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Erinnerung an die Wurst

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25.06.2001
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Erinnerung an die Wurst

Erinnerung an die Wurst


Es passierte im Dienst.
Ich erinnerte mich an die Wurst.
„Verdammt“, dachte ich, „warum muss mir ausgerechnet jetzt diese Wurst einfallen!“ Normalerweise bin ich im Dienst immer super konzentriert. Vor allem heute war es sehr wichtig. Seit ich vor ungefähr einem halben Jahr zur Drogenfahndung wechselte waren mir nur kleine Fische ins Netz gegangen, doch heute entdeckten mein Partner und ich in einem alten Industriegebiet eine Drogenküche. So etwas würde sich natürlich spitze machen, auf meinem Resumé.
Wir hatten den Wagen etwas entfernt geparkt und schlichen uns mit gezückten Dienstwaffen an das Gebäude heran, als der erste Schuss fiel. Als ich hinter mich schaute lag mein Partner schon auf dem Boden und umklammerte mit verkrampften Gesichtsausdruck sein rechtes Bein. Schnell warf ich mich zur Seite und ging hinter einer alten Öltrommel in Deckung. Für so eine Situation haben wir immer einen Polizeispiegel dabei um um die Ecke zu sehen, den trug aber mein Partner bei sich, und der lag jetzt einige Meter entfernt von mir und umklammerte immer noch sein Bein. Ich wusste das aus irgendeinem der Fenster geschossen wurde, aber nur nicht aus welchem. Vorsichtig streckte ich meinen Kopf hinter der Öltrommel hervor, und dann passierte eines nach dem anderen. Erst erinnerte ich mich an die Wurst...

Vor ungefähr 15 Jahren, als ich noch studierte, aß ich oft mit der gleichen Gruppe in der Mensa zu Mittag. Einer in dieser Gruppe, der Ben hieß, erzählte oft was er nach dem Studium alles tun werde: Filme drehen, Opern inszenieren und Romane schreiben. Eines Tages sagte er einfach aus dem Blauen heraus: „Ich werde bald meinen Magnum Opus schreiben. Er wird als Standard-Klassiker in die Weltliteratur eingehen. Ich nenne ihn Erinnerung an die Wurst.“ So verblüfft waren wir natürlich nicht, denn so etwas sagte er ja schließlich oft, aber es fragte dann doch jemand worum es denn in dieser Geschichte ginge.
„Es fängt an mit einem jungen Mann, der in einem Café zum Frühstück eine fürchterliche Wurst serviert bekommt. Die Wurst ist in ihrer Ekelhaftigkeit wirklich phänomenal, deshalb nimmt er sie mit um sie seiner Freundin zu zeigen, die natürlich auch ganz begeistert ist, von ihr. Später wirft er die Wurst weg und vergisst sie. Die restlichen 700 Seiten des Romans erzählen die gesamte Lebensgeschichte dieses Mannes, bis zum letzten Kapitel, in dem er sich in der Wüste verirrt und verdurstet. Kurz vor seinem Tod erinnert er sich an die Wurst und ist über sein Leben enttäuscht.“
„Und was ist der Sinn dieser ganzen Story?“, fragte einer.
„Der Leser kann die Enttäuschung des Mannes dadurch am besten nachvollziehen.“
„Ich weiß nicht wie ich‘s sagen soll, aber die Geschichte ist einfach nur Scheiße“, sagte ich.
„Pah!“, sagte Ben, „Du wirst schon noch sehen.“

Daraufhin wurde die Erinnerung an die Wurst zu Bens Running-Gag.
„Was machst du eigentlich diesen Sommer?“, fragte ich ihn einmal.
„Ich fahre in die Mongolei.“
„Echt? Warum denn dorthin?“
„Ist doch klar. Recherche für Erinnerung an die Wurst. Unser Protagonist ist nämlich Archäologe und will in der Mongolei das Grab von Dschingis Khan finden. Letztendlich verirrt er sich ja auch in der Wüste Gobi, wo er sich dann an die-“
„Wurst erinnert. Schon klar.“

Was letztendlich aus Ben wurde weis ich nicht. Ich glaube sogar er wurde Getränkelieferant. Jedenfalls erinnerte ich mich genau in dem Augenblick als ich meinen Kopf hinter der Öltrommel hervorstreckte an die Wurst aus dem Titel seines vermeintlichen Magnum Opus.

In meinem Job musst du blitzschnell handeln können - eine Millisekunde kann alles entscheiden. Wenn du einmal kurz nicht aufpasst, kann schon alles vorbei sein. Erst erinnerte ich mich an die Wurst, dann schlug die Kugel in meine rechte Schläfe ein.
Irgendwie war ich enttäuscht.

 

Hi Ben!

