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- 08.07.2012
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Geronimo
Als die Kolonne losfuhr, geisterten im Osten erste Lichtreflexe über den Horizont. Hinter den fünf Jeeps wurden die Tore der Basis geschlossen. Kossov schaute aus dem Fenster des Geländewagens und beobachtete, wie die Morgenröte das verdorrte Land färbte. Einen Moment lang glaubte er, in der Reflexion der Fenstergläser sein Spiegelbild zu erkennen, aber das Gesicht des jungen Mannes dort schien ihm fremd. Er fühlte sich ausgehöhlt und steinalt.
Die Fahrzeuge jagten über den rissigen Asphalt eines Highways dahin, verlangsamten dann das Tempo, um in den Green Clay Creek einzuschwenken. Im trockengefallenen Flussbett nahmen sie wieder Fahrt auf und rasten, dichte Staubfahnen im Schlepp, in den anbrechenden Tag.
Kossovs Sitznachbar, ein Hüne mit rotblondem Haar und Sommersprossen, stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Erstes Mal dabei?«
Kossov nickte.
Der Mann reichte ihm die Hand und sagte: »Ich bin Redmond.«
Gegen Mittag verließ die Kolonne den Arroyo und bahnte sich ihren Weg durch eine mesquitebestandene Steppenlandschaft. Gabelhornantilopen stoben durch die flirrende Hitze, und einige der Männer ließen die Scheiben herunter, um aus den fahrenden Jeeps heraus auf die Tiere zu schießen. Kossov beobachtete, wie sich die getroffenen Antilopen in vollem Lauf überschlugen und zitternd im Sand der Steppe liegenblieben.
Am Nachmittag ließ Captain Sikes haltmachen. Die Männer standen in der Glutofenhitze, wischten sich mit den Ärmeln den Schweiß von der Stirn und starrten auf eine Karte, die Sikes entfaltet auf den Boden gelegt und mit faustgroßen Steinen beschwert hatte. Er zog das Messer aus dem Gürtelholster, deutete mit der Klingenspitze auf einen Punkt auf der Karte und sagte: »Bei dieser Position ist eine Siedlung. Könnte sein, dass wir hier unseren Mann finden.«
Kossov schob sich die Militärmütze in den Nacken und betrachtete den Captain, betrachtete sein sonderbar glattes Gesicht. Sikes trug keine Wüstentarnkleidung wie die anderen Männer, sondern eine grau verblichene Gefechtsuniform, die einmal schwarz gewesen sein mochte. Das Feldbarett tief in die Stirn gezogen, die Augen nur schmale Striche, hockte er brütend über der Karte. In seinem Oberschenkelholster glänzte der Verschluss einer schweren Fünfundvierziger.
»Iss ein altes Mexendorf«, sagte Sikes. »Vielleicht haben wir Glück.«
»Wie sieht’s mit der Bewaffnung aus, Sir?«, fragte einer der Männer.
»Den Drohnendaten zufolge nur ein MG.«
Sikes beschrieb die taktischen Gegebenheiten der Siedlung und erläuterte den Angriffsplan.
»Zwei Meilen westlich der Ortschaft beziehen wir Warteposition«, schloss er. »Dort gilt Fressehalten.«
Die Männer stiegen in ihre Fahrzeuge, und der Trupp setzte sich in Bewegung. Die Jeeps rumpelten bei langsamer Fahrt über harten, verkarsteten Boden. Sie passierten Felsklippen, die wie Skelette von Urzeittieren in der Sonne blichen.
Wieder stieß Redmond Kossov an. »Haste Gefechtserfahrung?«, fragte er, während er ein Kaugummi aus dem Silberpapier wickelte.
Kossov nickte. Für einen flüchtigen Moment roch er den Morast, roch das in der Sonne Tampas faulende Fleisch. »Ein halbes Jahr Floridadivision«, sagte er.
Redmond schnalzte mit der Zunge. Er steckte sich das Gummi in den Mund. Seine Kiefermuskeln traten kräftig hervor, während er kaute, und verliehen seinem blassen Gesicht einen gewalttätigen Zug.
»Floridadivision«, sagte er. »Gibt da ein paar gute Jungs.«
»Hatte irgendwann genug von den Sümpfen«, sagte Kossov.
Redmond lachte. »Ja, ja. Die Scheiß-Schlangen, Alligatoren, Jaguare.«
»Blutegel.«
»Blutegel. Genau.« Und nach einer Weile: »Iss aber schon ein anderer Job hier, als in der Floridadivision.«
Kossov sah Redmond erwartungsvoll an, doch der hatte den Kopf weggedreht und schaute aus dem Fenster.
»Verstehe bloß nicht, warum wir diesen Mann jagen.«
»Iss nicht nur ein Mann«, erwiderte Redmond. Noch immer starrte er durch die gepanzerten Scheiben hinaus in die felsige Prärie. »Iss ein Symbol.«
Bis zum Morgengrauen lagen die Männer in den Schlafsäcken, dann wurden sie geweckt. Sie packten ihre Sachen, machten sich kampfbereit. In der Nacht waren zwei Späher zurückgekehrt. Kossov sah, wie sich Sikes mit ihnen beriet.
Im ersten Licht des Tages bestiegen die Männer ihre Jeeps. Pescoli, ein hoch aufgeschossener, hagerer Italiener und Scharfschütze des Trupps, war bereits eine Stunde zuvor gemeinsam mit einem Beobachter zu Fuß aufgebrochen.
In einer Staubwolke fuhren die Geländewagen der Ortschaft entgegen. Etwa eine Meile trennte sie noch von den ersten heruntergekommenen Lehmbauten, da begann das Maschinengewehr der Siedlung zu rattern. Kühlergrill und Kotflügel des Führungsfahrzeugs wurden getroffen. Der Fahrer drehte ab, fuhr eine Schlingerkurve und hielt wieder auf die Siedlung zu. Unterdessen schoss das Gewehr weiter, bis das gewaltige Krachen von Pescolis Fünfziger Büchse über die offene Ebene hallte und das MG zum Schweigen brachte.
Die Jeeps donnerten durch den Torbogen aus gestampftem Lehm, kamen auf dem Schotter der Hauptstraße knirschend zum Stehen. Die Männer stießen die Türen auf, sprangen hinaus und begannen zu feuern. Die Siedler versuchten, sich vor den Angreifern in Sicherheit zu bringen. Schreiend stürzten sie aus ihren Häusern und wurden sogleich niedergeschossen.
Die Männer des Trupps durchkämmten das Dorf, traten Türen ein, massakrierten jeden, den sie aufstöberten, warfen Brandgranaten in Hütten und Ställe. Vangard, der Adjutant des Captains, filmte das Gemetzel mit seiner Helmkamera.
