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Für das Sein

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23.10.2004
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Für das Sein

Er hatte keine Angst zu sterben. Nicht die geringste. Natürlich wollte er nicht sterben, schließlich hing er an seinem Leben, seiner Art, seinem Umfeld und allem, was ihm was bedeutete. Doch falls er hätte sterben sollen, so wäre er damit zufrieden gewesen.
Er hatte sich diese Frage oft gestellt, weshalb Menschen Angst davor haben, tot zu sein. Er hatte einige Zeit gebraucht, um festzustellen, dass er differenzieren musste zwischen "Angst davor tot zu sein" und "Angst vor dem Tod".

Letzteres hat viel mehr in sich, jedoch weniger wichtiges. So ist die Angst vor dem Tod verbunden mit einer Angst vor den Umständen, die daraufhin folgen, beispielsweise die Trauer nach dem Tod eines Familienmitglieds oder Freundes; oder aber es ist die Angst vor der eigenen Trauer und von der folgenden Einsamkeit.
Doch Angst davor tot zu sein...
Da steckt mehr dahinter. Er wurde plötzlich mit mehreren Fragen konfrontiert, und eine war für ihn persönlich wichtiger als die andere: Hätte mein Leben einen Sinn gehabt? Hat mein Leben etwas bewegt? Wem nutzt mein Tod? Werde ich der Welt fehlen?
Doch er hatte im Laufe der Jahre viele Antworten gefunden, und eine davon hatte er über alle anderen gestellt, und sie zur ultimativen Antwort gemacht, zu einem Axiom:
Er lebte für das Sein.
Unabhängig davon, ob er an Gott glaubte, er war der festen Überzeugung, dass all seine Taten, all sein Tun, seine ganze Existenz nur einem einzigen "großen" Zweck dienten: Dem Universum, oder spezieller und zugleich umfassender: Der Existenz.
Er kannte den Sinn der Welt, den Sinn des Alls und den Sinn des Seins nicht, doch empfand er es als ungemeine geistige Wohltat, sein ganzes Leben wie bisher zu leben, doch zu glauben, dass nichts davon umsonst ist. Nein, im Gegenteil! Jede noch so kleinste Handlung, jeder noch so winzige Gedanke bringt die Welt, bringt das Sein ein Stück weiter in seiner Entwicklung. Er konnte sich beinahe bildlich vorstellen, wie klein er im großen Universum war, doch wusste er, dass jedes Element des großen Getriebes eine Funktion erfüllte, und er war eines dieser Elemente.
Zunächst hatte er gezweifelt, ob er damit nicht die Verantwortung seines Lebens dem Kosmos zuschob. Nun, mittlerweile war er sich dessen sogar sicher, doch war gerade das nicht das einzig sinnvolle? Für sein Handeln war er selbst verantwortlich, und in seiner Umgebung musste er sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen, doch für die Zukunft des Seins? Wer weiß, vielleicht hatte jede noch so absurde oder gar schlechte Handlung einen positiven Effekt auf die Existenz.

Er lebte glücklich mit all den Problemen, die ein Mensch hat. Und so verschwand seine Angst vor dem Tod und dem "tot sein". Er hatte einen Sinn gefunden, er wusste, das sein Tod oder der anderer etwas größerem dient, vor dem er Ehrfurcht und Demut empfand. Er würde niemals glücklich sein, wenn seine Bekannten einmal sterben, im Gegenteil, er würde lange und ausgiebig Tränen vergießen, wahr Trauer empfinden, die Ungerechtigkeit suchen und finden. Doch tief in sich, da lagerte ein kleiner Funken Rechtfertigung, der ihn mit jedem noch so emotionalen Ereignis fertig werden ließ. Der "größere" Sinn.

Und dann...
Dann kam der Moment, indem er alles umkippte.
Er machte eine Erfahrung, die ihn auf sein gesamtes Leben hin verändern würde, eine Erfahrung, welche die meisten Menschen einmal gemacht haben. Er machte eine Phase durch, in der er sich selbst nicht wiederfand, und er merkte, dass etwas nicht stimmte. Es war ein langer Moment, er dauerte einige Wochen. Doch als der Moment vorbei war, fühlte er sich glücklicher als je zuvor und zugleich grausamst verunsichert.
Er hatte eine höhere Macht gefunden, die ihn niemals wieder ganz loslassen würde. Er merkte, wie sehr er seinen Stolz auf all seine Weltansichten vermisste. Diese umgreifende und universelle Sicht, dass alles einen Zweck hatte und er nur für diesen Zweck lebte, hatte plötzlich einen kleinen Fehler, der sich nicht verwischen ließ, und der das gesamte Konstrukt zum Einsturz brachte.

Er hatte viele Menschen gekannt, und viele davon waren ihm wichtig, einige hasste er und der Großteil war ihm und seinem Leben unwichtig. Doch unter den ihm wichtigen Menschen bemerkte er einen, der ihm immer wichtiger wurde. Und innerhalb der Wochen des "Momentes" begriff er, wie groß sein Irrtum doch gewesen war.
Er hatte eine Macht gefunden, doch war sie nicht göttlich. Nein, ganz im Gegenteil, sie war so natürlich wie alles andere auch und doch war sie größer als alles, was er sich je hatte vorstellen können. Er sah ein, dass er doch Angst vor dem "tot sein" hatte, aber nicht, weil er dann nicht mehr "war", sondern weil ihm dann etwas fehlen würde. Nur sich? Nein.
Er hatte die Liebe gefunden, und sie überrannte ihn, trampelte seine Weltanschauung in Grund und Boden, zerwarf seine Bilder, ließ das Glas seiner rosanen Brille zerspringen und umspannte nicht nur ihn, sondern das, wofür er vorher noch gelebt hatte: Das Sein.

Er hatte Angst "ihr" zu fehlen, hatte Angst, dass "sie" ihm fehlte. Das klare Geschäft einer kosmischen Existenz, die ihn so sehr beruhigt hatten, verwischten plötzlich mit dem Untertitel "Bei Liebe geschlossen." Die Allmacht war weg. Sie wurde nicht ersetzt, denn die Liebe ist auch nicht allmächtig, nein, sie war einfach weg. Unsicherheit stieg in ihm auf. Zweifel an allem plagten sein Herz. Und hätte er nur einen einzigen Wunsch freigehabt, so hätte er sich in Anbetracht seines sterblichen Lebens gewünscht, diese Liebe niemals zu verlieren, vor allem dann nicht, wenn das kleine und in seiner Art überschaubare Universum enden wird.

 

Hi TheShire,

jaja, die Liebe wirft alles um!! Aber bis zu dieser Erkenntnis muss man sich durch die Erkenntnisse von "er" ganz schön durchkämpfen. Und beim Thema Tod und tot ist das nicht leichtgefallen. Ich hab`s getan.

In dem Sinne

Gruss Kardinal

 

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