Gedanken zum Feierabend
An manchen Tagen ist es doch wie verhext, man kommt einfach nicht umhin, mit dem Leben zu hadern. Einen positiven Gedanken zu fassen oder auch nur einen Silberstreif am Horizont zu finden erscheint einem schier unmöglich. Man ist der dunklen Seite der eigenen Existenz schutzlos ausgeliefert.
Die Arbeit, die Familie, die Freunde, das ganze Leben im allgemeinen und und und... wohin man auch schaut, nur Streß und weit und breit niemand der einen versteht.
Man ist versucht zu sagen, dass das Leben so keinen Spaß mehr machen könnte. Aber andererseits will man sich ja nicht beschweren, denn der Job ist gut bezahlt und auch der Chef hat doch ein, zweimal im Jahr einen guten Tag. An solchen kann man sogar gut mit ihm auskommen. Fast möchte man meinen, auch er sei nur ein Mensch. Und wenn man es mal „objektiv“ sieht, könnte es ja noch schlimmer sein. Wenn man da nur an seinen besten Kumpel Hans, Werner, Johann oder auch Peter denkt. Die haben wirklich die Ar...karte gezogen. Also mit deren Chefs und dem dort (stürmisch bis frostig) herrschendem Arbeitsklima könnte man NIE arbeiten. Ja, doch. So schlecht geht es da einem nicht, wenn man es nüchtern betrachtet. Warum sollte man sich denn beklagen? Nööö..., das will und kann man nicht. Die nächste Lohnerhöhung gibt es ja schließlich auch schon in 2 Jahren!
Schon etwas freundlicher auf das Dunkelgrau des Tages blickend drängt sich einem doch irgendwie der Funken eines positiven Gefühles auf. Nur noch ein paar Stunden bis Feierabend und dann heim zur Familie! Wenn doch nur die Zeit schneller verginge. Doch der hoffnungsvolle Blick auf die Uhr erweist sich als fatales Eigentor. Steht diese gottverdammte, megatolle wasserdicht-bis-10-Meter!-und-noch-eine-Million-andere-Funktionen-Uhr schon wieder? Man hätte sie wohl besser nicht beim Händewaschen unter den Wasserhahn gehalten. Tja, wahrscheinlich Lochfraß oder Glaskorrosion. Die Werbung berichtet doch ständig von diesen (für die moderne Konsumgesellschaft neu erfundenen) Schattenseiten des Lebens. Jedenfalls scheint der Zeiger keine Lust zu haben, die minimale Entfernung von Sekunde 33 auf 34 zurückzulegen. Ein frustriertes Grollen aus der Magengegend wälzt sich nach oben und versucht sich in einem lauten Schreib Luft zu machen. Wie soll ich das nur bis 18 Uhr schaffen? Eher sterb´ ich!
Irgendwie schweifen die Gedanken nun doch ab. Woran hat man gerade noch gedacht? Hm, ach ja – die Familie! Ja, das ist doch was auf das man sich freuen kann. Man kommt nach ca. 100 Stunden im Büro nach Hause, wird liebevoll von seinem Partner begrüßt „Du kommst spät Schatz. Wir hätten heute bei XY um genau, jene, diese Zeit wegen dies und jenem sein müssen!“ Bevor man noch erwidern kann, dass doch noch kurz vor Feierabend ein Meeting mit der Firma Regenbogen GmbH & Co. KG angesetzt wurde. Wegen der unwichtigsten Formulierung im unwichtigsten Teil eines 30-seitigen Vertrages, versteht sich. Man selbst den Inhalt der 30 Seiten wiedergeben musste, da man ja der wichtigste Mirarbeiter am Projekt ist (aber hauptsächlich keine Ar... aus der Chefetage sich den Feierabend mit einer ar...langweiligen Sitzung verderben will). Aber egal, das zählt hier und jetzt in Front seines Partners nicht. Uuh, jetzt kommt wieder das enttäuschte Gesicht, der verletzte Ausdruck in den Augen... autsch, das tut weh!!! So schluckt man den Ärger runter und entschuldigt sich für etwas, obwohl man eigentlich an der ganzen Sache unschuldig ist. Dabei mal die Tatsache, dass man den ganzen Ärger mit der Arbeit nur für das Wohl der Familie auf sich nimmt, außer Acht gelassen, versteht sich. So akzeptiert man ergeben sein Schicksal, dass man sich dem Partner gegenüber die nächsten 2 Millionen Jahre ziemlich mies fühlt, aber man ja unendlich viel Zeit hat, dies alles tausendfach wieder gutzumachen...
Aber da ist ja noch der Nachwuchs. Ja, man sieht förmlich das Dunkelgrau ins hell scheinend, blendend, glänzend, strahlend Weiße übergehen! Das ist der Strohhalm, nachdem das Gemüt verzweifelt die letzten Minuten gesucht hat!
So etwas wie Freude macht sich im Innern breit. Ja, die Kinder! Wenn man die nicht hätte! Sie sind so lieb, süß und niedlich und erinnern einen an die schönste Zeit im Leben... oder an den rauhen Alltag in der heimischen Nachbarschaft... Wer seine Nachbarn bis zum Kleinkindalter seines Kindes nicht kennengelernt hat, der lernt diese dann –meist doch ein wenig überraschend- recht schnell kennen.
Zwar nicht auf die nette Art und Weise, aber warum sollte man sich denn beklagen, neue Bekanntschaften sind ja wohl immer willkommen. Was bedeuten schon ein paar Euro für kaputte Fensterscheiben, zertrümmerte Gartenzwerge oder kaputt getrampelte Kleingärten. Ja ja, die lieben Nachbarn. Die sind ja so erfinderisch, sei es bei der Namensgebung für den nachbarlichen Nachwuchs oder bei der Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen diese. Dabei können doch diese kleinen Unschuldslämmer nichts dafür, große Augen strahlen einem unschuldig entgegen. Wie will man da noch auf die kleinen Erdenbürger und späteren Rentenfinanzierer böse sein? Grinsend erinnert man sich zurück, was die Kinder den Heinrichs, Müllers oder Kowalskis von nebenan schon für Streiche gespielt haben und widerwillig steigt so eine Art Stolz in einem auf. War man nicht selbst so ein Satansbraten??? Und wenn man erst daran denkt, was die für schöne Sachen sie für einen basteln. Allerliebst! (Der Blick schweift an die gegenüberliegende Wand.) Wunderschöne Bilder von Außerirdischen mit 4 Armen, halbrunden Zylindern und viereckigen Dingen -unter denen allen „Mama“ oder „Papa“ gekritzelt ist- und man das Lächeln wird noch breiter. Viel breiter, als es im Büro für einen gut ist. Wenn das der Chef sieht, bekommt man den Vorsitz in der heutigen Deppenparade zugeteilt. Vertragsverhandlungen und Überstunden lassen grüßen...
Irgendwie schafft man es dann doch, die Zeit mit all diesen Gedanken bis zum Feierabend zu überbrücken. Man schleicht sich möglichst unauffällig am Büro des Chefs vorbei und...
...das Leben ist doch so schön!