Am Marktplatz trafen sie auf Widerstand. Zwei Schützen hatten sich in der Cantina verbarrikadiert und feuerten mit langläufigen Jagdgewehren auf sie. Sikes gab Halloway, dem Grenadier, ein Zeichen. Halloway entriegelte sein M203, schob den Handgriff nach vorn und führte eine Explosivgranate ein. Er zog den Griff zurück, verriegelte wieder, zielte und schoss. Mit eigenartigem Ploppen verließ die Granate das Rohr und eine Detonation fegte über den Marktplatz. Glas klirrte, Holzsplitter hagelten herab. Eine graue Wolke aus Trümmerstaub hing eine Weile in Luft. Als sie sich schließlich legte, gab sie den Blick auf ein schwelendes Loch frei, das in der Frontseite des Lokals klaffte. Redmond und zwei andere Männer stürmten durch das Loch in der Mauer. Schüsse knallten, kurz darauf hörte man von drinnen den Ruf: »Gebäude gesichert!«
Nachdem alle Bewohner getötet waren, ging Sikes mit seinem Adjutanten und zwei Männern Ordonanz durch die Ortschaft. Vangard filmte die Gesichter der Toten.
»Scheiße«, sagte Sikes. Sein schmales Gesicht, wirkte in diesem Moment so glatt und hart wie Marmor. »Der Bastard ist nicht dabei.«
»Ein Loch weniger, in dem er sich verkriechen kann«, erwiderte Vangard und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem fetten Nacken.
Kossov schaltete den Rotpunkt des Reflexvisiers ab. Eine eigentümliche Schwere lastete auf seiner Brust. Er lockerte sein Halstuch, setzte sich in den Schatten einer Lehmhütte und schloss die Augen. Schloss die Augen und sah die Vögel, die im grauen Himmel über Boston schwebten, sah ihre Schatten auf dem Wasser des Charles Rivers, an dessen schlammigen Ufern Leichen die Luft verpesteten.
Kossov öffnete die Augen. Einen Moment lang starrte er ins Leere, dann begann er die Magazine seines Sturmgewehrs aufzumunitionieren. Nachdem er die Waffe mit einem frischen Magazin geladen hatte, stellte er das Gewehr an die Hauswand und drehte sich eine Zigarette. Um ihn her lagen die Toten in den Straßen, schon kreisten Truthahngeier im gleißenden Licht der Sonne. Kossov fischte das Sturmfeuerzeug aus seiner Jackentasche, entzündete die Zigarette und sah hinüber zu Redmond, der sich ein paar Meter entfernt neben die Leiche einer jungen Frau gehockt hatte und nun den Rucksack absetzte. Er zog sein Messer, packte den Kopf der Frau bei den Haaren, schnitt im Kreis um den Schädel und zog den Skalp ab. Die Kopfhaut stopfte er in das Deckelfach seines Kampfrucksacks. Er wischte das Messer am Ärmel ab, steckte es weg, erhob sich und schulterte sein Gepäck. Hinter ihm hing das lange, stumpfe Haar wie eine schwarze Kommandoflagge schlaff herab.
»Kommt mir vor«, sagte Kossov, »als wären das normale Leute gewesen.«
Redmond hielt inne, ließ den Blick über das zerstörte Dorf schweifen. Schwarze Rauchsäulen stiegen in den wolkenlosen Himmel. »Kann sein«, sagte er. »Kann auch sein, dass sie zum Feind gehörten.«
Abends schlugen sie ihr Lager in der Steppe auf. Pescoli hatte am Nachmittag zwei Gabelböcke geschossen, jetzt briet das Fleisch etwas abseits auf mehrere Stecken verteilt über dem Glutbett eines niedergebrannten Kochfeuers. In der Mitte des Lagers wurde ein weiteres Feuer entfacht. Halloway hackte den herangeschleiften Ast eines Papelillobaumes mit einem riesigen Bowiemesser in Stücke und warf die Scheite in die Flammen. Schwarz vor dem rötlich flackernden Hintergrund bewegte sich seine massige Gestalt wie in einem Scherenschnitttheater.
Kossov saß vor seinem Zelt. Er hatte seine Waffen gereinigt und geölt. Das AK-Sturmgewehr lag auf seinen Oberschenkeln, die Pistole im Kaliber neun Millimeter steckte im Gürtelholster. Er verstaute das Waffenputzzeug in einem zusammenrollbaren Lederetui. Kaum einer der Männer um ihn her sprach ein Wort. Einige dösten in den Zelten, andere hantierten mit ihren Waffen, ein Mechaniker ersetzte die Scheinwerfer des beschädigten Jeeps.
Redmond näherte sich, blieb stehen und nickte.
»Meine Freundin versteht’s nicht«, sagte er. »Für solche Momente liebe ich den Job.«
Kossov sah zu ihm auf, erwiderte aber nichts.
»Leute, die nicht im Krieg waren, können’s nicht begreifen. In einem Augenblick - diese Anspannung, die dir’s Arschwasser kochen lässt und dann …« Er hob die Hand und deutete auf die rötlich schimmernde Ebene. Er lachte und entblößte dabei die kräftigen Zähne.
Nachdem die Sonne hinter dem Westrand der Welt versunken war, saßen die Männer am Feuer. Über dem Trupp spannte sich die ungeheure Weite der Prärienacht mit ihren Tausenden von Sternen.
Sikes sagte: »Wir haben zweiundvierzig erledigt. Acht Männer, sechszehn Frauen, achtzehn Alte und Kinder.«
Einige Männer brummten zustimmend.
»Iss ein Erfolg«, sagte Sikes. Er las einen Zweig auf und warf ihn in die Flammen. »Auch wenn unser Mann nicht dabei war.«
Kossov betrachtete das vom Feuerschein halbbeleuchtete Gesicht des Captains, die abgezehrten Züge, die bleichen Lippen.
»Der kann sich nicht ewig verstecken, Sir«, sagte Halloway.
»Die Zeit läuft aber für ihn«, erwiderte der Captain. »Der Kerl iss ein Virus, eine Seuche. Der steckt jeden Tag mehr Leute an mit seinen Ideen.«
Es schien, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schüttelte er den Kopf und gab zwei Männern das Zeichen, mit dem Verteilen des gebratenen Wildbrets zu beginnen.
Zwei Tage lang fuhren sie durch die Steppe. Abends stellten sie ihre Zelte auf und campierten in der Nachbarschaft von Katzenfretten und Präriewölfen. Am Morgen des dritten Tages wurden sie vom Gewehrfeuer der Wachposten aus dem Schlaf gerissen. Kossov kletterte benommen aus dem Halbkugelzelt. Im Dämmer des Morgengrauens rauschten zwei Raketen mit leuchtendem Schweif auf das Lager zu. Kossov warf sich zu Boden. Die erste Explosion schleuderte eine Wagenladung Sand empor und begrub zwei Männer darunter. Die zweite Rakete krachte in einen der Jeeps. Das Fahrzeug machte einen Satz, zerbarst mit ohrenbetäubendem Getöse und ging in Flammen auf. Die Panzerplatten der Seitenarmierungen segelten durch die Luft.
Vielfaches Bellen von Sturmgewehren setzte ein. Sikes brüllte Befehle. Die Männer des Trupps formierten sich, feuerten in Richtung Westen. Als die Sonne aufging, war der Feind fort und der Kampf vorbei.
»Nur ein Einschüchterungsversuch«, sagte Sikes und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Wahrscheinlich eine Aufklärungseinheit. Nicht mehr als drei, vier Mann.«
»Wusste nicht, dass die jetzt Raketenwerfer haben, Sir«, bemerkte sein Adjutant.
