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Geronimo

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08.07.2012
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Geronimo

Als die Kolonne losfuhr, geisterten im Osten erste Lichtreflexe über den Horizont. Hinter den fünf Jeeps wurden die Tore der Basis geschlossen. Kossov schaute aus dem Fenster des Geländewagens und beobachtete, wie die Morgenröte das verdorrte Land färbte. Einen Moment lang glaubte er, in der Reflexion der Fenstergläser sein Spiegelbild zu erkennen, aber das Gesicht des jungen Mannes dort schien ihm fremd. Er fühlte sich ausgehöhlt und steinalt.
Die Fahrzeuge jagten über den rissigen Asphalt eines Highways dahin, verlangsamten dann das Tempo, um in den Green Clay Creek einzuschwenken. Im trockengefallenen Flussbett nahmen sie wieder Fahrt auf und rasten, dichte Staubfahnen im Schlepp, in den anbrechenden Tag.
Kossovs Sitznachbar, ein Hüne mit rotblondem Haar und Sommersprossen, stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Erstes Mal dabei?«
Kossov nickte.
Der Mann reichte ihm die Hand und sagte: »Ich bin Redmond.«


Gegen Mittag verließ die Kolonne den Arroyo und bahnte sich ihren Weg durch eine mesquitebestandene Steppenlandschaft. Gabelhornantilopen stoben durch die flirrende Hitze, und einige der Männer ließen die Scheiben herunter, um aus den fahrenden Jeeps heraus auf die Tiere zu schießen. Kossov beobachtete, wie sich die getroffenen Antilopen in vollem Lauf überschlugen und zitternd im Sand der Steppe liegenblieben.
Am Nachmittag ließ Captain Sikes haltmachen. Die Männer standen in der Glutofenhitze, wischten sich mit den Ärmeln den Schweiß von der Stirn und starrten auf eine Karte, die Sikes entfaltet auf den Boden gelegt und mit faustgroßen Steinen beschwert hatte. Er zog das Messer aus dem Gürtelholster, deutete mit der Klingenspitze auf einen Punkt auf der Karte und sagte: »Bei dieser Position ist eine Siedlung. Könnte sein, dass wir hier unseren Mann finden.«
Kossov schob sich die Militärmütze in den Nacken und betrachtete den Captain, betrachtete sein sonderbar glattes Gesicht. Sikes trug keine Wüstentarnkleidung wie die anderen Männer, sondern eine grau verblichene Gefechtsuniform, die einmal schwarz gewesen sein mochte. Das Feldbarett tief in die Stirn gezogen, die Augen nur schmale Striche, hockte er brütend über der Karte. In seinem Oberschenkelholster glänzte der Verschluss einer schweren Fünfundvierziger.
»Iss ein altes Mexendorf«, sagte Sikes. »Vielleicht haben wir Glück.«
»Wie sieht’s mit der Bewaffnung aus, Sir?«, fragte einer der Männer.
»Den Drohnendaten zufolge nur ein MG.«
Sikes beschrieb die taktischen Gegebenheiten der Siedlung und erläuterte den Angriffsplan.
»Zwei Meilen westlich der Ortschaft beziehen wir Warteposition«, schloss er. »Dort gilt Fressehalten.«
Die Männer stiegen in ihre Fahrzeuge, und der Trupp setzte sich in Bewegung. Die Jeeps rumpelten bei langsamer Fahrt über harten, verkarsteten Boden. Sie passierten Felsklippen, die wie Skelette von Urzeittieren in der Sonne blichen.
Wieder stieß Redmond Kossov an. »Haste Gefechtserfahrung?«, fragte er, während er ein Kaugummi aus dem Silberpapier wickelte.
Kossov nickte. Für einen flüchtigen Moment roch er den Morast, roch das in der Sonne Tampas faulende Fleisch. »Ein halbes Jahr Floridadivision«, sagte er.
Redmond schnalzte mit der Zunge. Er steckte sich das Gummi in den Mund. Seine Kiefermuskeln traten kräftig hervor, während er kaute, und verliehen seinem blassen Gesicht einen gewalttätigen Zug.
»Floridadivision«, sagte er. »Gibt da ein paar gute Jungs.«
»Hatte irgendwann genug von den Sümpfen«, sagte Kossov.
Redmond lachte. »Ja, ja. Die Scheiß-Schlangen, Alligatoren, Jaguare.«
»Blutegel.«
»Blutegel. Genau.« Und nach einer Weile: »Iss aber schon ein anderer Job hier, als in der Floridadivision.«
Kossov sah Redmond erwartungsvoll an, doch der hatte den Kopf weggedreht und schaute aus dem Fenster.
»Verstehe bloß nicht, warum wir diesen Mann jagen.«
»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.«


Bis zum Morgengrauen lagen die Männer in den Schlafsäcken, dann wurden sie geweckt. Sie packten ihre Sachen, machten sich kampfbereit. In der Nacht waren zwei Späher zurückgekehrt. Kossov sah, wie sich Sikes mit ihnen beriet.
Im ersten Licht des Tages bestiegen die Männer ihre Jeeps. Pescoli, ein hoch aufgeschossener, hagerer Italiener und Scharfschütze des Trupps, war bereits eine Stunde zuvor gemeinsam mit einem Beobachter zu Fuß aufgebrochen.
In einer Staubwolke fuhren die Geländewagen der Ortschaft entgegen. Etwa eine Meile trennte sie noch von den ersten heruntergekommenen Lehmbauten, da begann das Maschinengewehr der Siedlung zu rattern. Kühlergrill und Kotflügel des Führungsfahrzeugs wurden getroffen. Der Fahrer drehte ab, fuhr eine Schlingerkurve und hielt wieder auf die Siedlung zu. Unterdessen schoss das Gewehr weiter, bis das gewaltige Krachen von Pescolis Fünfziger Büchse über die offene Ebene hallte und das MG zum Schweigen brachte.
Die Jeeps donnerten durch den Torbogen aus gestampftem Lehm, kamen auf dem Schotter der Hauptstraße knirschend zum Stehen. Die Männer stießen die Türen auf, sprangen hinaus und begannen zu feuern. Die Siedler versuchten, sich vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Schreiend stürzten sie aus ihren Häusern und wurden sogleich niedergeschossen.
Die Männer des Trupps durchkämmten das Dorf, traten Türen ein, massakrierten jeden, den sie aufstöberten, warfen Brandgranaten in Hütten und Ställe. Vangard, der Adjutant des Captains, filmte das Gemetzel mit seiner Helmkamera.
Am Marktplatz trafen sie auf Widerstand. Zwei Schützen hatten sich in der Cantina verbarrikadiert und feuerten mit langläufigen Jagdgewehren auf sie. Sikes gab Halloway, dem Grenadier, ein Zeichen. Halloway entriegelte sein M203, schob den Handgriff nach vorn und führte eine Explosivgranate ein. Er zog den Griff zurück, verriegelte wieder, zielte und schoss. Mit eigenartigem Ploppen verließ die Granate das Rohr und eine Detonation fegte über den Marktplatz. Glas klirrte, Holzsplitter hagelten herab. Eine graue Wolke aus Trümmerstaub hing eine Weile in Luft. Als sie sich schließlich legte, gab sie den Blick auf ein schwelendes Loch frei, das in der Frontseite des Lokals klaffte. Redmond und zwei andere Männer stürmten durch das Loch in der Mauer. Schüsse knallten, kurz darauf hörte man von drinnen den Ruf: »Gebäude gesichert!«
Nachdem alle Bewohner getötet waren, ging Sikes mit seinem Adjutanten und zwei Männern Ordonanz durch die Ortschaft. Vangard filmte die Gesichter der Toten.
»Scheiße«, sagte Sikes. Sein schmales Gesicht, wirkte in diesem Moment so glatt und hart wie Marmor. »Der Bastard ist nicht dabei.«
»Ein Loch weniger, in dem er sich verkriechen kann«, erwiderte Vangard und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem fetten Nacken.
Kossov schaltete den Rotpunkt des Reflexvisiers ab. Eine eigentümliche Schwere lastete auf seiner Brust. Er lockerte sein Halstuch, setzte sich in den Schatten einer Lehmhütte und schloss die Augen. Schloss die Augen und sah die Vögel, die im grauen Himmel über Boston schwebten, sah ihre Schatten auf dem Wasser des Charles Rivers, an dessen schlammigen Ufern Leichen die Luft verpesteten.
Kossov öffnete die Augen. Einen Moment lang starrte er ins Leere, dann begann er die Magazine seines Sturmgewehrs aufzumunitionieren. Nachdem er die Waffe mit einem frischen Magazin geladen hatte, stellte er das Gewehr an die Hauswand und drehte sich eine Zigarette. Um ihn her lagen die Toten in den Straßen, schon kreisten Truthahngeier im gleißenden Licht der Sonne. Kossov fischte das Sturmfeuerzeug aus seiner Jackentasche, entzündete die Zigarette und sah hinüber zu Redmond, der sich ein paar Meter entfernt neben die Leiche einer jungen Frau gehockt hatte und nun den Rucksack absetzte. Er zog sein Messer, packte den Kopf der Frau bei den Haaren, schnitt im Kreis um den Schädel und zog den Skalp ab. Die Kopfhaut stopfte er in das Deckelfach seines Kampfrucksacks. Er wischte das Messer am Ärmel ab, steckte es weg, erhob sich und schulterte sein Gepäck. Hinter ihm hing das lange, stumpfe Haar wie eine schwarze Kommandoflagge schlaff herab.
»Kommt mir vor«, sagte Kossov, »als wären das normale Leute gewesen.«
Redmond hielt inne, ließ den Blick über das zerstörte Dorf schweifen. Schwarze Rauchsäulen stiegen in den wolkenlosen Himmel. »Kann sein«, sagte er. »Kann auch sein, dass sie zum Feind gehörten.«


Abends schlugen sie ihr Lager in der Steppe auf. Pescoli hatte am Nachmittag zwei Gabelböcke geschossen, jetzt briet das Fleisch etwas abseits auf mehrere Stecken verteilt über dem Glutbett eines niedergebrannten Kochfeuers. In der Mitte des Lagers wurde ein weiteres Feuer entfacht. Halloway hackte den herangeschleiften Ast eines Papelillobaumes mit einem riesigen Bowiemesser in Stücke und warf die Scheite in die Flammen. Schwarz vor dem rötlich flackernden Hintergrund bewegte sich seine massige Gestalt wie in einem Scherenschnitttheater.
Kossov saß vor seinem Zelt. Er hatte seine Waffen gereinigt und geölt. Das AK-Sturmgewehr lag auf seinen Oberschenkeln, die Pistole im Kaliber neun Millimeter steckte im Gürtelholster. Er verstaute das Waffenputzzeug in einem zusammenrollbaren Lederetui. Kaum einer der Männer um ihn her sprach ein Wort. Einige dösten in den Zelten, andere hantierten mit ihren Waffen, ein Mechaniker ersetzte die Scheinwerfer des beschädigten Jeeps.
Redmond näherte sich, blieb stehen und nickte.
»Meine Freundin versteht’s nicht«, sagte er. »Für solche Momente liebe ich den Job.«
Kossov sah zu ihm auf, erwiderte aber nichts.
»Leute, die nicht im Krieg waren, können’s nicht begreifen. In einem Augenblick - diese Anspannung, die dir’s Arschwasser kochen lässt und dann …« Er hob die Hand und deutete auf die rötlich schimmernde Ebene. Er lachte und entblößte dabei die kräftigen Zähne.
Nachdem die Sonne hinter dem Westrand der Welt versunken war, saßen die Männer am Feuer. Über dem Trupp spannte sich die ungeheure Weite der Prärienacht mit ihren Tausenden von Sternen.
Sikes sagte: »Wir haben zweiundvierzig erledigt. Acht Männer, sechszehn Frauen, achtzehn Alte und Kinder.«
Einige Männer brummten zustimmend.
»Iss ein Erfolg«, sagte Sikes. Er las einen Zweig auf und warf ihn in die Flammen. »Auch wenn unser Mann nicht dabei war.«
Kossov betrachtete das vom Feuerschein halbbeleuchtete Gesicht des Captains, die abgezehrten Züge, die bleichen Lippen.
»Der kann sich nicht ewig verstecken, Sir«, sagte Halloway.
»Die Zeit läuft aber für ihn«, erwiderte der Captain. »Der Kerl iss ein Virus, eine Seuche. Der steckt jeden Tag mehr Leute an mit seinen Ideen.«
Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schüttelte er den Kopf und gab zwei Männern das Zeichen, mit dem Verteilen des gebratenen Wildbrets zu beginnen.


Zwei Tage lang fuhren sie durch die Steppe. Abends stellten sie ihre Zelte auf und campierten in der Nachbarschaft von Katzenfretten und Präriewölfen. Am Morgen des dritten Tages wurden sie vom Gewehrfeuer der Wachposten aus dem Schlaf gerissen. Kossov kletterte benommen aus dem Halbkugelzelt. Im Dämmer des Morgengrauens rauschten zwei Raketen mit leuchtendem Schweif auf das Lager zu. Kossov warf sich zu Boden. Die erste Explosion schleuderte eine Wagenladung Sand empor und begrub zwei Männer darunter. Die zweite Rakete krachte in einen der Jeeps. Das Fahrzeug machte einen Satz, zerbarst mit ohrenbetäubendem Getöse und ging in Flammen auf. Die Panzerplatten der Seitenarmierungen segelten durch die Luft.
Vielfaches Bellen von Sturmgewehren setzte ein. Sikes brüllte Befehle. Die Männer des Trupps formierten sich, feuerten in Richtung Westen. Als die Sonne aufging, war der Feind fort und der Kampf vorbei.
»Nur ein Einschüchterungsversuch«, sagte Sikes und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Wahrscheinlich eine Aufklärungseinheit. Nicht mehr als drei, vier Mann.«
»Wusste nicht, dass die jetzt Raketenwerfer haben, Sir«, bemerkte sein Adjutant.
Sikes nickte. »Ja. Der Feind rüstet auf.«
Kossov schulterte sein Gewehr und stand eine Weile wie erstarrt. Dann drehte er sich um und marschierte los. »Was iss mit dir, Kossov?«, rief ihm Halloway hinterher. Kossov hielt inne, ging auf die Knie und erbrach sich. Er kotzte, bis seine Halsmuskeln vor Anstrengung zitterten.
Gegen Mittag zogen sie weiter. Sie hatten zwei Männer verloren, zwei weitere waren verletzt. Das getroffene Fahrzeug war vollkommen ausgebrannt. Die Kolonne nahm Kurs in Richtung Südwest, das Brummen der Dieselmotoren tönte durch die Stille und Weite des öden Landes.
»Er wird’s wieder in den Bergen versuchen«, sagte Redmond. Kossovs Blick ruhte auf der vorbeigleitenden Landschaft mit ihren Salbeisträuchern und Feigenkakteen.
»Hm.«
»Geronimo liebt die Berge, deshalb wird Sikes ihn da suchen.«
»Geronimo?«
»Yep, so nennen ihn seine Leute.«


Eine Woche nach ihrem Aufbruch in der Basis erreichten sie das Red Falls Camp am Fuß der Kordilleren, deren schartige Grate sich scharf gegen den abendlichen Himmel absetzten. Ein Corporal empfing sie in der Dämmerung, grüßte nachlässig und zeigte ihnen die Unterkünfte. Die Männer holten ihr Gepäck aus den Fahrzeugen und richteten sich in zwei Blockhütten des Lagers für die Übernachtung ein. Man versorgte die beiden Verwundeten, es gab ein karges Abendmahl. Einige aus dem Trupp spielten Poker mit den Männern der Wachmannschaft.
Am nächsten Morgen stand Kossov am Korral des Camps und beobachtete, wie Sikes und sein Adjutant die Pferde inspizierten.
»Gute Quarterhorses«, sagte Vangard. Er überragte den Captain um einen halben Kopf und hatte eine kräftigere Statur.
Sikes stand bei einem Fuchs, strich über Widerrist, Rücken und Kruppe des Pferdes. »Sind sie ausgeruht?«, fragte er.
Vangard nickte. »Ja, Sir. Die Ranger sind vor drei Tagen mit ihnen aus dem Einsatz zurückgekommen. Die hatten genug Zeit, sich zu erholen.«
»Sie müssen es bis zum Pass schaffen.«
»Das wird schon, Sir. Kein Problem.«
»Ich denke, unser Mann treibt sich in einem der Hochland-Pueblos rum.«
»Wär nicht das erste Mal, Sir.«


