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Fuenfzehn Minuten Dubai
Fuenfzehn Uhr. Ich sitze am kleinen Marmortisch, dessen kuehle Oberflaeche ich mit den Unterarmen beruehre und vermute, dass sie das Einzige darstellt, was in dieser Stadt kuehl ist. Die Klimaanlage laeuft auf Hochtouren und scheint doch nichts zu nutzen- oder vielleicht empfinde nur ich es so, da mir die Spannung des Wartens eine Hitzattacke nach der anderen beschert. Am Tisch nebenan sitzten drei Maenner in langen Gewaendern und haben, genau wie ich, jeder eine winzige Kaffeetasse vor sich stehen. Absurd- heisser Kaffee in dieser wunderschoenen Hitzehoelle. Absurd- wie alles hier; Elend und unermesslicher Reichtum, Traditionen und Moderne, Freundschaft und Feindseligkeit, eine Feindseligkeit, die ich an jeder Ecke hier spuere, weil ich sie spueren muss und will… Von draussen ertoent von Zeit zu Zeit der einschlaefernde Schrei des Muezzins, und obwohl ich bereits seit mehreren Monaten jedes Wort seines Gebets verstehe, kommt es mir immer noch vor, als wuerde er etwas anderes sagen als das was ich verstehe, etwas Verstecktes, Boeses; etwas, was weder er noch jemand Andere auf dieser Welt sagen sollte… Ich werfe einen Blick an den Tisch nebenan und sehe die Maenner, die schweigend vor sich hindoesen und Pfeife rauchen, und ich frage mich, ob sie auch das Versteckte gehoert haben und ob sie danach handeln wuerden. Und wann es aufhoeren wuerde…Stille herrscht um mich herum, nur die Fliegen summen, auch schlaefrig, und die Klimaanlage leistet ihnen beim Summen Gesellschaft.Es koennte ein Dorf sein, und nur die Autos, die in der zitternden Luft an dem kleinen Café vorbeifahren, beweisen mir, dass meine Sinne mich nicht truegen, dass ich immer noch in Dubai bin. Dass ich immer noch ich bin, und alles immer noch das ist, was es auch vor einem halben Jahr war; dass die Welt sich leider nicht aendert, nicht jetzt, nicht naechstes Jahr und wahrscheinlich auch nicht in zehn Jahren. Und somit weiss ich, dass diese Feindschaft, die mir unsichtbar begegnete und nur eingebildet war, mich auch weiterhin verfolgen wuerde, eine Feindschaft, die die Umstaende geschaffen hatten und die Menschen. Niemand vermochte etwas dagegen zu tun, selbst wenn er wollte, kein Diplomat wuerde der Sache helfen koennen. Auch ich nicht! Nur Liebe und gegenseitiges Vertrauen wuerden eines Tages den Nahen Osten anders erschaffen koennen.
Fuenfzehn Uhr und zwei Minuten. Du haettest schon vor zwei Minuten hier sein muessen, und diese zwei Minuten erscheinen mir wie eine Ewigkeit; eine Ewigkeit, die mit der uebrigen Zeit, die ich gewartet habe, nicht verglichen werden kann. Ich lausche jedem herannahenden Schritt zu und hoffe jedesmal, dass du es bist, aber es sind immer nur Maenner in langen weissen Gewaendern, die denselben Teint haben wie du und doch vollkommen anders sind, wie Ausserirdische, ueber die man als Kind gesagt bekommt, man muss sie fuerchten und hassen. Ich fuerchte und hasse nicht… Sie laufen in scheinbar endlosen Stroemen am Café vorbei, und als es immer noch fuenfzehn Uhr und zwei Minuten sind, betrittst du das Café, und im ersten Augenblick habe ich das Gefuehl, nicht mehr zu atmen.Du gehst an mir vorbei und setzt dich an einen freien Tisch, der jetzt noch kleiner erscheint, als waere er fuer Kinder gemacht. Du bestellst dir einen Kaffee, und dein Blick trifft endlich meinen, und ich weiss, dass wir fuer die naechsten Minuten allein sind. In dieser Stadt. Auf dem Kontinent. Auf der ganzen Welt. Nicht mehr fuenfzehn Minuten, und ich lege einen stillen Vorwurf in meinen Blick- was hat dich unendliche zwei Minuten lang davon abgehalten, nur mir zu gehoeren? Deine braunen Augen sehen mich entschuldigend an; die braunen Augen, die mit deinem braeunlichen Teint harmonieren, die schmalen und doch sinnlichen Lippen, die nicht laecheln und keinerlei Gefuehlsregung zeigen, das Gesicht mit den markanten Zuegen wie aus Stein gemeisselt, und doch so voller Liebe. Das T-Shirt klebt an deinem muskuloesen Oberkoerper, unter dem kurzgeschnittenen schwarzen Haar glaenzen Schweissperlen auf deiner Stirn. Ich kann sie dir nicht wegkuessen, ich kann dich nicht beruehren, nicht einmal mit dir reden… Meine Augen wandern weiter nach unten- der sechszackige Stern, den du damals an einer duennen Goldkette getragen hast, ist weg. Nicht jetzt und nicht hier traegst du ihn. Der sechszackige Stern, den ich mehrmals