Sikes nickte. »Ja. Der Feind rüstet auf.«
Kossov schulterte sein Gewehr und stand eine Weile wie erstarrt. Dann drehte er sich um und marschierte los. »Was iss mit dir, Kossov?«, rief ihm Halloway hinterher. Kossov hielt inne, ging auf die Knie und erbrach sich. Er kotzte, bis seine Halsmuskeln vor Anstrengung zitterten.
Gegen Mittag zogen sie weiter. Sie hatten zwei Männer verloren, zwei weitere waren verletzt. Das getroffene Fahrzeug war vollkommen ausgebrannt. Die Kolonne nahm Kurs in Richtung Südwest, das Brummen der Dieselmotoren tönte durch die Stille und Weite des öden Landes.
»Er wird’s wieder in den Bergen versuchen«, sagte Redmond. Kossovs Blick ruhte auf der vorbeigleitenden Landschaft mit ihren Salbeisträuchern und Feigenkakteen.
»Hm.«
»Geronimo liebt die Berge, deshalb wird Sikes ihn da suchen.«
»Geronimo?«
»Yep, so nennen ihn seine Leute.«
Eine Woche nach ihrem Aufbruch in der Basis erreichten sie das Red Falls Camp am Fuß der Kordilleren, deren schartige Grate sich scharf gegen den abendlichen Himmel absetzten. Ein Corporal empfing sie in der Dämmerung, grüßte nachlässig und zeigte ihnen die Unterkünfte. Die Männer holten ihr Gepäck aus den Fahrzeugen und richteten sich in zwei Blockhütten des Lagers für die Übernachtung ein. Man versorgte die beiden Verwundeten, es gab ein karges Abendmahl. Einige aus dem Trupp spielten Poker mit den Männern der Wachmannschaft.
Am nächsten Morgen stand Kossov am Korral des Camps und beobachtete, wie Sikes und sein Adjutant die Pferde inspizierten.
»Gute Quarterhorses«, sagte Vangard. Er überragte den Captain um einen halben Kopf und hatte eine kräftigere Statur.
Sikes stand bei einem Fuchs, strich über Widerrist, Rücken und Kruppe des Pferdes. »Sind sie ausgeruht?«, fragte er.
Vangard nickte. »Ja, Sir. Die Ranger sind vor drei Tagen mit ihnen aus dem Einsatz zurückgekommen. Die hatten genug Zeit, sich zu erholen.«
»Sie müssen es bis zum Pass schaffen.«
»Das wird schon, Sir. Kein Problem.«
»Ich denke, unser Mann treibt sich in einem der Hochland-Pueblos rum.«
»Wär nicht das erste Mal, Sir.«
Einen Tag und eine Nacht lang ruhten sie im Camp aus, dann schickte Sikes die Fahrer mit den Jeeps und den beiden Verletzten zum weiter südlich gelegenen Stützpunkt Backwood. Er ließ die Pferde satteln, und in der Morgendämmerung brach der Trupp in die Berge auf, ein Dutzend Reiter und drei Saumtiere.
Während des Aufstiegs wurde kaum gesprochen. Zu hören war nur das Knarzen des Lederzeugs und das leise Klirren von Metall. Die Pferde gingen sicher auf den schmalen Pfaden, nur ein einziges Mal blieb eines abrupt stehen, warf den Kopf und rollte mit den Augen. Pescoli, der das Pferd ritt, strich mit seiner knochigen, harten Hand über den Hals des Rappen und redete beruhigend auf das Tier ein. »War nur ‘ne Kettennatter im Gebüsch«, sagte er. »Hat mehr Schiss vor dir, als umgekehrt.«
Sie gelangten auf eine felsige Mesa, Sikes ließ die Männer absitzen. Sie legten den Pferden Fußfesseln an und vesperten im Schatten eines Palo Verde-Baums.
»Dass wir jetzt im ganzen Land Bürgerkrieg haben«, sagte Sikes, nachdem er eine Weizentortilla gegessen hatte, »ist die Konsequenz aus jahrelangen Versäumnissen.«
Er zog eine Packung Marlboro aus seinem Rucksack und klopfte eine einzelne Zigarette heraus. Vangard gab dem Captain Feuer.
»Versäumnisse der Scheiß-Liberalen, Sir«, sagte Halloway und streckte den Rücken. Das ockerfarbene Uniformhemd spannte sich über seinem dicken Bauch. »Würde gern wissen, wie’s den Friedensengeln jetzt so geht. In der neuen Welt.«
Einige Männer nickten.
Sikes erhob sich, machte ein paar Schritte und schaute vom Plateau in die Weite der Prärie unter ihnen. »Glaube nicht, dass es so einfach iss«, sagte er und wirkte plötzlich wie verloren in einer Welt, die ihm ein Rätsel war. »Klar, die Idioten in Washington haben es nicht kommen sehen. Aber auch wir anderen waren blind.«
Er wandte sich wieder seinen Männern zu, nahm einen Zug und blies den Rauch durch die Nase aus. Er hob die Hand und wies mit dem Finger in unbestimmte Ferne. »Wie in Europa haben wir den Fehler gemacht, dem Status quo zu trauen. Dachten, wir könnten’s uns bequem machen. Und jetzt haben wir die Scheiße.«
»Europa«, sagte einer der Männer verächtlich. »Keine Ahnung, was da drüben los ist.«
Der Captain blickte ungehalten zu ihm herüber. »Was da los ist?«, sagte er. »Am Arsch sind die. Völlig am Arsch.«
Während des Nachmittags führte Sikes den Trupp über die Mesa und dann auf felsigen Wegen weiter westwärts durch die Berge. Tannen, Kiefern und Eichen säumten die schmalen Pfade. Über den Männern schwebten Rabengeier in der dünnen Luft. Kossov hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, er ritt mit quergelegtem Unterschenkel, halb seitlich im Sattel sitzend, da riss ihn ein Pfiff vom Ende der Reiterkolonne her aus den Gedanken. Die Männer zogen ihre Waffen und wendeten, einige sprangen von den Pferden und suchten Deckung. Auf ein Zeichen von Sikes hin liefen Halloway und ein weiterer Mann, die Gewehre im Anschlag, am Trupp vorbei den Weg zurück. Kossov war neben seinem Pferd in die Hocke gegangen. Er hielt sein AK-Sturmgewehr umklammert, der Zeigefinger der rechten Hand ruhte auf dem Sicherungshebel. Minuten vergingen. Ein Schwarm Zwergkleiber lärmte in den Tannenzweigen. Irgendwo im Dickicht des Bergwaldes ging Geröll zu Tal. Kurz darauf kehrte Halloway zurück. Kossov hörte, wie er Sikes meldete, dass der letzte Mann des Trupps aus dem Sattel geschossen worden war. »Ein Pfeil, fast so dick wie’n Besenstil«, sagte Halloway. »Direkt durch den Hals.«
Sikes nickte. Er ließ ein paar Männer die Gegend absuchen, aber alle wussten, dass das zwecklos war. »Nehmt seine Waffen und die Ausrüstung«, sagte der Captain. »Wie müssen weiter.« Das Pferd des Toten wurde an den Packsattel eines Saumtieres gebunden, dann setzte der Trupp seinen Weg fort.