Einen Tag und eine Nacht lang ruhten sie im Camp aus, dann schickte Sikes die Fahrer mit den Jeeps und den beiden Verletzten zum weiter südlich gelegenen Stützpunkt Backwood. Er ließ die Pferde satteln, und in der Morgendämmerung brach der Trupp in die Berge auf, ein Dutzend Reiter und drei Saumtiere.
Während des Aufstiegs wurde kaum gesprochen. Zu hören war nur das Knarzen des Lederzeugs und das leise Klirren von Metall. Die Pferde gingen sicher auf den schmalen Pfaden, nur ein einziges Mal blieb eines abrupt stehen, warf den Kopf und rollte mit den Augen. Pescoli, der das Pferd ritt, strich mit seiner knochigen, harten Hand über den Hals des Rappen und redete beruhigend auf das Tier ein. »War nur ‘ne Kettennatter im Gebüsch«, sagte er. »Hat mehr Schiss vor dir, als umgekehrt.«
Sie gelangten auf eine felsige Mesa, Sikes ließ die Männer absitzen. Sie legten den Pferden Fußfesseln an und vesperten im Schatten eines Palo Verde-Baums.
»Dass wir jetzt im ganzen Land Bürgerkrieg haben«, sagte Sikes, nachdem er eine Weizentortilla gegessen hatte, »ist die Konsequenz aus jahrelangen Versäumnissen.«
Er zog eine Packung Marlboro aus seinem Rucksack und klopfte eine einzelne Zigarette heraus. Vangard gab dem Captain Feuer.
»Versäumnisse der Scheiß-Liberalen, Sir«, sagte Halloway und streckte den Rücken. Das ockerfarbene Uniformhemd spannte sich über seinem dicken Bauch. »Würde gern wissen, wie’s den Friedensengeln jetzt so geht. In der neuen Welt.«
Einige Männer nickten.
Sikes erhob sich, machte ein paar Schritte und schaute vom Plateau in die Weite der Prärie unter ihnen. »Glaube nicht, dass es so einfach iss«, sagte er und wirkte plötzlich wie verloren in einer Welt, die ihm ein Rätsel war. »Klar, die Idioten in Washington haben es nicht kommen sehen. Aber auch wir anderen waren blind.«
Er wandte sich wieder seinen Männern zu, nahm einen Zug und blies den Rauch durch die Nase aus. Er hob die Hand und wies mit dem Finger in unbestimmte Ferne. »Wie in Europa haben wir den Fehler gemacht, dem Status quo zu trauen. Dachten, wir könnten’s uns bequem machen. Und jetzt haben wir die Scheiße.«
»Europa«, sagte einer der Männer verächtlich. »Keine Ahnung, was da drüben los ist.«
Der Captain blickte ungehalten zu ihm herüber. »Was da los ist?«, sagte er. »Am Arsch sind die. Völlig am Arsch.«


Während des Nachmittags führte Sikes den Trupp über die Mesa und dann auf felsigen Wegen weiter westwärts durch die Berge. Tannen, Kiefern und Eichen säumten die schmalen Pfade. Über den Männern schwebten Rabengeier in der dünnen Luft. Kossov hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, er ritt mit quergelegtem Unterschenkel, halb seitlich im Sattel sitzend, da riss ihn ein Pfiff vom Ende der Reiterkolonne her aus den Gedanken. Die Männer zogen ihre Waffen und wendeten, einige sprangen von den Pferden und suchten Deckung. Auf ein Zeichen von Sikes hin liefen Halloway und ein weiterer Mann, die Gewehre im Anschlag, am Trupp vorbei den Weg zurück. Kossov war neben seinem Pferd in die Hocke gegangen. Er hielt sein AK-Sturmgewehr umklammert, der Zeigefinger der rechten Hand ruhte auf dem Sicherungshebel. Minuten vergingen. Ein Schwarm Zwergkleiber lärmte in den Tannenzweigen. Irgendwo im Dickicht des Bergwaldes ging Geröll zu Tal. Kurz darauf kehrte Halloway zurück. Kossov hörte, wie er Sikes meldete, dass der letzte Mann des Trupps aus dem Sattel geschossen worden war. »Ein Pfeil, fast so dick wie’n Besenstil«, sagte Halloway. »Direkt durch den Hals.«
Sikes nickte. Er ließ ein paar Männer die Gegend absuchen, aber alle wussten, dass das zwecklos war. »Nehmt seine Waffen und die Ausrüstung«, sagte der Captain. »Wie müssen weiter.« Das Pferd des Toten wurde an den Packsattel eines Saumtieres gebunden, dann setzte der Trupp seinen Weg fort.
Gegen Abend erreichten sie einen breiten Canyon, dessen Felsenwände blutrot in der tief stehenden Sonne glühten. Sikes ließ absitzen und das Lager errichten.
Pescoli und ein weiterer Mann zogen los, um ein paar Bergziegen zu schießen. Nachdem Vangard zwei Späher angewiesen hatte, die Umgebung aufzuklären, wandte er sich an Kossov und Redmond. »Die Pferde müssen abgerieben werden«, sagte er. »Auch mal schauen, ob die Hufe okay sind. Manchmal gibt’s Verletzungen an Ballen, Krone oder Nagel.«
Während Kossov mit einem groben Tuch den in der Abendkühle dampfenden Leib eines Falben abrieb, sagte er zu Redmond: »Ich glaub, mein Arsch iss durchgeritten. Würd mich nicht wundern, wenn es schon bis zum Knochen durchgescheuert iss.«
Redmond lachte. »Ja, das kenn ich. Du musst dir morgen die Hosen auspolstern, sonst beginnt es zu bluten, und dann fängt der Spaß erst richtig an.«
Später saßen sie am Feuer und reinigten ihre Waffen.
»Der Scheißstaub kriecht in jede Ritze«, sagte Redmond und klopfte das Gewehrmagazin gegen seinen Oberschenkel.
Kossov nickte. »Hatte in Tampa mal ‘ne Störung mitten im Gefecht«, sagte er. »Hatte vergessen, die Waffe zu sichern. Dreck kam ins Gehäuse und irgendwann ging nix mehr.«
»Wieso kämpfst du eigentlich mit dem da?«, fragte Redmond und betrachtete die Kalaschnikow.
Kossov hielt inne. »Iss so’ne Familiengeschichte«, sagte er.
»Ach ja?«
»Bevor mein Vater nach Amerika kam, hat er drüben in Georgien gekämpft. Hat die Russen gehasst, aber gemeint, dass die AK das beste Gewehr der Welt iss.«
»Hm.«
»Naja, und als ich zu den Regierungstruppen ging, konnte man sich die Waffen aussuchen. Also, daher …«
»Iss bloß Scheiße, wenn dir die Mun ausgeht«, sagte Redmond. »Glaube nicht, dass hier sonst noch jemand in dem Kaliber schießt.«


In dieser Nacht fand Kossov keine Ruhe. Er wälzte sich im Schlafsack hin und her. Gegen zwei Uhr gab er es auf und verließ das Zelt. Er schritt durch das Lager, hockte sich ans Feuer und hielt seine Hände in die aufsteigende Hitze. Halloway, der auf Wachpatrouille unterwegs war, näherte sich und blieb stehen.
»Böse Träume?«, sagte er.
Kossov nickte. »War selten, in letzter Zeit. Aber ab und zu iss nix mit Schlafen.«
Halloway spuckte ins Feuer. »Tja«, sagte er, »bei mir iss es Manhattan.« Er zuckte die Schultern, ließ den Blick über das im Flackerschein zitternde Lager schweifen. »Ich sehe die Häuserschluchten, alles schwarz. Qualm und Asche. Die verkohlten Leichen in den Straßen.« Er scharrte mit dem Stiefel. »Die Washington Bridge iss zusammengekracht, der Harlem River steht in Flammen.«
»Warst du dort?«
Halloway kratzte sich am Kopf und nickte. »Am Tag danach. Hab meine Schwester gesucht.«
Eine Weile sagte niemand etwas.
»Ich werd das nicht vergessen«, fuhr Halloway schließlich mit belegter Stimme fort und schluckte. »Wie lang iss das jetzt her? Vier Jahre?«
»Fünf«, erwiderte Kossov.
»Fünf Jahre«, wiederholte Halloway. »Ich werd’s nicht vergessen, bis zu meinem Tod nicht.«
Kossov erhob sich. »Ich hab mich kurz nach den Angriffen auf den Weg gemacht«, sagte er. »Zu Fuß, die ganze Ostküste runter, von Boston bis nach Jacksonville.«
»Scheiße«, sagte Halloway.
»Wenn du ein paar Monate lang nur Trümmer siehst, das macht dich fertig. Nur Asche, Rauch … Bis Richmond gab’s nichts mehr. Kein Haus. Keinen Baum, keinen Grashalm. Das ganze Land verbrannt.«
Ein Kojote heulte in der Nähe, die beiden Männer hoben die Köpfe und lauschten. Dann verstummte das Tier, und das Lager sank zurück in die nächtliche Stille.
»Tja, ich hatte Glück«, sagte Halloway. »Bin mit einem Militärkonvoi rausgekommen. Wir haben auch ‘ne Menge Scheiße gesehen. Aber zumindest mussten wir nicht zu Fuß da durch.«
Eine Weile sprach keiner der beiden ein Wort. Halloway nickte, machte einen Schritt und wollte seine Patrouille fortsetzen.
»Dieser Mann, den Sikes sucht«, sagte Kossov. »Was iss so besonders an dem?«
Halloway hielt inne und rieb sich das Kinn.
»Der Typ hat in der Gegend ‘ne Menge Aufruhr verursacht, so viel steht mal fest.«
»Führt er die Milizen hier?«
»Nee, der iss nur ein Bandenboss wie viele andere auch. Aber er hat’s ein paar Mal geschafft, verschiedene Gruppen zu verbünden. Hat unseren Leuten ganz schön eingeheizt.«


Drei Tage später meldeten die Späher, dass sie ein Hochland-Pueblo entdeckt hätten.
»Nicht mehr als zwei Dutzend Bewohner«, sagte Ten, einer der Aufklärer. Der Kirgise leckte über die rauen Lippen und fuhr fort: »Wahrscheinlich Vertriebene aus dem Norden und Osten, ein paar Mexen dabei. Haben sich in einer verlassenen Siedlung eingenistet, einen Brunnen instandgesetzt. Bauen Mais und Kartoffeln an.«
»Bewaffnet?«
Ten schüttelte den Kopf.
Als sich die Morgensonne im Osten über die gezackten Bergkämme schob, saßen die Männer des Trupps auf ihren Pferden und warteten auf den Befehl ihres Captains. Sikes wollte, dass sie Munition sparten. »Nur schießen, wenn’s nicht anders geht«, sagte er. »Und erst recht kein Dauerfeuer.« An den Sätteln hingen Fichtenholzknüppel und aus Flusssteinen und Rohleder gefertigte Totschläger.
Ein Pfiff, der von den gegenüberliegenden Hängen widerhallte, und die Meute jagte los. Der Ritt über das felsige Plateau dauerte nicht lange. In gestrecktem Galopp fielen die Reiter über die Siedlung her. Sie stürmten durch das Dorf, warfen Brandgranaten, trieben die Bewohner aus ihren Hütten. Sie wendeten, ergriffen die Handwaffen und knüppelten die Siedler nieder. Einige Kinder und Frauen schrien, die Männer des Pueblos flohen in stummer Panik oder versuchten, sich mit Schaufeln, Hacken und anderen Landgeräten zur Wehr zu setzen. Pescoli erschoss in schneller Folge ein paar von ihnen. Er hockte irgendwo in den Felsen weiter westlich und feuerte mit einem Remington Scharfschützengewehr.
Kossov spürte trotz ausgepolsterter Hosen einen schmerzhaften Aufprall, als sein Pferd über eine niedrige Steinmauer in der Dorfmitte setzte. Er hörte einen Aufschrei, brachte seinen Schecken zum Stehen und sah, wie sich Vangard im Sattel hochstemmte und den Totschläger gegen einen alten Mann schwang. Der Greis hatte zum Schutz die Arme gehoben, aber der Steinschläger riss ihm die Hände zur Seite und zerschmetterte das Stirnbein des Mannes. Hirnmasse und Blut klatschten hinter dem Alten gegen die ausgetrocknete Wand einer Lehmhütte.
Kossov glitt vom Pferd. Eine Machete in der Hand marschierte er durch die Siedlung. Überall lagen Schwerverletzte und Tote in ihrem Blut. Er sah Halloway, der ein junges Mädchen an der Kehle gepackt hatte und gegen eine Stallwand presste. Die Kleine war kaum älter als fünfzehn Jahre, aber sie kämpfte mit der Wut eines Berserkers, schlug und trat nach dem Grenadier. Kossov hatte nicht gesehen, woher sie so plötzlich ein Messer gezogen hatte, vielleicht aus dem Stiefel. Mit schnellem Schwung zog sie Klinge durch die Luft und schnitt Halloway quer durchs Gesicht. Er schrie auf, taumelte zurück und presste die Hände gegen den Kopf. Erikson, ein Corporal, der die ganze Zeit zugeschaut hatte, versetzte dem Mädchen einen Kniestoß in den Bauch. Die Kleine sank keuchend zu Boden, Erikson trat gegen ihren Arm, stieß ihr das Messer aus der Hand. Er griff ihr Leinengewand, riss es ihr vom Leib, und einen Moment lang sah es so aus, als würde er gleich hier über das Mädchen herfallen. Doch er schaute noch einmal zurück. Wie in Trance blickte er herüber zu Kossov. Er bückte sich, packte die Kleine an ihrem langen, schwarzen Haar und zerrte sie, am Boden hinter sich her schleifend, in den Stall.
Überall im Dorf vergewaltigen die Männer jetzt Frauen und Mädchen, einige der Siedlerinnen waren bereits halbtot von Knüppelschlägen. Es gab keine Schreie mehr. Nur hin und wieder hörte man einen der Soldaten ächzen. Kossov stand etwas abseits im Schatten eines Felsenüberhangs und rauchte. Er beobachtete, wie der Grenadier von Lapin, dem Sanitäter des Trupps, versorgt wurde. Lapin desinfizierte die Schnittwunde in Halloways Gesicht und lachte. »Da wird ein schönes Andenken zurückbleiben«, sagte er. Halloway fluchte.
Kossov schreckte auf, als ein schwerverletzter Mann, der von hinten an ihn herangekrochen war, seinen Stiefel packte. Kossov machte einen Schritt zur Seite und zog die Pistole. Er sah hinab auf den Verwundeten, ein Mann mittleren Alters, Blut rann über das ganze Gesicht, vermutlich hatte ihn ein Totschläger am Kopf getroffen. Der Fremde blickte zu ihm auf und hob flehend die nach oben gedrehte Hand. Kossov wusste, was er wollte. Er wandte sich ab, doch der Mann stöhnte auf und sagte: »Bitte, überlass mich nicht … den Kojoten.«
Kossov drehte sich um. Einen Augenblick stand er stumm da, dann hob er die Pistole. Das Krachen des Schusses zerriss die Stille, sein Echo geisterte eine Weile über dem Dorf.
Zwei Stunden später waren sie bereit zum Aufbruch. Die Männer saßen auf ihren Pferden. Ihre Blicke richteten sich auf Captain Sikes, der seinen nervös tänzelnden Fuchs zügelte. Hinter ihm, im Halbrund auf Stöcke gespießt, die abgeschlagenen Köpfe der Siedler. Kossov erkannte das Gesicht des Mädchens wieder, das Halloway mit dem Messer verletzt hatte. Ihre Züge waren in einem Ausdruck des Schmerzes erstarrt, die blicklosen Augen fixierten einen Punkt im Blau des Himmels.
»Auch wenn wir den Mann, den wir suchen, noch nicht gefunden haben«, sagte Sikes mit rauer Stimme, »wissen wir, dass wir letztlich Erfolg haben werden.« Er hob die Hand und wies auf das zerstörte Dorf. »Diejenigen, die sich gegen uns stellen, werden hinweggefegt. Diese Siedler hatten die Wahl. Sie hätten ein Leben in den kontrollierten Gebieten führen können, unter der Obhut unserer Regierung und unserer Truppen.« Er ließ den Arm fallen. »Doch sie wählten die Sache des Feindes. Sie wählten den Tod.« Er warf einen letzten Blick auf die Siedlung, dann riss er den Kopf seines Pferdes herum und gab dem Fuchs die Hacken.


Kossov salutierte. »Sie wollten mich sprechen, Sir.«
Der Captain war in den Anblick der Prärie im Osten versunken. Sie standen etwas abseits des Lagers am Rande einer mit Wacholdergestrüpp bewachsenen Mesa. Schon kroch der Schatten der Berge über die Ebene. Sikes drehte sich um, und einen Moment lang sah es so aus, als wisse er nicht was Kossov von ihm wolle. Doch dann sagte er: »Oh. Ja, danke, Soldat. Stehen Sie bequem.«
Er zog ein Päckchen Marlboro aus der Brusttasche seiner Uniformjacke und klopfte eine Zigarette heraus. Er reichte Kossov das Päckchen. »Bitte, bedienen Sie sich.« Kurz darauf standen sie nebeneinander, betrachteten das Farbenspiel über der Steppe und rauchten.
»Normalerweise schert es mich nicht, was die Soldaten unter meinem Kommando von meiner Vorgehensweise halten«, sagte Sikes schließlich. Noch immer schaute er auf die in rötlichem Licht flimmernde Landschaft.
»Aber das hier ist eine heikle Mission«, fuhr Sikes fort. »Ich muss mich auf jeden meiner Männer verlassen können. Das verstehen Sie sicher.«
»Jawohl, Sir.«
Sikes nahm einen Zug, hielt ihn lange in der Lunge und blies den Rauch dann langsam aus. »Ich habe den Eindruck, dass Sie meine Methoden missbilligen. Stimmt das?«
Kossov trat von einem Fuß auf den anderen. »Sir, ich…«
Der Captain hob die Hand. »Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht mit dem Herzen bei der Sache sind. Ich könnte zum Beispiel nicht einmal sagen, ob Sie gestern im Dorf auch nur einen Feind getötet haben.«
»Das habe ich, Sir.«
»Gut. Lassen Sie mich Ihnen etwas klarmachen.« Der Captain deutete mit einer schweifenden Geste auf die Prärie. »Dieses Land will unseren Tod. Jeder Tag hier draußen kann dich auf tausend verschiedene Arten umbringen. Du kannst von einem Skorpion erledigt werden, von einer Schlange, einem Berglöwen. Ich habe Männer verloren, die von Bären oder von Wölfen zerrissen wurden oder hier in den Bergen in einen Abgrund stürzten. Und dann die Kämpfe mit den illegalen Siedlern. Mit den Milizen. Mit diesem Mann, der sich Geronimo nennt.«
Kossov nickte.
»Diese Welt will unseren Tod, Soldat«, wiederholte Sikes. »Die Natur des Universums ist der Kampf, der Krieg. Und vor fünf Jahren bin ich endlich aufgewacht und habe das verstanden.«
»Sir, wir haben Zivilisten getötet.«
Sikes schüttelte den Kopf. »Nein, Soldat. Sie begreifen es immer noch nicht. Es gibt keine Zivilisten mehr. Diese Leute unterstützen die Milizen. Sie unterstützen Geronimo.«
»Das wissen wir nicht genau. Oder, Sir?«
»Es spielt keine Rolle«, beharrte Sikes. »Ob es nun dieses Dorf war oder ein anderes. Tatsache ist, dass die illegalen Siedlungen die Milizen versorgen, ihnen Unterschlupf gewähren. Wir können uns den Luxus feiner Unterscheidungen nicht mehr leisten. Es heißt jetzt, die oder wir.«
Eine Weile sprach niemand ein Wort.
»Ich habe aus meinen Irrtümern der Vergangenheit gelernt«, sagte Sikes schließlich düster. »Es war falsch, den Friedenspropheten Glauben zu schenken. Tragisch, dass wir das jetzt erst erkennen.«
»Und die Skalps, Sir, die einige Männer als Trophäen nehmen? Die abgeschlagen Köpfe, die Vergewaltigungen?«
Sikes ließ seine Zigarette fallen und trat sie mit dem Stiefel aus. »Zivilisiertes Verhalten ist die Folge zivilisierter Verhältnisse«, sagte er. »All diese Männer hier sind traumatisiert. Für die meisten gibt es keinen Weg zurück. Ich lasse sie tun, was immer sie wollen, solange ich mich im Kampf auf sie verlassen kann.«
Er wandte sich Kossov zu. »Womit wir wieder bei Ihnen wären, Soldat. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
Kossov trat seine Kippe aus und schaute den Captain an.


