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Entwicklungshilfe

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12.01.2004
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Entwicklungshilfe

Welch himmlische Ruhe. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich zuletzt das Haus allein für mich gehabt hatte. Ganz allein - ohne trappelnde Schritte, oder im Fünfminutentakt erschallende Rufe nach Apfelschorle, Schnürsenkel binden, Popo abwischen, Schiedsrichter oder Sanitäter mit Heftpflaster. Daniel hatte Nachtschicht und die Kinder waren übers Wochenende bei meiner Mutter. Zunächst etwas ratlos über das Ausmaß dieser ungewohnten Freiheit, kuschelte ich mich schließlich gemütlich mit einem Buch ins Sofa und schlug es an der mit einem Zettelchen markierten Stelle auf. Ich hatte noch nicht mal den ersten Satz zuende gelesen, als es an der Tür klingelte. Weder erwartete ich Besuch, noch war mir auch nur ein winziges Bisschen danach zumute. Also rührte ich mich nicht von der Stelle und versuchte, mich wieder auf meine Lektüre zu konzentrieren. Es klingelte weiter, drängender. Übellaunig raffte ich mich schließlich auf, schlurfte zur Tür und öffnete. Sie wurde schwungvoll von außen ganz aufgedrückt, und eine Gruppe seltsamer, fremdartiger Gestalten strömte, mich vor sich herscheuchend, in den Flur. Mit einem Knall fiel die Haustür hinter ihnen zu. Vor meinem inneren Auge tauchte Eduard Zimmermann auf, mit bedenklich-betroffenem Gesichtsausdruck moderierend: ‚Fall 13: Am Abend des 26.9.2004 wurde die junge, vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin Angelika K. Opfer ...’ Hätte ich bloß die Kette vorgelegt. In Stresssituationen leidet oft als erstes die Logik - Eduard Zimmermann war schließlich längst pensioniert.

Nachdem mich die Eindringlinge ins Wohnzimmer bugsiert hatten, schwärmten sie aus und blickten sich suchend um. Langsam gewann ich die Fassung zurück, diese Wesen wirkten zumindest nicht unmittelbar bedrohlich. Ich betrachtete sie genauer; sie sahen genau so aus, wie man sich Aliens immer vorstellt: riesige, unergründliche, schwarze Augen, in denen sich außer dem ratlos-ängstlichen Gesicht des Gegenübers keine Regung spiegelt, silberne Raumanzüge, zarte Ärmchen und Beinchen, kein Haar auf dem überdimensionierten Kopf.

Einer von ihnen leerte den Papierkorb und inspizierte dessen Boden, ein anderer begann, zwischen den Schuhen zu wühlen. ‚Wo ist denn hier der Tasduld?’, blitzte ein irritierend fremder Gedanke in meinem Bewusstsein auf. Das dritte Wesen begann, zwischen den Büchern herumzustöbern. Das war zu viel: Wenn ich irgendetwas nicht leiden kann, dann grobes Hantieren mit Büchern, ganz besonders mit meinen. „Halt!“, rief ich aufgebracht, im Moment den exotischen Ursprung der Besucher vergessend. Alle Augen richteten sich auf mich, sie unterbrachen ihre Suche und scharten sich um mich. Es gab ein kurzes Getuschel zwischen den Dreien, dann wandten sie sich wieder mir zu. Sie hätten sich verflogen, ließ mich der Erste wissen – vermutlich telepathisch, denn ich hörte meine eigene innere Stimme schüchtern stammeln - ‚... An der vorletzten Galaxis falsch abgebogen’, - dort hätten sie sich dann nicht Links einordnen können, und ... –

- ‚Typisch!’, keifte meine innere Stimme – wohl für Alien Nr.2 – ‚ich habe schon Lichtjahre vor der letzten Ausfahrt gesagt, du solltest bremsen, und? Hatte ich recht? HATTE ICH RECHT??? Aber du fliegst, als hättest du deine Lizenz beim Ritzeln gewonnen, direkt rein ins Wurmloch. Hoffnungslos! Hätte ich nur auf meine Wurkel gehört, und mich nicht an dich gekettet, ach, hätte ich nur VacRox Knürtel genommen, der ist mittlerweile Großer Motivator und ...’

