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Eine richtige Mutter

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04.01.2004
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Eine richtige Mutter

"Mama, stell dir vor, Heinz hat heute morgen in der Schule erzählt, dass Willis Vater einen Drachen gekauft hat!" Rudi rutschte auf seinem Stuhl herum. Für seine vierzehn Jahre war er noch recht klein und er schien dies stets durch seine Lebendigkeit wett machen zu wollen.
"Ach, gibt es jetzt auch schon Drachen fertig zu kaufen?", fragte Elisabeth und verteilte Möhren mit Kartoffeln durcheinander und Mettwurst auf die Teller.
"Hm, lecker", er aß mit dem Appetit eines Heranwachsenden und erzählte weiter.
"Ja, sie stehen fix und fertig im Geschäft. Man muss nur noch die Drachenschnur und den Schwanz dran binden. Aber Willis gekaufter Drachen war nicht richtig ausgewogen. Heinz sagte, er hat immer nur noch rechts gezogen und ist sofort abgestürzt! Alle haben sich kaputt gelacht."
Rudi lachte und auch Elisabeth konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Den gesamten gestrigen Sonntagnachmittag hatten ihr Mann und Rudi im Schuppen verbracht um einen neuen Drachen zu bauen. Beim Abendessen hatten sie noch darüber geredet, wie sorgfältig man arbeiten muss, damit der Drache auch schön hoch fliegt. Sie hatte nicht alles verstanden aber sie freute sich mit ihnen und war stolz auf ihre Männer.
"Schade, dass Willis Vater noch nicht einmal am Wochenende Zeit hat, um mit ihm einen richtigen Drachen zu bauen", sagte sie.
"Ach, Willis Vater kann doch gar nichts. Der sitzt doch nur den ganzen Tag im Büro rum. Außerdem geben die immer damit an, dass sie soviel Geld haben."
"Ja, ich glaube, sie waren auch eine der ersten, die sich einen Fernseher gekauft haben", sagte Elisabeth. "Was gab es sonst noch in der Schule?"
"Fräulein Schlattmann hat uns eine Geschichte vorgelesen, in der ging es um einen Jungen, der bei fremden Leuten wohnt. Seine richtigen Eltern sind im Krieg gestorben."
Elisabeths Gabel blieb einen Moment in der Luft stehen und sie dachte, ihrem Herz würde es genauso gehen.
'Das ist die Gelegenheit!', dachte sie. 'Diesmal muss ich es ihm so erklären, dass er es wirklich versteht!'
"Die Geschichte hat mir nicht gefallen, war zu traurig", fuhr Rudi fort. "Und in Naturkunde haben wir..."
Sie beschloss, ihn erst in Ruhe essen und seine Hausaufgaben machen zu lassen. Während er am Küchentisch saß und schrieb, wusch sie die Teller ab und dachte darüber nach, wie sie es ihm beibringen sollte. Zu warten bis ihr Mann nach Hause kam, war sinnlos. Er war mit der Dreschmaschine seines Chefs unterwegs, um den Bauern zu helfen, die sich so eine teure Investition nicht leisten konnten. Das könnte heute sehr spät werden. Außerdem überließ er derartige Gespräche immer ihr.

Zwischendurch warf sie einen Blick auf Rudis Hefte, in Mathematik konnte sie ihm inzwischen kaum noch helfen. Also setzte sie sich an ihre Nähmaschine vor dem Fenster der Wohnküche und trat kräftig auf das Fußpedal. Seit ein paar Jahren waren die elektrischen Geräte zwar bereits erschwinglich, aber sie arbeitete seit ihrer Lehre zur Schneiderin auf einer mechanischen Singer-Maschine und behauptete immer, dass sie auf ihr mehr Gefühl fürs Nähen hätte. Eine Nachbarin wollte heute Nachmittag ihre neue Bluse abholen.
"Mama, wie schreibt man 'adoptieren'?"
Das gleichmäßige Surren verstummte und sie buchstabierte es für ihn.
"Danke."
"Müsst ihr eine Zusammenfassung der Geschichte schreiben?", fragte sie.
"Hm", knurrte er.
"Kommst du klar?"
"Sicher."
Also widmete sie sich wieder ihrer Arbeit.