Am Morgen des nächsten Tages durchquerte der Trupp ein Tal, das dicht mit Drehkiefern und Ginsterbüschen bewachsen war. Einige der Männer schauten sich nervös nach allen Seiten um.
»Ideales Gelände für einen Hinterhalt«, sagte Redmond, der neben Kossov ritt.
Sie gelangten an einen Wildbach, und Sikes ließ anhalten. Die Männer starrten auf das Wasser. Schäumend rauschte es dahin, glitzerte über die glattgeschliffenen Steine. Die Pferde blähten die Nüstern und warfen die Köpfe.
»Die Pferde tränken«, rief Sikes seinen Leuten zu. »Danach überqueren wir den Bach.« Er teilte vier Mann zur Sicherung ein und war der erste, der sein Pferd ins Wasser trieb. Zwanzig Minuten später hatten alle Männer des Trupps das andere Ufer erreicht. Einige von ihnen hockten am Wasser, um ihre Feldflaschen zu füllen, als ein gefiederter Speer durch die Luft zischte und den Fuchs des Captains, direkt vor Sikes Knie, in die Seite traf. Das Pferd schrie, aus Maul und Nüstern tropfte Blut. Der Captain wollte abspringen, doch sein Stiefel verhakte sich im Steigbügel, und das stürzende Pferd riss ihn mit sich zu Boden.
Feuer aus automatischen Waffen setzte ein. Das Krachen der Schüsse übertönte das Rauschen des Wassers. Ein Gruppe von archaischen Reitern, Männer und Frauen in sonderbarem Kriegsputz, brach aus dem Kieferndickicht, etwa fünfzig Schritte von Sikes Trupp entfernt. Die Fremden hatten ihre Mustangs mit Symbolen bemalt - Sonnen, Blitze, Totenschädel.
Kossov glitt aus dem Sattel und warf sich hinter einen Felsbrocken in der Nähe des Ufers. Er entsicherte seine Waffe. Redmond kam heran geprescht, sprang vom Pferd und ging neben Kossov in Deckung. »Geronimos Leute«, keuchte er.
Die fremden Krieger fielen über Sikes und seine Männer her. Einige feuerten mit Sturmgewehren, andere gingen mit Äxten und Knüppeln direkt in den Nahkampf. Die meisten von ihnen waren halbnackt. Ein am ganzen Körper weiß bemalter Hüne hatte nicht mehr am Leib, als ein Paar zerfetzter Stiefel. Kossov sah, wie er Pescolis Rappen mit seinem Mustang rammte, den Scharfschützen vom Pferd stieß und ihm mit einem Totschläger den Schädel zertrümmerte. Er reckte die Arme in die Luft, bleckte die Zähne und brach in heiseres Gebrüll aus. Kossov streckte ihn mit einer Salve seines AK-Gewehrs nieder.
Vangard zog den Captain hoch und schleppte ihn zu einer Baumgruppe, wo sich bereits Lapin und Ten in Sicherheit gebracht hatten. Ein barfüßiger Mann in Bluejeans setzte dem Adjutanten Tomahawk schwingend hinterher, sein Gesicht war von einem blutbespritzten Brautschleier verhüllt. Halloway, schräg im Sattel seines scheuenden Pferdes sitzend, tötete ihn mit vier oder fünf Schüssen in den Rücken. Der Grenadier wendete sein Pferd, hob die Waffe und schoss auf die Angreifer, bis das Magazin seines Gewehrs leer war. Er ließ es fallen und griff nach der Pistole in seinem Gürtelholster, als er mit einem Ruck von seinem Pferd gerissen wurde. Die Kriegerin, die das Lasso geworfen hatte, trug schwarze Reithosen und ein Baseballcap, ihre nackten Brüste waren rot bemalt, ihr Gesicht mit weißer Asche gefärbt. Die Schlinge ihres Lassos schnürte Halloway die Kehle zu, die Kriegerin gab ihrem Pferd die Hacken und schleifte den Grenadier hinter sich über den Kies des Ufers.
Kurz darauf war der Kampf vorbei. Die fremden Krieger zogen sich zurück, sie wendeten ihre Pferde und verschwanden im Buschland. Es war, als würden sie vom Grün der Mesquitesträucher verschluckt.
Sikes rief zum Sammeln. Der Trupp hatte drei Männer verloren, es gab zwei Verwundete, und von Halloway fehlte jede Spur. Drei Pferde waren tot, zwei weitere mussten erschossen werden.
»Wir setzen uns nach Westen ab«, sagte der Captain, benommen vom Schmerz seines zerschmetterten Beins. »Wenn sie uns hier noch einmal erwischen, ist es vorbei.«


An diesem Abend errichteten sie ihr Lager im Schutz einer Felswand, die sich über ihnen dreißig oder vierzig Meter steil in den dunkelnden Himmel erhob. Lapin hatte Eriksons Wunde, einen Oberarmdurchschuss, versorgt und das gebrochene Bein des Captains geschient. Aus Furcht vor Geronimos Kriegern wagten sie nicht, Feuer zu machen. Im fahlen Licht des östlich emporsteigenden Mondes saßen sie beieinander, kauten Trockenfleisch und tranken aus ihren Feldflaschen.
Kossov schaute in die Runde, schaute in die grauen Gesichter. Einige von ihnen schienen um Jahre gealtert. Die Augen des Captains lagen glasig in tiefen Höhlen, eigentümlich spitz ragten Nase und Kinn hervor. Auch Erikson und Redmond wirkten schwer angeschlagen. Apathisch lehnten sie an der Felswand, starrten auf ihre Stiefelspitzen.
Lapin nahm einen Schluck Wasser, wischte sich mit dem Jackenärmel über den Mund und sagte an Vangard gewandt: »Wenn sie uns in dieser Nacht nicht angreifen, haben wir eine Chance.«
Vangard reagierte zunächst nicht, schien dann aus tiefem Nachdenken zu erwachen und nickte.
»Der Captain steht unter Schock«, fuhr der Sanitäter fort. »Unterschenkelknochen und Knie sind zertrümmert. Ich habe ihm Morphin gegeben. Er wird´s schaffen, aber Sie müssen das Kommando übernehmen.«
»Ich weiß«, sagte Vangard.
»Okay, Lieutenant«, sagte Ten. »Wie iss der Plan?«
Vangard sprach leise, so leise, dass Kossov ihn kaum verstehen konnte, obwohl er nur drei Meter entfernt saß. »Wir versuchen es mit Zwei-Stunden-Wachen. Erst Kossov, Lapin und Redmond, dann Ten und ich. Vielleicht schaffen wir es so bis zum Morgengrauen.«
»Ich kann mitmachen«, schaltete sich Erikson ein, doch Vangard schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass Sie morgen von Pferd fallen«, sagte er. »Das wird unsere einzige Chance, ein anstrengender Ritt. Ruhen Sie sich aus.«


Den Blick auf den Horizont gerichtet, lief Kossov über eine hell schimmernde Ebene dem Meer entgegen. Er rannte im Takt seines Herzschlags, bumm, bumm, bumm. Er bemerkte, dass er vollkommen nackt war. Er spürte einen Luftzug auf der Haut und er fühlte die Härte des Bodens unter seinen Füßen. Am Rande seines Sichtfeldes tauchte ein Wolf auf. Das Tier strebte wie er selbst dem Meer entgegen. Kossov drehte den Kopf. Mit langen Sätzen jagte der Wolf dahin, die rote Zunge flatterte wie ein Wimpel im Wind. Die bernsteinfarbenen Augen mit festem Blick auf das Meer gerichtet, hetzte der Wolf über die Ebene, und jetzt erschienen weitere Tiere: Ein Adler stürzte aus wolkenlosem Himmel herab, glitt zwischen Kossov und dem Wolf durch die schimmernde Weite. Ein Panther sprang von der anderen Seite dazu, auch er in wildem Spurt hin zum Meer. Sein pechschwarzes Fell glänzte in der Sonne. Marder, Rehe und Füchse kamen dazu, und viele weitere Tiere, deren Namen Kossov kaum kannte. Wie in einem Wettlauf auf Leben und Tod hielten sie auf das blaue Band zu, das sich glitzernd am Horizont entlang zog. Ein Rütteln an der Schulter riss Kossov zurück in die silbrige Bergnacht. Das breite Gesicht des Kirgisen tauchte vor ihm auf. Ten hatte zwei Finger auf die Lippen gelegt und starrte ihn an. Dann wies er mit der Hand nach Westen auf einen kiefernbestandenen Berghang und sagte tonlos: »Sie sind hier.«


Links neben ihm hockte Ten hinter einem Geröllhaufen und spähte, das Gewehr an die Schulter gepresst, hinüber zum Berghang, wo Kiefern und Zypressen wie eine schwarze Wand aufragten. Rechts neben Kossov, ein paar Schritte entfernt, lag Erikson flach auf dem Boden, ein Baumstubben diente ihm als Deckung. Er starrte durch das Glas seines Sturmgewehrs, suchte mit langsamem Schwenk die Dunkelheit ab. Die vier anderen Männer konnte Kossov von seiner Position aus nicht sehen, aber er wusste, dass auch sie im dürftigen Schutz von Felsbrocken, Wurzelstümpfen oder Baumstämmen auf den Angriff des Feindes warteten.
»So endet es also«, dachte Kossov ohne Sentimentalität. Das hier war das letzte Kapitel in Sikes heikler, heiliger Mission. Eine Mission, deren Ziel die Tötung eines Mannes war, den sie nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten. In diesem Moment fragte sich Kossov, ob er überhaupt existierte oder ob Geronimo das Hirngespinst der sterbenden Welt war, eine Phantasie, die ihnen beim Durchwandern der Leere Aufgabe, Sinn und Halt geboten hatte.
Am Himmel jagten Wolken wie flache Riffe dahin, hin und wieder schoben sie sich über die Knochenscheibe des Mondes und dann schien es, als stürze die Welt in bodenlose Schwärze.
Der helle Klang einer Handglocke ließ Kossov aufhorchen. Es war ein einzelner, hoher und klarer Ton, beinahe so fein, wie der Klang einer angeschlagenen Stimmgabel. Er kam aus der Finsternis des Dickichts, in dem sie den Feind vermuteten, schwebte ein paar Sekunden, fremdartig und rätselhaft wie eine Sinnestäuschung, über der nächtlichen Szene und wurde dann jäh von der Stille verschluckt. Kossov fragte sich schon, ob er den Glockenton wirklich gehört hatte, als Erikson flüsterte: »Die versuchen ihre Spielchen.«
In diesem Moment knallte es und eine purpurfarbene Leuchtkurgel mit weißem Schweif schnellte hinauf in den nächtlichen Himmel. Eine Sekunde später explodierte sie in ein Dutzend gleißender Lichter und riss die Umgebung aus der Dunkelheit.
»Scheiße«, stieß Erikson hervor. »Jetzt nehmen sie uns aufs Korn.«
Doch einige Minuten lang geschah nichts. Kossov spürte, wie der Schweiß in seinen Augen brannte. Es war, als zöge ihn der Anblick der bebenden Traumlandschaft - ein zuckender, rotschwarzer Schattenriss - in einen Abgrund, in einen Orkus verdrängter Schrecken. In dem Moment als er das brennende Haus seiner Eltern sah, hörte er das Donnern von Hufen, und im blutig flackernden Schein erschien ein Reiter auf einer weißen Apaloosa-Stute. Er preschte heran und brachte die Schimmelstute abrupt zum Stehen. Er reckte Halloways abgeschlagenen Schädel in die Höhe, fletschte die Zähne und verzog das tätowierte Gesicht zu einer dämonischen Fratze. Kossov wusste sofort, wer dieser Krieger war. Ten und Erikson eröffneten das Feuer, doch im selben Moment erlosch das Licht der Leuchtkugeln und zurück blieb das gespenstische Bild des nackten Reiters, erstarrt in der Geste erbitterter Feindseligkeit.
Schrilles Kriegsgeschrei setzte ein. Feuerstöße aus automatischen Waffen stanzten für Sekundenbruchteile Standbilder des Kampfes aus der Nacht: Erikson, durchbohrt von einer Lanze, Blut, das aus seinem Mund schießt und schwarz an Kinn und Hals herabströmt. Ten, in der letzten Phase eines Schwunges, in dem sein Bowiemesser einer über ihn gebeugten Kriegerin quer den Schädel spaltet. Augen und Stirn der Frau verrutschen seitwärts wie in einem Schiebepuzzle. Sikes, eine Hand umklammert den Arm Geronimos, der dem Captain mit einem Knochenmesser die Gesichtshaut vom Schädel zieht.
Kossov spürte einen gewaltigen Schlag zwischen die Schulterblätter und kippte vorwärts in die Schwärze.


Zunächst verstand er nicht, was er da sah, doch dann löste der Anblick blanken Ekel aus. Häute spannten sich über ihm, Kossov betrachtete ihre feine Maserung im Gegenlicht der Sonne. Eingeweidegirlanden ringelten sich herab, einen widerwärtigen, süßlichen Geruch verströmend und vor ihm, den Blättern einer fleischigen Blüte gleich, waren menschliche Organe - Herz, Lunge und Nieren - auf ein Geflecht aus dornigen Zweigen gespießt. Mühsam richtete er sich auf und bemerkte, dass man ihn mit den Händen hinter dem Rücken an einen Pfahl gefesselt hatte. Er drehte den Kopf. Es dauerte einen Moment, bis er Redmond erkannte. Nackt, mit Kot und Blut beschmutzt, lehnte er an einem mit Messerschnitzereien verzierten Pfahl, keine drei Schritte entfernt und sah ihn aus entzündeten Augen, bleich und hohlwangig an.
»Die nennen es Knochenzelt«, sagte er und leckte über die ausgedörrten Lippen.
Kossov fand keine Zeit, über diese Bemerkung nachzudenken, denn in diesem Augenblick wurde der Eingang des Zeltes zurückgeschlagen und Geronimo trat herein. Er trug die Gesichtshaut des Captains wie eine Maske, davon abgesehen war er nackt.
Geronimo setzte sich vor die beiden Gefangenen und musterte sie schweigend durch die Augenlöcher der Hautmaske hindurch.
Eine Weile sprach niemand ein Wort. Kossovs Blick glitt über Geronimos Körper, über die Narben schlecht verheilter Wunden, über die Tätowierungen.
»Ich schaue durch die Augen des Feindes«, sagte Geronimo schließlich. »Aber ich sehe nur Angst, Hass und Dunkelheit.«
Er löste die Lederbänder der Maske hinter dem Kopf und streifte die Gesichtshaut des Captains ab. Kossov traf der harte, durchbohrende Blick des Mannes. Tätowierungen bedeckten beinahe sein ganzes Gesicht - Schlangenlinien, Sonnensymbole, Totenköpfe. Im rötlichen Dämmerlicht des Zeltes hockte Geronimo da, starrte Kossov an, drehte dann den Kopf und betrachtete Redmond.
»Ich habe euren Anblick so satt. Ich habe es satt, gegen euch zu kämpfen. Ich bin müde.«
Keiner der beiden Gefangenen sprach ein Wort.
Geronimo erhob sich. »Eure Gefährten sind tot«, sagte er. »Heute Nacht wird über euch entschieden.«


Zwei Krieger hatten Redmond und Kossov in der Dämmerung aus dem Zelt geholt und zu einem Lehmbrunnen geführt.
»Wascht euch«, forderte einer der beiden die Gefangenen auf und deutete auf einen mit Wasser gefüllten Holztrog.
Danach gab man ihnen saubere Kleider und führte sie gefesselt in die hereinbrechende Düsternis einen steinigen Pfad entlang auf eine Mesa. Viele Menschen hatten sich hier im Licht eines flackernden Feuers versammelt. Frauen und Kinder waren darunter, aber auch Alte und viele Kriegerinnen und Krieger Geronimos. Kossov sah ihre Gesichter, ernste Gesichter, einige hart wie Stein. Gedämpfte Stimmen und leise Gespräche waren zu hören, irgendwo quengelte ein Kind.
Die Menge nahm kaum Notiz von den Gefangenen. Redmond und Kossov wurden aufgefordert, sich zehn Schritte vom Feuer entfernt auf den Boden zu setzen. So saßen sie im Staub der Mesa, wechselten stumm Blicke und warteten.
Eine schlanke Frau trat aus der Dunkelheit in den Lichtkreis. Der Schein der Flammen leckte über ihre hochgewachsene Gestalt. In ihrem einfachen Leinengewand, das pechschwarze, lange Haar zu einem Zopf gebunden, wirkte sie wie eine indianische Seherin. Ein Amulett an einer Kette, vielleicht eine alte chinesische Münze, lag auf ihrer Brust. Ein paar Augenblicke später tauchte Geronimo auf, auch er schien durch ein unsichtbares Tor aus der Schwärze auf die Mesa zu treten.
Die Gespräche verstummten. Geronimo wandte sich an die Versammelten. Er war barfuß, trug Hosen aus rohem Leder und ein zerschlissenes Hemd.
»Dort sitzen unsere Gefangen«, sagte er schlicht, hob die Hand und wies auf Redmond und Kossov. Jetzt wandten sich die Leute den beiden zu, als hätten sie sie vorher nicht bemerkt. »Die Schamanin soll über ihr Schicksal entscheiden.« Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf und trat zurück.
Die Schamanin näherte sich den beiden Gefangenen. Sie hockte sich vor ihnen nieder und musterte sie. Zunächst betrachtete sie Redmond, dann Kossov. Sie blickte ihnen ins Gesicht. Bis auf das Knacken der Scheite im Feuer herrschte Stille.
»Stimmt es, dass ihr viele Siedler getötet habt?«, sagte sie mit leiser Stimme. »Alte Männer und Frauen, die keine Krieger waren. Kinder.«
Redmond starrte grimmig auf den Boden. Die Kiefer zusammengepresst, die Lippen bleich und verkrustet, starrte er in den Staub, als sei die Antwort auf diese Frage offensichtlich.
Kossov erwiderte den Blick der Frau. Er sagte: »Ja, das stimmt.«
»Und welches Urteil erwartet ihr angesichts eurer Taten?«, fuhr die Schamanin, an Kossov gewandt, fort.
Kossov schaute hinüber zu Redmond, und dieser hob kurz den leeren Blick. Es schien, als wäre Redmond bereits gegangen. Der Mann hatte abgeschlossen.
Kossov wandte sich der Schamanin zu und sagte: »Wir erwarten nichts. Unser Weg endet hier.«
Die Frau erhob sich. Eine Weile stand sie in Gedanken versunken da, dann nickte sie.