,VacRox Knürtel ist schon zu dritt’, warf meine innere Stimme trocken ein – aha, Nr.3 meldete sich zu Wort – ,und nun krieg’ dich mal wieder ein, NoKlo – passiert ist passiert. Lamentieren nützt jetzt auch nichts mehr. Also’, Nr.3 wandte sich mir zu: ‚Entschuldigen Sie die späte Störung. Wo bitte geht’s zum Acranisystem?’

Sechs erwartungsvoll glänzende Augen sahen mich an. Acranisystem, nie gehört – halt, da war doch was, zoologisch-morphologisches Anfängerpraktikum, lange her: Acrania - zählen systematisch zu den Chordata - die ‚Schädellosen’ ... ob die das meinten? Hm, wohl nicht – drei übergroße, silbrig-matte Schädel wurden synchron geschüttelt.

‚Wir haben dort einen Planeten erworben, nichts besonderes, aber für unsere kleine Familie ...’, wisperte mit meiner inneren Stimme der Erste, Schüchterne.

‚Wir könnten längst da sein, wenn dieser ... MEISTERFLIEGER da nicht vergessen hätte, wo die Bremsdüsen sind’, keifte NoKlo, offensichtlich immer noch auf 180.

‚Hätten Sie vielleicht einen Tasduld?’, fragte mich der Dritte, Besonnene. ‚Zur Not würde auch ein einfaches Drumkadül reichen – dann müssten wir eben etwas improvisieren.’

Ich schüttelte bedauernd den Kopf, breitete die Arme und zeigte zum Beweis meine leeren Handflächen.

‚Kein Drumkadül, nicht mal ein winzig kleines, sind Sie ganz sicher?’ Der Besonnene blickte besorgt zu seinen Gefährten.

‚Wo sind wir hier nur gelandet’, ereiferte sich NoKlo, ‚nicht mal DAZU bist du in der Lage, LaPuk, einen vernünftigen Landeplatz zu finden. Als ich noch mit VacRox Knürtel ...’

‚Oh, oh, der tolle VacRox Knürtel! Wie ich das SATT habe – warum hat er dich denn damals nicht ...’, der Schüchterne kam langsam in Fahrt.

‚Was soll DAS jetzt heißen? Was bitte willst du damit andeuten?’, fauchte NoKlo zurück.

‚Ich deute gar nichts an’, antwortete der nicht mehr sehr Zurückhaltende schnippisch, ‚ich sage klipp und klar, was jeder Tubbel längst weiß: der großartige VacRox Knürtel wollte DICH nicht, du hättest ihn narkotisieren, fesseln ...’

‚Wa – a – a -’, NoKlo gestikulierte wild mit den silbrigen Ärmchen.

‚Und selbst WENN du ihn gekriegt hättest, wären ihm spätestens heute die Tentakel abgerostet, wann hörst du endlich auf mit diesem, diesem ...’

Sie schienen meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Irgendwie berührt es mich immer peinlich, Zeuge eines Streits zu sein – bei diesem kam hinzu, dass ich nur ansatzweise verstand, worum es überhaupt ging. Dem weiteren Gespräch konnte ich leider nicht mehr folgen, aber nachdem NoKlo LaPuk eine Runde mit dem Bauch durchs Wohnzimmer geschubst hatte, griff der Besonnene ein, beendete die Rangelei und wandte sich wieder mir zu: ‚Kein Drumkadül, also gut. Aber eine Raumkarte vielleicht? Oder können Sie uns einfach SAGEN, wo wir sind?’