"Fertig!", verkündete Rudi bald danach, klappte sein Heft zu und wollte schon hinaus laufen.
"Warte mal eben!", sagte Elisabeth, legte den Stoff behutsam zur Seite und warf einen Blick auf den Aufsatz.
"Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen", fing sie an.
"Ja, was denn?" Rudi trat von einem Bein auf das andere und schaute aus dem Fenster. Die Bäume wiegten sich leicht im Wind und die Herbstsonne malte verführerische Muster auf die bunten Blätter. Elisabeth wusste, was in ihm vorging.
'Soll ich ihn nicht lieber erst seinen neuen Drachen ausprobieren lassen?', fragte sie sich. 'Anderseits hat er sich ja gerade mit der Geschichte beschäftigt. Und außerdem kann er sich hinterher austoben. Dann hat er es bis zum Abendessen sicher verdaut.'
"Bitte setz dich noch mal hin!", forderte sie ihn auf und nahm neben ihm Platz. Dann holte sie tief Luft.
"Stell dir mal vor, du wärst auch so ein Junge!"
"Was für ein Junge?", fragte er.
"So wie in der Geschichte, der nicht bei seinen richtigen Eltern wohnt."
"Aber ihr seid doch meine richtigen Eltern!", sagte er.
'So reagiert er jedes Mal', seufzte Elisabeth innerlich. 'Aber er ist schon in der achten Klasse, bald ist er mit der Volksschule fertig und wird eine Lehre anfangen! Ich muss es ihm selber sagen, bevor er es von Fremden erfährt! Das wäre ein Schock für ihn.'
"Rudi, weißt du, dein Vater und ich, wir haben dich aus einem Kinderheim geholt, als du ganz klein warst."
"Aus was für einem Kinderheim?", fragte er und schaute sie mit großen Augen an.
"Eben das Kinderheim in Münster, in dem die Kinder leben, die keine Eltern haben."
"Aber ich habe doch Eltern, dich und Papa!", beharrte er.
'Wieso versteht er es denn nicht? Wie soll ich es ihm nur erklären?', fragte sie sich.
Sie wusste nicht wohin mit ihren Händen und knetete sie unbeholfen ineinander. Das Thema war ihr peinlich. Als er damals gefragt hatte, wo die kleinen Kinder herkommen, hatte sie ihn aufgefordert, sich im Schweinestall seiner Tante umzusehen.
"Also wir – ähm – konnten jahrelang keine eigenen Kinder bekommen und wollten so gerne eins haben. Da haben wir dich adoptiert, so wie in der Geschichte."
Sein sonst so lebhaftes Gesicht war auf einmal unbeweglich und er starrte sie ungläubig an. Wie sehr wünschte sie sich, dass er ihr leiblicher Sohn wäre, dass sie selber in der Lage gewesen wäre, Kinder zu bekommen, dass sie auch eine richtige Mutter wäre! Wie gerne hätte sie ihm diesen Traum gelassen! Aber sie durfte ihm doch nichts vormachen und jetzt schien er endlich einmal zuzuhören. Sie wartete darauf, dass er fragte, ob seine richtigen Eltern so wie in der Geschichte auch gestorben wären. Doch er blieb stumm, also erklärte sie weiter: "Von deinem Vater wissen wir nichts. Aber deine Mutter lebt hier in der Nähe."
Sie zögerte ein wenig und als er immer noch schwieg, dachte sie: 'Hoffentlich denkt er jetzt nicht, dass es an ihm lag, dass sie ihn nicht hat haben wollen. Jetzt muss ich ihm auch den Grund erzählen.'
Also fuhr sie hastig fort, um es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen:
"Weißt du Rudi, als du geboren wurdest, war der Krieg erst ein paar Jahre vorbei. Deine Mutter war noch sehr jung. Man sagt, sie hätte ihre ganze Familie verloren und wäre aus dem Osten geflohen. Sie hat hier bei Bauern gearbeitet. Aber die konnten ihr nur was zu essen geben, wenn sie auch ordentlich mit angepackt hat. Und das geht nicht mit einem kleinen Baby. Das waren schwere Zeiten damals, weißt du. Wir dürften eigentlich nicht wissen, wer sie ist und wo sie wohnt. Aber auf den Bauernschaften spricht sich ja alles rum. Wenn du willst, können wir hin fahren."
Er sah sie wieder völlig erstaunt an. "Warum denn?"
Elisabeth verdrehte die Augen und sagte: "Ich hab dir doch gerade erklärt, dass sie deine richtige Mutter ist!"
Rudi runzelte die Stirn, sprang von seinem Stuhl auf und widersprach: "Aber DU bist doch meine richtige Mutter!"
Sie seufzte und schüttelte langsam den Kopf.
Da drehte er sich um und rannte aus dem Zimmer, aus dem Haus.
"Ach Rudi, so habe ich das doch nicht gemeint!", rief sie ihm hinterher, aber da war er schon um die Ecke gelaufen. Sie starrte die leere Straße entlang.
'Vielleicht hätte ich ihm doch nicht alles auf einmal sagen sollen!', dachte sie. 'Hoffentlich kommt er bald wieder!'

Er wusste gar nicht, wohin er lief. Hauptsache, er spürte sein Herz rasen, den Boden unter seinen Füßen und er musste nicht denken. Irgendwann konnte er einfach nicht mehr und ging langsamer weiter. Unwillkürlich war er an seinem Lieblingsplatz im Wald gelandet. Das Brummen der Bagger wurde immer lauter und zwischen den Bäumen sah er schon das Wasser schimmern. Das Schild mit der Aufschrift 'Betreten verboten' nahm er gar nicht wahr, als er durch den Zaun schlüpfte. Sonst konnte er stundenlang zusehen, wie die riesigen Schaufelräder Kies und Sand scheinbar mühelos in die Luft hoben und in die Lastwagen poltern ließen. Aber heute verkroch er sich am anderen Ende des Sees, stapfte ganz nahe am Abhang entlang, da, wo immer wieder große und kleine Stücke der lockeren Erde in den See hinab fielen. Er nahm einen Stein, warf ihn voller Wucht hinunter und beobachtete, wie eine Wunde in die unbewegte Oberfläche gerissen wurde. Eine kleine Fontäne spritzte hoch und von da aus wurden kreisförmige Botschaften über den ganzen See verteilt, bis die Wellen sich langsam im Nichts auflösten. Schnell warf er noch mehr Steine, Äste und alles, was er finden konnte, dort hinein. Plötzlich gab der Boden unter ihm nach, er fasste nach einem Strauch, konnte ihn gerade noch erreichen, zog sich hoch und setzte sich ein paar Meter weiter unter einen Baum.
'Ob irgendjemand traurig ist, wenn ich nicht mehr da bin?', fragte er sich. Dann stand er auf und lief wieder weiter. Er wollte nicht denken. Seine kleine Welt war plötzlich zusammengebrochen. Die Frau, die doch immer für ihn da gewesen war, sollte auf einmal nicht mehr seine richtige Mutter sein. Stattdessen war es angeblich eine fremde Frau. Und die hatte ihn nicht haben wollen.
'Wo gehöre ich hin?', schoss es ihm durch den Kopf, doch dann rannte er wieder weiter. Als er Hunger bekam, aß er ein paar Blaubeeren und Bucheckern. Bei Einbruch der Dunkelheit kehrte er schließlich nach Hause zurück. Je mehr er sich dem Haus näherte, von dem er bis jetzt gedacht hatte, dass er dort geboren worden war, wurden seine Schritte langsamer und schleppender. Doch als er es schließlich sah, breitete sich eine warme, vertraute Geborgenheit in seinem Körper aus.
Die Frau, die er bisher für seine Mutter gehalten hatte, stand am Fenster und wartete. Sie schimpfte heute nicht, weil er und seine Kleidung von oben bis unten voller Erde waren. Sie fragte ihn auch nicht, wo er denn so lange gewesen sei.
"Willst du etwas essen?", fragte sie nur und ihre Stimme schien zu zittern.
"Hab keinen Hunger", sagte er und sah an ihr vorbei.
"Weißt du Rudi", fing sie leise an. "Wir haben dich doch genauso lieb wie vorher!"
Er drehte sich nicht um, damit sie die Tränen in seinen Augen nicht sehen konnte und schloss schnell die Tür zu seinem Zimmer. Dieser Satz ließ wieder die Hoffnung in ihm aufflammen, dass alles wieder gut werden könnte. Gleichzeitig wühlte es ihn auf. Könnte es wirklich wieder so werden wie früher?
Ein paar Minuten blieb er in dem dunklen Raum stehen und wischte sich die Augen trocken. Als sein Atem sich wieder beruhigt hatte, schaltete er das Licht an. Liebevoll strich er mit einem Finger über das Kunstwerk aus dünnen Latten und buntem Pergamentpapier, das er am Wochenende zusammen mit seinem Vater... Sein Vater? Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals und schaute schnell weg.
Er wälzte sich noch lange von einer Seite auf die andere. Sollte er diese fremde Frau besuchen, die er noch nie gesehen hatte und die angeblich seine richtige Mutter war? Wie würde es sein, ihr zu begegnen? Würde er dann wieder von neuen, schmerzhaften Gefühlen durcheinander gewirbelt werden? Ihm wurde ganz flau im Magen. Nein, bloß nicht! Außerdem hatte sie ihn ja auch nicht gewollt!