Redmond hob den Arm. Kossov folgte der Geste und erblickte einen Wüstenbussard. Der Vogel schwebte über der kakteenbestandenen Felslandschaft, frei, unbehindert, scheinbar schwerelos. Kossov sah Redmond an. Dann schnalzte er leise, und der Mustang, den Geronimos Leute ihm überlassen hatten, setzte sich wieder in Bewegung. Einen Augenblick später folgte Redmond. Er gab seinem Appaloosahengst die Hacken und schloss auf.
Die beiden hatten kaum ein Wort gewechselt, seit sie aufgebrochen waren. Geronimos Krieger hatten ihnen die Augen verbunden und sie auf Pferden einen Tag lang durch die Berge geführt. Irgendwann nahm man ihnen die Augenbinden ab. Es gab kein Wort zum Abschied, auch keine Warnung, keinen Fluch. Die Krieger wendeten ihre Pferde und zogen davon ohne einen Blick zurück.
Jetzt trabte Redmond neben Kossov und rieb sich die Stirn.
»Gehst du zurück?«, sagte Kossov.
»Zurück?«
»Zurück zum Camp.«
Redmond schien den Sinn der Frage nicht zu verstehen. Doch dann sagte er: »Sicher. Was sonst?«
»Sikes ist tot«, sagte Kossov.
Die Pferde trabten im Gleichschritt. Der Klang ihrer Hufe auf dem staubigen Boden wurde von den umliegenden Felsklippen zurückgeworfen.
»Männer wie Sikes stehen immer wieder auf«, sagte Redmond und als Kossov ihn fragend ansah, setzte er hinzu: »Wenn wir in die Basis zurückkehren, steht da ein neuer Sikes. Vielleicht heißt er Cornell oder Jones. Oder McCoy.«
Kossov nickte. »Ich gehe nicht zurück in die Basis«, sagte er.
Eine Weile sprach niemand ein Wort. Die Sonne stach auf sie herab, die Hufe ihrer Pferde klapperten und Redmond wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Du denkst, wenn Geronimo dich laufen lässt«, sagte er, »dann bedeutet das etwas.« Er wandte den Kopf zur Seite und spuckte in den Staub. »Wenn du diese Mission überlebst, bei der fast alle draufgehen, dann bedeutet das etwas.«
Kossov wollte darauf etwas erwidern, doch er presste die Lippen zusammen und schwieg.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond. »Amerika ist verbrannt. Europa ist im Arsch, die Schlitzaugen sind im Arsch und kein Mensch weiß, wie es woanders aussieht. Wahrscheinlich nicht besser.«
Kossov warf einen Blick auf seinen Gefährten.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond noch einmal. »Und es bedeutet einen Scheiß.«
Die Sonne sank im Westen über die flimmernde Prärie. Die beiden Reiter zogen im schrägstehenden Licht dahin, und über ihnen schwebte der Bussard wie ein mythologisches Wesen.

 

Hallo @Achillus

Ich lese deine Geschichte als eine Art moderner Western. Das hat nicht nur mit dem Hintergrund USA zu tun, sondern auch mit den Charakteren. Harte Männer, die durch die Prärie ziehen, auf der Suche nach diesem Geronimo, ohne grosse Moralvorstellungen. Insgesamt hat mir der Text ziemlich gut gefallen, auch wenn er für meinen Geschmack fast etwas lang ist. Ich denke, den ein oder anderen Angriff oder Überfall könnte auch raus, ohne das was Grundsätzliches verloren geht, ist aber nur meine Meinung.

Gut geschrieben, ich war sofort im Setting, das wirkt alles authentisch, bin nirgends rausgeflogen. Ich denke auch, Du kennst dich gut mit Waffen aus (nicht nur wegen deinem Profilbild), die Details dazu haben auf mich gewirkt, als schreibe da jemand, der Ahnung davon hat. Auch dass der Text so ein wenig Richtung Dystopie schielt, hat mir gut gefallen, der Bürgerkrieg, Europa ist am Arsch, die Chinesen auch. Das wird ja eher nebenbei angedeutet, aber ich fand das gut gemacht und schön unaufdringlich.

Kossov erscheint mir recht abgeklärt, obwohl er zum ersten Mal bei dieser Truppe dabei ist, trotz seiner Erfahrungen bei der Floridadivision. Am Anfang fühlt er sich ausgehöhlt und steinalt, aber diese Empfindungen verlieren sich recht schnell und er unterscheidet sich dann doch nicht so gross von den alten Hasen, ausser vielleicht, dass er eben noch so etwas wie Moral, eine gewisse Ethik, besitzt. Das kommt immer mal wieder durch die Zeilen und vor allem in den Dialogen merkt man das als Leser. Ich hätte ihn aber noch etwas klarer positioniert, damit er sich etwas mehr abhebt und da vielleicht auch ein stärkerer Konflikt gegenüber seinen Kollegen (unterschwellig) gären kann. Sikes bemerkt das ja, fragt ihn, ob er überhaupt jemanden abgeknallt hat in der überfallenen Siedlung, aber seine Mitstreiter scheinen davon nicht viel mitzukriegen. Müssten die nicht vielleicht mal 'ne Bemerkung fallen lassen, weil ihnen Kossovs Verhalten auffällt bzw. einigen vielleicht sogar missfällt? Ich will nicht sagen, dass der Kossov jetzt dauernd die Moralkeule schwingen soll oder so, aber an ein paar Stellen hätte man seine Sicht auf die Dinge noch etwas schärfen können, subtil, so wie es an gewissen Stellen bereits gemacht wird.

Dass Sikes die Vergewaltigungen durch seine Männer duldet, ist natürlich hart. Das wird ziemlich schonungslos dargebracht, aber Kossov bleibt mir z.B. in dieser Situation zu distanziert. Was macht das mit ihm, wenn er diese Gräueltaten sieht? Also mir fehlt da noch etwas Menschlichkeit bei Kossov, gerade auch, weil er noch ein Frischling ist (ist ja nicht die Floridadivision hier), da ist er vielleicht noch nicht so abgestumpft wie die anderen, da regt sich noch was in ihm, ein letzter Widerstand. Ich weiss nicht, vielleicht habe ich den Charakter auch anders gelesen, als Du ihn intendiert hattest. Ich glaube, allgemein fehlt mir etwas der Konflikt. Da sind die grausamen Taten der Männer, aber es gibt eben kein wirkliches Gefälle zwischen Kossov und den anderen und ich denke, da könnte man noch einiges rausholen.

Am Schluss habe ich nicht so ganz verstanden, wieso Geronimo bzw. die Schamanin die beiden, Kossov und Redmond, ziehen lässt. Wieso haben sie sich so entschieden? Was bringt ihnen das? Die beiden können ja zurück zu ihrer Basis und den anderen verraten, wo ungefähr sich der Feind aufhält. Geronimo erwähnt, dass er müde ist, weiter gegen sie zu kämpfen, aber das rechtfertigt noch nicht diese etwas willkürlich wirkende Freilassung der Gefangenen, oder? Ich wäre da genauer drauf eingegangen, wieso die Schamanin Geronimos zu dieser Entscheidung gekommen ist. Also das Ende erscheint mir noch ausbaufähig.

Für einen flüchtigen Moment roch er den Morast, roch das in Sonne Tampas faulende Fleisch.
Da fehlt ein der zwischen 'in' und 'Sonne', oder?

»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.«
Ja, diese Symbolhaftigkeit kommt mir aber etwas zu kurz. Es wird hier erwähnt, aber wofür Geronimo genau steht, wieso sie ihn um jeden Preis zur Strecke bringen wollen, das bleibt etwas im Dunkeln. Ich würde da noch bisschen beifüttern an gewissen Stellen, dass dieser Geronimo und warum er gejagt wird, greifbarer wird. Später wird dann erwähnt, dass er nur ein Bandenboss ist, der ihren Leuten ziemlich eingeheizt hat, aber ich hätte da etwas mehr erwartet. Oder soll das die Sinnlosigkeit dieser Menschenjagd zeigen?

Etwa eine Meile trennte sie noch von den ersten heruntergekommenen Lehmbauten, da begann das Maschinengewehr der Siedlung zu rattern. Kühlergrill und Kotflügel des Führungsfahrzeugs wurden getroffen. Der Fahrer drehte ab, fuhr eine Schlingerkurve und hielt wieder auf die Siedlung zu. Unterdessen schoss das Gewehr weiter, bis das gewaltige Krachen von Pescolis Fünfziger Büchse über die offene Ebene hallte und das MG zum Schweigen brachte.
Sie haben das Gebiet ja mit der Drohne aufgeklärt, wissen, dass sich dort eine Maschinengewehrstellung befindet. Wieso fahren die direkt auf diese Stellung zu? Macht das Sinn? Also ich kenne mich mit Kriegsführung etc. pp. nicht aus, aber auf mich wirkt das nicht sehr überlegt. Dass Pescoli mit einem einzigen Schuss aus seiner Büchse das MG zum Schweigen bringt, finde ich sehr rasch abgehandelt, zack, bumm, tot, wieso hat der sich nicht alleine angeschlichen und den MG-Schützen kalt gemacht? Die Taktik von Sikes Gruppe schreit ja danach, Opfer in den eigenen Reihen hinzunehmen.

Sein schmales Gesicht, wirkte in diesem Moment so glatt und hart wie Marmor.
Sein Gesicht wird bereits zuvor als eigenartig glatt beschrieben, auf mich wirkte es also schon vorher so, wie hier beschrieben.

Um ihn her lagen die Toten in den Straßen, schon kreisten Truthahngeier im gleißenden Licht der Sonne.
'Um ihn her' würde ich streichen, finde das nicht ganz präzise, es reicht doch, wenn die Toten in den Strassen liegen.

Kossov betrachtete das vom Feuerschein halbbeleuchtete Gesicht des Captains, die abgezehrten Züge, die bleichen Lippen.
Hier ist der Captain dann plötzlich abgezehrt, seine Lippen bleich. Also entweder ist beim Gefecht in diesem Dorf was passiert, was ich nicht mitbekommen habe, oder die Erschöpfung übermannt ihn allmählich. Passt für mich nicht zum steinharten, glatten Gesicht vorher. Ein abgezehrtes Gesicht ist doch auch voller Falten, zumindest stelle ich mir das so vor.

»Die Pferde müssen abgerieben werden«, sagte er. »Auch mal schauen, ob die Hufe okay sind. Manchmal gibt’s Verletzungen an Ballen, Krone oder Nagel.«
Letzter Teil würde ich streichen, wirkt wie eine Erklärung für den Leser. Weiss der Angesprochene das nicht?

»Wenn du ein paar Monate lang nur Trümmer siehst, das macht dich fertig. Nur Asche, Rauch … Bis Richmond gab’s nichts mehr. Kein Haus. Keinen Baum, keinen Grashalm. Das ganze Land verbrannt.«
Ist das wirklich das Bedrückenste? Was ist mit den Leichen, dem Elend der Überlebenden?

Kossov schreckte auf, als ein schwerverletzter Mann, der von hinten an ihn herangekrochen war, seinen Stiefel packte.
Ich finde, das müsste etwas umgestellt werden, in die Richtung: Kossov schreckte auf, weil eine Hand ihn am Stiefel packte. Ein schwerverletzter Mann war von hinten an ihn herangekrochen. [...]

»Diejenigen, die sich gegen uns stellen, werden hinweggefegt. Diese Siedler hatten die Wahl. Sie hätten ein Leben in den kontrollierten Gebieten führen können, unter der Obhut unserer Regierung und unserer Truppen.« Er ließ den Arm fallen. »Doch sie wählten die Sache des Feindes. Sie wählten den Tod.«
Das wirkt komisch, dass er das sagt. Er wiederholt ja für die Männer eigentlich nur, was sie gerade getan haben. Wieso macht er das? Seine Männer wissen doch Bescheid, warum sie das tun. Wirkt nur für den Leser geschrieben.

»Aber das hier ist eine heikle Mission«, fuhr Sikes fort. »Ich muss mich auf jeden meiner Männer verlassen können. Das verstehen Sie sicher.«
Ich habe nicht ganz verstanden, wieso diese Mission so heikel sein soll, was diese Mission von den vorhergehenden unterscheidet. Geronimo ist doch nur irgendein Bandenboss?

Ten und Erikson eröffneten das Feuer, doch im selben Moment erlosch das Licht der Leuchtkugeln und zurück blieb das gespenstische Bild des nackten Reiters, erstarrt in der Geste erbitterter Feindseligkeit.
Weiss nicht, würde ich vielleicht streichen, das Bild des nackten Reiters reicht doch aus, dass der feindselig gestimmt ist, dürfte nach der ganzen Schlachterei klar sein, oder? Es liest sich zwar schön, wirkt aber wie nachgedoppelt.

»Ich schaue durch die Augen des Feindes«, sagte Geronimo schließlich. »Aber ich sehe nur Angst, Hass und Dunkelheit.«
Was erwartete er denn anderes als Hass, Angst und Dunkelheit?

Ja, alles in allem gerne gelesen, guter, treffender Schreibstil. Hat mir gefallen. Am Ende wirkt es ja beinahe so, als werden da die Rollen der Bösen und der Guten vertauscht, also Sikes Truppe, das sind die Schlächter, die Verrohten, und aus ihrer Sicht wird Geronimos Widerstand natürlich so dargestellt, als wäre er das Übel aller Dinge, dass es mit aller Härte zu bekämpfen gilt. Durch die Freilassung von Kossov und Redmond wird das dann relativiert. Diese Entwicklung der Dinge hat mir eigentlich gut gefallen, aber eben, Geronimos Motivation kommt mir da etwas zu kurz. Lässt er sie nur frei, weil er eben noch etwas humanistischer denkt als der Rest? Ich weiss nicht, da ist Bürgerkrieg, der ist doch auch nur ein Opfer der Umstände, der hat doch auch seine Absichten, der muss auch schauen, wo er bleibt. Warum gerade Kossov und Redmond überleben bzw. am Leben gelassen werden, kann ich auch nicht recht verstehen. Einfach Zufall? Also wie gesagt, für mich ist das Ende bisschen dünn.

Was mir insgesamt auch etwas fehlt, ist das Alleinstellungsmerkmal. Vergewaltigungen, Skalps als Trophäen, das Brandschatzen von diesen Dörfern, das gibt es so ja schon in zahlreicher Weise, das schockiert oder berührt zumindest mich nicht mehr so richtig. Ich will damit nicht sagen, dass Du die Brutalität hochschrauben solltest, nein, das ist schon recht eindringlich, aber der Text scheint mir neben den Gefechten und der damit einhergehenden Brutalität recht handlungsarm zu sein. Weiter, weiter, Siedlung um Siedlung niedermetzeln, bis man Geronimo findet. Widerstand ist ja teilweise da, vielleicht etwas zu wenig? Ich weiss nicht. Mir fehlt da irgendwo noch ein Quäntchen Eigenständigkeit, etwas Unvorhergesehenes, das passiert, irgendein Twist, den man nicht kommen sieht. Also der Geschichte fehlt es meiner Meinung nach an Highlights. Das wird auch alles ziemlich nüchtern geschildert, ohne grosse Spitzen, vielleicht ist das aber auch nur mein ganz persönliches Problem(chen).

Du schreibst sehr gut, bei der Handlung sehe ich noch Luft nach oben. Aber vielleicht willst Du da gar nichts ändern und siehst gewisse Punkte ganz anders als ich.

