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Es ist schon ein seltsames Hotel
Ein wahrlich seltsames Hotel, in dem ich hier abgestiegen bin.
Die Bediensteten tragen bizarre Tiermasken, und die gesamte Anlage ist überschattet von den allgegenwärtigen Baumwipfeln, die nicht einen Lichtschein durch ihr verdorrtes, ineinander greifendes Geäst dringen lassen.
Nach drei endlos langen Tagen frage ich mich mittlerweile, ob es ihn überhaupt noch gibt, den blauen Himmel.
In der Wüste ist alles anders.
Felsmassive umschließen diesen vergessenen Ort am Meer. Selbst der letzte kümmerliche Rest von einstiger Zivilisation, die Nomaden mit ihren Zeltdörfern, halten sich fern von diesem verfluchten Hotel, in dem die Gäste nicht mehr sind als Schemen, auf der Suche nach der eigenen Identität.
Am Strand gibt es keine Wellen. Das Wasser ist eine unbewegliche, dunkle Scheibe, die sich am Rande eines grauen Horizonts in ebensolchen Schattierungen verläuft.
Während ich auf einer Liege döse, nähert sich ein Kellner. Ich höre sein schweres Stampfen im Sand. Fasziniert beobachte ich ihn dabei, wie er mit seiner riesigen Klaue mein leeres Glas aufnimmt, dabei den hinter seiner Stiermaske verborgenen Blick keine Sekunde lang von mir abwendet. Schließlich entfernt er sich wieder, und ich döse weiter.
Am Abend fühle ich mich nicht gut. Ich nehme mir lediglich ein wenig Meeresgetier vom Buffet. Zwei lange, mit Saugnäpfen und Krallen bewehrte Tintenfischtentakel, die sich vor Schmerz auf meinem Teller winden. Sie quietschen, als ich sie zerbeiße. Zwei Kellner eilen gleichzeitig an meinen Tisch und stellen unzählige, mit braunem Wasser gefüllte Gläser vor mich hin, die ich hastig leer trinke. Dann halten sie mir ihre gewaltigen Greifwerkzeuge vor Augen und bitten um Trinkgeld. Entschuldigend schüttel ich den Kopf. Mein Portemonnaie habe ich im Bungalow vergessen. Knurrend stampfen die beiden zu den anderen Tischen, von denen aus leises Wispern zu mir dringt. Durchscheinende Wesen sitzen dort und kichern, stöhnen, schmatzen. Ob auch sie ihren Urlaub genießen?
In der Nacht kann ich kaum schlafen. Bedrohliche Bilder, eingefasst in grässliche Träume, bilden eine Schneise zwischen den Ufern des Dahingleitens und der nackten Angst.
Schweissgebadet schreite ich in dem kleinen Zimmer auf und ab. Dann begebe ich mich auf die schwarz gekachelte Terasse und versuche den Himmel auszumachen; aber es geht nicht, die Zweige blockieren auch die Sicht zum Mond und seinen Sternen.
Schließlich schlafe ich inmitten einem der Wege ein, die der Verbindung zwischen Bungalows, Strand und Rezeption dienen.
Am nächsten Morgen frühstücke ich kaum. Ich habe Kopfschmerzen und Druckstellen am ganzen Körper. Irgendwer muss während meines Deliriums auf mich getreten sein. Die roten Stelle sehen aus wie gigantische Hufeisen.
Ein gelbes Brot mit blutender Marmelade, die nach Vergessen schmeckt. Der Kaffee ist zu Schlamm geworden. Ich bin in der Wüste, was will ich erwarten?
Die Masken der Kellner zeigen ununterbrochen in meine Richtung. Es ist unheimlich.
Nach dem Essen gehe ich zurück ans Meer. Der Strand ist ruhig wie immer, und ich frage mich, wie lange ich bereits hier bin.
In einem unachtsamen Moment werfe ich mein Glas um, und der braune Inhalt wird von kleinen Würmern aufgesogen, noch ehe er im Sand versickern kann.
Ein Bediensteter mit Krokodilsmaske kommt herangestampft. Seine Schritte sind so schwer, dass die Liege bei jedem aufsetzen der Füße leicht vibriert.
Mit seiner Pranke schlägt er mir ins Gesicht. Ich merke plötzlich, dass ich nur noch auf einem Auge sehen kann. Das andere hat er mir mit seinen langen Nägeln herausgerissen. Es liegt am Strand, und die Würmer komplettieren ihre Mahlzeit. Was habe ich bloß getan? Ich bin in der Wüste, und Wasser ist kostbar. Das hätte ich wissen müssen!
Am Nachmittag regnet es Kakerlaken. Sie fallen einfach so aus dem Grau des Himmels; hier am Wasser, wo die toten Arme der Bäume nicht hinreichen können.
Es ist eine große Feier für die Kellner. Einige schlagen unrhythmisch auf dumpfe Trommeln, während andere das ellenbogenlange Ungeziefer genüsslich vertilgen. Für einen Augenblick glaube ich wahrhaftig, im Paradies zu sein. Die Karibik des Irrsinns, und selbst die Liegen und Sonnenschirme fügen sich ein in diese exotische Darbietung von ewiger Festlichkeit.
Das Abendessen lasse ich ausfallen.
Nachts kann ich erneut keinen Schlaf finden.
Halb hypnotisch irre ich umher, finde mich an der Rezeption wieder. Sie ist nicht besetzt. Ist es niemals gewesen. Kein Einchecken; kein Auschecken.
Minuten vergehen, dann stehe ich plötzlich auf der Terasse. Doch diese hier gehört zu einem jener Bungalows, in dem die Angestellten nächtigen.
Die Schiebetür ist nicht verschlossen, und von innen ähnelt jedes kleinste Detail meiner eigenen Unterkunft.
Doch unter der Bettdecke; was mag dort sein? Ein lautes Fauchen, dem menschlichen Schnarchen sehr unähnlich, dringt an meine Ohren. Mein verbliebenes Auge bemüht sich darum, das Restlicht aus dem Nichtlicht der Hotelanlage herauszufiltern. Ein tiefes, von Linien durchzeichnetes Schwarz ist die Antwort auf die Bemühung.
Plötzlich, im Augenblick des Erkennens, hämmert mein Herz, und es klingt ebenso unmelodisch wie jenes Trommelgewitter am Mittag.
Etwas, was ich lange geahnt habe, wird zur grausigen Offenbarung.
Keine Masken. Die Kellner tragen keine Masken.
Wie lange bin ich schon hier? Werde ich mit der Zeit auch zu einem schemenhaften Wispern werden, wie die anderen Gäste?
Das Wesen mit dem Schweinekopf erwacht. Unsere Blicke treffen sich.
Ich habe Angst.