein, niemals. Niemals!
Komm zu uns!
Hier unten gibt es etwas leckeres zu essen!
Oh, liebliche Stimmen, zarte, wundervolle Stimmen. Schweigt still! Niemals werde ich springen. Trotze dem Hunger, trotze ihren Verlockungen. Lehne ihre Bestechungsversuche ab. Das verstorbene Pack kann seinen Fraß behalten! Ihn selbst vertilgen! Ich bleibe standhaft, sündhaft, standhaft. Oh, herrlichen Stimmen.
Eine Reise, die aus harten Prüfungen besteht, ein einziger dauerhafter Test der Stärke. Ich werde bestehen, durchhalten, ich werde nicht nachgeben, nicht springen.
Wenn nur dieser Hunger nicht wäre!
Erneut rufen sie mich. Unmöglich, ihnen zu entgehen. Die Pest über Euch! Oh, ihr göttlichen Stimmen! Verflucht seid ihr!
Komm zu uns!
Wir haben Braten und Spiegeleier!
Komm zu uns, komm zu uns nach unten, komm!
Ach, was gäbe ich für einen saftigen Braten, für schmackhaftes Spiegelei. Sterben würde ich für eine dicke Scheibe vom köstlichen Fleisch.
Nein, was rede ich da. Ich werde nicht sterben, nicht springen! Hör nicht auf sie! Ihren Braten können sie sich ins Moorleichenhaar schmieren. Oh, welch güldenes Spiegelei briet meine Mutter mir damals, in der seligen Zeit, wie würzig und wohlschmeckend!
Nein, nie! Nie springe ich! Komm her zu mir, Ast, sei umklammert! Hier werde ich mich festhalten, umfangen von sturmgepeitschter Düsternis, und den säuselnden Einflüsterungen der gnadenvollen, gütigen Stimmen widerstehen. Oh wohlklingende Stimmen, wonnevoller Gesang von Braten und Ei.
Nein, zügele den Hunger! Zügele ihn!
Doch der Magen, er knurrt, dröhnt wie der Donnerhall. Das Verlangen wird stärker. Ich muss es bändigen!
Eine Nacht, die aus Heulen und Zähneklappern besteht, aus Jammer und Leid, und dazwischen der holde Klang der Verheißung.
Komm!
Komm!
Komm zu uns, lecker, lecker, hmmm, mit Soße!
Mit Soße!
Und ich springe.

Doch dort unten, so weit, weit unten, dort in der kalten, nassen Grabestiefe, tausende und abertausende von Meilen unter dem Sumpf, in der glitschigen Unterwelt, da haben sie gar kein Braten und auch keine Spiegeleier.
Sie haben mich reingelegt.

 

Hallo Ben,

interessante Geschichte. Die ersten Gedanken, die mir kommen:

Es ist eine Metapher für die allgemeinen Verlockungen, Verheißungen. Zum einen im Konsum (kaufe dies und du wirst endlich glücklich, zufrieden, schön, begehrenswert, Ansehen haben), zum anderen im Glauben (wie viele verschiedene Richtungen gibt es, und alle sagen, der Glaube von ihnen führe in den Himmel).

Interessant auch der Aspekt, dass der Protagonist sich an die gute alte Zeit bei seiner Mutter erinnert, als sie noch für ihn sorgte. Die Stimmen bieten ihm ja auch an, für ihn zu sorgen. Jedoch ist er alt genug, er hat sich allein auf den Weg gemacht, sein ganz persönliches Zu Hause, seine ganz persönliche Art von Zufriedenheit und Glück zu finden, was Schwierigkeiten und Entbehrungen bedeutet, da er erst einmal suchen muss, worin dieses Glück für ihn bestehen könnte.
Es ist einfacher, die Verantwortung für sein Leben jemand anderem zu überlassen, jedoch auch gefährlich, da man eigentlich nur selbst - vielleicht durch Prägung der Umwelt verschüttet im Inneren - weiß, was man braucht.

Möglicherweise liege ich mit meiner Interpretation daneben, aber der schwierige Weg und die ständigen Verlockungen, doch vom Weg abzuspringen und sich wieder "fallen zu lassen", deuten für mich darauf hin.

Leider hat Dein Protagonist anscheinend keine Möglichkeit, zurückzukehren. Oder aber er muss nun viel mehr Anstrengungen unternehmen.

Ich nehme jetzt mal nicht an, dass sein Springen zu den Toten genauso gemeint ist. Das scheint auch eine einfache Lösung zu sein. Jedoch wird er dann nie den Schatz am Ende des Weges entdecken.


vio

 

Hallo Ben,

ja recht zackig geschrieben, vielleicht ein wenig zu zackig, aber das ist wohl Geschmackssache. Was mir nicht so gefällt, sind die unterschiedlichen Stimmungen in deiner Geschichte, mal düster und unheimlich, mal locker und lustig, das passt nicht so ganz zusammen, ebenso der Titel der Geschichte in Bezug auf die nachfolgende Geschichte. Großes Mmh. Auch das Ende:

"da haben sie gar kein Braten und auch keine Spiegeleier" Ist irgendwie ein wenig kindisch, es sei denn, der Prot IST ein Kind, dann gehts soweit klar, dennoch: irgendwie unsauber das Ding. :)

Liebe Grüße

Dante_1

 

Moin, Leute.

Danke für die Kommentare.

Wollen mal sehen...

@vio:

Schöne Interpretation. Nicht unbedingt das, was sich der Autor gedacht hat, aber das spricht ja nicht gegen die Story und darauf kommt's ja auch nicht an.

@Dante:

Also, was sie Stimmungswechsel angeht, besonders am Schluss, da muss man wohl mit meinem speziellen Humor vertraut sein.
Also, ich selbst halte das für eine ziemlich komische Story. ;)

Gruß

Ben

 

Es wüde mich sehr interessieren, was Du Dir bei der Geschichte dachtest, wenn Du es verraten willst.

 

Moin vio!

Hmmm, kann ich machen, das wäre aber ein Bisschen so, wie einen Witz zu erklären. Also wenn, dann per PM.

Aber ist es so wichtig, was der Autor denkt?

Gruß

Ben

 

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