Danke für die Geschichte, Beste Grüsse,
d-m

 

Hallo deserted-monkey, danke für Deine Rückmeldung zu meiner Geschichte.

Kossov ist zwar neu bei den Männern unter Sikes, aber ich wollte ihn nicht als Rookie zeichnen. Dass er also abgeklärt wirkt, wie Du schreibst, hängt mit seinen Erfahrungen in den fünf Jahren des zivilisatorischen Niedergangs zusammen. So war es von mir zumindest konzipiert.

Dass er sich nicht mehr so sehr von den anderen Männern unterscheidet, hängt mit einem seelischen Auflösungsprozess zusammen. Einem Mann mit wirklich gravierend anderen Moralvorstellungen wäre es gar nicht möglich gewesen, an einer solchen Menschenjagd teilzunehmen. Ich sehe Kossov im Grunde als einen Mörder unter anderen Mördern. Er ist lediglich etwas zurückhaltener, etwas weniger verkommen, als der Rest der Gruppe.

Die Reaktion von Geronimo werden Leser wahrscheinlich unterschiedlich deuten. Ich habe dazu natürlich meine Gedanken, aber die Sache ist widersprüchlich und letztlich nicht auflösbar, denke ich. Da sind Feinde, die sich offenbar alles Mögliche gegenseitig angetan haben. In diesem Konflikt gibt es kein erkennbares Ende, kein Vor und kein Zurück. Die Schamanin könnte etwas gesehen haben, das eine Alternative aufzeigt. Ein Nachgeben, ein Zeichen der Rückkehr zu zivilisiertem Verhalten könnte in Männern wie Kossov etwas bewirken. Das ist allerdings eine Hoffnung, der Redmond widerspricht, wenn er sagt, dass da ein neuer Captain Sikes stehen wird, wenn sie zurück ins Lager kommen.

Geronimo lässt sich als Symbol für den Widerstand gegen die alte Ordnung deuten. Ich gebe zu, dass das vielleicht ein wenig um die Ecke gedacht ist. Sikes verkörpert die Welt, die in der Apokalypse untergegangen ist. Er versucht, an den Ideologien von Macht und Autorität festzuhalten. Er will eine Ordnung erzwingen, die sich nicht darum schert, was sie opfert.

In diesem Zusammenhang finde ich die Rechtfertigungen wichtig, die Sikes in seinen Ansprachen vorbringt. Schauen wir auf die reale Welt, dann sehen wir, dass selbst Söldnergruppen, die schlimmste Verbrechen begehen, behaupten, im Namen von Recht und Freiheit zu agieren.

Über diese und die anderen von Dir genannten Punkte werde ich aber eingehender nachdenken. Einige Dinge kann ich sicher überarbeiten. Vielen Dank für Deine wertvollen Hinweise. Dass Du Deine Gedanken geteilt hast, hilft mir weiter.

Gruß Achillus

 

... sah hinüber zu Redmond, der sich ein paar Meter entfernt neben die Leiche einer jungen Frau gehockt hatte und nun den Rucksack absetzte. Er zog sein Messer, packte den Kopf der Frau bei den Haaren, schnitt im Kreis um den Schädel und zog den Skalp ab. Die Kopfhaut stopfte er in das Deckelfach seines Kampfrucksacks. Er wischte das Messer am Ärmel ab, steckte es weg, erhob sich und schulterte sein Gepäck. Hinter ihm hing das lange, stumpfe Haar wie eine schwarze Kommandoflagge schlaff herab ...

Ja, ich kann mir vorstellen, und trotz des Einschubes
»Leute, die nicht im Krieg waren, können’s nicht begreifen.

bester Achillus,
Held vor Troia und Mythenbildner,

nachdem mir klar wurde, dass es hier nicht um den alten Apachen „Geronimo“ geht, sondern um eine negative Utopie Amerikas und darin wiederum nicht nur um die Andeutung, sondern die ausdrückliche Darstellung von Gewalt (auf die Gefahr hin, dass dergleichen Taten ansteckend sind statt eine - sicherlich gemeinte – Abschreckung bewirken). Da passt die Szene

Er zog ein Päckchen Marlboro aus der Brusttasche seiner Uniformjacke und klopfte eine Zigarette heraus.
jene Marke, die mit der „Freiheit“ eines Hilfsarbeiters (nix anderes waren und sind Cowboys, welche die Herden von den Weiden in die nördlich gelegenen Schlachthöfe treiben, das war schon klar in der ersten Westernserie "Cowboys", die mir als Knabe unters Auge kam. Einer der Hauptdarsteller ist sinnigerweise während der Dreharbeiten in einem südamerikanischen Fluss ertrunken ...

Sikes erhob sich, machte ein paar Schritte und schaute vom Plateau in die Weite der Prärie unter ihnen. »Glaube nicht, dass es so einfach iss«, sagte er und wirkte plötzlich wie verloren in einer Welt, die ihm ein Rätsel war. »Klar, die Idioten in Washington haben es nicht kommen sehen. Aber auch wir anderen waren blind.«

Sinnigerweise taucht klanglich verkürzte Name des Kosovo auf – wobei die Lautschrift [kɔˈsɔvo:] halt beim „Kossov“ nur das Endungs-o verschluckt.

Ich hab also bisher knapp die Hälfte gelesen (schau morgen weiter rein), kann aber schon einiges liefern an zu Korrigierendem, wie hier die Ergänzung

Einen Moment lang glaubte er, in der Reflexion der Fenstergläser sein Spiegelbild zu erkennen, aber das Gesicht des jungen Mannes dort schien ihm fremd.
...schien ihm fremd zu sein.

Ist er wirklich so kompliziert, dass die Befindlichkeit mit hineinspielen muss

»Bei dieser Position befindet sich eine Siedlung. Könnte sein, dass wir hier unseren Mann finden.«
Der Typ wird doch kurz und bündig „sein“ verwendet … „Bei dieser Position ist eine Siedlung“

»Iss ein altes Mexendorf«, sagte Sikes. »Vielleicht haben wir Glück.«
Die Komik des lautschriftlich identischen verkürzten „ist“ mit dem Imperatiefen des Essens lässt mich an ein Schmatzen wie ein Fisch … denken ...

»Verstehe bloß nicht, warum wir diesen Mann jagen.«
»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.«
usw.

Seine Kiefermuskeln traten kräftig hervor, während er kauteKOMMA und verliehen seinem blassen Gesicht einen gewalttätigen Zug.
...

Er lockerte sein Halstuch, setzte sich in den Schatten einer Lehmhütte und schloss die Augen. Schloss die Augen und sah die Vögel, die im grauen Himmel über Boston schwebten, sah ihre Schatten auf dem Wasser des Charles River, an dessen schlammigen Ufern Leichen die Luft verpesteten.
(ich geh davon aus, dass der Flussname im Deutschen nicht vom Genitiv-s befreit wird ...)

Einen Moment lang starrte er ins Leere, dann begann er die Magazine seines Sturmgewehrs aufzumunitionieren.
Gibt’s das Monster?

Sikes sagte: »Wir haben zweiundvierzig erledigt. Acht Männer, sechszehn Frauen, achtzehn Alte und Kinder.«
...
»Iss ein Erfolg«, sagte Sikes.
sechzehn

Also erst mal bis moin,

vom Friedel

 

Hallo Friedrichard, vielen Dank für Deinen Kommentar. Schön, von Dir zu hören, ich hoffe, es geht Dir gut.

In meinen Vorarbeiten zu dieser Geschichte habe ich mich (noch einmal) mit dem Apachen „Geronimo“ befasst und die Story ein bisschen entlang des historischen Fadens entwickelt. Dabei sollte die Geronimo-Figur als jemand stehen, der sich gegen die herrschende Ordnung stellt.

Dass die Darstellung von Gewalt ansteckend wirken kann, ist sicherlich wahr. Allerdings ist Gewalt ein Thema von zentraler Bedeutung für jede Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit dem Phänomen halte ich für wesentlich. Es geht mir dabei nicht nur um Abschreckung, es geht mir dabei auch um die Frage der Ambivalenz. Richtet sich die Gewalt Mächtiger gegen die Schwachen, dann ist unser Urteil dazu meist eindeutig. Wie ist es aber mit der Gewalt, die von Unterdrückten, Benachteiligten usw. gegen ihre Peiniger ausgeübt wird? Wie sieht es mit Verteidigung, vorweggenommener Verteidigung oder vorbeugendem Angriff aus?

Ich habe Pinkers Gewalt - Eine neue Geschichte der Menschheit gelesen und denke nach der Lektüre, dass wir uns viel eingehender mit dem Phänomen befassen sollten, auch und gerade mit jungen Menschen.

Vielen Dank schon einmal für Deine Hinweise. Davon werde ich sicher einige umsetzen. Das Wort aufmunitionieren wird im militärischen Kontext verwendet, ich weiß allerdings nicht, ob es sich für die Sprache einer Kurzgeschichte eignet.

Ich freue mich auf Deine weiteren Gedanken und Hinweise, Friedel.

Gruß Achillus

 

... & hier issser wieder

»Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht mit dem Herzen bei der Sache sind. Ich könnte zum Beispiel nicht einmal sagen, ob Sie gestern im Dorf auch nur einen Feind getötet haben.«
...
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond noch einmal. »Und es bedeutet einen Scheiß.«

& weiter zieht der writer

Er ließ die Pferde satteln, und in der Morgendämmerung brach der Trupp in die Berge auf, ein Dutzend Reiter und drei Saumtiere.
Hier muss ich mal kurz unterbrechen - mit der Frage, warum Du i. d. R. vor dem „und“ zwischen Hauptsätzen ein Komma setzt – auch bei kürzeren Satzkonstrukten wie hier
Sie gelangten an einen Wildbach, und Sikes ließ anhalten.

Das ist bestenfalls eine „kann“-Regelung, mit der die Rechtschreibreformanten sich vllt. ins eigene Knie geschossen haben, denn üblicherweise ersetzt ein „und“ (oder eine andere Konjunktionen) ein Komma ganz hervorragend.


Und weiter ziehts den Reiter

Doch er schaute noch einmal zurück. Wie in Trance blickte er herüber zu Kossov. Er bückte sich, packte die Kleine an ihrem langenKOMMA schwarzen Haar und zerrte sie, am Boden hinter sich her schleifend, in den Stall.
(einfache Aufzählung lang + schwarz unterschiedlicher Attribut (anders zB bei einem "tief schwarzen Haar")

Er kam aus Finsternis des Dickichts, …
Da fehlt was, vorzugsweise ein „der“

Auch der Gezeitenwechsel

Schrilles Kriegsgeschrei setzte ein. Feuerstöße aus automatischen Waffen stanzten für Sekundenbruchteile Standbilder des Kampfes aus der Nacht: Erikson, durchbohrt von einer Lanze, Blut, das aus seinem Mund schießt und schwarz an Kinn und Hals herabströmt. Ten, in der letzten Phase eines Schwunges, in dem sein Bowiemesser einer über ihn gebeugten Kriegerin quer den Schädel spaltet. Augen und Stirn der Frau verrutschen seitwärts wie in einem Schiebepuzzle. Sikes, eine Hand umklammert den Arm Geronimos, der dem Captain mit einem Knochenmesser die Gesichtshaut vom Schädel zieht.
Kossov spürte einen gewaltigen Schlag zwischen die Schulterblätter und kippte vorwärts in die Schwärze.
steht m. E. voll & gekonnt im Dienste der erhöhten Spannung ...

Jetzt wandten sich die Leute den beiden zu, als hätten sie sie vorher nicht bemerkt. »Die Schamanin soll über ihr Schicksal entscheiden... «
Auslassungspunkte direkt am Wort behaupten, da fehle zumindest ein Buchstabe – was nicht der Fall ist. Also besser zwischen letztem Buchstaben und erstem Punkt eine Leerstelle ...

»Und welches Urteil erwartet ihr angesichts eurer Taten?«, fuhr die Schamanin, an Kossov gewandt, fort.
Sehr schwache Klammer, besser vllt. „fuhr die Schamanin fort an Kossov gewandt“

Komma weg:

Die Krieger wendeten ihre Pferde und zogen davon[...] ohne einen Blick zurück.
nu hab ich durscht ...

Gern gelesen vom

Friedel

Die Sonne sank im Westen über die flimmernde Prärie. Die beiden Reiter zogen im schrägstehenden Licht dahin, und über ihnen schwebte der Bussard wie ein mythologisches Wesen.

 

Hallo Achillus,

Deine Geschichte ist spannend geschrieben. Im ersten Teil habe ich mich gefragt, warum die Sikes-Gruppe sinnlos tötet und wen sie suchen. Was hat der Gesuchte verbrochen, dass man so brutal gegen seine angeblich Verbündeten vorgeht? Langsam kamen die Antworten auf meine Fragen. Der Titel gab den ersten Hinweis. Sie schlachten Indianer (Du benützt das Wort nicht) ab, die unabhänging von Kontrollen und Abgaben als Selbstversorger leben wollen. Die übrige Welt ist bereits durch politische Fehlentscheidungen zugrunde gegangen. Diejenigen, die nicht mitgemacht hatten, sollen jetzt ausgerottet werden.
Das offene Ende gefällt mir; auch die Entscheidung der Schamanin. Sie versucht wohl, eine Wende zum Frieden einzuleiten.
Somit kann ich Dir für diese Geschichte nur mein Lob aussprechen.

Viele Grüße
Fugu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Achillus

Die Legende.

Ich habe länger über deinen Text nachgedacht. Habe mich gefragt, was die Legende in deinem Text sucht. Aber man hat ihn wie ein vergrabenes Kriegsbeil wieder ausgegraben. Auferstanden als Symbol und alles steht und fällt mit ihm. Dazu später aber mehr.

»Kommt mir vor«, sagte Kossov, »als wären das normale Leute gewesen.«
Redmond hielt inne, ließ den Blick über das zerstörte Dorf schweifen. Schwarze Rauchsäulen stiegen in den wolkenlosen Himmel. »Kann sein«, sagte er. »Kann auch sein, dass sie zum Feind gehörten.«
Hier finde ich es schön, wie du Kossov von den andere abhebst, dass er noch mehr sehen kann, als Schwarz Weiß.

»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Hier lese ich die sich immer während wiederholende/n Geschichte/Geschichten. Wie oft wurde das Beil begraben und wie oft wurde es wieder ausgegraben. Wenn man sich nicht mehr zu helfen weiß, werden Legenden wieder lebendig, der Glaube extremistisch und dabei ist es ganz egal, in welche Richtung der Glaube geht. Und sei es nur zu glauben, das Richtige zu tun.
»Iss ein Erfolg«, sagte Sikes. Er las einen Zweig auf und warf ihn in die Flammen. »Auch wenn unser Mann nicht dabei war.«
Kossov betrachtete das vom Feuerschein halbbeleuchtete Gesicht des Captains, die abgezehrten Züge, die bleichen Lippen.
»Der kann sich nicht ewig verstecken, Sir«, sagte Halloway.
»Die Zeit läuft aber für ihn«, erwiderte der Captain. »Der Kerl iss ein Virus, eine Seuche. Der steckt jeden Tag mehr Leute an mit seinen Ideen.«
Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schüttelte er den Kopf und gab zwei Männern das Zeichen, mit dem Verteilen des gebratenen Wildbrets zu beginnen.
Diese Siedler hatten die Wahl. Sie hätten ein Leben in den kontrollierten Gebieten führen können, unter der Obhut unserer Regierung und unserer Truppen.« Er ließ den Arm fallen. »Doch sie wählten die Sache des Feindes. Sie wählten den Tod.« Er warf einen letzten Blick auf die Siedlung, dann riss er den Kopf seines Pferdes herum und gab dem Fuchs die Hacken.
Sehr schön gezeigt von Sikes. Bist du kein Freund, dann bist du Feind. Mir gefällt vor allem, dass genau er derjenige ist, der die Selbsterfüllende Prophezeiung am Leben hält. Iss es ein Erfolg? Oder füttert er das Symbol. Wahrscheinliche Ansichtssache.

