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Götterdämmerung

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29.07.2003
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Götterdämmerung

Ndugu und sein kleiner Bruder Kalipp saßen noch immer am Rande der Steppe. Kalipp hatte die Hände in den Schoss gelegt und lauschte gespannt der Geschichte, die Ndugu zu erzählen hatte. Die Dämmerung brach bereits herein.
"Vor langer, langer Zeit, noch bevor es unseren Stamm gab, ja noch bevor es all das gab, was du um dich herum siehst, da existierten mächtige Götter."
"Ndugu?"
"Ja, Kalipp?"
"Was sind Götter?" Ndugu zögerte. Dann antwortete er:
"Götter sind Wesen, die große Macht über uns haben. Aber lass mich die Geschichte zu Ende erzählen.
Es war der Anbeginn der Zeit, wie wir sie kennen. Aus Langeweile erschufen sie unsere Welt."
"Sie erschufen unsere Welt?"
"Ja, Kalipp. Sie haben all das erschaffen." Ndugu grub ein wenig mit der Hand in den Sand, hob sie und ließ die Sandkörner vom Wind davonwehen.

Das Telefon klingelte. Schorsch klappte das Buch zu und stand auf.
"Müller. Wer ist dran?"
"Schorsch, bist du's? Hier ist Fritz!"
"Was soll das, Fritz? Warum rufst du mitten in der Nacht an? Es ist Sonntag."
"Nicht mehr lange. Was machst du gerade?" Schorsch schlappte zum Kühlschrank und nahm einen Schluck kalte Milch. Er schluckte schnell herunter.
"Ich lese."
"Habe ich dich gestört? Dann tut es mir leid."
"Weswegen rufst du an?" Er schloss den Kühlschrank.
"Nur aus einem Grund. Erinnerst du dich noch an unser kleines Privat-Projekt?"
Schorsch hatte es die Sprache verschlagen. Er stotterte: "Sag bloß - Du hast doch nicht etwa?" Schorsch lauschte gebannt dem Rauschen der Telefonanlage.
"Doch, habe ich. Komm schnell vorbei."
"Oh Mein Gott.", antwortete Schorsch. "Ich bin gleich da." Er knallte das Telefon in den Akkulader, schnappte den Schlüsselbund und rannte eifrig die Stufen hinab. Dass er noch im Schlafanzug war, störte ihn nicht.
Draußen tobte ein Unwetter. Der Regen prasselte schon seit Tagen unaufhörlich herab. Schorsch trat nach draußen. Die Regentropfen auf seiner Schulter waren angenehm warm. Er schloss das Auto auf und fuhr los.
"...melden wir, dass das Unwetter auch in den nächsten zwei Tagen nicht aufhören wird. Es sind ja nahezu biblische Ausmaße, mittlerweile! Bob, kann es sein dass wir-" Schorsch wechselte den Radiokanal. "... darf nicht so weitergehen! Der Kohlenstoffdioxid und die Stickoxide, die weiterhin in Unmengen in die Natur geblasen werden, ... das wird sich die Natur nicht mehr lange so-" Schorsch drehte das Radio ab.
"Das Radio ist auch nicht mehr das, was es mal war.", murmelte er vor sich hin.
Schon war er am Ziel angekommen. Ein kleiner, neumodischer Stahlkomplex. Er bemühte sich nicht, richtig einzuparken, sondern ließ das Auto einfach stehen. Schorsch schlappte auf den Eingang zu.
Seine nassen Hausschuhe hinterließen Spuren in den Gängen, bis er an Zimmer 101 angekommen war. Er stieß die Flügeltür auf.
"Schorsch! Du wirst es nicht glauben!" Fritz wedelte mit den Armen vor seinem Kollegen herum.
"Ich glaube es schon. Nun sag, wie du es angestellt hast. Und warum heute."
"Warum nicht? Hier war schon lange nichts mehr los."
Das Licht flackerte. Schorsch sah beunruhigt in die Mitte des Raumes, wo auf einem Sockel eine glatt polierte Glaskugel stand.
"Es schluckt Unmengen Strom. Du könntest die ganze Stadt lahmlegen."
"Das weiß ich. Aber das ist es allemal wert!"
"Hatten wir nicht ausgemacht, Genesis ruhen zu lassen?", fragte Schorsch ärgerlich. Er sah hinüber zur Glaskugel, die helblau zu pulsieren begann.
"Sie dehnt sich aus. Siehst du es?"
"Ich sehe es, Fritz. Antworte mir gefälligst." Er konnte Fritz nicht bremsen.
"Noch ist es ein 'Miniversum'. Aber ich werde es auf die Größe einer Erbse aufpumpen." Fritz drückte einen Knopf und schob an den Reglern. Dann ging er auf die gegenüberliegende Seite des Raumes, um den Hauptschalter umzulegen.
"Geh von dem Schalter weg, Fritz. Geh da weg! WAS TUST DU?" Fritz klappte ihn herab.
In einem unglaublichen Knall dehnte sich das Miniversum aus. Gleichzeitig, woran Fritz niemals gedacht hätte, begann sein eigenes in sich zu kollabieren.