am Tag sehe, auf den Toren der Botschaft, blau wie der Himmel. Der Himmel ueber deinem Land und meinem. Und hier! Nicht jetzt und nicht hier werden wir ueber unser Land reden, das du dein ganzes Leben lang ueber alles geliebt hast; so sehr, dass dein ganzes Leben aus Kampf besteht. Wenn man romantisch sein will, dann nennt man einem Menschen, der einen solchen Job macht 'Kaempfer der stillen Front'. Nichts daran ist romantisch, denn nur deshalb koennen wir uns nicht beruehren, muessen an verschiedenen Tischen sitzen; nur deshalb riskierst du Tag fuer Tag dein Leben. Fuer unser Land. Gegen dieses Land. Gegen den Rest der Welt. Und doch kaempfst du falsch, und auch ich kaempfe falsch. Keine Tausend Panzer und Maschinengewehre, keine Hundert Diplomaten koennen all das wiedergutmachen, was bereits geschehen ist. Das weisst du genauso gut wie ich, und in deinen Augen sehe ich Trauer, jeden einzelnen Gedanken von mir kannst du lesen, so oft gesagt und gehoert. Es zerreisst mir beinahe das Herz, deinen normalerweise stahlharten Blick so zu sehen, doch noch mehr tut es weh, dich jetzt nur so sehen zu koennen, hier in Dubai, an einem anderen Tisch, der mir Tausende und Abertausende Meilen weit etnfernt zu sein scheint. Ich weiss, dass sehr bald, vielleicht in einem Monat, alles anders sein wird, und ich werde in deinen Armen liegen und auf die Klagemauer blicken und den Felsendom dahinter- wenn doch diese Nachbarschaft harmonisch waere!.. Hier und jetzt scheint all das so weit und doch so allgegenwaertig, als ware es ein Teil von uns. Und das ist es auch wahrscheinlich!..Minuten vergehen, und wir beide haben nichts als uns, und keine Waffen und keine Diplomatie zaehlen in diesem Augenblick. Keine Religion und keine Politik kann noch existent sein!
Du bist nicht du. Unpersoenlich und anonym, ohne Goldkettchen, ohne Worte erscheinst du hier, und in fuenf Sprachen wuerdest du akzentfrei fuenf verschiedene Herkunftslaender nennen koennen, wenn du jetzt gefragt worden waerst. Doch in deinen Augen, die mich durchdringend ansehen, ist immer noch Derjenige, der mir seit einem Jahr alles bedeutet. Mehr als unser Land, das uns trennte… Und deine ganze Erscheinung sagt mir, dass du in mir das Heilige Land siehst und im Heiligen Land mich. Und dann fragt mein Blick dich, ob du eine Frau genauso lieben kannst wie dein Land. Du bist nicht du, und ich bin ich, so wie ich immer ich bin, in jedem Land, in dem ich schon gewesen bin, und auch hier. Ich werde immer ich blieben, und deshalb weiss ich, dass keine Entfernung und kein Boeses der Welt etwas an meinen Gefuehlen zu aendern vermag. Du weisst genau, dass ich immer bei dir bin, in jeder gefaehrlichen Minute, bei Tag und bei Nacht, und deshalb weiss ich genau, dass dir nichts passieren wird. Und wir beide wissen, dass es Grenzen gibt, die mann trotz Millionen von Soldaten wegwischen kann. Man muss es nur wollen!
Fuenf Minuten bleiben. Ich brauche dich, schreien meine Augen. Ich brauche dich, schreit dein Land. Morgen wirst du ohne mich auf die Klagemauer blicken und den Felsendom dahinter, und die rechte Seite deines Bettes wird kalt bleiben. Kalt, obwohl es Hochsommer ist. Du wirst alles dafuer tun, dass unser Land bestehen bleibt, und beidevwerden wir alles dafuer tun, dass eines Tages unsere Treffen nicht mehr so sein muessen wie jetzt. Egal, ob dieser Gedanke real sein mag oder nicht!
Du erhebst dich, und zum letzten Mal fuer unbestimmte Zeit betrachte ich deine grosse Gestalt, dein gutgeschnittenes Gesicht und deine ganze Erscheinung, die so viel Kraft ausstrahlt, dass es mir wieder den Atem verschlaegt. Du bezahlst deinen Kaffee und gehst an meinem Tisch vorbei, und es kommt mir vor als wuerdest du deine Schritte verlangsamen- als wolltest du dich so von mir verabschieden. Mit steht keine Abschiedsmoeglichkeit zur Verfuegung, und deshalb verharrt mein Blick auf dir als wuerde er ohne deine Erscheinung nicht existieren koennen. Fuenfzehn Uhr und fuenfzehn Minuten. Wie in Zeitraffer gehst du aus der Tuer und verschwindest als waerst du gar nicht dagewesen. Und erst jetzt bemerke ich deine Armbanduhr auf dem Tisch, der noch die Waerme deines Koerpers kennt. Ich nehme sie schnell an mich, bevor sie jemand Anderer bemerkt hat und verspuere auf einmal ein Gluecksgefuehl, als waerst du noch bei mir. Stellvertretend wird diese Uhr immer bei mir bleiben! Stehengeblieben umd Fuenfzehn Uhr und fuenfzehn Minuten…