Den Blick auf den Horizont gerichtet, lief Kossov über eine hell schimmernde Ebene dem Meer entgegen. Er rannte im Takt seines Herzschlags, bumm, bumm, bumm. Er bemerkte, dass er vollkommen nackt war. Er spürte einen Luftzug auf der Haut und er fühlte die Härte des Bodens unter seinen Füßen. Am Rande seines Sichtfeldes tauchte ein Wolf auf. Das Tier strebte wie er selbst dem Meer entgegen. Kossov drehte den Kopf. Mit langen Sätzen jagte der Wolf dahin, die rote Zunge flatterte wie ein Wimpel im Wind. Die bernsteinfarbenen Augen mit festem Blick auf das Meer gerichtet, hetzte der Wolf über die Ebene, und jetzt erschienen weitere Tiere: Ein Adler stürzte aus wolkenlosem Himmel herab, glitt zwischen Kossov und dem Wolf durch die schimmernde Weite. Ein Panther sprang von der anderen Seite dazu, auch er in wildem Spurt hin zum Meer. Sein pechschwarzes Fell glänzte in der Sonne. Marder, Rehe und Füchse kamen dazu, und viele weitere Tiere, deren Namen Kossov kaum kannte. Wie in einem Wettlauf auf Leben und Tod hielten sie auf das blaue Band zu, das sich glitzernd am Horizont entlang zog. Ein Rütteln an der Schulter riss Kossov zurück in die silbrige Bergnacht. Das breite Gesicht des Kirgisen tauchte vor ihm auf. Ten hatte zwei Finger auf die Lippen gelegt und starrte ihn an. Dann wies er mit der Hand nach Westen auf einen kiefernbestandenen Berghang und sagte tonlos: »Sie sind hier.«
Hier habe ich nicht ganz verstanden, warum er Träumt wie ein Schamane, oder die Geistführer sich ihm zeigen, als wäre er einer. Oder die "Feinde" haben ihn im Traum besucht und geführt? Wer weiß…wer weiß…
»Und welches Urteil erwartet ihr angesichts eurer Taten?«, fuhr die Schamanin, an Kossov gewandt, fort.
Kossov schaute hinüber zu Redmond, und dieser hob kurz den leeren Blick. Es schien, als wäre Redmond bereits gegangen. Der Mann hatte abgeschlossen.
Kossov wandte sich der Schamanin zu und sagte: »Wir erwarten nichts. Unser Weg endet hier.«
Die Frau erhob sich. Eine Weile stand sie in Gedanken versunken da, dann nickte sie.
Schade, dass hier keine Weisheit kommt. Ist es doch ein wichtiger Teil der Schamanischen Ausbildung Weisheiten weiterzugeben / mitzugeben. Vielleicht hat sie das auch getan, und es blieb uns einfach verwehrt. Schade, schade, schade.;)
»Männer wie Sikes stehen immer wieder auf«, sagte Redmond und als Kossov ihn fragend ansah, setzte er hinzu: »Wenn wir in die Basis zurückkehren, steht da ein neuer Sikes. Vielleicht heißt er Cornell oder Jones. Oder McCoy.«
Hier wieder der ewige Kreislauf. Der neue Sike, der neue Geronimo.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond. »Amerika ist verbrannt. Europa ist im Arsch, die Schlitzaugen sind im Arsch und kein Mensch weiß, wie es woanders aussieht. Wahrscheinlich nicht besser.«
Kossov warf einen Blick auf seinen Gefährten.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond noch einmal. »Und es bedeutet einen Scheiß.«
Die Sonne sank im Westen über die flimmernde Prärie. Die beiden Reiter zogen im schrägstehenden Licht dahin, und über ihnen schwebte der Bussard wie ein mythologisches Wesen.
Da es die heutigen Schamanen ganz leise flüstern und es in den Prophezeiungen oft niedergeschrieben wurde. Hätte ich es cool gefunden, wenn du geschrieben hättest, dass die Sonne, nach der Apokalypse, im Osten untergeht. Aber das wäre wahrscheinlich schon zu viel des Guten.

Zu Kossov: Für mich war er - Grauzone. Innerlich noch nicht ganz tot, aber nah dran. Irgendwann ist ihm wohl bewusst geworden, dass es nicht einfach ein Zurück gibt. Wahrscheinlich ist ihm auch nicht klar, wohin es ihn zieht. Er lässt sich einfach treiben. So kam es mir vor.

Geronimo ist im Grunde niemand. Ein Gesichtsgeber. Einer, der die Aufgabe übernommen hat. Leben tut er, wie so viele Dinge, durch alle anderen, die an ihn glauben. Das wird gerade wieder in unserer jetzigen Zeit sehr deutlich.

Ich könnte dein Schreiben den ganzen Tag lesen und es würde mir nicht langweilig werden. Bildlich und Story technisch hast du mich abgeholt.

So kann ich dir nur sagen, wie ich die Geschichte aufgenommen / gelesen habe und ich hoffe, das missfällt dir nicht allzu sehr.

Gruß Smoke

 

Hallo Friedrichard, danke fürs Lesen und Deinen Kommentar.

Was das Komma betrifft, war für mich immer klar, dass ein zweiter Hauptsatz durch Komma abgetrennt bzw. angezeigt wird. Ich habe mir um das »und« nicht viele Gedanken gemacht. Das werde ich jetzt tun. Wenn ich Dich richtig verstehe, argumentierst Du für eine Vereinfachung (das überflüssige Komma weglassen).

Deine Korrekturen habe ich größtenteils übernommen, vielen Dank für Deine Mühe.

Ich wünsche Dir eine schöne Restwoche, Friedel.

Gruß Achillus


Hallo Fugu, vielen Dank für Deine Gedanken zu meinem Text. Eine Idee bei dieser Geschichte war, dass Sikes, der nach einer globalen Katastrophe versucht, die Welt mit den alten Methoden wieder herzustellen, gegen jemanden kämpft, der sich diesen Bestrebungen widersetzt. Sikes deutet ja auch an, dass er sich in Friedenszeiten von den Liberalen und Progressiven hat täuschen lassen. In unserer Zeit gibt es viele Leute, die sich fragen, ob z.B. der Versuch, friedlich und freundschaftlich mit Russland auszukommen ein Fehler war. Sikes stellt das Konzept des Friedens mit einem (politischen) Gegner grundsätzlich in Frage. Und er zeigt, wie seine Ideologie irgendwann ins Extrem schlagen muss.

Danke, für Dein Lob zur Geschichte, Fugu.

Gruß Achillus


Hallo Smoke, vielen Dank für Deine Textarbeit. Was das Symbol des Geronimo angeht, lässt sich das aus der Perspektive der Protagonisten in zweifacher Hinsicht deuten. Für Geronimo selbst und seine Leute ist da der Aspekt des Widerstands gegen eine aufgezwungene, ungerechte Ordnung. Für die Seite von Sikes, die Seite der vermeintlich Mächtigen, ist Geronimo ein Virus, ein Krankheitskeim im Körper der staatlichen Ordnung. Geronimo ist jemand, der Menschen dazu inspiriert, sich der Ordnung zu widersetzen. Er ist ein Aufrührer.

Interessant ist Deine Einschätzung von Sikes. Ein Mann, der das aufrecht erhält, was er bekämpft. Mit der rücksichtslosen Art, in der Sikes vorgeht, belegt er ja im Grunde, dass Geronimos Kampf berechtigt ist.

Der Traum von Kossov ist in meiner Leseart ein Hinweis auf alternative Lebensmöglichkeiten. Das wird sicher jeder Leser anders deuten. Aber ich stelle mir vor, dass eine Rückverbindung zu mythischen Mensch-Tier-Erfahrungen (Du hast den Begriff Geistführer genannt) im Traum andeuten, dass es für Kossov ganz andere Möglichkeiten gegeben hätte, mit seinen Erfahrungen und mit seinem Leben insgesamt umzugehen.

Ich habe darüber nachgedacht, ob die Schamanin oder Geronimo Kossov einen weisen Ratschlag oder Denkspruch mit auf den Weg geben sollte. Letztlich habe ich mich dagegen entschieden. Einerseits weil ich finde, dass diese Weisheit bereits in der Freilassung der beiden Gefangenen deutlich wird. Und andererseits, weil ich es so gesehen habe, dass in dieser Dystopie die Zeit der weisen Worte vorbei ist.

Vielen Dank für Deine gründliche Auseinandersetzung mit dem Text und Dein Lob zur Geschichte, Smoke.

Gruß Achillus

 

Hey @Achillus

uff, das ist kein Wohlfühltext! Aber mal so gar nicht. Mit Gewalt an sich habe ich mich ja grundsätzlich schwer - wenn sie dann noch so sinnlos daherkommt, wirds nur schlimmer - und die zu thematisieren, ist sicher ne gute Sache, es liest sich nur so furchtbar grausig alles :heul: Das Du dein Handwerk gut beherrscht, macht die Sache nur um so schlimmer für mich. Oh, diese Menschen! Aber der Reihe nach. Schon nachdem die Leute just vor Fun auf die Antilopen geschossen geschossen haben, mochte ich die Typen nicht mehr. Das dein Trupp kurz darauf eine Siedlung niedermetzelt, war dann nur folgerichtig. Dann kam die zweite dran und endlich!, endlich erschien Geronimo und stellte mein Gerechtigkeitsempfinden wieder her, auch, wenn er sich ähnlich unmenschlich verhielt, aber ja, so ist das wohl.Was ich nicht kapiert habe, warum er die beiden verschont und die Schamanin über sie richten lässt, die sie dann sogar ziehen lässt. Klar, Du braucht deinen Erzähler noch, um die Geschichte bis zum Ende erzählen zu können, aber trotzdem frage ich mich - woher Geronimo wissen will, dass dein Prot. sich in seiner Rolle nicht wohlfühlt? Kann er ja nicht wissen. Und da wird einer nach dem anderen abgeschlachtet und dann so ... ne, warte, mit den beiden machen wir es jetzt anders. Eigentlich würde es für mich nur dann Sinn ergeben, wenn Geronimo den einen oder die beiden verschont, damit sie seinen Mythos nähren, ihre Erlebnisse weiterzählen, und in diesem Sinn seinen Ruf/seine Macht stärken, die Angst nähren. Und dafür könnten sie eigentlich auch blind in die Welt entlassen werden, denn dann werden auch sie »bestraft« und keiner stellt die Geschichte, die sie dann erzählen, in Frage. Das wäre wohl mein Ende gewesen (ab davon, dass ich solche Geschichten ja nie schreiben werde :) ). Aber ist deine. Und meine Lesart war dann - viel Krieg und am Ende so - die dürfen leben - aber warum? Ich habe da nicht wirklich eine Motivation Geronimos rauslesen können.
Und was noch in meiner Lesart mitspielte, dein Text ist ja nach der Apokalypse angesiedelt, und für mich hatte der gute Parallelen zu dem Kampf gegen die Natives, als die Europäer Amerika besiedelten. Das fand ich gut und so ergab auch die ganze Brutalität auf einmal einen Sinn. Denn was genau bei Dir gerade die Situation ist, das bleibt ja alles sehr vage und im Hintergrund. Nicht falsch verstehen, waren schon genug Informationen, um sich zurecht zu finden, und wie gesagt, glaub, es tut dem Text gut, weil er damit diesen Schwenk auch zulässt und an unser aller geschichtlichem "Gewissen" nagt. Und wenn Mann bedenkt, das dieser "Kampf" eigentlich auch noch heute geführt wird, wenn auch mit anderen Mitteln, ach nee ... das tut schon weh.
Also, auf der Ebene hattest Du mich am Ende dann doch am Haken. Ansonsten, weißt schon, wir haben sicher sehr unterschiedliche Lesevorlieben.

Sprachlich habe ich nichts angestrichen, bin flüssig durch den Text und er hatte für mich auch keine Längen auf die Länge. Das hat sich recht zügig weggelesen, wenn auch nicht unbedingt mit Vergnügen ;). Weil, Fliege halt.

Liebe Grüße!

 
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Einen Moment lang glaubte er, in der Reflexion der Fenstergläser sein Spiegelbild zu erkennen, aber das Gesicht des jungen Mannes dort schien ihm fremd

Moin,

zu viel, zu früh. Dieses Sich-selbst-fremd-sein des Kriegers ist halt schon ein sehr abgegriffener Topos. Auch dass das wirklich so ist: Ich sehe mein Spiegelbild und weiß nicht, ob das wirklich ich bin - das glaube ich nicht. Es steht ja immer als Symbol der Entfremdung, von allem, von Werten, von Ethos, von einem vergangenen Ich. Das würde ich eher zeigen, als es hier schon direkt erklären.

Er fühlte sich ausgehöhlt und steinalt.
Das haut in die gleiche Kerbe. Klassisches show wäre hier doch besser, oder? Du setzt damit eben auch den Marker für den Rest des Textes; ich erwarte einen Text über einen ausgebrannten Krieger. Da denke ich an Rambo und dergleichen. Das wird dem Text, den du dann schreibst, der folgt, wahrscheinlich nicht gerecht. Wobei Rambo 1 natürlich ein Meisterwerk ist und auch der Roman wirklich gut.

Kossovs Sitznachbar, ein Hüne mit rotblondem Haar und Sommersprossen, stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Erstes Mal dabei?«
Kossov nickte.
Der Mann reichte ihm die Hand und sagte: »Ich bin Redmond.«
Ich denke, das sind harte Männer, Männer, die wissen wie man kämpft. Hier wirken die aber wie auf einer Klassenfahrt: Hey, und wer bist du? Ich denke, die beiden könnten sich einfach ansehen, der eine nickt und sagt: Ich bin Redmond. Die sind sicher abgeklärt, abgewichst, haben das schon mit vielen anderen Männern gemacht, diesen Job, haben die auch sterben sehen eventuell, da werden Namen sicherlich unwichtiger, oder?

Gabelhornantilopen stoben durch die flirrende Hitze, und einige der Männer ließen die Scheiben herunter, um aus den fahrenden Jeeps heraus auf die Tiere zu schießen. Kossov beobachtete, wie sich die getroffenen Antilopen in vollem Lauf überschlugen und zitternd im Sand der Steppe liegenblieben.
Ist eine schöne Reminisenz an die alten Züge im Western, an der Frontier, wo die Typen auch aus dem fahrenden Zug auf Büffel geschossen haben. Ich weiß aber nicht: sind die in einem umkämpften Gebiet? Wer kann die Schüsse hören? Ist das nicht etwas unvorsichtig? Wie ist das mit der Munitionsversorgung? Gibt es da Nachschub? Ich musste zum Beispiel mit meinem .308 gerade umsteigen, weil RWS Lieferprobleme hat und auch die nächsten Jahre haben wird, weil Kriegsfertigung angesagt ist. Das sind alles so Sachen, da würde ich drüber nachdenken. Die schießen ja auch mit Vollmantelgeschoss, das würde also ggf durch den Wildkörper schlagen und gar nicht so die Kaverne aufreißen wie ein Deformationsgeschoss oder ein Teilzerleger. Da würden die Antilopen wahrscheinlich erstmal einfach weiterlaufen, teilweise hunderte von Metern, bis der Blutverlust sie in die Knie zwängt.

Die Männer standen in der Glutofenhitze, wischten sich mit den Ärmeln den Schweiß von der Stirn und starrten auf eine Karte, die Sikes entfaltet auf den Boden gelegt und mit faustgroßen Steinen beschwert hatte.
Glutofenhitze ist so ein Wort, was nicht in den Text passt, finde ich jetzt. Da fehlt mir die Gravität, weißt du, was ich meine? Das klingt mir zu jugendlich. Und warum legen sie die Karte nicht auf die Motorhaube? Auch sind die Militärkarten doch in so einem Kunststoff foliert, der sie vor Witterungseinflüssen schützt.

Er zog das Messer aus dem Gürtelholster, deutete mit der Klingenspitze auf einen Punkt auf der Karte und sagte: »Bei dieser Position ist eine Siedlung. Könnte sein, dass wir hier unseren Mann finden.«
Nachher erschließt sich, sie suchen nach einem Mann, einem Feind im Grunde. Da sagt er dann aber eigentlich ziemlich lapidar: Könnte sein, dass wir den da finden. Das klingt auf mich irgendwie auch wenig vertrauenserweckend. Würdest du so einem Leader vertrauen in quasi feindlichem Gebiet? Einer der sagt: Naja, gucken wir mal da, dann mal hier, dann mal da bißchen so? Entweder ist Geronimo da schonmal aufgetaucht in dieser Siedlung, weil er Waren gebraucht hat oder Munition oder seine Frau oder sein Sohn lebt da, dann ist das ein strategisch interessanter Punkt, oder eben nicht. Dann könnten sie auch hinter dem nächsten Busch anfangen zu suchen. Es muss einen Grund geben, warum sie genau da anfangen zu suchen, und der Sikes muss den kennen und deswegen wird das auch so gemacht, weil er hier der Leader ist.
»Iss ein altes Mexendorf«, sagte Sikes. »Vielleicht haben wir Glück.«
»Wie sieht’s mit der Bewaffnung aus, Sir?«, fragte einer der Männer.
»Den Drohnendaten zufolge nur ein MG.«
Sikes beschrieb die taktischen Gegebenheiten der Siedlung und erläuterte den Angriffsplan.
»Zwei Meilen westlich der Ortschaft beziehen wir Warteposition«, schloss er. »Dort gilt Fressehalten.«
Hier wird das etwas ausgeführt. Mir wird aber nicht klar, warum die da so einfallen wollen. Warum gibt es da überhaupt ein MG? Warum muss das bewacht werden? Warum verschanzen sich die Mexen da so? Und wenn eine Drohne so sorgfältig und präzise Daten liefert, warum ist sie nicht in der Lage auszumachen, ob sich die gesuchte Person in dem Dorf befindet. Und dann so diese ultra-vulgäre Sprache: Ich denke immer, so sprechen die nicht, denn das sind Profis, die sich auskennen und die sich nicht aufspielen müssen. Das wirkt auf mich so ein wenig wie Phantom Kommando, wenn die so grobmäulig sind, das brauchen die auch gar nicht. Ich denke mir auch: das sind doch erfahrene Männer, die wissen auch von alleine, dass sie in einer abwartenden und beobachtenden Position nicht laut rumbrüllen dürfen, oder?
Wieder stieß Redmond Kossov an. »Haste Gefechtserfahrung?«, fragte er, während er ein Kaugummi aus dem Silberpapier wickelte.
Kossov nickte. Für einen flüchtigen Moment roch er den Morast, roch das in der Sonne Tampas faulende Fleisch. »Ein halbes Jahr Floridadivision«, sagte er.
Ich weiß nicht. Fragen sich Söldner oder Soldaten so etwas? Ich meine, in diesem Ton? Klar wollen die wissen, mit wem sie es zu tun haben, aber klärt sie da nicht so jemand wie Sikes vorher auf, damit alle wissen, mit wem sie es zu tun haben? Und wenn Floridadivision Kampferfahrung bedeutet, dann wäre das demnach Allgemeinwissen, und er müsste fragen: Ich habe gehört, du warst in der Floridadivision? Oder: Wo warst du vorher? Dann antwortet der andere: Floridadivision, und es wird klar, das bedeutet er hat Kampferfahrung.

