- Beitritt
- 15.07.2004
- Beiträge
- 837
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 19
Endlich ist der Tag gekommen
„Hallo? Momsen hier!“
„Endlich ist der Tag gekommen…“
„Hallo?“
„… an dem ich all den Zweiflern, den Spöttern und Neidern zurufen kann…“
„Papa?“
„… Ich habe es geschafft! Ich, Erwin Palluschke, …“
„Mensch, Papa, jetzt…“
„… Ich, Erwin Palluschke, bin wichtig!“
„Hör mir doch mal zu!“
„Nach jahrelanger Missachtung meines Genies…“
„Jetzt steigere dich da bitte nicht wieder so rein.“
„… nach unzähligen Absagen ignoranter Verlage…“
„Papa, darüber haben wir doch nun schon ein dutzend Mal gespr…“
„… bin ich es nun, der mit seinem gesellschaftskritischen Werk „Der soziale Aufstieg eines Berliner Ghetto-Kindes…“
„Papa, du bist kein Berliner Ghettokind. Nie gewesen. Du bist 82!“
„… mit Migrationshintergrund …“
„Haha! Soll das lustig sein?“
„… nach Missbrauch in einem katholischen Jungeninternat“ die Bestsellerlisten dieses Landes seit Wochen dominiert.“
„So! Es reicht Papa! Wirklich!“
„Gut, in meinem alten Viertel kann ich mich nicht mehr sehen lassen, weil ich die Plattenbaubewohner in einer gut recherchierten Statistik mit halb-intelligenten Kanalratten gleichgesetzt habe…“
„Papa! Wo ist Krystyna?“
„… aber was macht das schon.“
„Eine ganze Menge! Also? Wo ist sie?“
„Die Presse liebt mich! Und dann die Talkshows: Will, Plassberg…“
„Wo-ist-Krys-tyn-a? Ich meine es ernst!“
„… Kerner, Maischberger – bei ihnen allen saß ich schon, kontrovers diskutierte ich mit den Mächtigen und Berühmten…“
„Papa, sei vernünftig und hol bitte mal Krystyna ans Telefon! Hörst du? Krys-tyn-a!“
„… und scheute mich auch nicht, unbequeme Aussagen zur durchschnittlichen Penislänge katholischer Priester zu tätigen.“
„Sag mal, geht es noch Papa!“
„Die Welt hat nur auf mich gewartet!“
„Hast du alle deine Medikamente ge…?
„Erst vorgestern bin ich umgezogen, auf Anraten meines Agenten – ja, wichtige Menschen wie ich brauchen ihre Agenten – …“
„So zum letzten Mal, Papa! Das ist wirklich wichtig! Ruf jetzt deine beschissene Pflegekraft ans Telefon! Sofort!“
„… in einen Szenestadtteil mit hohem Ausländeranteil, weil ich so multi-kulti-tolerant bin.“
„Scheiße! Wofür… verdammt… wofür zahle ich denn eigentlich monatlich diese verfickten 5000 Euro?“
„Und gleich heute kommt ein Fernsehteam, ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, von welcher Sendung mein guter Agent da gesprochen hat, ich war damit beschäftigt, dem jüdischen Kulturverein eine Ausgabe meines neuesten Werkes „We killed Jesus“ zu signieren.“
„Papa! Jetzt hör mir bitte mal zu. Ich bin es. Pia! Deine Tochter! P-I-A!“
„Da klingelt es schon an der Tür und vier nette Menschen in T-Shirts mit dem Logo eines kleinen Privatsenders strahlen mich an. Huldvoll lächle ich zurück…“
„Bitte! Konzentrier dich. Da ist niemand. Alles ist gut. Okay? Da ist kein Mensch an der Tür! Begreifst du das, Papa? Kein Mensch!“
„Nur herein, herein mit Kamera und Licht. Etwas Puder? Ja, ja, umwerbt mich.“
„Okay, bleib einfach dran, hörst du? Ich versuche jetzt Krystyna auf dem Handy zu erreichen. Leg nicht auf. Ja? Gut!“
„Dann diese Frage, die alles ändert: „Was wollen Sie kochen?“
„Gleich, Papa! Gleich! Scheiße! Sie geht nicht ran! Krystyna! Man! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Und stell auf keinen Fall den verfluchten Herd an! Hast du das verstanden?“
„Minuten später liege ich auf dem Boden, die Schmerzen in der linken Schulter nehmen immer mehr zu…“
„Papa? Pa-pa! Geht es dir gut. Hast du wirklich Schmerzen, Papa? Stimmt das mit der Schulter? Bist du gefallen? Das ist doch nur wieder eine deiner Fantasien, oder Papa?
„… und ich wünschte mir, endlich aus diesem Albtraum zu erwachen.“
„Man. Bitte! Sag doch was. Nur, ob es dir gut. Bitte! Nur das!“
„Ich, der Literat, der erste Anwärter auf sämtliche Kulturpreise, als stümperhafter Amateur-Gastronom für vier D-Prominente? Zu viel, mein Herz, zu viel.“
„Okay! Warte! Ich bin gleich bei dir! Ich komm sofort! Ja? Ich hol dich ab. Verstehst du? Und dann, dann bleibst du erst mal bei uns, Papa. Versprochen. Du ziehst hier erst einmal ein.“
„Gnädig umfängt mich die Dunkelheit, und während sich die Sanitäter noch mit mir abmühen höre ich die Stimme meines Agenten an meinem Ohr: Titelseite, Erwin.“
„Ich spreche gleich heute Abend mit Stephan darüber. Wir finden schon eine Lösung. Okay, Papa? Ich werde notfalls meine Arbeit reduzieren, um mehr für dich da sein zu können… Hörst du mich, Papa?
„Damit schaffen wir’s nochmal auf die Titelseite.“
„Papa! Papa, es tut mir leid! Es tut mir so leid, Papa!“
„…“
„Papa?“