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Informationen; wie lässt sich diese Geschichte lesen? Ist sie auch für nicht militärisch bewanderte Verständlichkeit?
Eine Geschichte, die nie erzählt wird, obwohl sie es müsste.
Geschichten, die nie erzählt werden. Der Kamerad
Eine flüchtige Begegnung, eher unscheinbar. Nichts besonders. Man lernt so viele Soldaten in Vorbereitung auf einen Einsatz kennen. Wir waren für die Woche einer Gruppe zugeteilt. Ich schaute ihn und die anderen an, versuchte, sie einzuschätzen nach ersten Kriterien, teilte sie für mich persönlich ein in sympathisch - unsympathisch. Was sie drauf hatten, wusste ich ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht, denn das sollte die fordernde Stationsausbildung an den Tag bringen. Auf wen kann man sich in Krisensituationen, die im Einsatz unweigerlich folgen würden, verlassen, auf wen eher nicht?
Kannte ihn nicht, obwohl er im selben Standort Dienst verrichtete. Hab ihn nie wirklich bemerkt, doch zog er durch seine positive, optimistische Ausstrahlung meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ich weiß nicht, was er sonst gewesen sein könnte. Unscheinbar, jedoch präsent. Ist ja auch nicht wichtig. Er war zu diesem Zeitpunkt schließlich nur irgendjemand.
Wir lernten uns im Laufe der Woche besser kennen ... Ergänzten und sicherten uns. Wir redeten viel, meist belangloses Zeug. Die Ausbildung, den bevorstehenden Einsatz, die Abschiedsparty im Unteroffizierskorps, waren Themen, eher wenig über die Arbeit in der Einheit. Darüber wie es uns geht, doch wer sagt schon ehrlich, wie es um einem bestellt ist? Vor allen Dingen zu irgendjemanden. Wir kannten uns schließlich kaum.
Die fordernde Ausbildung machte es möglich, wir lernten uns weiter kennen, trafen uns abends in der Kantine. Immer mit anderen Soldaten aus der bunt zusammengewürfelten Truppe, wie es bei solchen Kontingentausbildungen halt üblich ist. Man geht was trinken, spielt eine Runde Poolbillard, aber die meisten daddelten eh an ihren mitgebrachten Konsolen auf den Stuben. Wir verbrachten Stunden miteinander, auf den Gruppenfahrzeugen, die uns über den Parcours zur nächsten Station fuhren und in den knapp bemessenen Pausen. Die Tage waren fordernd. Wenig Zeit für sich selbst, da ist man kaum gewillt, davon etwas abzuknapsen und anderen zu widmen. Eine Zweckgemeinschaft … oder etwa nicht? Verband und mehr?
Unter all den Soldaten, die ich auf diesem Lehrgang kannte, beziehungsweise zu kennen glaubte, war er der einzige, bei dem mich nicht nur die Hülle interessierte, sondern der Mensch, der in ihr steckte. Wir waren nicht vereinzeln anwesend ... nur noch zusammen da ... im Doppelpack. Wir saßen nebeneinander, wir agierten in brenzligen Situationen, in die wir geworfen wurden, ohne uns zu abzusprechen. In kritischen Lagen harmonierten wir einfach. Ein Zeichen und der jeweils andere wusste, was gemeint war. Wir teilten die Verpflegung und unsere Zigaretten, wir lachten über Witze, die nur wir verstanden und trennte man uns durch die getroffene Einteilung, die täglich wechselte, schauten wir rüber, ob bei dem jeweils anderen, alles in Ordnung sei.
Dann endete der Lehrgang, und wir fuhren zurück zu den Dienststellen, aus denen wir kommandiert wurden, gingen unseren Verpflichtungen nach und verloren uns aus den Augen. Was blieb, waren Bilder in der Erinnerung.
Als der Abflugtermin näher rückte, liefen wir uns zufällig im Standort über den Weg. Wir fragten uns, wie es uns gehe und wir antworteten mit der Wahrheit. Schließlich traf das Pronomen irgendjemand nicht mehr auf uns zu. Wir betrachteten uns als Freunde.
Wir unterhielten uns, redeten über die Familien, das Leben im Allgemeinen und Dinge, die uns beschäftigten. Probleme, Sorgen, unsere Zukunftspläne. Er wollte vom Auslandverwendungszuschlag die Wohnung neu einrichten, ich ins Haus investieren. Wir sahen uns öfter in der Kantine beim Mittagessen, dann, warum auch immer, fingen wir an, uns nach Dienstschluss, rein privat zu treffen. Wir diskutierten stundenlang, gingen ins Fitnessstudio, oder schauten zusammen Filme, bevor wir am Wochenende auseinanderdrifteten.