Gegen Abend erreichten sie einen breiten Canyon, dessen Felsenwände blutrot in der tief stehenden Sonne glühten. Sikes ließ absitzen und das Lager errichten.
Pescoli und ein weiterer Mann zogen los, um ein paar Bergziegen zu schießen. Nachdem Vangard zwei Späher angewiesen hatte, die Umgebung aufzuklären, wandte er sich an Kossov und Redmond. »Die Pferde müssen abgerieben werden«, sagte er. »Auch mal schauen, ob die Hufe okay sind. Manchmal gibt’s Verletzungen an Ballen, Krone oder Nagel.«
Während Kossov mit einem groben Tuch den in der Abendkühle dampfenden Leib eines Falben abrieb, sagte er zu Redmond: »Ich glaub, mein Arsch iss durchgeritten. Würd mich nicht wundern, wenn es schon bis zum Knochen durchgescheuert iss.«
Redmond lachte. »Ja, das kenn ich. Du musst dir morgen die Hosen auspolstern, sonst beginnt es zu bluten, und dann fängt der Spaß erst richtig an.«
Später saßen sie am Feuer und reinigten ihre Waffen.
»Der Scheißstaub kriecht in jede Ritze«, sagte Redmond und klopfte das Gewehrmagazin gegen seinen Oberschenkel.
Kossov nickte. »Hatte in Tampa mal ‘ne Störung mitten im Gefecht«, sagte er. »Hatte vergessen, die Waffe zu sichern. Dreck kam ins Gehäuse und irgendwann ging nix mehr.«
»Wieso kämpfst du eigentlich mit dem da?«, fragte Redmond und betrachtete die Kalaschnikow.
Kossov hielt inne. »Iss so’ne Familiengeschichte«, sagte er.
»Ach ja?«
»Bevor mein Vater nach Amerika kam, hat er drüben in Georgien gekämpft. Hat die Russen gehasst, aber gemeint, dass die AK das beste Gewehr der Welt iss.«
»Hm.«
»Naja, und als ich zu den Regierungstruppen ging, konnte man sich die Waffen aussuchen. Also, daher …«
»Iss bloß Scheiße, wenn dir die Mun ausgeht«, sagte Redmond. »Glaube nicht, dass hier sonst noch jemand in dem Kaliber schießt.«
In dieser Nacht fand Kossov keine Ruhe. Er wälzte sich im Schlafsack hin und her. Gegen zwei Uhr gab er es auf und verließ das Zelt. Er schritt durch das Lager, hockte sich ans Feuer und hielt seine Hände in die aufsteigende Hitze. Halloway, der auf Wachpatrouille unterwegs war, näherte sich und blieb stehen.
»Böse Träume?«, sagte er.
Kossov nickte. »War selten, in letzter Zeit. Aber ab und zu iss nix mit Schlafen.«
Halloway spuckte ins Feuer. »Tja«, sagte er, »bei mir iss es Manhattan.« Er zuckte die Schultern, ließ den Blick über das im Flackerschein zitternde Lager schweifen. »Ich sehe die Häuserschluchten, alles schwarz. Qualm und Asche. Die verkohlten Leichen in den Straßen.« Er scharrte mit dem Stiefel. »Die Washington Bridge iss zusammengekracht, der Harlem River steht in Flammen.«
»Warst du dort?«
Halloway kratzte sich am Kopf und nickte. »Am Tag danach. Hab meine Schwester gesucht.«
Eine Weile sagte niemand etwas.
»Ich werd das nicht vergessen«, fuhr Halloway schließlich mit belegter Stimme fort und schluckte. »Wie lang iss das jetzt her? Vier Jahre?«
»Fünf«, erwiderte Kossov.
»Fünf Jahre«, wiederholte Halloway. »Ich werd’s nicht vergessen, bis zu meinem Tod nicht.«
Kossov erhob sich. »Ich hab mich kurz nach den Angriffen auf den Weg gemacht«, sagte er. »Zu Fuß, die ganze Ostküste runter, von Boston bis nach Jacksonville.«
»Scheiße«, sagte Halloway.
»Wenn du ein paar Monate lang nur Trümmer siehst, das macht dich fertig. Nur Asche, Rauch … Bis Richmond gab’s nichts mehr. Kein Haus. Keinen Baum, keinen Grashalm. Das ganze Land verbrannt.«
Ein Kojote heulte in der Nähe, die beiden Männer hoben die Köpfe und lauschten. Dann verstummte das Tier, und das Lager sank zurück in die nächtliche Stille.
»Tja, ich hatte Glück«, sagte Halloway. »Bin mit einem Militärkonvoi rausgekommen. Wir haben auch ‘ne Menge Scheiße gesehen. Aber zumindest mussten wir nicht zu Fuß da durch.«
Eine Weile sprach keiner der beiden ein Wort. Halloway nickte, machte einen Schritt und wollte seine Patrouille fortsetzen.
»Dieser Mann, den Sikes sucht«, sagte Kossov. »Was iss so besonders an dem?«
Halloway hielt inne und rieb sich das Kinn.
»Der Typ hat in der Gegend ‘ne Menge Aufruhr verursacht, so viel steht mal fest.«
»Führt er die Milizen hier?«
»Nee, der iss nur ein Bandenboss wie viele andere auch. Aber er hat’s ein paar Mal geschafft, verschiedene Gruppen zu verbünden. Hat unseren Leuten ganz schön eingeheizt.«
Drei Tage später meldeten die Späher, dass sie ein Hochland-Pueblo entdeckt hätten.
»Nicht mehr als zwei Dutzend Bewohner«, sagte Ten, einer der Aufklärer. Der Kirgise leckte über die rauen Lippen und fuhr fort: »Wahrscheinlich Vertriebene aus dem Norden und Osten, ein paar Mexen dabei. Haben sich in einer verlassenen Siedlung eingenistet, einen Brunnen instandgesetzt. Bauen Mais und Kartoffeln an.«
»Bewaffnet?«
Ten schüttelte den Kopf.
Als sich die Morgensonne im Osten über die gezackten Bergkämme schob, saßen die Männer des Trupps auf ihren Pferden und warteten auf den Befehl ihres Captains. Sikes wollte, dass sie Munition sparten. »Nur schießen, wenn’s nicht anders geht«, sagte er. »Und erst recht kein Dauerfeuer.« An den Sätteln hingen Fichtenholzknüppel und aus Flusssteinen und Rohleder gefertigte Totschläger.
Ein Pfiff, der von den gegenüberliegenden Hängen widerhallte, und die Meute jagte los. Der Ritt über das felsige Plateau dauerte nicht lange. In gestrecktem Galopp fielen die Reiter über die Siedlung her. Sie stürmten durch das Dorf, warfen Brandgranaten, trieben die Bewohner aus ihren Hütten. Sie wendeten, ergriffen die Handwaffen und knüppelten die Siedler nieder. Einige Kinder und Frauen schrien, die Männer des Pueblos flohen in stummer Panik oder versuchten, sich mit Schaufeln, Hacken und anderen Landgeräten zur Wehr zu setzen. Pescoli erschoss in schneller Folge ein paar von ihnen. Er hockte irgendwo in den Felsen weiter westlich und feuerte mit einem Remington Scharfschützengewehr.