‚Milchstraße, Sonnensystem, Erde, lateinisch Terra – dritter Planet von der Sonne aus gesehen, Europa, Deutschland, Bremen, links der Weser.’ Mehr fiel mir dazu so spontan nicht ein. Der Besonnene sah mich verständnislos an. - Der alte Schulatlas! Da waren auch ein paar Sternkarten hinten drin. Ich zog den schweren Atlas aus dem Regal, blätterte zu den gesuchten Seiten, legte das Buch geöffnet vor dem Besonnenen auf den Tisch und trat ein paar Schritte zurück. Mit dem rechten Ärmchen NoKlo am Schlafittchen haltend, mit dem linken LaPuk, studierte der Besonnene interessiert die erste Karte, während LaPuk und NoKlo mit vielsagenden Gesten und gezischten Nettigkeiten hinter seinem Rücken ihren Diskurs fortsetzten.

Mit einem Entsetzensschrei ließ der Besonnene seine Gefährten los, und begann hektisch im Atlas zu blättern. ‚Nein, nein – nicht doch, DAS nicht ...’, stammelte er, wobei sein Gesicht orange anlief – ich nahm an, dass das ihre Art des Erbleichens war – ‚Nicht das Niemandsland, der leere Sektor ... LAPUK! NOKLO! – Abflug!!’ Hektisch rafften sie ihre Ausrüstung zusammen, der Besonnene klemmte sich meinen Atlas unters Ärmchen, nickte mir knapp zu und scheuchte seine Gefährten zur Tür.

‚Tubbel! Verschleppst uns in den einzigen unentwickelten Sektor des Universums, BRAVO!’, zischte NoKlo.

‚Ätzdrohne! Vielleicht sollten wir dich hier lassen ... Entwicklungshilfe, ha’, antwortete LaPuk.

Sich gegenseitig weitere nette Namen zuzischend und in die Seite knuffend verschwanden die beiden, dicht gefolgt vom Besonnenen.

Mit einem Knall schloss sich die Haustür hinter ihnen.

„He, mein Atlas!“, rief ich ihnen mit schwankender Stimme hinterher – und ließ mich schwerfällig aufs Sofa plumpsen. Weg war er. Und sie auch.

Zur Beruhigung verspeiste ich den Rest der Schachtel Likörkirschenpralinen auf ex – der weitere Verlauf des Abends verlor sich in den Dünsten der alkoholisierten Süßwaren.

Am nächsten Morgen weckten mich dröhnende Kopfschmerzen. Was für ein idiotischer Traum. Vorsichtig blinzelte ich testweise. Abgesehen von einer Welle der Übelkeit, die sich zu dem schalen Geschmack im Mund gesellte, klappte das ermutigend gut, mein Blick klärte sich und das Schwindelgefühl ließ nach. Ich betrachtete das Wohnzimmer aus der Schräglage, in der ich eingeschlafen war - auf dem Sofa, halb sitzend, halb liegend. Ein Chaos verstreuten Spielzeugs, der Papierkorb umgefallen, in der Ecke zum Flur ein Haufen Schuhe – also alles im üblichen Zustand. Dazwischen effektvoll gesetzte Akzente: ein halbvoller Becher kalten Kaffees auf der Fensterbank, in kühnem Schwung gestapelte CD-Hüllen und dezent verteilte Bücher, aus denen zahllose kleine Zettelchen ragten, als streckten mir die markierten Gedanken ihre papiernen Zungen heraus.