Am nächsten Morgen schaute er ganz bewusst in den Spiegel. Das gleiche Gesicht wie immer sah ihn an, nur ziemlich unausgeschlafen.
'Rudi, du bist was Besonderes!', versuchte er sich einzureden. 'Du bist adoptiert. Wer ist das schon?' Und er streckte seine Brust vor, aber es wirkte nicht sehr überzeugend.
"Morgen Mama!", murmelte er, und schnupperte den Duft von Gebratenem ein, als er in die Küche trat. Dann fiel es ihm wieder ein und er sah sie erschrocken an. Wie sollte er sich ihr gegenüber ab jetzt verhalten? Durfte er weiter 'Mama' zu ihr sagen oder würde sie wieder sagen: 'Ich bin nicht deine richtige Mutter!'? Aber sie lächelte ihn liebevoll an und stellte einen Teller vor ihn hin, der vor lauter Bratkartoffeln mit Spiegelei und Speck fast überlief. Sie sah genauso unausgeschlafen aus wie sein Spiegelbild vorhin und ihre Hand zitterte ein wenig. Sonst war sie doch immer so stark. Konnte es sein, dass sie auch unsicher war?
"Guten Morgen Rudi! Hier, ich habe dir ein Bauernfrühstück gemacht." Auch ihre Stimme war sanfter als sonst.
"Hm!", machte er und stürzte sich darauf, sein gestriges Abendessen war ja ziemlich dürftig ausgefallen. Und so etwas gab es morgens sonst nie.
"Soll ich heute Mittag Nudeln mit Tomatensoße für dich machen?", fragte sie und es klang fast wie eine Bitte. Merkwürdig, sonst musste er doch immer darum betteln. Er wusste genau, dass sie selber dieses moderne Gericht nicht mochte. Die Nudeln und das Tomatenmark musste sie extra kaufen, Kartoffeln wuchsen im Garten. Vielleicht - vielleicht wollte sie ihm wirklich zeigen, wie lieb sie ihn hatte. Er traute sich nicht, von seinem Teller aufzublicken, sonst wäre er vielleicht wieder in Tränen ausgebrochen. Also nuschelte er nur mit vollem Mund: "Au ja".
Während er aß, schien es ihm, als ob sie lauter als sonst mit Pfannen und Geschirr herum hantierte. Schließlich ermahnte sie ihn:
"So, jetzt musst du aber zur Schule, du bist spät dran."
"Tschüß Mm-ama!" Im letzten Moment fiel ihm ein, was er da sagte. Vielleicht würde er sich bald wieder daran gewöhnt haben. Doch jetzt stürmte er aus der Tür, froh, diesem Wirrwarr von Gefühlen zu entkommen.
"Tschüß Rudi, viel Spaß in der Schule!"

"Wo warst du denn gestern, wir wollten doch Drachen steigen lassen?", fragte Heinz auf dem Weg zur Schule.
Rudi wand sich, ihm fiel keine passende Ausrede ein und er musste es jemandem erzählen. Also fragte er: "Sag mal Heinz, erinnerst du dich an die Geschichte mit dem adoptierten Jungen, die wir gestern in der Schule besprochen haben?"
"Na klar", sagte Heinz. Rudi holte tief Luft. Wie mochte sein Freund reagieren? Würde er ihn hänseln?
"Meine Mutter – äh, hat mir erzählt, dass ich – also, dass ich auch adoptiert bin!", er schaute Heinz vorsichtig von der Seite an.
"Ach so, ich glaube, meine Eltern haben mal darüber geredet. Aber sie haben mir eingeschärft, ich soll niemandem was sagen, sonst kriegen wir Ärger mit deinem Vater!" Heinz machte eine wegwerfende Handbewegung und Rudi fiel ein Stein vom Herzen. Vor seinem Vater hatte jeder Respekt.
"Aber heute Nachmittag lassen wir zusammen Drachen steigen, ja?", fuhr Heinz fort.
"Klar doch! Und meiner fliegt dieses Jahr bestimmt wieder viel höher als deiner!", rief Rudi.
"Blödsinn! Mein Vater hat mir gestern einen Trick gezeigt..."
"Pah, das wollen wir doch mal sehen. Mein Vater baut die besten Drachen der Welt!"

Meiner Schwiegermutter gewidmet, die eine wunderbare Frau war.

 

Liebe Tamara!

Wieder eine sehr schöne, berührende Geschichte, ein bisschen traurig, aber im Grunde doch positiv. Schön erzählt finde ich sie auch. :)

Besonders gut hat mir die Stelle am See gefallen, wo er den Stein ins ruhige Wasser wirft - da ist Dir ein sehr schöner Vergleich für das, was in Rudi vorgeht, gelungen. Schön, daß es sich dann wieder beruhigt.