»Verstehe bloß nicht, warum wir diesen Mann jagen.«
»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.«
Muss er seinen Befehl verstehen?
Und dann das mit dem Symbol. Das ist halt klar, aber du darfst es als Autor natürlich nicht verraten. Die jagen diesem Symbol hinterher, aber der Redmond müsste eine Aktion dieses Mannes erzählen, WARUM er zu diesem Symbol wurde. "Der hat den und den abgeknallt, und deswegen ist das und das passiert." Der Mann ist über sich selbst hinausgewachsen und ist so zu einem Symbol geworden, die anderen laden ihn ja dazu auf, er wird nicht von alleine zu einem Symbol, dazu gehört eine Gemeinschaft, die ihn legitimiert.

Die Jeeps donnerten durch den Torbogen aus gestampftem Lehm, kamen auf dem Schotter der Hauptstraße knirschend zum Stehen.
Haben die nur das MG als Verteidigung, keine sonstigen Waffen? Die können einfach so halten ohne jeden Beschuß?
Die Männer stießen die Türen auf, sprangen hinaus und begannen zu feuern. Die Siedler versuchten, sich vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Schreiend stürzten sie aus ihren Häusern und wurden sogleich niedergeschossen.
Da frage ich mich: warum tun sie das? Ich meine, nicht aus moralischen Gründen oder so, obwohl man sich schon fragen könnte, ob Söldner wirklich jeden für Geld umbringen. Zwischen diesen Gruppen besteht ja kein gewachsener Hass, für die eine Seite ist es eben auch nur ein Geschäft. Und auch, wenn die Siedler die Gruppe beschossen hat mit dem MG, hatten die keine Zeit zu flüchten? Haben die sich nicht schon auf so einen Angriff vorbereitet, einen Plan zur Evakuierung?
»Iss ein Erfolg«, sagte Sikes. Er las einen Zweig auf und warf ihn in die Flammen. »Auch wenn unser Mann nicht dabei war.«
Warum ist das ein Erfolg? Weil die Mexen halt sowieso umgelegt gehören, weil die alle verdächtig werden, Rebellen zu sein? Mir fehlt hier in diesem Konflikt einfach die Orientierung. So klingt das für mich wie so eine Killerbrigade, die aber dem Klischee folgt, dass erstmal alles weggeballert wird, Fragen stellt man später. Ich finde das aber nicht mehr zeitgemäß.
Pescoli hatte am Nachmittag zwei Gabelböcke geschossen, jetzt briet das Fleisch etwas abseits auf mehrere Stecken verteilt über dem Glutbett eines niedergebrannten Kochfeuers.
Ich würde mal erlegt sagen. Klingt auch besser als geschossen.

Das AK-Sturmgewehr lag auf seinen Oberschenkeln, die Pistole im Kaliber neun Millimeter steckte im Gürtelholster.
Die neuen Militärwaffen müssen kaum gereinigt werden und sind auch speziell sehr unempfindlich gegen Sand und Staub. Eine AK kommt mir deswegen auch seltsam anachronistisch vor, weil das sich schon wie eine Dystopie anfühlt.

»Meine Freundin versteht’s nicht«, sagte er. »Für solche Momente liebe ich den Job.«
Kossov sah zu ihm auf, erwiderte aber nichts.
»Leute, die nicht im Krieg waren, können’s nicht begreifen. In einem Augenblick - diese Anspannung, die dir’s Arschwasser kochen lässt und dann …« Er hob die Hand und deutete auf die rötlich schimmernde Ebene. Er lachte und entblößte dabei die kräftigen Zähne.
Über dem Trupp spannte sich die ungeheure Weite der Prärienacht mit ihren Tausenden von Sternen.
Die Romantik des einsamen und unverstandenen Kriegers. Ich weiß nicht, ich finde das zynisch, weil bis jetzt auch keiner der Charaktere gebrochen wird, die bleiben eindimensionale Ballerdudes, die alles wegknallen, Killer. Für die habe ich keine Sympathie. Und wenn er dann irgendetwas über kochendes Arschwasser sagt, da wird mir im Grunde übel. Das wird halt auch kombiniert mit dieser Prärienachtromantik, und dieses Bild beißt sich halt. Für mich sind das ruchlose Mörder, die Krieg und Töten geil finden. Das Trauma wird vorgeschoben, aber es wird nie bewiesen. Warum sind sie traumatisiert? Was genau hat dazu geführt? Nicht darauf verlassen, dass man als Zivilist denkt, na ja, Krieg ist auf jeden Fall traumatisch. Das Bild des traumatisierten Kriegers muss sauber eingeführt und hinterlegt werden. Dieses Bild wird aber dann auch durch diese rauhe-Männer-leben-unter-dem-freien-Himmel-und-fühlen-sich-frei so konterkariert, dass ich nicht weiß, wo so der undercurrent der Story liegen soll. Irgendwie sind sie traumatisiert, aber irgendwie ist dieses Leben auch doch ganz geil und frei und abenteuerlich. Auch dass er so was wie Arschwasser sagt, das kommt mir so fremdartig in diesem Kontext vor, ich denke auch, jemand der wirklich mal getötet hat oder das beruflich tut, der wird das nicht so lapidar abtun. Hast du mal in "On Killing" reingelesen, ist von so einem Westpoint Militärpsychologen. Sehr gut. Es gibt natürlich dieses Phänomenen, dass jemand, der damit nicht umgehen kann, das Ganze, also das Töten undsoweiter, die psychologische Last, durch so dumme Späße und kindisches Gelaber übertünchen will, aber das würde im Kontext dieser anderern, erfahrenen Männer auffallen: die müssten dann sagen: Halt die Schnauze, dein Gelaber geht uns auf den Sack.

Sie hatten zwei Männer verloren, zwei weitere waren verletzt.
Naja, dann war das schon mehr als ein Einschüchterungsversuch, mehr ein ambush, oder?
Mir fehlt hier auch die Begründung, warum die genau dort angegriffen werden? Die fahren zwei Tage durch die Gegend, vollkommen unbehelligt. Wie werden die verfolgt? Haben die Verfolger keine eigenen Wagen, keine Gefährte?
»Geronimo liebt die Berge, deshalb wird Sikes ihn da suchen.«
»Geronimo?«
»Yep, so nennen ihn seine Leute.«
Das sein Name Geronimo ist, müssten den Typen doch schon geläufig sein, oder? Das würde man doch bei einer Einsatzbesprechung erwähnen, alleine schon aus dem Grund, dass die nicht irgendeinem Typen über den weglaufen der etwas über einen "Geronimo" erzählt und die nicht wissen, um wen es geht.

»Dass wir jetzt im ganzen Land Bürgerkrieg haben«, sagte Sikes, nachdem er eine Weizentortilla gegessen hatte, »ist die Konsequenz aus jahrelangen Versäumnissen.«
Er zog eine Packung Marlboro aus seinem Rucksack und klopfte eine einzelne Zigarette heraus. Vangard gab dem Captain Feuer.
»Versäumnisse der Scheiß-Liberalen, Sir«, sagte Halloway und streckte den Rücken. Das ockerfarbene Uniformhemd spannte sich über seinem dicken Bauch. »Würde gern wissen, wie’s den Friedensengeln jetzt so geht. In der neuen Welt.«
Warum beginnt er genau diesen Dialog genau jetzt? Vollkommen unvermittelt. Natürlich raucht er eine Marlboro! Das finde ich geil. Besser wäre ein Dip. Ich denke aber, so eine Story braucht keine Backstory in dem Sinne: das spielt einfach keine Rolle und wirkt nur unfreiwillig prätentiös, so nach dem Motto: jetzt muss noch schnell eine Begründung her, warum da Krieg oder ein Konflikt ist. Hier geht es aber um die Jagd nach diesem Geronimo, die sollte im Vordergrund stehen, er symbolisiert ja diesen Konflikt.
»Die Pferde müssen abgerieben werden«, sagte er. »Auch mal schauen, ob die Hufe okay sind. Manchmal gibt’s Verletzungen an Ballen, Krone oder Nagel.«
Wenn die alle reiten können, wissen die doch so etwas selber, oder?
Sikes ließ seine Zigarette fallen und trat sie mit dem Stiefel aus. »Zivilisiertes Verhalten ist die Folge zivilisierter Verhältnisse«, sagte er. »All diese Männer hier sind traumatisiert. Für die meisten gibt es keinen Weg zurück. Ich lasse sie tun, was immer sie wollen, solange ich mich im Kampf auf sie verlassen kann.«
Das ist, denke ich, der Punkt. Genau aus diesem Grund kann man sich irgendwann nicht mehr auf sie verlassen, die Disziplin steht doch an erster Stelle, es geht nicht um die Traumata der Männer, sondern um eine Mission, deren Ziel erreicht werden muss. Ich finde, es wird ingesamt zu viel erklärt, all die Traumata etc, das muss aus den Aktionen der Männer abgeleitet werden, sich aus ihrem Verhalten ergeben.
Schrilles Kriegsgeschrei setzte ein. Feuerstöße aus automatischen Waffen stanzten für Sekundenbruchteile Standbilder des Kampfes aus der Nacht: Erikson, durchbohrt von einer Lanze, Blut, das aus seinem Mund schießt und schwarz an Kinn und Hals herabströmt. Ten, in der letzten Phase eines Schwunges, in dem sein Bowiemesser einer über ihn gebeugten Kriegerin quer den Schädel spaltet. Augen und Stirn der Frau verrutschen seitwärts wie in einem Schiebepuzzle. Sikes, eine Hand umklammert den Arm Geronimos, der dem Captain mit einem Knochenmesser die Gesichtshaut vom Schädel zieht.
Erinnert mich ein wenig an McCarthy und die Abendröte.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond. »Amerika ist verbrannt. Europa ist im Arsch, die Schlitzaugen sind im Arsch und kein Mensch weiß, wie es woanders aussieht. Wahrscheinlich nicht besser.«

Das ist dann doch ein versöhnliches Ende. Ich finde es nicht schlecht, aber irgendwie unlogisch. Fair wäre es gewesen, die gehen auch drauf oder werden in der Wüste ausgesetzt. Warum sollte Geronimo sie gehen lassen? Sie sind der Feind, er hasst sie ja tatsächlich. Aus Gnade? Womit haben sie sich diese verdient? Eine andere Möglichkeit wäre, dass einer von ihnen einfach aus Glück überlebt und dann durch die Wüste irrt und in ein ungewisses Schicksal. Das wäre dann wahrhaftig apokalpytisch, wenn er in einem zerstörten Dorf ankommt und dort nichts mehr vorfindet, was einmal Zivilisation gewesen sein mag.

Ich denke, dieser Angriff von Geronimo, da würde ich die Gewalt oder bzw das Level an Gewalt anziehen, eine epische, lange, brutale Szene, denn hier kuliminiert alles, die Söldner dort, die Rebell auf der anderen Seite, zwei Systeme clashen. Das davor soll nur die Charaktere der Söldner bilden, aber es zeigt im Grunde eine gesichtslose Masse, denn sie agieren immer als Gruppe, es gibt nie Widerspruch, kein einzelner Charakter agiert aus sich heraus, alles läuft im Hintergrund ab. Insgesamt sehr viele Personen, viel Personal. Vielleicht lieber doch rein personal auf einen Charakter fokussieren, sich damit mehr Zeit lassen? Ich weiß nicht. Wirkt sehr auseinandergezogen, sehr diffus auf mich an manchen Stellen. Enger machen, enger führen, näher am Charakter bleiben wäre vielleicht mein Tip.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Fliege, vielen Dank für Deinen Kommentar und entschuldige, dass ich so spät antworte. Die vergangenen Tage gab es eine Menge zu tun, deshalb komme ich erst jetzt dazu, Dir zu schreiben.

Zunächst ein paar Gedanken zur Frage der sinnlosen Gewalt. Ich interessiere mich dafür, was geschieht, wenn die Regeln des zivilisierten Zusammenlebens außer Kraft gesetzt werden. In dieser Geschichte gibt es so eine Situation aufgrund des Fehlens einer konsistenten gesellschaftlichen Ordnung. Und da tun Menschen dann Dinge, die innerhalb des zivilisierten Rahmens undenkbar wären. Ich finde, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, denn das bedeutet auch etwas für Dich und mich heute. Ich finde, wir sollten uns mit diesem Aspekt der menschlichen Natur befassen, denn der äußere, ordnende Rahmen kann schneller wegbrechen, als man normalerweise denkt. Die Beispiele des Syrien-Krieges, des Ukraine-Krieges, der sozialen Unruhen in Frankreich usw. sind deutliche Hinweise dafür.

Dass es nicht so ganz klar wird, weshalb die Schamanin die beiden Gefangenen freilässt, scheint mehrere Leser des Textes zu stören. Ich bin noch nicht ganz sicher, ob ich das ändern möchte oder nicht. Ich finde, man kann dafür ohne große Verrenkungen Erklärungen finden. Dass diese nicht explizit ausformuliert werden, ist in meinen Augen nicht unbedingt ein Mangel.

Du hast eine mögliche Erklärung genannt. Eine andere wäre, dass Geronimos Trupp ein positives Zeichen setzen möchte, eine Geste des Waffenstillstands. Eine dritte wäre, dass Geronimos Gruppe unter der Führung der Schamanin nicht-rationalen Gründen folgt. Vielleicht hatte die Schamanin mit den beiden Gefangenen ein Zeichen.

Aber danke für diesen Hinweis, ich schaue mir das noch einmal an.

Was die Parallele zur Ausrottung der Ureinwohner betrifft, so ist das zwar nicht ganz zufällig, allein wegen Geronimos Namen. Aber ich sehe die Thematik des Textes allgemeiner in der Frage, welche Legitimierungen Menschen für ihre sinnlosen und letztlich selbstzerstörerischen Kämpfe und Gewaltexzesse haben. Die Seite von Sikes wird ja durch die Aussagen des Captains dargestellt. Er fühlt sich im Recht, weil Geronimo und seine Leute angeblich rebellische Anarchisten sind.

Ich freue mich jedenfalls, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, meine Geschichte zu lesen und dass Du Deine Gedanken dazu geteilt hast. Vielen Dank dafür, Fliege.

Beste Grüße
Achillus


Hallo Jimmy, vielen Dank für Deinen Kommentar über den ich mich sehr gefreut habe. Da steckt viel Arbeit drin. Ich antworte Dir bald möglichst und wünsche Dir ein schönes Wochenende.

Gruß Achillus

 

»Kommt mir vor«, sagte Kossov, »als wären das normale Leute gewesen.«
...
»Wir haben zweiundvierzig erledigt. Acht Männer, sech[...]zehn Frauen, achtzehn Alte und Kinder.«

Da bin ich nochmals, wenn ich darf,

Achillus,

nicht so sehr, weil mir direkt zu Anfang ein „alter“ Schnitzer aufgefallen ist, als ich mich grundsätzlich frag, welchen Segen unsere Kultur und insbesondere hochaktuell die Digitalisierung dem Amazonas-Indianer oder dem Pygmäen im Kongo bringt und selbst uns im schönen Europa und wie sie mit diesem an sich "unverlangten" Glück auskommen werden (was sicherlich auch die ältere Generation betrifft, wobei ich ja noch privilegiert bin im Gesundheitsunwesen bei den Anfängen (DFÜ wurde nach Feierabend auch in den kaufm. Büros durchgeführt und einmal - in 20 Jahren Job - hat ein Straßenbagger uns in der Wiege der Ruhrindstrie vom Rechenzentrum in Dehrendorf (D'dorf) "abgeschnitten" und wie viel sie zur Verblödung beiträgt, sofern man meint, man brauche nur mit dem Ding umgehen können und zu wissen, wo was steht und was was immer auch ist … wiewohl der vorgeschobene Anlass itzo sehr trivial ist, wenn es heißt

Einen Moment lang glaubte er, in der Reflexion der Fenstergläser sein Spiegelbild zu erkennen, aber das Gesicht des jungen Mannes dort schien ihm fremd.
wo „scheinen“ als Modalverb (denk dran, nur die Sonne scheint [sehn wir mal vom brennenden Urwald oder (Lager)feuer ab ] verwendet wird und damit nach einem zwoten, einem Vollverb verlangt – und da bietet sich das schlichteste überhaupt an, das aber substantiviert ganze philosophische Systeme stützt: „sein“ („schien ihm fremd zu sein“) oder zum Vollverb „erscheinen“ adeln.

Weiter unten klappt es übrigens

Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schüttelte er den Kopf und gab zwei Männern das Zeichen, mit dem Verteilen des gebratenen Wildbrets zu beginnen.

Hier fehlt was, wahrscheinlich
Eine graue Wolke aus Trümmerstaub hing eine Weile in [der] Luft.

Kossov hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, er ritt mit quergelegtem Unterschenkel, halb seitlich im Sattel sitzend, da riss ihn ein Pfiff vom Ende der Reiterkolonne her aus den Gedanken.

Kossov erkannte das Gesicht des Mädchens wieder, das Halloway mit dem Messer verletzt hatte. Ihre Züge waren in einem Ausdruck des Schmerzes erstarrt, die blicklosen Augen fixierten einen Punkt im Blau des Himmels.

Sikes drehte sich um, und einen Moment lang sah es so aus, als wisse er nicht was Kossov von ihm wolle.

Kossov trat von einem Fuß auf den anderen. »Sir, ich[...]…«

vllt. eine sprachliche Eigenheit Vangards
»Ich kann mitmachen«, schaltete sich Erikson ein, doch Vangard schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass Sie morgen von Pferd fallen«, sagte er.

»Scheiße«, stieß Erikson hervor. »Jetzt nehmen sie uns aufs Korn.«
Kurze Unterbrechung im Auftrag der Aktion „rette das Ausrufezeichen!“ Solltestu alles noch mal abklopfen!

In dem MomentKOMMA als er das brennende Haus seiner Eltern sah, hörte er das Donnern von Hufen, und …

für mich ein schöner Schlusssatz
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond noch einmal. »Und es bedeutet einen Scheiß.«

wa lakota! (d. i. "Sioux" nach frz. Zunge ...)