Und da stand noch etwas auf dem Fensterbrett, fast verdeckt von dem kitschigen Porzellanhuhn, das dort seit Monaten vor sich hinstaubte. Warum wollte bloß keines der Kinder dem Schrecken ein Ende bereiten und diese Henne des Grauens, Mutters Ostergabe, zerdeppern? Ging doch sonst immer ganz fix. Das Ding dahinter hatte ich noch nie zuvor gesehen. Nicht größer als eine flache Hand, aufrecht stehend, metallisch schimmernd. Ganz glatt, abgesehen von vier seltsamen Stacheln, die an einer Seite, wie die Zinken einer Gabel, herausragten. Was war das? Ein futuristisch designtes Babyphon? Blödsinn, woher auch – außerdem waren die Kinder längst aus dem Alter raus, dass wir so etwas gebraucht hätten. Und wenn das mal wieder eines dieser Super-Sonder-Spezialangebote im Räumungsverkauf von was-weiß-ich-wo gewesen wäre, hätte mein angetrauter Schnäppchenjäger es nicht kommentarlos dort abgestellt. Dann wäre ich längst im Bilde über den Ursprungs- und den Endpreis, den vermeintlichen Nutzen und den Verlauf der Preisentwicklung, inklusive der am Ende noch zusätzlich erfeilschten Prozente. Vermutlich wäre ich nach seinen Ausführungen in der Lage gewesen, ein Phantombild des sich vergeblich windenden Verkäufers zu zeichnen.

Aber wie kam das Ding denn nun dort hin? Was war noch mal in diesem verdrehten Traum passiert? Oder war das gar kein Traum? Mein Blick irrte zum Bücherregal – und blieb an einer staubfreien Lücke, der Stelle, wo der alte Schulatlas seit Jahren seinen Platz hatte, hängen. Also kein Traum. Außerirdische Besucher ...

Dieses Etwas da auf der Fensterbank hatten bestimmt diese Aliens vergessen. Oder absichtlich dagelassen. Vielleicht als Bezahlung für den Atlas? Mir vorsichtig die schmerzenden Schläfen massierend stand ich auf, ging zum Fenster und nahm den fremdartigen Gegenstand in die Hand. Fühlte sich gut an, samtig mattiert schimmerte die Oberfläche. Ich tastete an den Seiten, dann an den seltsamen Gabelzinken herum, dabei öffnete sich das Ding unten, und ein dichtes Büschel feiner Haare, wie ein dicker Puderquast, trat hervor. Vor Schreck hätte ich es fast fallen lassen, aber weiter schien nichts zu passieren. Versuchsweise wedelte ich mit der komischen Quaste die Staubschicht von der Porzellan-Gruselglucke meiner Mutter, was vorzüglich funktionierte: die Haare schienen irgendwie elektrostatisch aufgeladen zu sein, jedenfalls verschwand der Staub auf Nimmerwiedersehen. Ich probierte, ihn aus dem Büschel wieder herauszuschütteln, aber kein Körnchen kam zum Vorschein.

Staubwischen zählt normalerweise nicht gerade zu meinen bevorzugten Tätigkeiten – aber mit diesem faszinierenden Gerät machte es richtig Spaß: Ich wedelte über die HiFi-Anlage, den Fernseher, die Bücherstapel - und als ich oberhalb der Tischkante nichts mehr zum Abstauben fand, strich ich mit der Quaste auch noch über den Teppich, wonach der Gabbeh strahlte wie frisch geknüpft. Und immer noch gab das Ding kein Fitzelchen des aufgenommenen Fusselzeugs wieder von sich. Nun fiel mein Blick auf die Fensterscheiben, die auch schon transparentere Tage gesehen hatten. Nach zwei, drei Strichen mit der Quaste waren sie perfekt streifenfrei blank. Ich bestaunte die fremdartigen Reifenabdrücke im Asphalt der Parkbucht vor dem Haus und schickte einen begeisterten Dank zu den Sternen: Das nenne ich Entwicklungshilfe, reizende Kerlchen, dachte ich. Die Kopfschmerzen hatten sich verflüchtigt wie die Staubschicht ringsum, und ich machte mich voller Tatendrang daran, einen spontanen Großputz zu veranstalten. Ein günstiger Zeitpunkt, denn am nächsten Tag würden die Kinder von ihrem Oma-Urlaub zurückkehren. Da mit Musik alles bekanntlich noch besser geht, legte ich meine Lieblings-Hausarbeitsanfall-CD in die Anlage, streifte den Funkkopfhörer über und rockte zu Janis’‚Piece of my Heart’ entschlossen in Richtung Kinderzimmer - geradezu begierig auf den Anblick, der sonst geeignet war, mich in tiefe Depressionen zu stürzen.