Kossov spürte trotz ausgepolsterter Hosen einen schmerzhaften Aufprall, als sein Pferd über eine niedrige Steinmauer in der Dorfmitte setzte. Er hörte einen Aufschrei, brachte seinen Schecken zum Stehen und sah, wie sich Vangard im Sattel hochstemmte und den Totschläger gegen einen alten Mann schwang. Der Greis hatte zum Schutz die Arme gehoben, aber der Steinschläger riss ihm die Hände zur Seite und zerschmetterte das Stirnbein des Mannes. Hirnmasse und Blut klatschten hinter dem Alten gegen die ausgetrocknete Wand einer Lehmhütte.
Kossov glitt vom Pferd. Eine Machete in der Hand marschierte er durch die Siedlung. Überall lagen Schwerverletzte und Tote in ihrem Blut. Er sah Halloway, der ein junges Mädchen an der Kehle gepackt hatte und gegen eine Stallwand presste. Die Kleine war kaum älter als fünfzehn Jahre, aber sie kämpfte mit der Wut eines Berserkers, schlug und trat nach dem Grenadier. Kossov hatte nicht gesehen, woher sie so plötzlich ein Messer gezogen hatte, vielleicht aus dem Stiefel. Mit schnellem Schwung zog sie Klinge durch die Luft und schnitt Halloway quer durchs Gesicht. Er schrie auf, taumelte zurück und presste die Hände gegen den Kopf. Erikson, ein Corporal, der die ganze Zeit zugeschaut hatte, versetzte dem Mädchen einen Kniestoß in den Bauch. Die Kleine sank keuchend zu Boden, Erikson trat gegen ihren Arm, stieß ihr das Messer aus der Hand. Er griff ihr Leinengewand, riss es ihr vom Leib, und einen Moment lang sah es so aus, als würde er gleich hier über das Mädchen herfallen. Doch er schaute noch einmal zurück. Wie in Trance blickte er herüber zu Kossov. Er bückte sich, packte die Kleine an ihrem langen, schwarzen Haar und zerrte sie, am Boden hinter sich her schleifend, in den Stall.
Überall im Dorf vergewaltigen die Männer jetzt Frauen und Mädchen, einige der Siedlerinnen waren bereits halbtot von Knüppelschlägen. Es gab keine Schreie mehr. Nur hin und wieder hörte man einen der Soldaten ächzen. Kossov stand etwas abseits im Schatten eines Felsenüberhangs und rauchte. Er beobachtete, wie der Grenadier von Lapin, dem Sanitäter des Trupps, versorgt wurde. Lapin desinfizierte die Schnittwunde in Halloways Gesicht und lachte. »Da wird ein schönes Andenken zurückbleiben«, sagte er. Halloway fluchte.
Kossov schreckte auf, als ein schwerverletzter Mann, der von hinten an ihn herangekrochen war, seinen Stiefel packte. Kossov machte einen Schritt zur Seite und zog die Pistole. Er sah hinab auf den Verwundeten, ein Mann mittleren Alters, Blut rann über das ganze Gesicht, vermutlich hatte ihn ein Totschläger am Kopf getroffen. Der Fremde blickte zu ihm auf und hob flehend die nach oben gedrehte Hand. Kossov wusste, was er wollte. Er wandte sich ab, doch der Mann stöhnte auf und sagte: »Bitte, überlass mich nicht … den Kojoten.«
Kossov drehte sich um. Einen Augenblick stand er stumm da, dann hob er die Pistole. Das Krachen des Schusses zerriss die Stille, sein Echo geisterte eine Weile über dem Dorf.
Zwei Stunden später waren sie bereit zum Aufbruch. Die Männer saßen auf ihren Pferden. Ihre Blicke richteten sich auf Captain Sikes, der seinen nervös tänzelnden Fuchs zügelte. Hinter ihm, im Halbrund auf Stöcke gespießt, die abgeschlagenen Köpfe der Siedler. Kossov erkannte das Gesicht des Mädchens wieder, das Halloway mit dem Messer verletzt hatte. Ihre Züge waren in einem Ausdruck des Schmerzes erstarrt, die blicklosen Augen fixierten einen Punkt im Blau des Himmels.
»Auch wenn wir den Mann, den wir suchen, noch nicht gefunden haben«, sagte Sikes mit rauer Stimme, »wissen wir, dass wir letztlich Erfolg haben werden.« Er hob die Hand und wies auf das zerstörte Dorf. »Diejenigen, die sich gegen uns stellen, werden hinweggefegt. Diese Siedler hatten die Wahl. Sie hätten ein Leben in den kontrollierten Gebieten führen können, unter der Obhut unserer Regierung und unserer Truppen.« Er ließ den Arm fallen. »Doch sie wählten die Sache des Feindes. Sie wählten den Tod.« Er warf einen letzten Blick auf die Siedlung, dann riss er den Kopf seines Pferdes herum und gab dem Fuchs die Hacken.
Kossov salutierte. »Sie wollten mich sprechen, Sir.«
Der Captain war in den Anblick der Prärie im Osten versunken. Sie standen etwas abseits des Lagers am Rande einer mit Wacholdergestrüpp bewachsenen Mesa. Schon kroch der Schatten der Berge über die Ebene. Sikes drehte sich um, und einen Moment lang sah es so aus, als wisse er nicht was Kossov von ihm wolle. Doch dann sagte er: »Oh. Ja, danke, Soldat. Stehen Sie bequem.«
Er zog ein Päckchen Marlboro aus der Brusttasche seiner Uniformjacke und klopfte eine Zigarette heraus. Er reichte Kossov das Päckchen. »Bitte, bedienen Sie sich.« Kurz darauf standen sie nebeneinander, betrachteten das Farbenspiel über der Steppe und rauchten.
»Normalerweise schert es mich nicht, was die Soldaten unter meinem Kommando von meiner Vorgehensweise halten«, sagte Sikes schließlich. Noch immer schaute er auf die in rötlichem Licht flimmernde Landschaft.
»Aber das hier ist eine heikle Mission«, fuhr Sikes fort. »Ich muss mich auf jeden meiner Männer verlassen können. Das verstehen Sie sicher.«
»Jawohl, Sir.«
Sikes nahm einen Zug, hielt ihn lange in der Lunge und blies den Rauch dann langsam aus. »Ich habe den Eindruck, dass Sie meine Methoden missbilligen. Stimmt das?«
Kossov trat von einem Fuß auf den anderen. »Sir, ich…«
Der Captain hob die Hand. »Ich habe das Gefühl, dass Sie nicht mit dem Herzen bei der Sache sind. Ich könnte zum Beispiel nicht einmal sagen, ob Sie gestern im Dorf auch nur einen Feind getötet haben.«
»Das habe ich, Sir.«
»Gut. Lassen Sie mich Ihnen etwas klarmachen.« Der Captain deutete mit einer schweifenden Geste auf die Prärie. »Dieses Land will unseren Tod. Jeder Tag hier draußen kann dich auf tausend verschiedene Arten umbringen. Du kannst von einem Skorpion erledigt werden, von einer Schlange, einem Berglöwen. Ich habe Männer verloren, die von Bären oder von Wölfen zerrissen wurden oder hier in den Bergen in einen Abgrund stürzten. Und dann die Kämpfe mit den illegalen Siedlern. Mit den Milizen. Mit diesem Mann, der sich Geronimo nennt.«
Kossov nickte.