Jeder in seine eigene Parallelwelt, denn für uns gab es ein Leben außerhalb des Kasernenzauns, was einigen nicht vergönnt ist.
„Ihr beiden verhaltet euch merkwürdig“, sagte man mir eines Tages. „Mag sein“, erwiderte ich. Woher sollten andere auch wissen, was uns verband. Es war etwas Besonderes. Wir waren nicht nur Freunde, sondern Kameraden ... ziemlich Gute sogar.
Dann kamen die Einsatzbefehle und damit der Abschied von zu Hause, der wie in jedem vorherigen und nachfolgenden Einsatz nicht problemlos verlief. Man ließ eine Menge zurück, startete ins Ungewisse und ob am Ende, so wie es oft propagiert wird, alles Gut ausging, müsste sich in der Realität noch zeigen.
Schon die ersten Tage in der Fremde machten deutlich, dass es kein Zuckerschlecken werden würde. Die Sonne, die unerlässlich auf mich niederdonnerte, flimmernde Hitze auf Straßen, die den Namen nicht verdienten, der Staub, von dem ich nicht wusste, was er transportiert und die Trockenheit. Faktoren, die den Körper zermürbten, dazu eine Auftragslage, die jeden Tag Überraschungen parat hielt. Doch ich hatte tolle Jungs und Mädels an der Seite. Zwar war mein Zug strukturell nicht gewachsen, sondern aus fünf Standorten zusammengetrommelt, aber eine schlagkräftige Kampfgemeinschaft. Schon nach einer kurzen Zeitspanne waren wir wie eine Patchwork Familie zusammengewachsen. Sie schöpften Vertrauen, nachdem wir einige brenzlige Situationen überstanden hatten, folgten den Befehlen, von denen ich hoffte, dass sie immer zur rechten Zeit, das Richtige beinhalteten. Dann gab es einen Unfall, nichts schlimmes, aber mein Stellvertreter hatte es am Arm erwischt. Ich musste ihn wohl oder übel mit Gips zurück in die Heimat entlassen.
Mir wurde ein neuer zugeteilt und als er vor mir stand, zackig grüßte, erkannte ich in ihm den Freund aus der Vorausbildung, von dem ich seit der letzten Begegnung, nichts gehört hatte. Er schien verändert, nicht nur äußerlich. Ein wild wuchernder Bart, tief in den Höhlen liegende flackernde Augen, und auf die Frage, wie es ihm ginge, bekam ich eine Antwort, von der ich wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprach.
Es folgten Tage, an dem wir das Land in das es uns verschlagen hatte, unser Fahrzeug, Aufträge und Vorgesetzte verfluchten. An manchen lief es besser, das hatten wir den Kopf frei, erkannten die Menschen, die uns anfangs aus dem Wege gingen, aber deren Vertrauen wir gewinnen sollten. Sahen sie mit anderen Augen. Bemerkten, das ihre Heimat, in dem wir wie Eindringlinge wirken mussten, sie geprägt hatte … gleichwohl auch uns. Meinen Freund veränderten diese Tage positiv.
Ich übertrug ihm Verantwortung und nach einer Weile füllte er die ihm zugedachte Rolle so aus, wie ich es von ihm erwartete und wie ich ihn kennengelernt hatte. Allerdings waren dazu viele Gespräche notwendig. Bald wusste ich, dass ihn die Freundin, kaum dass er aus dem Haus war, verlassen hatte, und bei einem der Kameraden aus seiner Einheit Unterschlupf fand. Aus, der Traum, von der neuen Wohnung. Geplatzt wie eine Seifenblase. Dass sich die Eltern einen Tag nach der silbernen Hochzeit, getrennt hatten und er mit der Situation völlig überfordert, fern der Heimat mit sich und all den Gedanken im Kopf, allein war. Zu allem Überfluss war er mit einer Gruppe, einige Wochen vorher in ein Gefecht verwickelt und hatte dabei einen Kameraden verloren. Er war stur und hart, lehnte eine durch mich eingeleitete Unterstützung durch einen Psychologen ab. Ich war traurig darüber, wusste um seinen weichen Kern.
