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Eine Jagd
Eine Jagd
Tief sauge ich die kalte Luft in meine Lungen, inhaliere sie wie Menschen den Rauch ihrer Zigarette und stoße sie dann wieder hinaus in die frierende Nacht. Mir ist kalt. Unbarmherzig umtanzt mich der feine Nieselregen, dessen Myriaden von Speerspitzen ich kaum auf meiner Haut fühle, der mir aber dennoch zusetzt. Langsam kämpft sich die Kälte durch die feinen Ritze meiner Kleidung und kühlt mich weiter ab, bis ich schließlich erstarren werde. Erfriere ich dann wie ein Mensch? Der Gedanke ist mir unbehaglich.
Mir ist kalt und dagegen muß etwas getan werden. Ich zerre noch einmal an meinen schwarzen Lederhandschuhen, auf das sie mich verhüllen mögen, und ziehe anschließend meinen Zylinder etwas tiefer ins Gesicht, doch er gewährt mir keinen Schutz vor den kalten Winden des Ostens, die nun durch die Straßen der Stadt pfeifen. Unentschlossen verlasse ich das Bahnhofsgebäude und visiere den Taxistand an, nicht gerade ein erregendes Ziel. Mein Blick schweift ab in den dunklen Nachthimmel, der blitzende Regentropfen aus seiner scheinbar undurchdringlichen Dunkelheit ausspeit.
Dort oben, hinter den schwarzen Wolkentürmen verborgen, liegen die Lichter, die sogar mir scheinen und Freude spenden. Irgendwo erhellt der silbrige Schein des warmen Mondes, umringt von Sternen, die mir Geschichten erzählen, meine Existenz. Bald gibt es eine Geschichte zu jedem Stern, wenn die Menschen sie nicht länger mit ihrem kranken Licht vergraulen.
Die Scheinwerfer des Taxis brennen in meinen Augen, dennoch sehe ich mich ein letztes Mal um, bevor ich in dem Fahrzeug entschwinde. Da erblicke ich dich auf der anderen Seite der Straße, gefangen im gelben Kegel der Straßenlaterne, deren Licht dich ummalt. Unberührbar wirkt dein Bild und doch kann ich dich spüren, wenn ich dich nur anschaue. Dein Haar ist nicht wirklich lang, aber doch weit davon entfernt kurz zu sein und der Wind sehnt sich danach mit ihm zu spielen, deshalb tanzt es einige Takte mit, in der Melodie des Regens. Um der Kälte zu Trotzen entfaltet sich auf deinem schneeweißen Gesicht, die Kraft heißen Blutes und verwandelt deine frierenden Züge in eine Bastion wider den Sturm. Malerisches Rot auf Weiß. Ein vorsichtiges Versprechen von Wärme.
Noch ehe ich recht zu Ende gedacht habe, schreite ich zur Tat, denn der Wille ist rascher als das müde Fleisch. In schnellem Schritt umrunde ich das Taxi, überquere die schwarze Straße und lausche dabei in die Stille, ob etwas meiner Aufmerksamkeit bedarf. Ich will dich jetzt nicht mehr alleine lassen und dabei ist mir Glück beschienen, denn außer dem Knirschen meiner Schuhe auf dem eisigen Asphalt, vernehme ich nichts. Meinen Gehstock, den ich bisher in der Hand hielt, lasse ich erst auf den Betonboden niedersausen, als ich die Straße schon hinter mir lasse.
Sofort fällt dein Blick mir zu, während ich langsam, im Takt meines Stockes, auf dich zutrete. Du bist noch jung, wie ich nun erkenne, denn ich kann jeden deiner Gedanken in deinem Gesicht lesen. Die Maskerade der Gefühle bringt erst das Alter mit sich und Perfektion darin nur die Jahrhunderte.
Die Laterne blendet und so kannst du mich nur als vage Dunkelheit mit schwammigen Konturen wahrnehmen, wodurch deine Angst genährt wird. Ich kann sie hören. Immer schneller schlägt dein Herz, während zu deinen Füßen mein Schatten aufmarschiert! Ein reißender Strom jagt durch deinen Körper, dessen ungestümer Klang in mir widerhallt. Ich erahne deine Wärme, aber friere dennoch. Wachsam spähen deine Augen in das Licht, das mich umgibt und in einen dunklen Engel verwandelt, einen Boten des Todes, der dich ereilen wird.
Befremdlicher als solch ein Engel, wäre er leibhaftig, wirke auch ich nicht auf dich. Gekleidet in fremde Gewandung, die dein Leben in das Land der Filme verbannt hat und dir das Gefühl gibt, gerade jetzt, selbst in einen solchen geraten zu sein. Der Gehstock mit dem silbernen Drachenhaupt als Knauf und der Zylinder, der mein langes, dunkles Haar krönt, verwundern dich. Vielleicht verbannst du meinen weiten, schwarzen Mantel und den feinen Stoff der Hose, sowie meine schwarzen Lackschuhe, die im Laternenlicht leuchten, nicht ganz in das Land der Legenden. Meiner Blässe wirst du am wenigsten Beachtung schenken, sofern du ihrer Gewahr bist, im Kampf gegen das künstliche Licht.