Was ich vielleicht ändern würde, ist der Grund, warum Rudi adoptiert wurde. Denn ich, als Leserin der Geschichte, denke mir: Vielleicht konnte die Frau wirklich nicht anders und es tut ihr heute noch weh - in der Geschichte erfahre ich ja nur ihr hartes Schicksal.
Damit will ich Dir bzw. Euch nicht in der offensichtlichen Realität dreinreden, obwohl mein Kritikpunkt natürlich erst durch den letzten Nachsatz so richtig gewachsen ist, aber für die Geschichte würd ich einen anderen Grund für das Freigeben zur Adoption wählen, einen, wo in mir als Leser kein Mitgefühl für die richtige Mutter aufkommen kann.
Eine andere Lösung wäre natürlich, den zweiten Nachsatz wegzunehmen. In der Geschichte ist der Punkt ja eigentlich offen, da Rudi noch ein Kind ist und seine Meinung jederzeit ändern kann, sobald er es verdaut hat, das kann ich mir als Leserin dann ausmalen oder auch nicht, solange es nicht als Nachsatz drunter festgeschrieben ist. ;)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

"aber sie arbeitete seit ihrer Lehre zur Schneider in auf einer mechanischen Singermaschine und behauptete immer, dass sie auf ihr mehr Gefühl fürs Nähen hätte."
- Leertaste zuviel in Schneiderin
- würd ich mit Bindestrich schreiben: Singer-Maschine
Wir hatten in der Schule noch ein paar solche mechanischen Maschinen und ich kann das nur bestätigen, daß man dabei mehr Gefühl hat. Mir waren sie viel lieber, als die elektrischen. ;)

"Das gleichmäßige Surren verstummte und sie buchstabierte es für ihm."
- buchstabierte es für ihn oder buchstabierte es ihm

"Aber die konnten ihr nur was zu essen gegeben, wenn"
- geben

"da, wo immer wieder große und kleine Stücke der lockeren Erde in den See herab fielen. Er nahm einen Stein, warf ihn voller Wucht hinunter und beobachtet, wie eine Wunde in die unbewegliche Oberfläche gerissen wurde."
- in den See hinab - beobachtete - die unbewegte Oberfläche (sie ist ja nicht unbeweglich, sie bewegt sich nur nicht)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Tamara,

sehr schön geschrieben. Auch mir hat die Szene am See besonders gut gefallen.

Die Art, wie die Mutter ihrem Sohn sagt, dass er adoptiert ist, hat mich ein wenig gestört. Ich finde das kam sehr nüchtern und unbeholfen, oder unüberlegt rüber.
Wäre ich in der Situation gewesen, hätte ich erstens, auf meinen Mann gewartet und zweitens, mich mit dem Kind irgendwo hingesetzt, wo ich es in den Arm nehmen könnte. Vielleicht Fotos von den letzten gemeinsamen Jahren angeschaut, den Jungen ganz langsam auf die Offenbahrung vorbereitet. Ihm gezeigt, wie sehr ich ihn liebe.
In deiner KG kam es so plötzlich und nüchtern rüber.
Aber jeder Mensch hat seine eigene Art. Wenn deine Schwiegermutter es so gesagt hat, dann ist es auch richtig, dass du es so geschrieben hast.

Toll finde ich die Reaktion des Jungen.
Raus, abreagieren, darüber nachdenken, nach Hause. Drüber schlafen, ein wenig Unsicherheit am andern Morgen. Ein kurzes Gespräch mit seinem Freund. Der Drachen, den s e i n Vater gemacht hat und die Welt ist wieder in Ordnung.
Denn wirklich wichtig ist nur die Liebe zu den Menschen, die einen umgeben.

Auch das dein Mann seine richtige Mutter nie besucht hat, finde ich gut.
Denn es hätte keinen Wert für sein Leben gehabt.
Diese Mutter hat ihm zwar das Leben geschenkt, aber nie mit ihm gelebt.

Was mich noch ein wenig verwundert ist, dass der Freund aus der Schule gesagt hat: Das weiß doch jeder.
Nun können Kinder doch sehr grausam sein.
Hat nie jemand gesagt: Du bist doch nur adoptiert? :hmm:

Wie auch immer, es ist eine wahre Geschichte, die von den Betroffenen wunderbar gemeistert wurde und von dir gut geschrieben :)

ganz lieben Gruß, coleratio

 

Hallo Tamara,
Viele Kinder erlitten dieses Schicksal, ohne ihre leiblichen Eltern aufwachsen zu müssen. Und manchesmal hat die Mutter das Kind behalten und einen Mann geheiratet, damit sie versorgt ist. Ich glaube auch dass diese Kinder es erheblich schwerer hatten, weil sie vielleicht die Lieblosigkeit spürten, mit denen sie konfrontiert wurden. Der Rudi hatte Glück, wurde adoptiert von Eltern, die bereit waren ihn zu lieben.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo tamara,

Prinzipiell eine nette Geschichte, wenn auch mit einigen Macken.

Die schon angesprochene Erklärung der Mutter finde ich ebenfalls zu nüchtern, zu brutal. Verleugnet sie damit nicht irgendwo ihre Gefühle, fühlt sie sich nicht als Mutter des Jungen?

Die Stimmung des Jungen schlägt ein bisschen zu schnell um; ein weiteres, klärendes Gespräch mit den Eltern hätte ich für angebracht gehalten, schon allein um die Unsicherheiten auszugleichen, die er beim Gebrauch des Wortes "Mama" empfindet.

Und als dritter Kritikpunkt ist mir der Satz des Pythagoras aufgefallen - der Klischeeinhalt einer Mathematikstunde schlechthin. Und ist die Volksschule nicht die Grundschule, oder ist das hier als eine weiterführende Schule gemeint? Denn Pythagoras ist garantiert kein Lehrplanstoff der Grundschule!

Im Ansatz gut gefallen hat mir die Reaktion des Jungen, wenn ich sie auch für zu knapp halte. Und die Gefühle der Mutter habe ich zum Schluss vermisst, da beschränkst du dich voll und ganz auf die Perspektive des Jungen. Auch unverständlich fand ich, dass dem Jungen das ganze noch nicht zu Ohren kam.

Ich weiss, dass es schwierig ist, eine autobiographische Geschichte zu schreiben, aber meiner Meinung nach ist nichts daran auszusetzen, sich einige künstlerische Freiheiten zu gönnen. So lassen sich aus vielen guten Vorlagen wirklich gute Geschichten schreiben.

lg Anea

 

hi tamara!

@ Anea: "Und ist die Volksschule nicht die Grundschule, oder ist das hier als eine weiterführende Schule gemeint? Denn Pythagoras ist garantiert kein Lehrplanstoff der Grundschule!" Volkschule wurde früher (und teilweise auch heute noch) als Begriff verwendet, der Grundschule und Hauptschule zusammengefasst. Da ja davon die Rede ist, dass er bald eine Lehre beginnen soll, finde ich es durchaus gut, den etwas alten Begriff zu gebrauchen.