Hier spricht noch ein Ben. Bei der Lektüre deiner äußerst amüsanten Geschichte musste ich mich doch fragen, ob du mich vielleicht persönlich kennst:

Einer in dieser Gruppe, der Ben hieß, erzählte oft was er nach dem Studium alles tun werde: Filme drehen, Opern inszenieren und Romane schreiben. Eines Tages sagte er einfach aus dem Blauen heraus: „Ich werde bald meinen Magnum Opus schreiben. Er wird als Standard-Klassiker in die Weltliteratur eingehen. Ich nenne ihn Erinnerung an die Wurst.“

Das ist Ben, wie er leibt und lebt. Opern zu schreiben hab ich zwar nicht vor, aber das mit der Wurst würd ich mir schon zutrauen. Eine Kurzgeschichte mit Leberwurst im Titel hab ich schon. ;)

Du scheinst meine Liebe für das Absurde zu teilen.

Leichte Kritikpunkte wären nur, dass man Resümee anders schreibt (bin ich mir jedenfalls fast sicher), und dass man noch etwas mehr über den Hintergrund des Polizisten erfahren müsste (weshalb ist er enttäuscht? Man weiß ja so gut wie nix über sein Leben).

Aber ansonsten: Sehr gelungene Story!
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Hallöchen,

Deine Art zu schreiben gefällt mir, doch diese Geschichte war nicht ganz mein Fall.

Der Sinn ist mir wahrscheinlich noch nicht so ganz klar geworden, aber das liegt ja im Auge des Betrachters.

Der Zusammenhang zwischen Ben-seinem Roman die Wurst-und seinem letzten Gedanken ist mir nicht logisch.

Vielleicht schreibst Du ja mal ne Geschichte über nen Polizisten und seine Arbeit. (Krimimäßig)

Beanie Lou

 

Hallo!

Danke für eure Kritiken.

Der Sinn der Geschichte ist mir auch nicht so klar. Vielleicht muß ich sie ja noch ein paar mal lesen. Aber die Enttäuschung des Polizisten kommt ganz einfach daher, daß sein letzter Gedanke vor dem Tod der banalen Wurst galt - so wie der Archäologe eben.

Übrigens Ben, der Ben aus der Geschichte sollte eigentlich ich sein. Scheint wohl wirklich, daß wir beide ein ähnliches Faible für Seltsamkeiten haben. Hat wohl was mit unserem Namen zu tun...

 

Ein Faible für Seltsamkeiten, ja. So siehhddas wohl aus.
Deshalb wird auch das Forum "Seltsam" mein (moderiertes) Reich werden. :D

Ich denke auch, eine Geschichte muss nicht immer einen "Sinn" haben.

 

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habe mir gerade aus "revanche" deine geschichte zumute geführt..
ich find alleine schon den titel klasse, wurst is einfach'n schnafte wort... kurz nach meinen lieblingen "napf" und "strumpf"..

ich denke nicht dass es immer zwingend notwendig ist, geschichten zu "verstehen", letztendlich geht es doch, genau wie bei filmen, eher darum was einem die geschichte sagt, bzw, welche emotionen sie auslöst... und da mag ich ein leicht irriterendes gefühl lieber als wenn alles stimmt, schließlich soll es doch zum nachdenken anregen, oder?

ich habe es eher so verstanden, dass es eigentlich nie so passiert wie man selbst es sich vostellt, sprich illusionen über "wie toll wäre es wenn" bleiben halt meist nur illusionen da man selbst immer der gleiche bleibt, und so erlebt man gerade dinge von denen man denkt sie werden spektakulär (wie hier der moment des todes) als eine enttäuschung.

und gerade die nüchterne art der erzählung stellt das gut raus finde ich.
aber das ist nur meine eigene, auf meine sichtweise begründete, interpretation!
fand ich gut, echt...
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Gute Geschichte! Gefällt mir! Würde (wie schon erwähnt) eher in die Kategorie 'Seltsam' passen! Sonst wurde eigentlich alles schon gesagt.

Prost!

 

Sers I3en.
Muss sagen, dass mir deine Geschichte hier sehr gut gefällt. Was heißt die Geschichte, die Idee eben. Find` ich gut.

 

Hallo.
Danke erstmal an alle für eure positiven Kritiken. Es freut mich selbstverständlich riesig , wenn euch die Geschichte gut gefällt.

@cookie
Deine Interpretation finde ich sehr gut, denn sie hat mir auch einen Aspekt der Geschichte näher gebracht dessen ich mir zuvor auch nicht bewusst war.
Ich finde sowieso immer, dass Geschichten, nachdem sie fertig sind und von anderen gelesen werden, ein Eigenleben, unabhängig vom Autor führen.
In gewisser Weise stellt dieses Forum ja sogar eine Ausnahme dar, denn wenn man ein Buch liest, kann der Autor ja normalerweise auch nicht dazu Stellung beziehen.

 

Johannsen,

ja, der Sinn ... der ist wohl der: es gibt keine Helden. Es gibt nur Kreuzungen. Die Straße der Kugel und die Straße des Bullen haben sich getroffen. Noch nicht einmal zwei Zehntel haben über viele Jahre einen Schlußstrich gezogen.

Ist gut, Deine Story ... gefällt mir.