Meine Kinder pflegen von jedem Spielzeug die ihnen überflüssig erscheinenden Bestandteile zu entfernen. Es scheint ihnen unmöglich zu sein, lockere Anhänge oder Aufkleber am vorgesehenen Platz zu lassen. Erstaunlich wenige Spielzeuge widerstehen ihren äußerst konzentrierten Bemühungen, und so kann man am Demontagezustand ungefähr das Alter der Gegenstände bestimmen. Im Finalstadium wird das Ganze zu einer Art buntem Plastikgranulat verarbeitet, welches ich nur noch in die bereitstehenden Gelben Säcke schaufeln muss. Das machen meine Kinder immer, keine Ahnung, von wem sie das haben. Nun, auf diese Weise schaffen sie jedenfalls stets wieder Platz im Kinderzimmer für die nächsten Omageschenke. Mit dem extraterrestrischen Schmutzvernichter bewaffnet fühlte ich mich selbst diesem Chaos gewachsen.

Siegesgewiss lächelnd führte ich den Quast mit weit ausholenden Bewegungen im Rhythmus von ‚Cry Baby’ über die feinverteilten Primfaktoren der ehemaligen Spielwaren. Kleinteile bis ungefähr Halb-Barbieschuhgröße verschwanden spurlos im Inneren des Geräts. Gröbere Stücke leider nicht. Nun, man kann nicht alles haben, dachte ich, und überließ das Feld achselzuckend dem Rest-Chaos.

Schließlich harrten noch andere Hausarbeiten ihrer Erledigung, unter anderem der Abwasch in der Küche. Da Elektronik und Wasser im Allgemeinen eher inkompatibel sind, verwarf ich den Gedanken schnell wieder, das Wunderding beim Spülen zu erproben. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren, und so schritt ich, mit Janis im Duett ‚Me and Bobby McGee’ schmetternd, auf konventionelle Art zur Tat. Seit wann hatte die Full Tilt Boogie Band eigentlich einen Background-Chor? Auch der Streichersatz im Refrain war mir früher nie aufgefallen, wirklich interessant. Ich ließ schwungvoll einen Stapel Suppenteller ins Wasser gleiten - da legte sich urplötzlich eine schwere Hand auf meine Schulter.

Ich wäre vor Schreck fast zum Schmutzgeschirr ins Spülwasser gesprungen - müssen Männer sich immer so anschleichen? Ist das ein Relikt aus der Frühsteinzeit? Ein Rudiment prähistorischen Jagdinstinkts?

Nachdem mein Herzschlag sich wieder einigermaßen normalisiert hatte, nahm ich den Kopfhörer ab.

„Was ist denn im Wohnzimmer passiert?“, erkundigte sich Daniel beiläufig, zog die leere Thermosflasche aus seiner Arbeitstasche und stellte sie zum Abwasch. Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.

„Hab’ saubergemacht, was sonst“, antwortete ich forschend. So ungewöhnlich war das schließlich auch wieder nicht.

„Komische Art, zu putzen – Teppiche ausleiern, Nippeshühner aufpumpen ...“

Statt die Fortsetzung seiner Aufzählung abzuwarten, flitzte ich den Flur hinunter zur Wohnzimmertür – Mutters Osterhenne, seltsam angeschwollen, pulsierte. Im mittlerweile knöchelhohen Flor des Gabbeh war das Muster kaum noch zu erkennen, auch hatte der Teppich jetzt eine eher amöboide, als rechteckige Grundform. Minutenlang starrte ich wie betäubt von Gegenstand zu Gegenstand, dem Weg meiner Putzorgie folgend. Dann wankte ich mit zittrigen Knien in Richtung Kinderzimmer, von dunklen Vorahnungen voll lebendiggewordener Barbiepretiosen geplagt. Als ich auf dem Weg an der Haustür vorbeikam, klingelte es. Mechanisch öffnete ich.

Ein silbriges Ärmchen streckte mir den Weltatlas entgegen.