...

Der Wind wehte ruhig über den Sand. Ndugu und sein kleiner Bruder Kalipp saßen noch immer am Rande der Steppe. Kalipp hatte die Hände in den Schoß gelegt und lauschte gebannt der Geschichte, die sein Bruder zu erzählen hatte. Als Ndugu geendet hatte, fragte er:
"Ndugu?"
"Ja Kalipp?"
"Wo sind die Götter jetzt?" Ndugu seufzte, stand auf und sah zum Vollmond, der auf sie herablächelte.
"Das ist eine gute Frage, Kalipp. Eine gute Frage."

 

Hi Schlachtpaulchen!

Danke für deinen Kommentar. Zur Frage, woher Ndugu und Kalipp von den Göttern wussten: Was weiß Ndugu denn?

 

@Jason
Er scheint zumindest zu wissen, dass es Götter gibt. Aber was heißt das schon?

Mir hat deine Geschichte ebenfalls gut gefallen. Kurz, flüssig, knapp und auf den Punkt gebracht.
Zwei Frage:
Versteh ich dich richtig und Fritzs und Schorschs eigenes Universum (also unseres) wird zerstört?
Und die zapfen dafür nur ne Steckdose in einer Wohnung an?
Krass, was man mit so'nem kleinen Hausstromanschluss alles zum Laufen kriegt :D

Ein sogenanntes gutes Häppchen ;)

mfg Hagen

 
Zuletzt bearbeitet:

@Hagen
Du würdest dich wundern, was alles geht. :D

Ich danke dir für die gute Kritik. Ja, Fritz und Schorschs Universum ist zusammengebrochen.

 

Hi Yaso_Kuuhl,
nette kurze Geschichte.
Natürlich hätte sie etwas länger werden können, aber irgendwie passt sie so. Der Leser kann sich den Rest und das drumherum ja ohnehin denken...

Nur eine Frage bleibt offen: Leben wir im Universum von Schorsch und Fritz oder glauben wir als Ndugu an die Götter?

glg Hunter

PS: Schattenjagd ist echt ein tolles Buch ;)

 

Hallo Hunter!
Danke für deine Meinung. Ja, diese Frage bleibt tatsächlich offen :)

Und ja: ein tolles Buch. Das habe ich - Oh mein GOTT - vor mehr als sieben Jahren bekommen. Wahnsinn.

Ich glaube ich sollte den Nachnamen ablegen :D.

 

Hallo,
die Rahmenhandlung um Weltuntergang und Welterschaffung ist ein interessanter Aufbau.
Im Haupttext willst du zeigen - so interpretiere ich es - , dass unvorsichtiger Umgang mit den Naturgewalten, schnell zum Untergang führt. Sehr gut finde ich den aktuellen Bezug durch die eingeblendeten Radiomeldungen. Dadurch wird dem Leser klar, dass es ein sehr reales Problem ist.
Banal finde ich dann aber die Ursache des Weltuntergang: einfach eine Spielerei?! Das nimmt dem Text viel von seiner Wirkung. Ich würde es besser finden, wenn ein Experiment - z.B. für die Waffenforschung oder etwas Ähnliches - , das entgleitet, die Ursache wäre.
Zwei formale Sachen noch:
Bei den Radiomeldungen stecken in der wörtlichen Rede auch Gedanken von Schorsch. Die müssten abgesetzt werden, das verwirrt sonst den Leser.
Das Umlegen des Hauptschalters ist unlogisch, denn die Anlage ist ja schon in Betrieb. Es könnte z.B. ein Zusatzaggregat eingeschaltet oder die Leistung hochgefahren werden. Wenn die Anlage schon läuft und der Hauptschalter wird umgelegt, bedeutet das: Abschalten.
Herzliche Grüße!
pitti

 

Hi Pitti!

Ich habe auch eine andere KG, in der es um eine Waffe geht. Natürlich schreibe ich nicht zweimal die gleiche Geschichte. Diese hier war sozusagen ein Schnellschuss.
Hauptschalter ... hmm da muss ich jetzt echt drüber nachdenken. Ich glaube du hast Recht!

LG

Yaso

 

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