»Diese Welt will unseren Tod, Soldat«, wiederholte Sikes. »Die Natur des Universums ist der Kampf, der Krieg. Und vor fünf Jahren bin ich endlich aufgewacht und habe das verstanden.«
»Sir, wir haben Zivilisten getötet.«
Sikes schüttelte den Kopf. »Nein, Soldat. Sie begreifen es immer noch nicht. Es gibt keine Zivilisten mehr. Diese Leute unterstützen die Milizen. Sie unterstützen Geronimo.«
»Das wissen wir nicht genau. Oder, Sir?«
»Es spielt keine Rolle«, beharrte Sikes. »Ob es nun dieses Dorf war oder ein anderes. Tatsache ist, dass die illegalen Siedlungen die Milizen versorgen, ihnen Unterschlupf gewähren. Wir können uns den Luxus feiner Unterscheidungen nicht mehr leisten. Es heißt jetzt, die oder wir.«
Eine Weile sprach niemand ein Wort.
»Ich habe aus meinen Irrtümern der Vergangenheit gelernt«, sagte Sikes schließlich düster. »Es war falsch, den Friedenspropheten Glauben zu schenken. Tragisch, dass wir das jetzt erst erkennen.«
»Und die Skalps, Sir, die einige Männer als Trophäen nehmen? Die abgeschlagen Köpfe, die Vergewaltigungen?«
Sikes ließ seine Zigarette fallen und trat sie mit dem Stiefel aus. »Zivilisiertes Verhalten ist die Folge zivilisierter Verhältnisse«, sagte er. »All diese Männer hier sind traumatisiert. Für die meisten gibt es keinen Weg zurück. Ich lasse sie tun, was immer sie wollen, solange ich mich im Kampf auf sie verlassen kann.«
Er wandte sich Kossov zu. »Womit wir wieder bei Ihnen wären, Soldat. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
Kossov trat seine Kippe aus und schaute den Captain an.
Am Morgen des nächsten Tages durchquerte der Trupp ein Tal, das dicht mit Drehkiefern und Ginsterbüschen bewachsen war. Einige der Männer schauten sich nervös nach allen Seiten um.
»Ideales Gelände für einen Hinterhalt«, sagte Redmond, der neben Kossov ritt.
Sie gelangten an einen Wildbach, und Sikes ließ anhalten. Die Männer starrten auf das Wasser. Schäumend rauschte es dahin, glitzerte über die glattgeschliffenen Steine. Die Pferde blähten die Nüstern und warfen die Köpfe.
»Die Pferde tränken«, rief Sikes seinen Leuten zu. »Danach überqueren wir den Bach.« Er teilte vier Mann zur Sicherung ein und war der erste, der sein Pferd ins Wasser trieb. Zwanzig Minuten später hatten alle Männer des Trupps das andere Ufer erreicht. Einige von ihnen hockten am Wasser, um ihre Feldflaschen zu füllen, als ein gefiederter Speer durch die Luft zischte und den Fuchs des Captains, direkt vor Sikes Knie, in die Seite traf. Das Pferd schrie, aus Maul und Nüstern tropfte Blut. Der Captain wollte abspringen, doch sein Stiefel verhakte sich im Steigbügel, und das stürzende Pferd riss ihn mit sich zu Boden.
Feuer aus automatischen Waffen setzte ein. Das Krachen der Schüsse übertönte das Rauschen des Wassers. Ein Gruppe von archaischen Reitern, Männer und Frauen in sonderbarem Kriegsputz, brach aus dem Kieferndickicht, etwa fünfzig Schritte von Sikes Trupp entfernt. Die Fremden hatten ihre Mustangs mit Symbolen bemalt - Sonnen, Blitze, Totenschädel.
Kossov glitt aus dem Sattel und warf sich hinter einen Felsbrocken in der Nähe des Ufers. Er entsicherte seine Waffe. Redmond kam heran geprescht, sprang vom Pferd und ging neben Kossov in Deckung. »Geronimos Leute«, keuchte er.
Die fremden Krieger fielen über Sikes und seine Männer her. Einige feuerten mit Sturmgewehren, andere gingen mit Äxten und Knüppeln direkt in den Nahkampf. Die meisten von ihnen waren halbnackt. Ein am ganzen Körper weiß bemalter Hüne hatte nicht mehr am Leib, als ein Paar zerfetzter Stiefel. Kossov sah, wie er Pescolis Rappen mit seinem Mustang rammte, den Scharfschützen vom Pferd stieß und ihm mit einem Totschläger den Schädel zertrümmerte. Er reckte die Arme in die Luft, bleckte die Zähne und brach in heiseres Gebrüll aus. Kossov streckte ihn mit einer Salve seines AK-Gewehrs nieder.
Vangard zog den Captain hoch und schleppte ihn zu einer Baumgruppe, wo sich bereits Lapin und Ten in Sicherheit gebracht hatten. Ein barfüßiger Mann in Bluejeans setzte dem Adjutanten Tomahawk schwingend hinterher, sein Gesicht war von einem blutbespritzten Brautschleier verhüllt. Halloway, schräg im Sattel seines scheuenden Pferdes sitzend, tötete ihn mit vier oder fünf Schüssen in den Rücken. Der Grenadier wendete sein Pferd, hob die Waffe und schoss auf die Angreifer, bis das Magazin seines Gewehrs leer war. Er ließ es fallen und griff nach der Pistole in seinem Gürtelholster, als er mit einem Ruck von seinem Pferd gerissen wurde. Die Kriegerin, die das Lasso geworfen hatte, trug schwarze Reithosen und ein Baseballcap, ihre nackten Brüste waren rot bemalt, ihr Gesicht mit weißer Asche gefärbt. Die Schlinge ihres Lassos schnürte Halloway die Kehle zu, die Kriegerin gab ihrem Pferd die Hacken und schleifte den Grenadier hinter sich über den Kies des Ufers.
Kurz darauf war der Kampf vorbei. Die fremden Krieger zogen sich zurück, sie wendeten ihre Pferde und verschwanden im Buschland. Es war, als würden sie vom Grün der Mesquitesträucher verschluckt.
Sikes rief zum Sammeln. Der Trupp hatte drei Männer verloren, es gab zwei Verwundete, und von Halloway fehlte jede Spur. Drei Pferde waren tot, zwei weitere mussten erschossen werden.
»Wir setzen uns nach Westen ab«, sagte der Captain, benommen vom Schmerz seines zerschmetterten Beins. »Wenn sie uns hier noch einmal erwischen, ist es vorbei.«
An diesem Abend errichteten sie ihr Lager im Schutz einer Felswand, die sich über ihnen dreißig oder vierzig Meter steil in den dunkelnden Himmel erhob. Lapin hatte Eriksons Wunde, einen Oberarmdurchschuss, versorgt und das gebrochene Bein des Captains geschient. Aus Furcht vor Geronimos Kriegern wagten sie nicht, Feuer zu machen. Im fahlen Licht des östlich emporsteigenden Mondes saßen sie beieinander, kauten Trockenfleisch und tranken aus ihren Feldflaschen.