Nun hatte er in meinem Team einen neuen Platz gefunden, einen, den er dankbar annahm und der ihn wieder zu dem Kameraden machte, denn ich kannte. Ich empfand es befriedigend, bei all den eigenen Problemen, auch für ihn da zu sein. Unsere Arbeit schweißte uns zusammen. Wenn ich etwas übersah, kam von ihm rechtzeitig ein Hinweis. Wurde es brenzlig, hielt er mir den Rücken frei. Wir und damit beziehe ich den ganzen Zug mit ein, waren nicht die Summe von Einzelpersonen oder Leistungen, sondern bereit, jederzeit die eigene Existenz hinten anzustellen, wenn es um den Auftrag ging. Eine Gemeinschaft, die den Bedingungen im Land und im Lager sowie den schwierigen Einsätzen des Zuges in der Box trotzte. Entschlossen, sich aufzuopfern und, sollte es verlangt sein, selbst unter Gefährdung des eigenen Lebens, dem anderen zur Seite zu stehen, „als wärs`s ein Stück von mir“, wie es im 1809 geschriebenen Lied vom guten Kameraden, von Ludwig Uhland heißt. Er war mein Buddy.
Wir waren Teil von etwas Besonderen und es machte uns stolz … Kameradschaft, ein eingespieltes Team, wie in einer tollen Geschichte. Eine mit Happy End, in der das Zusammenhaltgefühl siegt und man glücklich lebt, bis an sein Lebensende … leider nicht, da alles Leben endlich ist.
Protagonisten in einer Kurzgeschichte, geschrieben vom militärischen Alltag im Einsatz, die man sich wahrscheinlich nie erzählen würde, denn es war mit dem Kontingentwechsel plötzlich vorbei. So abrupt wie sie begann, endete sie und geriet langsam aber sicher in Vergessenheit. Bis zu dem Tag, als ich die aktuelle Verbandszeitschrift in den Händen hielt, die Augen an einem schwarzen Kreuz hängen blieben, unter dem sein Name stand.
Die Geschichte wäre nie aufgeschrieben worden, denn ich kehrte in den Alltag zurück. Ohne ihn, der in seinen verschwand ... sang und klanglos und von dem ich nichts mehr hörte, da er auf eigenen Wunsch versetzt wurde. Die Todesanzeige aber, ließ mich innehalten, zurückblicken.
Die Rückkehr war einfacher als erwartet. Ich konnte gut ohne die Männer und Frauen meiner Einheit leben. Den besonderen Kameraden an der Seite allerdings, werde ich nie vergessen. Ihm widme ich diese Kurzgeschichte. Vielleicht war seine Anwesenheit wie eine Gewohnheitssache. Wie eine tägliche Angewohnheit. Ein Morgenritual. Wie das Glas Wasser, beim Zähneputzen, das Haare waschen. Doch auch ebendiese Sachen, macht man nicht, ohne darüber nachzudenken. Und an ihn, dachte ich immer wieder.
Es ist nicht auszuschließen, dass es eine Parallelwelt gibt. Eine, die uns nicht getrennt hätte. Eine in der wir weiterhin auf dem Panzer durch zerstörte Dörfer fahren, den Spuren des Krieges folgend. Eine, in der wir uns gegenseitig sichernd, durch verstaubte Straßen laufen, hinter Hausecken einen Anschlag erwarten, und in jedem Fenster eine Überraschung auf uns warten kann. Eine in der alles so weiter läuft, wie es war. In der wir im Team zusammen arbeiten und abends beim Bier die Erlebnisse teilen.
Der gemeinsame, viel zu kurze Weg mit den Kameraden fühlt sich im Nachhinein so an, als hätten wir uns im freien Fall befunden. In einem Fass, dem der Boden fehlt. Man wusste nicht, was einen da unten erwartet. Ich hatte Glück, fiel ohne Schaden zu nehmen, zurück in die Realität. In die, in der man Geschichten wie die unsere, nicht erzählt. In die, in der ich mich in einer anderen, meiner Persönlichen befinde. In die, in der ich zurückgekommen bin und in der ich ihn zurücklassen musste. Mit Menschen, die ich kannte, bevor ich ihn richtig kennenlernen durfte.
Manche Geschichten sind wohl nicht dafür bestimmt erzählt zu sein, weil man sich in einer neuen befindet, die genauso viele schöne Seiten hat. In mir reift allerdings ein Entschluss. Ich werde sie meinen Kindern und Enkelkindern erzählen … irgendwann einmal. Sie soll nicht in Vergessenheit geraten.
Copyright © 2019 by Werner Pfeil