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Gebetsversuch
Hallo Gott, bist du da?
Ganz zaghaft entstand der Gedanke in ihrem Kopf.
Sie saß schon eine Weile auf der Bank und versuchte die Stille zu spüren, die ihr die innere Kraft zurückgeben sollte.
Karin dachte an den gestrigen Abend. Wie immer hatte sie ihre vierjährige Tochter Julia mit einem Gebet zu Bett gebracht. Ein Gebet, das sie aus ihren Kindertagen kannte, dem eigene Wünsche hinzugefügt wurden, die meist daraus bestanden um etwas zu bitten, sei es um das erhoffte Spielzeug zum Geburtstag oder auch nur darum, beim Turnen am nächsten Tag nicht als Letzte gewählt zu werden. Wünsche, über die sie im Geheimen oft schmunzelte oder sie in Gedanken mit trug, doch gestern sagte Julia plötzlich: „Mir tut Gott leid.“
Einfach so.
Es durchzuckte Karin.
„Wieso?“, fragte sie erstaunt.
Eigentlich hatte sie sich, wie sicher viele andere Mitmenschen auch, nie Gedanken über Gott gemacht. Als kleines Kind fürchtete sie ihn ein wenig, weil es immer hieß Gott würde alles sehen, aber später war ihr der Glaube irgendwie abhanden gekommen.
Ja, sie ging Weihnachten in die Kirche, sagte auch, wenn etwas gut ausging, Gott sei Dank, aber Gedanken um ihn? Nein, die hatte sie sich nie gemacht.
Noch mal die Frage: „Warum tut er dir leid?“
„Ganz einfach, alle wollen etwas von ihm, aber keiner gibt ihm was.“
Fast musste sie sich ein Lachen verkneifen, besonders als Julia bekräftigend hinzu setzte: „Dazu hätte ich keine Lust.“
Es war schwer darauf zu antworten, deshalb versuchte sie es mit einem: „Weißt du, wir alle sind Gottes Kinder, und wenn wir leben, so wie er es sich für uns wünscht, niemanden etwas antun, dann geben wir ihm sehr viel.“
Julia war müde und gähnte nur: „Trotzdem.“
Karin konnte dieses Gespräch nicht vergessen, sie wusste nicht warum. Als sie heute ihren Bus verpasst hatte und auf dem Weg zu Fuß nach Hause an dieser kleinen Bank, die schon seit Jahren vor der Kirche stand, vorbei kam, blieb sie stehen. Sie traute sich nicht hinein, was albern war, aber irgendwie kam es ihr nicht richtig vor.
Nun saß sie also hier und versuchte sich an Gott und ihren Glauben zu erinnern.
Sah in den Himmel, beobachtete wie die Strahlen, der goldenen Herbstsonne sich ihren Weg durch die Wolken bahnten, dabei ihre Spuren auf dem Weg zur Erde, wie eine greifende Hand, zurück ließen.
Hallo Gott, bist du da? Ich würde dir gerne etwas sagen, ... ich meine, ich weiß es gibt Millionen von Menschen, denen du tagtäglich zuhören sollst, ich kann verstehen, wenn du für mich gerade kein Ohr hast... aber ich will dich um gar nichts bitten... ich will nur... ich meine...
Sogar ihre Gedanken stotterten und sie musste über sich selbst lächeln.
Also, ich wollte dir nur sagen, dass ich noch da bin, ich weiß nicht, ob ich so lebe, wie du es für mich vorgesehen hast, ich weiß nur, dass ich hier bin und gerade in diesem Augenblick eines deiner Wunder betrachte. Viel zu oft nehmen wir deine Werke als selbstverständlich hin, tun uns schwer mit deinem wunderbaren Geschenk des Lebens.
Dass ich da keine Ausnahme bin, weiß ich ... wie oft hab ich mich gefragt, warum für mich immer alles so schwer ist, warum immer ich ... bitte versteh mich nicht falsch, dies soll keine Beschwerde sein über dich, sondern eigentlich über mich, weil...
Karin zuckte entschuldigend mit den Schultern, sah suchend zu Boden, als würde sie dort die richtigen Worte finden. Atmete tief durch. Spürte einen leichten Windhauch in ihren Haaren. Der Wind brachte neben Abgasen auch einen kaum wahrnehmbaren Geruch von Meerwasser mit sich, sowie einen fast vergessenen Traum.
Ganz zaghaft zog ein Lächeln über ihr Gesicht, sie hob den Kopf und blinzelte in die Sonne, die ihre Haut streichelte. Als sei eine Last von ihren Schultern genommen, lehnte sie sich zurück.
Weißt du, begann sie erneut, ich lebe mein Leben, ... es ist schön. Manchmal entscheide ich mich sicher für den falschen ... nein nicht den falschen, aber eben für den anderen Weg, denn ich kann ja nicht wissen, ob er besser gewesen wäre, da ich ihn nicht gegangen bin...
aber ich werde den Weg gehen, den du vor mir ausbreitest, und wenn ich mal an einer Gabelung nicht weiß, welcher Pfad mich weiter führt, dann muss ich eben einen Umweg in Kauf nehmen...
irgendwann wird ein Zeichen von dir kommen, sollte ich auch das nicht erkennen... ganz sicher noch eins und dafür möchte ich...
Karin sah sich um, einer albernen Eingebung folgend kniff sie die Augen zusammen, so wie sie es als Kind getan hatte, wenn sie sich etwas ganz fest wünschte.
Dafür möchte ich danke sagen ... und dass ich noch hier bin.
Eine seltsame Zufriedenheit breitete sich über ihren Körper aus, ihr war als würde das Licht bis in ihr Herz leuchten. Noch einmal sah sie zu der alten Kirche, betrachtete die vom Wetter verwitterten Steine. Jeder erzählte eine Geschichte, man musste nur hin hören und versuchen zu verstehen.
Wer weiß, dachte sie, vielleicht erzählen sie irgendwann mal von einer Frau, die sich nicht in die Kirche traute und hier draußen ein stotterndes Gebet von sich gab.