Zur Geschichte: Hat mir sehr gut gefallen. Man spürt die Unsicherheit der Mutter - allein das
'

Das ist die Gelegenheit!', dachte sie. 'Diesmal muss ich es ihm so erklären, dass er es wirklich versteht!'
zeigt, dass sie es bereits versucht hat, behutsam, und dass er es so nicht annahmen konnte. Mag sein, dass es einen schönen Mittelweg gibt aus einfühlsam und klar - nur den in diesem Moment zu finden ist ein hoher Anspruch. Dazu finde ich noch, dass die Frau auch nicht so unsensibel war, wie es andere Kritker empfunden haben. Gemeinsam ein Fotoalbum durchblättern etc könnte eine schöne Idee sein - wobei ich im Hinterkofp die Nachkriegsjahre habe, und da gabs eben nicht viele Fotos ...
Nachbarin wollte heute Nachmittag ihre neue Bluse abholen, bis dahin wollte sie fertig sein.
das erscheint logisch. ;)

"Ja, was denn?", Rudi trat von einem Bein auf das andere,
wenn nach der wörtl. Rede ein Hauptsatz folgt, brauchst Du kein Komma. Der Satz wird ganz normal groß angeschlossen.
Sie knetete ihre eigenen Hände immer wieder durch.
klingt für mich etwas seltsam, so, asl ob man anfängt, sie irgendwann einmal fertig geknetet hat (wie Teig) und es dann nochmal macht. Aber das Händekneten hat ja kein Ziel in dem Sinn, dass man sagen könnte: fertig!

"Wirklich?", sein ganzer Körper schien zu betteln
Komma raus, Sein groß - siehe oben.

Als er Hunger hatte, aß er ein paar Blaubeeren und Bucheckern.
Hunger kommt ja eher nach und nach, deswegen würde mir ein "als er Hunger bekam" besser gefallen.

Am nächsten Morgen schaute er ganz bewusst in den Spiegel. Das gleiche Gesicht wie immer sah ihn an, nur ziemlich unausgeschlafen.
'Rudi, du bist was Besonderes!', dachte er. 'Du bist adoptiert. Wer ist das schon?' Und er streckte seine Brust vor.
Der Umschwung scheint etwas schnell zu kommen. Aber es ist wohl eine Art, Probleme mit sich selbst abzumachen, wer weiß, wie er die Nach verbrachte, wenn er auch unausgeschlafen ausschaut.
und Speck fast überlief..
ein Punkt zuviel
"Ach, nichts", Rudi machte eine wegwerfende Bewegung.
siehe Oben.

Der Schluss, dass Heinz meinte, das wisse längst jeder, hat mir irgendwie gut gefallen - es ist nichts, was ihn stigmatisiert, nichts, wofür er sich verkriechen, rechtfertigen etc muss, es ist einfach so. Und sein Vater macht die besten Drachen.

Lieber Gruß
Anne

 

Hallo,
erst mal vielen Dank euch allen! Interessant, dass zuerst drei Müttern geantwortet haben! ;) Besonders freut mich, dass die Stelle am See so gut ankommt :bounce:, denn es gab dort damals keinen Baggersee und Rudis Vater hat nie Drachen gebaut. Als ich meinem Mann die Geschichte vorgelesen habe, hat er mir bestätigt, dass ich die Situation, das Gefühl getroffen habe (und darauf kommt es ja wohl an!). Und dann musste ich ihm ein Taschentuch geben! Na ja, ich habe auch eins gebraucht!
Ich habe die Geschichte noch ein wenig ausgebaut, besonders die Stelle, nachdem er wieder nach Hause gekommen ist, um die Gefühle des Jungen zu verdeutlichen. Übers Wochenende war ich verreist und da ist mir selber schon eingefallen, dass ich ein bisschen mehr Gefühle und Hintergrund reinbringen könnte. Ich habe oft Angst, es würde zu schnulzig werden! Hoffentlich sind jetzt nicht wieder tausend Tippfehler drin!!!

@Häferl: Wie oben erwähnt, habe ich keine Skrupel, einzelne Details zu ändern. Aber den Grund für die Adoption möchte ich so lassen, denn es zeigt einmal, wie schlimm es nach dem Krieg war, wie gut wir es jetzt haben. Und es zeigt, dass der Grund, warum Menschen anderen Schmerzen zufügen, oft nicht böser Absicht ist, sondern eine eigene Not. Wer weiß, unter welchen Umständen sie schwanger geworden ist! Außerdem hat dies nichts mit dem Grund zu tun, warum er seine leibliche Mutter nicht sehen wollte. Ich wäre in so einer Situation vor Neugierde geplatzt und habe es erst so richtig verstanden, nachdem ich diese Geschichte geschrieben habe. Er hat seine Adoptivmutter einfach zu sehr geliebt und hat Angst, dass er bei einer Begegnung mit der fremden Frau enttäuscht wäre.
Vielen Dank auf für das Rauspicken der Tippfehler!

@Coleratio: Ja, das hätte sie ihm schonender beibringen können, sie war auch nicht perfekt, nur ein Mensch. Ich habe jetzt auch noch einen Hinweis darauf eingebaut, dass sie sich selbst als Frau minderwertig gefühlt hat, weil sie keine Kinder bekommen konnte. Sie ist 1907 geboren und auf dem Lande aufgewachsen!
Schön, dass dir gefällt, dass er seine leibliche Mutter nie besucht hat! Siehe oben.
Mich wundert auch, dass die Kinder ihn nicht gehänselt haben, da hat er wirklich Glück gehabt!

@Goldene Dame: Ja, ich denke auch, seine Adoptiveltern haben sich bewusst entschieden: Wir wollen gerne ein Kind haben. Das ist für ein Kind besser als in einer spannungsgeladen Atmosphäre aufzuwachsen.

@Anea: Zu der Erklärung der Mutter habe ich Coleratio schon etwas geschrieben. Ich hoffe, der eingebaute Hinweis macht es auch etwas deutlicher. Außerdem habe ich versuchte, noch deutlicher zu machen, dass die Sache für den Jungen noch nicht ganz umgeschlagen ist, klar braucht das noch einige Zeit. Das Wichtigste war der Satz, den seine Mutter sagt, nachdem er wieder zu Hause ist. Auch die Gefühle der Mutter beim Frühstück habe ich versucht deutlicher zu machen. Aber ich kann sie nicht direkt schildern, das wäre ein zu plötzlicher Perspektivwechsel, das würde die Leser verwirren. Die Geschichte spielt Anfang der 60er Jahre (ich dachte, das wäre durch die Nähmaschine klar geworden), damals beinhaltete die Volksschule die erste bis achte Klasse, wie Maus auch schon geschrieben hat. Und in der letzten war Pythagoras dran. Ich habe den Satz aber geändert, das war ein interner Scherz, denn mein Mann ist inzwischen Mathelehrer! ;) Das war also schon eine Abweichung von der Realität! Ansonsten denke ich schon, dass ich mir genügend künstlerische Freiheit genommen habe.

