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Fleischmaschine
Die Sirene heult. G 48 öffnet die Augen. Er schlägt die raue Decke zurück. Er nimmt den ölfleckigen Overall von einem Metallhocker. Er schlüpft in seine Arbeitsstiefel. Er faltet die Decke.
Neben ihm faltet G 46 seine Decke. Hinter ihm faltet G 47 seine Decke. Vor ihm faltet G 49 seine Decke.
Auf dem Boden befindet sich eine grüne Linie. G 48 stellt sich auf die Linie und wartet.
Die Sirene heult. Er setzt sich in Bewegung und folgt der Linie, die in den Speisesaal führt. Er nimmt ein Metalltablett, einen Löffel und einen Becher von einem Tresen.
Er stellt das Tablett auf ein Fließband. Eine Düse spuckt grauen Brei auf das Tablett. Eine Düse spuckt graue Flüssigkeit in den Becher. Eine Düse spuckt graue Riegel auf das Tablett. Er nimmt das Tablett vom Fließband. Er setzt sich an einen Metalltisch. Er löffelt warmen, geschmacklosen Brei. Er kaut warme, geschmacklose Riegel. Er trinkt warme, geschmacklose Flüssigkeit. Er stellt das Metalltablett, den Löffel und den Becher auf einen Tresen.
Auf dem Boden befindet sich eine gelbe Linie. G 48 stellt sich auf die Linie und wartet.
Die Sirene heult. Er setzt sich in Bewegung und folgt der Linie, die in die Maschinenhalle führt. In regelmäßigen Abständen zweigen Richtungspfeile von der gelben Linie ab. G 48 folgt der Linie und dem Richtungsfeil, auf dem G 48 steht, zu seinem Arbeitsplatz.
Er zieht den Schraubenschlüssel aus der Halterung neben dem Förderband und wartet.
Mit einem Ruck setzt sich das Förderband in Bewegung. Zahnräder, Laufrollen, Walzen, Spulen setzten sich in Bewegung. Ketten rasseln durch Führungsschienen. Ofentüren öffnen und schließen sich. Dampf zischt aus Ventilen. Pneumatische Zylinder heben und senken sich. Hydraulische Kolben gleiten vor und zurück. Elektroden werfen eisblaue Lichtbögen. Schweißbrenner speien goldleuchtende Funken. Flammen spucken rotglühende Metalltropfen.
Ein Metallteil bleibt vor ihm stehen. Er dreht drei Schrauben fest. Er tritt auf einen Fußschalter. Das Förderband läuft weiter.
Ein Metallteil bleibt vor ihm stehen. Er dreht drei Schrauben fest. Er tritt auf einen Fußschalter. Das Förderband läuft weiter.
Ein Metallteil bleibt vor ihm stehen. Er dreht drei Schrauben fest. Er tritt auf einen Fußschalter. Das Förderband läuft weiter.
Staub im Mund. Rauch im Auge. Lärm im Ohr. Ruß im Haar.
Er hört einen Schrei. Das Förderband bleibt stehen. Sein Blick folgt dem Schrei. Vier Arbeitsstationen weiter steckt der Arm von G 52 in einer Presse. G 52 schreit noch einmal. Nicht mehr laut. Dann fällt er um, soweit das mit dem eingequetschten Arm geht.
G 48 lässt den Schraubenschlüssel sinken und wartet.
Drei Personen erscheinen. Zwei von ihnen legen G 52 auf eine Trage und bringen ihn weg. Die dritte überprüft die Presse und entfernt Fleisch- und Knochenteile. Dann nimmt sie seinen Platz ein. Mit einem Ruck setzt sich das Förderband in Bewegung.
Ein Metallteil bleibt vor ihm stehen. Er dreht drei Schrauben fest. Er tritt auf einen Fußschalter. Das Förderband läuft weiter.
Ein Metallteil bleibt vor ihm stehen. Er dreht drei Schrauben fest. Er tritt auf einen Fußschalter. Das Förderband läuft weiter.
Irgendwann bleibt das Förderband stehen. Er steckt den Schraubenschlüssel in die Halterung.
Auf dem Boden befindet sich eine blaue Linie. G 48 stellt sich auf die Linie und wartet.
Die Sirene heult. Er setzt sich in Bewegung und folgt der Linie, die in den Duschraum führt. Er zieht sich aus. Er stellt sich unter eine Metalldüse. Aus der Düse kommt lauwarmes Wasser. Aus der Düse kommt Seifenlösung. Aus der Düse kommt lauwarmes Wasser. Aus der Düse kommt lauwarme Luft. Er zieht sich an.
Auf dem Boden befindet sich eine rote Linie. G 48 stellt sich auf die Linie und wartet.
Die Sirene heult. Er setzt sich in Bewegung und folgt der Linie, die in den Schlafsaal führt. Er zieht die Stiefel und den Overall aus und legt die Sachen auf einen Metallhocker. Auf seiner Pritsche liegt D 15. D 15 ist anders als er. D 15 legt sich auf ihn und er fühlt, wie sich ein Teil seines Körpers verändert. D 15 bewegt sich auf ihm. Er bewegt sich in D 15. Er spürt, wie er verkrampft und dann entspannt. D 15 steht auf, hockt sich auf den Boden und pinkelt in einen Becher. Dann taucht D 15 einen Stift hinein. Wenn sich der Stift rot färbt, wird D 15 nach der nächsten Schicht wieder in seiner Pritsche liegen. Wenn sich der Stift grün färbt, wird er D 15 nicht wiedersehen. Dann wird irgendwann E 15 in seiner Pritsche liegen. Der Stift färbt sich grün. D 15 zieht sich an. Er sieht ihr dabei zu.
Neben ihm pinkelt D 16 in einen Becher. Hinter ihm pinkelt D 17 in einen Becher. Vor ihm pinkelt D 18 in einen Becher.
Auf dem Boden befindet sich eine grüne Linie. D 15 stellt sich auf die Linie und wartet.
Die Sirene heult. D 15 setzt sich in Bewegung und folgt der Linie, die aus dem Schlafsaal führt. G 48 schließt die Augen.