Kossov schaute in die Runde, schaute in die grauen Gesichter. Einige von ihnen schienen um Jahre gealtert. Die Augen des Captains lagen glasig in tiefen Höhlen, eigentümlich spitz ragten Nase und Kinn hervor. Auch Erikson und Redmond wirkten schwer angeschlagen. Apathisch lehnten sie an der Felswand, starrten auf ihre Stiefelspitzen.
Lapin nahm einen Schluck Wasser, wischte sich mit dem Jackenärmel über den Mund und sagte an Vangard gewandt: »Wenn sie uns in dieser Nacht nicht angreifen, haben wir eine Chance.«
Vangard reagierte zunächst nicht, schien dann aus tiefem Nachdenken zu erwachen und nickte.
»Der Captain steht unter Schock«, fuhr der Sanitäter fort. »Unterschenkelknochen und Knie sind zertrümmert. Ich habe ihm Morphin gegeben. Er wird´s schaffen, aber Sie müssen das Kommando übernehmen.«
»Ich weiß«, sagte Vangard.
»Okay, Lieutenant«, sagte Ten. »Wie iss der Plan?«
Vangard sprach leise, so leise, dass Kossov ihn kaum verstehen konnte, obwohl er nur drei Meter entfernt saß. »Wir versuchen es mit Zwei-Stunden-Wachen. Erst Kossov, Lapin und Redmond, dann Ten und ich. Vielleicht schaffen wir es so bis zum Morgengrauen.«
»Ich kann mitmachen«, schaltete sich Erikson ein, doch Vangard schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass Sie morgen von Pferd fallen«, sagte er. »Das wird unsere einzige Chance, ein anstrengender Ritt. Ruhen Sie sich aus.«
Den Blick auf den Horizont gerichtet, lief Kossov über eine hell schimmernde Ebene dem Meer entgegen. Er rannte im Takt seines Herzschlags, bumm, bumm, bumm. Er bemerkte, dass er vollkommen nackt war. Er spürte einen Luftzug auf der Haut und er fühlte die Härte des Bodens unter seinen Füßen. Am Rande seines Sichtfeldes tauchte ein Wolf auf. Das Tier strebte wie er selbst dem Meer entgegen. Kossov drehte den Kopf. Mit langen Sätzen jagte der Wolf dahin, die rote Zunge flatterte wie ein Wimpel im Wind. Die bernsteinfarbenen Augen mit festem Blick auf das Meer gerichtet, hetzte der Wolf über die Ebene, und jetzt erschienen weitere Tiere: Ein Adler stürzte aus wolkenlosem Himmel herab, glitt zwischen Kossov und dem Wolf durch die schimmernde Weite. Ein Panther sprang von der anderen Seite dazu, auch er in wildem Spurt hin zum Meer. Sein pechschwarzes Fell glänzte in der Sonne. Marder, Rehe und Füchse kamen dazu, und viele weitere Tiere, deren Namen Kossov kaum kannte. Wie in einem Wettlauf auf Leben und Tod hielten sie auf das blaue Band zu, das sich glitzernd am Horizont entlang zog. Ein Rütteln an der Schulter riss Kossov zurück in die silbrige Bergnacht. Das breite Gesicht des Kirgisen tauchte vor ihm auf. Ten hatte zwei Finger auf die Lippen gelegt und starrte ihn an. Dann wies er mit der Hand nach Westen auf einen kiefernbestandenen Berghang und sagte tonlos: »Sie sind hier.«
Links neben ihm hockte Ten hinter einem Geröllhaufen und spähte, das Gewehr an die Schulter gepresst, hinüber zum Berghang, wo Kiefern und Zypressen wie eine schwarze Wand aufragten. Rechts neben Kossov, ein paar Schritte entfernt, lag Erikson flach auf dem Boden, ein Baumstubben diente ihm als Deckung. Er starrte durch das Glas seines Sturmgewehrs, suchte mit langsamem Schwenk die Dunkelheit ab. Die vier anderen Männer konnte Kossov von seiner Position aus nicht sehen, aber er wusste, dass auch sie im dürftigen Schutz von Felsbrocken, Wurzelstümpfen oder Baumstämmen auf den Angriff des Feindes warteten.
»So endet es also«, dachte Kossov ohne Sentimentalität. Das hier war das letzte Kapitel in Sikes heikler, heiliger Mission. Eine Mission, deren Ziel die Tötung eines Mannes war, den sie nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten. In diesem Moment fragte sich Kossov, ob er überhaupt existierte oder ob Geronimo das Hirngespinst der sterbenden Welt war, eine Phantasie, die ihnen beim Durchwandern der Leere Aufgabe, Sinn und Halt geboten hatte.
Am Himmel jagten Wolken wie flache Riffe dahin, hin und wieder schoben sie sich über die Knochenscheibe des Mondes und dann schien es, als stürze die Welt in bodenlose Schwärze.
Der helle Klang einer Handglocke ließ Kossov aufhorchen. Es war ein einzelner, hoher und klarer Ton, beinahe so fein, wie der Klang einer angeschlagenen Stimmgabel. Er kam aus der Finsternis des Dickichts, in dem sie den Feind vermuteten, schwebte ein paar Sekunden, fremdartig und rätselhaft wie eine Sinnestäuschung, über der nächtlichen Szene und wurde dann jäh von der Stille verschluckt. Kossov fragte sich schon, ob er den Glockenton wirklich gehört hatte, als Erikson flüsterte: »Die versuchen ihre Spielchen.«
In diesem Moment knallte es und eine purpurfarbene Leuchtkurgel mit weißem Schweif schnellte hinauf in den nächtlichen Himmel. Eine Sekunde später explodierte sie in ein Dutzend gleißender Lichter und riss die Umgebung aus der Dunkelheit.
»Scheiße«, stieß Erikson hervor. »Jetzt nehmen sie uns aufs Korn.«
Doch einige Minuten lang geschah nichts. Kossov spürte, wie der Schweiß in seinen Augen brannte. Es war, als zöge ihn der Anblick der bebenden Traumlandschaft - ein zuckender, rotschwarzer Schattenriss - in einen Abgrund, in einen Orkus verdrängter Schrecken. In dem Moment als er das brennende Haus seiner Eltern sah, hörte er das Donnern von Hufen, und im blutig flackernden Schein erschien ein Reiter auf einer weißen Apaloosa-Stute. Er preschte heran und brachte die Schimmelstute abrupt zum Stehen. Er reckte Halloways abgeschlagenen Schädel in die Höhe, fletschte die Zähne und verzog das tätowierte Gesicht zu einer dämonischen Fratze. Kossov wusste sofort, wer dieser Krieger war. Ten und Erikson eröffneten das Feuer, doch im selben Moment erlosch das Licht der Leuchtkugeln und zurück blieb das gespenstische Bild des nackten Reiters, erstarrt in der Geste erbitterter Feindseligkeit.