@Maus: Ja, auch mit den Fotos hast du Recht, es gab kaum welche. Dir auch vielen Dank für die Korrekturvorschläge! Und dass er nicht gehänselt wird ist ja eigentlich auch ein Bruch mit einem Klischee, also bleibt das auch!

viele liebe Grüße
tamara

 

Ja, ich gebe zu, das mit der Volksschule war mir nicht klar - schon, dass es so sein könnte, war aber nicht sicher. Wann sie spielt dagegen schon - die Kriegsthematik hat das durchaus rübergebracht, da musst du nichts mehr deutlicher machen.

Find ich gut, dass du dir den Freiraum genommen hast, aber ich fand's trotzdem fast ein bisschen knapp - hätte gerne weitergelesen!

Liebe Grüsse

Anea

 

Aber den Grund für die Adoption möchte ich so lassen, denn es zeigt einmal, wie schlimm es nach dem Krieg war, wie gut wir es jetzt haben. Und es zeigt, dass der Grund, warum Menschen anderen Schmerzen zufügen, oft nicht böser Absicht ist, sondern eine eigene Not. Wer weiß, unter welchen Umständen sie schwanger geworden ist!

Ja eben, weil das so schlimm ist, stört mich der Nachsatz am Schluß, daß er sie nie sehen wollte. Realität hin oder her, das gehört ja eigentlich nicht zur Geschichte, denn die Geschichte ist an einer Stelle aus, an der noch alles ungewiß ist, wo ich mir noch ausmalen kann, daß er seine leibliche Mutter kennenlernen wird und alle zwei Wochen besuchen oder so. Aber dann den Nachsatz zu lesen, war wie ein Schlag in den Magen, weil ich eigentlich am meisten mit dieser Frau mitgefühlt habe und sie mir absolut Leid tut, weil sie ihr Kind nie sehen durfte. Eh schon die ganze Familie weg und dann auch noch das Kind - verstehst Du, was ich meine? Ich würd mir die Geschichte, also das, was danach kommt, gern schönmalen, aber der Nachsatz wirkt für mich wie ein Stacheldrahtzaun, er sperrt diesen Weg ab.

Alles Liebe,
Susi :)

 

Ja, aber die Geschichte handelt ja eigentlich nicht von der leiblichen Mutter, sondern von Rudi. Und wenn er kein Bedürfnis sieht sie zu sehen (wofür er ja auch eigentlich keinen Grund hat), dann finde ich das stimmig und richtig. Andernfalls hätte doch die Gefahr bestanden, das ganze ins Kitschige abgleiten zu lassen. Trotzdem weiss ich, was du meinst.

Vorschlag: Erfinde jemand die Geschichte der leiblichen Mutter und wie sie sich mit ihrem Leben aussöhnt! Das fände ich ein tolles Experiment...

LG,

Anea

 

Ja, aber die Geschichte handelt ja eigentlich nicht von der leiblichen Mutter, sondern von Rudi.

Ja, die Geschichte selbst handelt von Rudi und seiner Adoptivmutter, wobei der Blick auch auf die leibliche Mutter gerichtet wird. Soweit hat sie mir ja auch wirklich gut gefallen.

Und wenn er kein Bedürfnis sieht sie zu sehen (wofür er ja auch eigentlich keinen Grund hat), dann finde ich das stimmig und richtig.
Natürlich steht ihm das zu. Aber wenn der Nachsatz zur Geschichte gehören soll, dann fehlt dazwischen ein entscheidendes Stück, nämlich das, wo ich als Leser mitfühlen kann, warum er sie nicht sehen will. Darüber hat er ja sicher später auch noch nachgedacht und seine Gründe gefunden, warum er es nicht will. - Hier wird mir aber als Leser die Tatsache einfach nur vorgesetzt, ohne daß ich seine Entscheidung nachempfinden kann - und in dem Fall bleiben meine Gefühle eben bei der leiblichen Mutter hängen.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Tamara,

auch mir hat deine Geschichte sehr gefallen.

Allerdings fand auch ich das "Geständnis" der Mutter etwas hart. Das erschien mir etwas unsensibel.

Sehr schön fand ich auch, dass die, im Grunde genommen traurige Geschichte, dann am Ende doch so etwas wie Hoffnung entsteht.
Ich würde es auch schön finden, wenn der Junge seine leibliche Mutter treffen würde. Ich denke, dass ich an seiner Stelle, trotz allem, schon sehr neugierig wäre. Er kann ja trotzdem seine Adoptiveltern immer als seine richtigen Eltern anerkennen.
Na ja, aber das mit dem Kennenlernen ist natürlich Geschmackssache.

LG
Bella

 

@Anea: Oh, das ermutigt mich, das nächste Mal doch wieder längere Geschichten zu schreiben! Freut mich, dass es dir gefallen hat und vielen Dank für die ehrliche, konstruktive Kritik!

@ Häferl:

Aber dann den Nachsatz zu lesen, war wie ein Schlag in den Magen, weil ich eigentlich am meisten mit dieser Frau mitgefühlt habe und sie mir absolut Leid tut, weil sie ihr Kind nie sehen durfte.
Ach so hast du das gemeint! Oje, ich wollte ihr natürlich nicht nochmal weh tun! Im Grunde stimmt es, der zweite Nachsatz hat nichts mit der Geschichte selber zu tun, also ist er jetzt draußen. Außerdem könnte man Mann es sich ja noch einmal überlegen, sie müsste jetzt 73 sein, also ist noch alles möglich! ;)

@Bella: Auch dir ein herzliches Dank. Ja, es war hart, es ist schade, dass wir es oft nicht schaffen, mit den Menschen, die wir lieben, auch behutsam umzugehen. Das hat viele Gründe. Und ich fände es auch schön, wenn er sich mit seiner leiblichen Mutter versöhnen könnte. Aber das ist seine Entscheidung. Und wer weiß, welche Wunden sonst vielleicht wieder aufgerissen würden. Obwohl sie dann vielleicht auch eine Chance hätten, zu heilen! *seufz!*
Gruß
tamara

 

tamara schrieb:
'Ob irgendjemand traurig ist, wenn ich nicht mehr da bin?', fragte er sich. Dann stand er auf und lief wieder weiter. Er wollte nicht denken. Seiner kleine Welt war plötzlich zusammengebrochen. Seine Mutter war auf einmal nicht seine richtige Mutter. Stattdessen eine fremde Frau. Aber die hatte ihn nicht haben wollen.