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jimmy, vielen Dank für Deinen Kommentar. Mann, da steckt viel Wissen, Mühe und Arbeit drin. Solche Rückmeldungen sind Gold wert, ich weiß es sehr zu schätzen, dass Du Dich so intensiv mit dem Text befasst hast.

In meiner Antwort zu Deiner Textarbeit erlaube ich mir, Fragen und Anmerkungen unkommentiert zu lassen, die meiner Ansicht nach lediglich alternative Details und alternative Storyentwicklungen betreffen. Es spielt ja weder eine Rolle, ob die Militärkarte auf den Boden oder die Motorhaube des Jeeps gelegt wird, noch, mit wie vielen Schüssen die Antilopen erlegt werden oder ob es eventuell Nachschubprobleme geben könnte oder nicht. Ich lasse außerdem Anmerkungen unkommentiert, die Fragen betreffen, die später im Text geklärt werden. So wird im Laufe der Geschichte deutlich, hoffe ich, dass Sikes im Grunde Strafexpeditionen leitet, deren Ziel nicht allein das Fangen Geronimos ist, sondern die auch die Unterdrückung und Terrorisierung der Menschen beabsichtigen, die sich nicht in die von der Regierung kontrollierten Gebiete begeben haben und die die Milizen unterstützen.

Mich interessieren in Deinen Anmerkungen besonders die Hinweise, die Fragen zur Glaubwürdigkeit und zur inneren Logik der Ereignisse aufwerfen. Ich denke, dass Du bei einigen Punkten recht hast und in anderen sehen wir die Dinge verschieden.

Los geht´s!

1) Sich –Selbst – Fremd -Sein

Dieses Sich-selbst-fremd-sein des Kriegers ist halt schon ein sehr abgegriffener Topos. Auch dass das wirklich so ist: Ich sehe mein Spiegelbild und weiß nicht, ob das wirklich ich bin - das glaube ich nicht.

Ich kann Dir von dieser Erfahrung aus erster Hand berichten. Es war in einem Flieger zurück nach Deutschland. Ich hatte mehrere Wochen im Ausland verbracht und dort sehr intensiv trainiert. Mein Alltag während dieser Zeit war komplett anders abgelaufen, als in Deutschland. Beim Rückflug dachte ich an mein Leben zu Haus. Als ich dann auf der Bordtoilette in den Spiegel sah, hatte ich einen unheimlichen Moment. Ich wusste natürlich, wen ich da sah, aber das Gesicht im Spiegel schien nicht meins zu sein. Das ist also nicht nur eine Redewendung, es ist eine reale Erfahrung. Ich denke, wir machen solche Erfahrungen, wenn wir unter Stress stehen, ermüdet sind oder wenn sich Wahrnehmungen verschieben, beispielsweise, wenn das innere Erleben nicht mit dem äußeren Spiegelbild übereinstimmt.

Dennoch sprichst Du einen wichtigen Punkt an. Ich habe mit dieser Stelle auch ein Problem, allerdings aus einem anderen Grund. Ich wollte gar nicht so früh die Innenperspektive des Protagonisten zeigen, sondern eher seine Taten sprechen lassen. In der Vergangenheit gab es allerdings bei einigen meiner Geschichten Kommentare und Kritik zu einem angeblichen Perspektivwechsel. Wenn ich nämlich erst im zweiten oder letzten Drittel der Geschichte eine Innensicht zeigte, wurde moniert, dass das ein Bruch der Perspektive sei und man schon vorher mal eine Innensicht hätte sehen müssen. Ich habe deshalb jetzt hier und dort Innensichten eingefügt, die mir im Grunde gar nicht wichig sind, nur um diesem Vorwurf vorzubeugen. Vielleicht mache ich das wieder rückgängig.

2) Dialogauthentizität

Du hast einige Beispiele genannt, wo man fragen kann, ob die Söldner sich in diesem Ton unterhalten würden. Ich stimme Dir da zu, da kann man nachschärfen oder weglassen. Guter Punkt.

3) Die vulgäre Sprache der Profis

Und dann so diese ultra-vulgäre Sprache: Ich denke immer, so sprechen die nicht, denn das sind Profis, die sich auskennen und die sich nicht aufspielen müssen.

Du hast recht, das sollte man annehmen, ist aber nicht so. Ich habe mich vor, während und nach dem Schreiben dieser Geschichte mit der Wagner-Gruppe befasst und dabei SMS, sonstige Chats, Videos der Söldner und natürlich auch die Äußerungen von Prigoschin angeschaut. Und man kann in vielen Punkten sagen, noch primitver geht es kaum noch. Profi hin oder her, häufig sind es völlig verworfene Existenzen, die mit dem guten oder auch nur zivilisierten Ton nichts am Hut haben.

4) Geronimo, das Symbol

Und dann das mit dem Symbol. Das ist halt klar, aber du darfst es als Autor natürlich nicht verraten. Die jagen diesem Symbol hinterher, aber der Redmond müsste eine Aktion dieses Mannes erzählen, WARUM er zu diesem Symbol wurde.

Stimmt, das leuchtet ein. Da setze ich mich noch mal ran.

5) Militärwaffen müssen nicht gereinigt werden

Das ist mir neu und entspricht nicht dem, was ich gelernt habe. Zwar gilt die AK als wirklich robust, aber die Mechanik dieser Waffe ist trotzdem störanfällig bei Verschmutzung. Ich habe mit meinem Schießausbilder über das Thema gesprochen (und der ist Militärausbilder) und er sagte, dass er alle Waffen nach jedem Training (Schießen) reinigt und empfahl mir das gleiche Vorgehen.

6) Die Romantik des Kriegers

Die Romantik des einsamen und unverstandenen Kriegers. Ich weiß nicht, ich finde das zynisch ...

Meiner Ansicht nach hättest Du mit dieser Kritik recht, wenn die Geschichte das Handeln dieser Söldner affirmativ schildern und beschreiben würde. Dass der Erzähler das Vorgehen der Söldner nicht ausdrücklich tadelt, heißt in meinen Augen nicht, dass er dieses Verhalten gutheißt. Am Ende scheitern Sikes und seine Leute. Das bedeutet für mich, dass hier ausgedrückt wird, wie falsch der Captain und Leute mit seinem Weltbild liegen.

7) Das kindische Gelaber des Söldners

Es gibt natürlich dieses Phänomenen, dass jemand, der damit nicht umgehen kann, das Ganze, also das Töten undsoweiter, die psychologische Last, durch so dumme Späße und kindisches Gelaber übertünchen will, aber das würde im Kontext dieser anderern, erfahrenen Männer auffallen: die müssten dann sagen: Halt die Schnauze, dein Gelaber geht uns auf den Sack.

Das sehe ich ganz anders. Du scheinst Männer dieses Schlages für besonders reife Charaktere zu halten. Meine Beschäftigung mit dem Thema lässt mich andere Schlüsse ziehen. Oder anders ausgedrückt: Ein Elite-Soldat kann aufgrund seiner außergewöhnlichen Erfahrungen einen hohen Reifegrad erlangen, insbesondere wenn er als Mitglied einer regulären Armee psychologische Ausbildung und Unterstützung, Coachings usw. erhält.

Ich denke, wenn jemand Scharfschütze bei der Bundeswehr ist, ist die Wahrscheinlichkeit für so einen Fall hoch. (Allein schon deshalb, weil die Auswahlkriterien bei der Rekrutierung solcher Spezialisten enorm anspruchsvoll sind. Da sind Besonnenheit, die Fähigkeit zum Teamplay, Verantwortungsgefühl usw. gefragt.) Aber das gilt sicher nicht für Söldner überall auf der Welt und kann nicht in einer chaotischen Situation wie in dieser Geschichte vorausgesetzt werden.

8) Sein Name ist Geronimo?

Dass sein Name Geronimo ist, müssten den Typen doch schon geläufig sein, oder? Das würde man doch bei einer Einsatzbesprechung erwähnen, alleine schon aus dem Grund, dass die nicht irgendeinem Typen über den weglaufen der etwas über einen "Geronimo" erzählt und die nicht wissen, um wen es geht.

Das sehe ich nicht so. Die Idee ist, dass Kossov von einer Militäreinheit (Florida) in eine andere Division (Mexiko) versetzt wird bzw. sich versetzen lässt. Inwieweit die Mission von Sikes einem Neuling vorher erklärt wird, da gibt es keinen logisch zwingenden Grund, dass es so oder anders sein muss. Die Leute, die länger unter Sikes dienen, wissen natürlich, dass der Sikes wie Kapitän Ahab seinem weißen Wal Geronimo hinterherjagt, aber das muss einem Neuen keineswegs klar sein.

9) Die Rede des Captains

Warum beginnt er genau diesen Dialog genau jetzt? Vollkommen unvermittelt ... Ich denke aber, so eine Story braucht keine Backstory in dem Sinne: das spielt einfach keine Rolle und wirkt nur unfreiwillig prätentiös, so nach dem Motto: jetzt muss noch schnell eine Begründung her, warum da Krieg oder ein Konflikt ist. Hier geht es aber um die Jagd nach diesem Geronimo, die sollte im Vordergrund stehen, er symbolisiert ja diesen Konflikt.

Der Trupp ist bereits einige Tage unterwegs. Sikes hat bislang ein paar kurze Ansprachen gehalten, die eine Aktion taktisch vorbereiten sollten oder hinterher ausgewertet haben. Hier auf diesem Felsplateau nutzt er eine Pause, um gegenüber seinen Männern ein paar grundsätzliche Bemerkungen loszulassen. Was spricht dagegen, dass er das gerade jetzt tut? Meinst Du, man sollte das irgendwie einleiten, z.B. durch eine Frage der Männer? Ich sehe nicht, weshalb das nötig sein sollte.

Die Rede des Captains (die Hintergrundgeschichte) spielt meiner Ansicht in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Einerseits klärt sie die merkwürdigen Umstände dieser Mission zumindest teilweise auf. Andererseits macht sie klar, dass die Beteiligten allein deshalb Traumatisierte sind, weil sie einen apokalyptischen Angriff bzw. Krieg miterlebt haben, der die ganze Welt in ein Untergangsszenario gestürzt hat. Das wird wohl bei jedem halbwegs normalen Menschen einen seelischen Schaden verursachen. (Insbesondere wenn man bedenkt, welche Geschichten die Beteiligten erlebt haben, wie später während eines Gesprächs bei der Nachtwache beleuchtet wird.)

Drittens zeigt sie die Weltsicht des Captains. Warum ist das wichtig? Weil damit gezeigt wird, dass selbst dieser Haufen von Mördern scheinbare Rechtfertigungen für die begangenen Verbrechen besitzt. Es sind eben nicht einfach nur besinnungslose Idioten, sondern es sind Mörder, die einer Ideologie folgen.

10) Das Ende ist unlogisch

Das ist dann doch ein versöhnliches Ende. Ich finde es nicht schlecht, aber irgendwie unlogisch.

Du bist mit dieser Kritik nicht allein. Ich fand beim Schreiben, dass es gerade diese Irritation ist, die zum Nachdenken anregt. Aber wahrscheinlich täusche ich mich. Die Idee von Geronimo und seinen Leuten (der Schamanin) ist, dass es auf dem Weg dieser gegenseitigen Aggression keine Zukunft gibt. Die Schamanin möchte diesen Kreislauf durchbrechen. Auch wenn sie vielleicht wenig Hoffnung hat, dass so eine Geste zum Erfolg führt, kostet es sie letztlich nicht viel, zwei Söldner am Leben zu lassen. Ich fand es schade, dem Leser das auszubuchstabieren, aber vielleicht sollte ich das tun. Ich werde darüber nachdenken.

Jimmy, danke für Deine Gedanken. Du hast mir damit geholfen.

Gruß Achillus

 

Profi hin oder her, häufig sind es völlig verworfene Existenzen, die mit dem guten oder auch nur zivilisierten Ton nichts am Hut haben.

Hallo Achillus,

danke für deine ausführliche Antwort. Ich hake nochmals bei einigen Punkten ein.

Klar, das mag sein. Ich denke aber, es ist in einem Text wichtig, wie man die Figuren einführt, also auch, wie sie über das Geschehen reflektieren und auch sprechen: ich denke, Sprache macht einen Charakter mehrdimensional. Das ist ja deine Entscheidung als Autor, wie du das handhabst. Nur mal angenommen, du hättest einen Charakter dabei, der vollkommen aus der Rolle fällt und das Ganze an sich in Frage stellt: Warum sind wir hier? Was hat das für einen Sinn?, und das auch in seiner Sprache ausdrücken kann? Das ist ja oft so, dass du einen Charakter vor allem in Kriegsfilmen hast, der dem gängigen Typus widerspricht und dadurch auch das Paradoxe an solchen Situationen besser einfängt, weil er ein Identifikationsangebot macht für den Leser. Manchmal alleine schon aus seinem eigenen Sein, wie zum Bsp. Desmond Doss, der nun keinen anderen Menschen töten wollte aus Glaubensgründen, trotzdem aber bei allen Schlachten auf dem Feld war und seinem Land dienen wollte; das ist ja Paradoxie in einer Person. Du deutest das an, aber ich denke, vielleicht würde es dem Text noch mehr Tiefe geben, wenn du einen Zweifler dabei hast, der das auch so ausspricht. Schwer zu beschreiben, was ich hier genau denke, ich hoffe, du verstehst, was ich meine.

Zwar gilt die AK als wirklich robust, aber die Mechanik dieser Waffe ist trotzdem störanfällig bei Verschmutzung.
Nein, das ist klar, aber hier wirkt es wie ein Befehl in der Grundausbildung. Natürlich reinigt man seine Waffen, aber doch eher bedarfsorientiert; Roland Bartezko hat da was drüber geschrieben, dass in einem tatsächlichen militärischen Konflikt man sich nicht hinsetzt und quasi als Zeitvertreib seine Waffen reinigt, dass es nicht so eine autoritäre Befehlskette ist oder wie eine klingt, weißt du, was ich meine? Vielleicht reinigen sie einfach ihre Waffen, ohne das ihnen der Captain das quasi befiehlt.
Am Ende scheitern Sikes und seine Leute. Das bedeutet für mich, dass hier ausgedrückt wird, wie falsch der Captain und Leute mit seinem Weltbild liegen.
Das kann man so sehen. Dafür würde auch das Ende sprechen, was ja den Kreislauf dann durchbricht. Jedoch stellt sich für mich da die Frage, inwieweit Gnade oder der Wunsch auf das Beenden der Gewalt tatsächlich in den Figuren, die jetzt agieren, schon vorhanden ist. Da ist ein leises Aufbegehren da, aber keiner stellt das wirklich in Frage. Was wäre denn ihr Weltbild? Töten um des Tötens willen? Befehle befolgen? Dann würde das Ende ja ins Leere laufen. Würde jetzt da einer sagen, das muss ein Ende haben, wir sehen doch, wohin das führt, es ist ein Kreislauf, der sich immer wiederholt: und DANN kommt dieses Ende, dann würde das Ende auch noch einmal wesentlich mehr Gewicht bekommen.

Naja, sind nur so weiterführende Gedanken.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Friedrichard, danke für Deinen Kommentar und die Korrekturen. Ich arbeite die Probleme der Geschichte auf und freue mich über Deine Hilfe. Wünsche Dir eine gute Woche, Friedel!

Gruß Achillus


Hallo Jimmy, danke für Deine zweite Rückmeldung zum Text. Das hilft mir sehr.

1) Der ungewöhnliche Charakter

Ich hatte natürlich darüber nachgedacht, eine Figur in die Geschichte zu bringen, die das Geschehen radikal anders bewertet. Aber die Grundidee war ja, dass Kossov, nur ein wenig außerhalb des Gruppenkonsens steht. Er macht mit, ist aber noch nicht ganz und gar verloren, hat noch einen Rest von Menschlichkeit.

Damit sollte gesagt sein, dass es in diesem Niedergang der Zivilisiertheit nur noch minimale Abweichungen gibt. Ohnehin wäre fragwürdig, weshalb Leute sich an diesen Strafexpeditionen beteiligen, wenn sie damit nicht einverstanden sind. So eine Rolle könnte nur ein Außenseiter einnehmen, das wäre dann Kossov, aber den wollte ich explizit nicht als Rebell zeichnen. Bei dem Ganzen schwebte mir eine Story in der Art der Abendröte von McCarthy vor (Du hattest die Ähnlichkeit an anderer Stelle angemerkt), wo die Hauptfigur ja ebenfalls keinen Gegenentwurf darstellt. So sehr mich also die Figur des Zweiflers interessiert, ich habe einfach Schwierigkeiten, so einen Typus in die Geschichte zu bringen.

2) Waffenputzen

Mir war nicht klar, dass es so wirkt, als wäre das Waffenputzen ein Befehl. Ich dachte eher daran, dass es für einige der Männer eine ritualisierte Handlung ist, eine Art Stressabbau. Danke für den Hinweis, ich schaue mir das noch einmal an.

3) Das Weltbild des Söldners

Das ist ein guter Hinweis. Ich wollte ursprünglich zeigen, dass diese Art Männer sich durch die Apokalypse in einem reaktionären Weltbild bestätigt sieht. All die Friedensaktivisten, Liberalen, Versöhnlichen, Progressiven, Linken lagen aus ihrer Sicht schon immer falsch. Die Apokalypse zeigt, dass man schon viel früher viel härter mit allen Gegnern hätte verfahren müssen. Das sehe ich als das Weltbild dieser Männer. Bislang ist das angedeutet in den Gesprächen, die Sikes initiiert, aber nicht in aller Deutlichkeit ausgeführt. Ich schaue da auch noch mal rauf. Danke für Deine Gedanken dazu.

Wünsche Dir eine gute Woche, Jimmy!

Gruß Achillus

 

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