Heiko

 

l3en:
"Es passierte im Dienst.
Ich erinnerte mich an die Wurst.
„Verdammt“, dachte ich, „warum muss mir ausgerechnet jetzt diese Wurst einfallen!“ "

Hier hab ich damit angefangen und bis zum Schluss nicht mehr aufhören können, vor mich hin zu lachen.
Ziemlich richtig gut, die Geschichte. Man merkt sofort den "Ben". :D ;)

 

Also die Geschichte war jetzt überhaupt nicht mein Fall... :( Und das nicht, weil ich mich dem Fleischkonsum entzogen habe... :D

Ich weiß einfach nicht recht, was sie soll... Aussagen etc... irgendwie ist mir das doch sehr schleierhaft... :confused:

... aber geschrieben ist sie super, da kann man nicht meckern... <IMG SRC="smilies/thumbs.gif" border="0">

Trotzdem; Geschmacksache. Mir hat die Story jetzt überhaupt nicht zugesagt... :(

Griasle
stephy

 

@Morphin

Interessant. Ich hab nämlich gerade auch eine Geschichte über eine Straßenkreuzung (im übertragenen Sinn) geschrieben. :rolleyes:

@Armelle

Du scheinst mir ja so eine Art weiblicher "Ben" zu sein. ;) :D

Hast Du hier eigentlich auch was veröffentlicht?

@Stephy

Irgendwie hab ich schon gewusst, dass Dir die Geschichte nicht gefallen hat, bevor ich überhaupt Deinen Kommentar dazu gelesen hab.
Nehm ich Dir aber auch nicht übel.
:) ;)

 

l3en,
ich frage mich immer, was Dein Nick bedeutet - ersetzen das l und die 3 das B von Ben?
Das mit dem weiblichen Ben hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Ben - das wäre dann das "alternative Prinzip" oder wie? <IMG SRC="smilies/eek4.gif" border="0">
Ach jaa... nee, ich habe aber nix veröffentlicht hier, wie auch sonst nirgends. Ich verschließe meine Ergüsse sorgfältig in meiner dunklen Schreibtischschublade. :D

 

Höhöh, wir Bens könnten Nina ja in den Status eines "Ehren-Bens" erheben! Na, wie wär's? :D <IMG SRC="smilies/smilewinkgrin_ron.gif" border="0">

 

Gute Idee!
Aber vielleicht sollte wir da noch die anderen Bens im Forum fragen. Hier tummeln sich ja noch einige andere.

Ach ja, das I (ein großes i), und die 3 sollen tatsächlich ein B sein.
Leider war der Username Ben schon vergriffen.
Ist aber eigentlich ganz cool, denn i ist mein Lieblingsbuchstabe, und 3 meine Lieblingszahl. :D

 

Gut erzählte Geschichte! Ist schon deprimierend, dass wir vermutlich auch mal so abtreten werden; nicht wie die Typen im Film, wenn sie noch etwas ganz bewegendes sagen, sondern einfach so, und der letzte Gedanke gilt etwas ganz banalem. Tja, so ist das wohl, seufz...

Mein Lieblingssatz ist ja:

„Ich weiß nicht wie ich‘s sagen soll, aber die Geschichte ist einfach nur Scheiße“ :D

Das würde ich manchmal schon ganz gerne sagen, aber das tut man doch nicht!!! :)

Jedenfalls hat mir deine Geschichte sehr gut gefallen!

 

Hallo l3en,

beim Lesen Deiner Geschichte mußte ich die ganze Zeit schmunzeln. Ich hatte viel Spaß dabei! Witzige Idee, dass den Protagonisten seine Erinnerungen an die Wurst das Leben kosten, genauso, wie den Aräologen! :)

Zu kritisieren habe ich lediglich, dass Du mit den Kommata zu sparsam umgehst. Häufig fehlen sie, z.B. bei Nebensätzen mit "um zu". :)

Viele Grüße
Barbara

 

Hui, da hast Du ja einen ganz alten Schinken (pun intended!) ausgegraben. Nunja, danke fuer die Kritik. Kommas sind ein bekanntes Problem bei mir. Kommt wohl vom Englischen...

Gruss,

I3en

 

Tja...

...wie du es selbst schon treffend formuliert hast, I3en, ein oller...äh, alter Schinken, der hier ausgegraben wurde...
Aber diese Art von Geschichten unterliegen nunmal nicht dem Verjährungsprinzip; je älter sie sind, desto besser werden sie...

Gelesen hatte ich die Geschichte ja vor knapp zwei Jahren schon und als ich vorhin beim Forums-Bummel nochmals über sie gestolpert bin, dachte ich, schreibe ich diesmal auch was dazu. ;)

Nun, jetzt habe ich zwar viel geschrieben aber kaum was zur Geschichte, die nichtsdestotrotz aufgrund ihrer Absurdität und ihrem banalen Kontext überzeugt.
Einfallsreich und gelungen!

Auf die mißglückte Zeichensetzung bist du ja schon hingewiesen worden. Brauche darüber deshalb keine weiteren Worte zu verlieren. ;)

 

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