...

Er wälzte sich noch lange von einer Seite auf die andere. Sollte er diese fremde Frau besuchen, die er noch nie gesehen hatte und die angeblich seine richtige Mutter war? Wie würde es sein, ihr zu begegnen? Würden er dann wieder von neuen, schmerzhaften Gefühlen durcheinander gewirbelt werden? Ihm wurde ganz flau im Magen. Nein, bloß nicht! Außerdem hatte sie ihn ja auch nicht gewollt!


Für die Kürze der Erzählzeit finde ich diese Gedankengänge logisch und nachvollziehbar. Ansätze, warum sich diese Einstellung ändern sollte, sehe ich nicht. Warum sollte er sich nicht darauf konzentrieren, sein Leben wieder zu ordnen? Warum sollte er plötzlich ein Bedürfnis verspüren, eine Frau, die er nicht kennt und die (so hart es klingt) ihm nichts bedeutet, kennenzulernen, wenn das einzige, was er von ihr erfahren hat, Ablehnung ist?

Spätere Gedankengänge sind leider nicht da, dazu ist die Geschichte (Entschuldige, Tamara, ich wiederhole mich) zu knapp gehalten. Diese beiden Stellen sind die einzigen Anhaltspunkte für die Bezihung zur leiblichen Mutter. Aber auch eine spätere Entscheidung, die Adoptivmutter als - für ihn - einzige Mutter anzunehmen, finde ich aus seiner Sicht akzeptabel. Und die gibt die Geschichte vor.

Ich kann dich verstehen, Susi. Aus Sicht der leiblichen Mutter finde auch ich einen anderen Zugang zur Thematik. Nur wissen wir nicht viel von ihr, eigentlich so gut wie gar nichts.

Gedanke: Vielleicht wäre ihr ein Treffen gar nicht recht? Vielleicht möchte sie Rudi so in Erinnerung behalten, wie sie ihn kannte (als Baby) und nicht als den ihr mittlerweile fremden Jungen? Vielleicht hat sie die Erinnerung ihren Sohn verdrängt? Vielleicht empfand sie diese Sehnsucht nach ihrem Kind ja gar nicht - aber darüber sagt die Geschichte nichts. Es wäre jedoch eine Möglichkeit.

Die Geschichte der leiblichen Mutter wäre sicherlich schreibenswert, egal auf welche Weise (auch die alles bereuende, sich vor Sehnsucht verzehrende Mutter wäre natürlich möglich) man sie schreibt.

Solange ich jedoch keine Vorgabe zu ihrem Verhältnis dem Jungen gegenüber, versteife ich mich nicht darauf, dass sie die sich nach ihrem Kinde sehnende Mutter ist. Diesbezüglich ist - als einfacher Leser - meine Vorstellung völlig schwammig.

Eine Geschichte der Mutter (fühlt sich gerade jemand inspieriert?) würde ich wirklich gern lesen. Bis dahin beschränke ich mich darauf, mir einzugestehen, dass die Beziehung Rudi - leibliche Mutter kein Happy End findet (oder finden kann).

LG

Anea

 
Zuletzt bearbeitet:

@Anea:

Warum sollte er sich nicht darauf konzentrieren, sein Leben wieder zu ordnen? Warum sollte er plötzlich ein Bedürfnis verspüren, eine Frau, die er nicht kennt und die (so hart es klingt) ihm nichts bedeutet, kennenzulernen, wenn das einzige, was er von ihr erfahren hat, Ablehnung ist?
Das hast du gut auf den Punkt gebracht! Für den Jungen war erst einmal der Schmerz da, dass die Frau, die 14 Jahre lang für ihn da ist, ihm plötzlich sagt, sie sei nicht seine richtige Mutter. Noch einen Schmerz könnte er in diesem Moment nicht verkraften. Seitdem sind etliche Jahrzehnte vergangen! Und es gibt sehr viele Kinder, die ihre leiblichen Eltern unbedingt kennen lernen wollen. Es würde mich sehr interessieren, warum die einen es wollen und andere überhaupt nicht! Deshalb kann man diesen Punkt auf jeden Fall offen halten.
Eine Geschichte der Mutter (fühlt sich gerade jemand inspieriert?) würde ich wirklich gern lesen.
Ja, die wäre auf jeden Fall spannend! Mensch Anea, da juckt es mir gleich wieder in den Fingern! Aber ich kann mir auch vorstellen, dass mit dem Kind und der Geschichte drum herum traumatische Erlebnisse verbunden sind und sie ihn nicht sehen will. Dann verstehe ich allerdings nicht, warum sie nur drei Dörfer weiter wohnen geblieben ist! Also ein weites Feld für Spekulationen! *seufz*
Oh Anea, gerade habe ich verstanden, dass du nicht darauf bestehst! Ja, beides ist möglich!
Gruß
tamara

 

@Solveig: Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Also Rudi war in der achten Klasse, also 14 Jahre alt, damals hat man tatsächlich so früh mit der Lehre angefangen. Vielleicht sollte ich das noch dazu schreiben? Und in der achten Klasse wurde wirklich der Phytagoras durchgenommen, ehrlich! Ich habe mir die Dialoge noch einmal durchgelesen und finde schon, dass sie zu einem 14jährigen passen und ich finde, er redet recht vernünftig, er ist eben noch verspielt, freut sich auf den Drachen etc. Ich habe keine eigenen Kinder, aber am Wochenende war ich bei einer Freundin, die einen 12jährigen Sohn hat. Ich finde, dass er sich sehr ähnlich verhält, aber ich lasse mich gerne eines besseren belehren. Welchen Satz meinst du genau?
Gruß
tamara

 

Hallo Tamara,

Bevor ich zum Inhalt komme, möchte ich auf einige formale Dinge hinweisen, die mir aufgefallen sind:
………
Unwillkürlich war er auf seinem Lieblingsweg durch den Wald gelandet
……….
Der Satz ist so sicher richtig. Ich kann aber nichts dagegen machen, dass er bei mir immer durch den Wald gelandet ist.