Immer noch bin ich kaum mehr als ein großer Schatten für dich, indessen beginnt dein Herz seinen alten Rhythmus zu suchen. Natürlich beruhigst du dich nicht gänzlich, denn noch steht neben dir ein Fremder, der zudem fragwürdig erscheint, und trotzdem wendest du dich ab von mir. Ich kenne das. Kinder glauben daran, daß sie nicht gesehen werden, wenn sie selbst niemanden sehen und die älteren Menschen setzen dieses Spiel unbewußt fort. Deine Augen suchen Halt an dem Taxi, das auf der anderen Straßenseite gerade in die Nacht davonfährt und uns alleine zurückläßt. Worauf warten wir nun? Ein Blick auf das Schild neben mir, verrät, daß wir hier auf eine Straßenbahn warten. Nun ja, wir werden sehen, welche wir nehmen und wohin sie uns bringt.
Schwer lastet mein Blick auf dir, stoisch und ernst bereitet er dir Unbehagen. Gegen jede Anstrengung mich aus deinem Bewußtsein zu schieben, scheint mein eherner Blick erhaben und so gelingt dein Kinderspiel nicht. Ich bin da. Nervös beginnst du dein Gewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern, nur um sofort wieder zu wechseln und dabei schwingt dein Herz sich erneut zur wilden Trommel auf. Furcht, die ich steigern kann. Ein Schritt von mir genügt!
Mein Schritt nach vorne läßt die Straßenlampe für dich hinter meinem Zylinder verschwinden und sofort umtost dich die Dunkelheit wie ein Sturm. Du zuckst zusammen, aber ignorierst mich weiter. Jetzt habe ich dich dem Kegel des Lichts entrissen und hülle dich in Schatten! Willkommen in meiner Welt.
Sachte stütze ich mich auf meinen Gehstock und halte dich sorgsam in meiner Welt gefangen, deine Gedanken huschen wieder über dein Gesicht. Ich bin der einzige Gedanke dessen du fähig bist, das verraten schon deine Augen, die immer wieder verstohlen herüberschielen.
Wer ich bin? Woher ich komme? Ob ich bald wieder gehe? Welche Bahn ich nehme? Ob es dieselbe ist wie deine? Wo sie denn nur bleibt?
Sicherlich ist jede der Fragen mit einem Übermaß ordinärer Phrasen geschmückt, wie es schon immer Ritus in der Kraftsprache der Halbstarken war, aber das ändert nichts daran, daß ich da bin. Wodurch deine Phantasie wohl gerade jetzt beflügelt wird und du dir ausmalst, welche grauenvollen Dinge ich dir antue, sobald ich deiner Habhaft werde. Sicherlich inspiriert durch etliche Horrorfilme und andere Imaginationsquellen. Freilich erschaudern dich diese Gedanken, verglichen mit meinem Versprechen sind sie nichts: Sie werden niemals dem süßen Tod gerecht, den ich dir bescheren werde! Du wirst gewiß ein Engel.
Noch ein Schritt bringt mich an deine Seite und dein Herz scheint frenetischen Beifall zu spendieren, doch du weichst mir aus! Jetzt treffen sich unsere Blicke und du siehst darin die kalte Gier nach deiner Wärme. Ich halte dich fest und reiße dich an mich heran, während deine steifgefrorenen Hände meinen Körper mit zaghaften Schlägen überschütten. Der letzte Schrei aus deiner Kehle erstickt in meinen Handschuhen, als sich meine langen Zähne in das zarte Fleisch schlage unter dem sich deine Halsschlagader verbirgt. Sofort ergießt sich ein Schwall süßer Wärme berauschend in meinen Körper und küßt ihn feuriger wach als je ein Prinz seine Prinzessin. Unbeschreiblich ist dieser Moment für uns beide, denn dein Entsetzen weicht der süßen Lust eines Vampirkusses. Niemals wird dir gleiches widerfahren sein, noch kann die Zukunft je verheißungsvollere Empfindungen bringen!
Ewig umarmen wir uns, inniger als ein Liebespaar, als am Ende der Straße das Licht der Straßenbahn auftaucht. Flucht wäre ein Fehler, denn die Zeit ist zu knapp um die Male an deinem Hals zu verbergen, so daß unangenehme Fragen in der Stadt kursieren würden. Ich war nicht vorsichtig genug. Also halte ich dich und berausche mich weiter an dem puren Leben, das aus dir hervorquillt! Ich höre kaum wie sie hält, aber weiche mit vorsichtigen Drehungen dem Mann aus, der aussteigt und seines Weges zieht. Erst als ich die Bahn nicht mehr höre, entlasse ich dich aus meiner Umklammerung. Noch ist Blut in deinem Körper, jedoch wird es nicht reichen um dein Herz weiter schlagen zu lassen.
Vorsichtig fährt meine Zunge über die Wundmahle, die sich darauf langsam schließen. Du liegst in meinen Armen und bist nicht länger warm. Hoffnungsvoll schaue ich in den Himmel hinauf, dort tanzen die Regentropfen stetig, aber einen Stern sehe ich nicht. Es tut mir leid.