‚Wir haben etwas vergessen’

‚Der arme Kleine!’, zeterte NoKlo. ‚LaPuk, du Obertubbel! Nach Acrani 4 brauchen wir uns JETZT jedenfalls nicht noch mal aufzumachen. Lasst uns doch anfangen, aus diesem nahezu toten Felsbrocken hier ein von Leben strotzendes Paradies zu machen! Unser Heim! Für unsere Familie! Der leere Sektor gehört doch sowieso niemandem.’

Da waren sie wieder, meine drei Besucher von gestern Abend. Diesmal hatten sie ihr Vehikel im Vorgarten der Nachbarn geparkt.

Der Besonnene sah mich an:

‚Wo ist Wuschel?’

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo poppins,

das war ja ein gutes timing für die zweite Story.
Wieder eine amüsante Geschichte mit so manchem ironischen Seitenhieb. Da es ja Leser gibt, die sich scheuen einen Blick in die Rubrik SF zu werfen, da sie allzu viel wissenschaftlichen Diskurs befürchten, wäre diese Geschichte durchaus geeignet, den einen oder anderen anzulocken, um Vorurteile abzubauen.

Wenn überhaupt, dann gibt’s von mir nur eine kleine Sache anzumerken, die sich aufgrund des Charakters auf mehrere Textstellen verteilt.
Bei der telepathischen Kommunikation zwischen den Aliens und der Heldin des alltäglichen Wahnsinns, verwendest du die Formulierung "meine" innere Stimme.
Ein Leser könnte somit für eine Millisekunde denken, dass sich die Frau wirklich ins Gespräch mit den Aliens einschaltet. Dies hast du erkannt, und musst es so an den entsprechenden Stellen ständig neu erwähnen.
Durch das Ersetzen von "meiner" in "eine" innere Stimme würdest du dir die kleinen Schnörkel ersparen. Du erklärst dem Leser ja schon vorher, dass es sich um eine telepathische Unterhaltung handelt und sich die Fremden in "deine" Gedanken einklicken.
Kurioser Weise fiel mir dieser Umstand überhaupt nur auf, weil dein Text sonst so schnörkellos flutscht und man gedanklich völlig in die Handlung eintauchen kann. Falls du Lust verspürst kannst du ja dein "Ultratool" einsetzten und die entsprechenden Stellen bearbeiten. Besonders wichtig ist dies allerdings nicht, da es dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut. Es könnte lediglich dazu dienen, ein kleines Kieselsteinchen auf dem sonst so stolperfreien Weg zu entfernen.

Ach ja, eine Sache noch.
Mich würde interessieren, in wie weit diese Geschichte autobiographische Züge trägt. Wie würdest du reagieren, wenn eines Tages ein Außerirdischer vor deiner Türe stände? Wäre er bei dir genauso willkommen wie in der Erzählung oder würdest du, von Panik getrieben, einen Griff in deine Werkzeugkiste tun und die segmentierte Diamanttrennscheibe zum Einsatz kommen lassen?

So, das war's schon. Mir rumort es so seltsam im Bauch rum. Muss jetzt erst mal aufs Klo und sehen, wie ich die US-Wahl verdaut habe.

LG von F. P.

 

Hallo Poppins

Tja und da bin ich auch schon :)

Diesmal kann ich mich in meinem positiven Urteil nur Fugalee anschließen. Ein schöner Text ist da deiner Feder entfleucht :thumbsup:

Er "krankt" nicht an dem Versuch allzu komplizierte phillosophische Themen zu verarbeiten und entsprechend leicht und flockkig ist dir die Umsetzung gelungen.

Der schnelle und witzige Einstieg mit "Aktenzeichen XY ungelöst" zieht den Leser gleich in Bann. Auch die gekonnt amüsante und nicht alltägliche Beschreibung der Außerirdischen ist dem nur hilfreich.

Was soll ich anderes schreiben, außer: Habe ich gern gelesen :D

bis demnächst
Hagen

 

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