…………..
Seiner kleine Welt war plötzlich
…………… seine kleine Welt

………..
Seine Mutter war auf einmal nicht seine richtige Mutter. Stattdessen eine fremde Frau. Aber die hatte ihn nicht haben wollen.
………… Mag sein, daß er so denkt. Der Grund für diese Gedanken erschließt sich jedoch nicht. Hätte es im Wortwechsel zwischen ihnen einen Irrtum gegeben, könnte man das besser verstehen.

………….
"Ach, das weiß doch längst jeder!"
………….. das kann eigentlich nicht sein. Wenn das für jeden so selbstverständlich ist, dann hätte das ein ca. 14-jähriger Junge garantiert vorher erfahren. Die Kinder halten nicht dicht.

Und jetzt zum Inhalt:
Vielleicht liebe ich solche Geschichten, weil sie viel zum nachdenken anregen.
Ich habe die anderen Kritiken nicht gelesen, deshalb weiß ich nicht was hier reale Vergangenheit ist und was nicht. Vielleicht ist es dann auch müßig darüber zu diskutieren, wie man einem Kind solche Wahrheiten sagt. Egal, ich meine, die Mutter hat da eine Menge falsch gemacht und dem Kind ohne Not eine größere Last aufgelegt.
Gerade die Geschichte, die in der Schule durchgenommen wurde wäre wunderbar als Einleitung geeignet.
Warum sagte sie ihm nicht, dass ein adoptiertes Kind absolut gewollt ist? Viele Kinder werden geboren, aber der Entschluss zur Adoption verlangt mehr, wie ich meine.
Vielleicht erklärt aber ihre eigene Einstellung ihr Verhalten:
……….
Wie sehr wünschte sie sich, dass er ihr leiblicher Sohn wäre, dass sie selber in der Lage gewesen wäre, Kinder zu bekommen, dass sie auch eine richtige Mutter wäre!
…………. Was macht eine Frau zu einer richtigen Mutter? Nicht das Gebären! Sicher ist dies ein „Vorgang“, den sich eine Frau wünscht, mit allen Gefühlen und der Nähe die es mit sich bringt. Die bedingungslose Liebe zu dem Kind, Fürsorge, Aufopferung…
Sie IST eine richtige Mutter!
Absolut falsch fand ich auch, dass sie direkt erklärte, dass es die leibliche Mutter in der Nähe gibt. Welche Last bürdet sie dem Kind damit auf? Er muss doch erstmal das Eine verarbeiten, um das Andere zu verstehen.
Das sind aber alles so Gedanken, die mir beim Lesen gekommen sind. Wer selbst eine solche Situation nicht kennt, kann darüber eigentlich auch nicht urteilen.
Vielleicht habe meine Vorkritiker auch schon alles gesagt.

Eine schöne Geschichte, die berührt.
LG.
Manfred

 

Meine Meinung zu den Anmerkungen von Solveig:
Beachte die Zeit. Damals waren die Kinder und Jugendlichen nicht so wie heute.
Meine Tochter ist 13 und erzählt alles sehr ausführlich.
Ich selbst war mit 14 ein absolutes Kind... heute auch noch. :shy:

 
Zuletzt bearbeitet:

Ach Dreimeier, ich könnte dich knutschen! :kuss: Keine Angst, mein Göttergatte steht neben mir und weiß auch, wie ich das meine! Danke! Du bist etwa gleich alt und verstehst uns wenigstens! Nach Soveigs Vermutung, "seine Mutter würde erst Ruhe geben, wenn er ihr zu allen Stunden eine Zusammenfassung gegeben hätte" dachte ich schon, ich hätte eine Inquisition beschrieben! Aber vielleicht sollte ich die Geschichte in Historik verschieben lassen. Auf jeden Fall werde ich die Anfangsszene umschreiben und etwas ausführlicher erklären, wie toll und schwierig die Kunst des Drachenbauens war! Mir ist klar geworden, wie sehr sich die Kindheit vor vierzig Jahren von der heutigen unterscheidet. Vielleicht sollte ich eine Serie daraus machen.

@Solveig: Bitte nimm es nicht zu persönlich, was ich eben oben geschrieben habe, aber damals gab es weder Gameboy noch Computer, die meisten Familien hatten noch nicht einmal einen Fernseher und dann auch nur zwei Programme, werktags ab 17 Uhr! Dafür gab es viele Stoppelfelder. Na gut, ich versuche das in die Geschichte einzubauen.
Gruß
tamara

 

Hallo,
also ich habe die Geschichte noch einmal gründlich überarbeitet, die Drachen weisen mehr auf den historischen Bezug hin und die Gedanken der Mutter habe ich deutlicher gemacht. Hoffentlich verzeiht sie mir, dass ich sie zuerst zu hartherzig dargestellt habe! Ihr zu Ehren haben wir heute Möhren mit Kartoffeln durcheinander und Mettwurst gegessen! ;)

@Dreimeier: Mir gefallen auch Geschichten am besten, die zum nachdenken anregen! Ich wollte mit der Geschichte auch zeigen, dass Adoptiveltern, die sich ganz bewusst für ein Kind entscheiden, die 'richtigeren' Eltern sein können! Wegen ihrem eigenen Minderwertigkeitsgefühl tut sie ihrem Sohn weh. Natürlich hat sie nicht alles richtig gemacht, sie wusste es nicht besser. Ich hoffe, es kommt in der jetzigen Fassung besser rüber. Wie schön, dass eure Tochter alles erzählen kann und das auch tut!!!

@Solveig: Wie gesagt, habe ich den historischen Rahmen jetzt am Anfang mehr verdeutlicht. Stimmt schon, in der Alltagsrubrik rechnet man ja nicht damit, dass die Geschichte in der Vergangenheit spielt! Und die Aufzählung der einzelnen Fächer, besonders Pythagoras, habe ich auch raus genommen, wirkte schon wie eine akademische Aufzählung.
Waren Kinder früher kindlicher? Interessante Fragen wirft die Geschichte auf, klasse! :) Ich glaube, sie haben mehr draußen gespielt. Aber das tun viele heute auch noch, deine Tochter ja auch, nicht wahr? Heute werden sie mehr ernst genommen und sie haben mehr Freiraum, glücklicherweise. Anderseits hatten sie früher auch mehr Pflichten, im Haushalt, Tiere versorgen etc.
Danke noch mal
tamara

 

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