Schrilles Kriegsgeschrei setzte ein. Feuerstöße aus automatischen Waffen stanzten für Sekundenbruchteile Standbilder des Kampfes aus der Nacht: Erikson, durchbohrt von einer Lanze, Blut, das aus seinem Mund schießt und schwarz an Kinn und Hals herabströmt. Ten, in der letzten Phase eines Schwunges, in dem sein Bowiemesser einer über ihn gebeugten Kriegerin quer den Schädel spaltet. Augen und Stirn der Frau verrutschen seitwärts wie in einem Schiebepuzzle. Sikes, eine Hand umklammert den Arm Geronimos, der dem Captain mit einem Knochenmesser die Gesichtshaut vom Schädel zieht.
Kossov spürte einen gewaltigen Schlag zwischen die Schulterblätter und kippte vorwärts in die Schwärze.
Zunächst verstand er nicht, was er da sah, doch dann löste der Anblick blanken Ekel aus. Häute spannten sich über ihm, Kossov betrachtete ihre feine Maserung im Gegenlicht der Sonne. Eingeweidegirlanden ringelten sich herab, einen widerwärtigen, süßlichen Geruch verströmend und vor ihm, den Blättern einer fleischigen Blüte gleich, waren menschliche Organe - Herz, Lunge und Nieren - auf ein Geflecht aus dornigen Zweigen gespießt. Mühsam richtete er sich auf und bemerkte, dass man ihn mit den Händen hinter dem Rücken an einen Pfahl gefesselt hatte. Er drehte den Kopf. Es dauerte einen Moment, bis er Redmond erkannte. Nackt, mit Kot und Blut beschmutzt, lehnte er an einem mit Messerschnitzereien verzierten Pfahl, keine drei Schritte entfernt und sah ihn aus entzündeten Augen, bleich und hohlwangig an.
»Die nennen es Knochenzelt«, sagte er und leckte über die ausgedörrten Lippen.
Kossov fand keine Zeit, über diese Bemerkung nachzudenken, denn in diesem Augenblick wurde der Eingang des Zeltes zurückgeschlagen und Geronimo trat herein. Er trug die Gesichtshaut des Captains wie eine Maske, davon abgesehen war er nackt.
Geronimo setzte sich vor die beiden Gefangenen und musterte sie schweigend durch die Augenlöcher der Hautmaske hindurch.
Eine Weile sprach niemand ein Wort. Kossovs Blick glitt über Geronimos Körper, über die Narben schlecht verheilter Wunden, über die Tätowierungen.
»Ich schaue durch die Augen des Feindes«, sagte Geronimo schließlich. »Aber ich sehe nur Angst, Hass und Dunkelheit.«
Er löste die Lederbänder der Maske hinter dem Kopf und streifte die Gesichtshaut des Captains ab. Kossov traf der harte, durchbohrende Blick des Mannes. Tätowierungen bedeckten beinahe sein ganzes Gesicht - Schlangenlinien, Sonnensymbole, Totenköpfe. Im rötlichen Dämmerlicht des Zeltes hockte Geronimo da, starrte Kossov an, drehte dann den Kopf und betrachtete Redmond.
»Ich habe euren Anblick so satt. Ich habe es satt, gegen euch zu kämpfen. Ich bin müde.«
Keiner der beiden Gefangenen sprach ein Wort.
Geronimo erhob sich. »Eure Gefährten sind tot«, sagte er. »Heute Nacht wird über euch entschieden.«
Zwei Krieger hatten Redmond und Kossov in der Dämmerung aus dem Zelt geholt und zu einem Lehmbrunnen geführt.
»Wascht euch«, forderte einer der beiden die Gefangenen auf und deutete auf einen mit Wasser gefüllten Holztrog.
Danach gab man ihnen saubere Kleider und führte sie gefesselt in die hereinbrechende Düsternis einen steinigen Pfad entlang auf eine Mesa. Viele Menschen hatten sich hier im Licht eines flackernden Feuers versammelt. Frauen und Kinder waren darunter, aber auch Alte und viele Kriegerinnen und Krieger Geronimos. Kossov sah ihre Gesichter, ernste Gesichter, einige hart wie Stein. Gedämpfte Stimmen und leise Gespräche waren zu hören, irgendwo quengelte ein Kind.
Die Menge nahm kaum Notiz von den Gefangenen. Redmond und Kossov wurden aufgefordert, sich zehn Schritte vom Feuer entfernt auf den Boden zu setzen. So saßen sie im Staub der Mesa, wechselten stumm Blicke und warteten.
Eine schlanke Frau trat aus der Dunkelheit in den Lichtkreis. Der Schein der Flammen leckte über ihre hochgewachsene Gestalt. In ihrem einfachen Leinengewand, das pechschwarze, lange Haar zu einem Zopf gebunden, wirkte sie wie eine indianische Seherin. Ein Amulett an einer Kette, vielleicht eine alte chinesische Münze, lag auf ihrer Brust. Ein paar Augenblicke später tauchte Geronimo auf, auch er schien durch ein unsichtbares Tor aus der Schwärze auf die Mesa zu treten.
Die Gespräche verstummten. Geronimo wandte sich an die Versammelten. Er war barfuß, trug Hosen aus rohem Leder und ein zerschlissenes Hemd.
»Dort sitzen unsere Gefangen«, sagte er schlicht, hob die Hand und wies auf Redmond und Kossov. Jetzt wandten sich die Leute den beiden zu, als hätten sie sie vorher nicht bemerkt. »Die Schamanin soll über ihr Schicksal entscheiden.« Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf und trat zurück.
Die Schamanin näherte sich den beiden Gefangenen. Sie hockte sich vor ihnen nieder und musterte sie. Zunächst betrachtete sie Redmond, dann Kossov. Sie blickte ihnen ins Gesicht. Bis auf das Knacken der Scheite im Feuer herrschte Stille.
»Stimmt es, dass ihr viele Siedler getötet habt?«, sagte sie mit leiser Stimme. »Alte Männer und Frauen, die keine Krieger waren. Kinder.«
Redmond starrte grimmig auf den Boden. Die Kiefer zusammengepresst, die Lippen bleich und verkrustet, starrte er in den Staub, als sei die Antwort auf diese Frage offensichtlich.
Kossov erwiderte den Blick der Frau. Er sagte: »Ja, das stimmt.«
»Und welches Urteil erwartet ihr angesichts eurer Taten?«, fuhr die Schamanin, an Kossov gewandt, fort.
Kossov schaute hinüber zu Redmond, und dieser hob kurz den leeren Blick. Es schien, als wäre Redmond bereits gegangen. Der Mann hatte abgeschlossen.
Kossov wandte sich der Schamanin zu und sagte: »Wir erwarten nichts. Unser Weg endet hier.«
Die Frau erhob sich. Eine Weile stand sie in Gedanken versunken da, dann nickte sie.
Redmond hob den Arm. Kossov folgte der Geste und erblickte einen Wüstenbussard. Der Vogel schwebte über der kakteenbestandenen Felslandschaft, frei, unbehindert, scheinbar schwerelos. Kossov sah Redmond an. Dann schnalzte er leise, und der Mustang, den Geronimos Leute ihm überlassen hatten, setzte sich wieder in Bewegung. Einen Augenblick später folgte Redmond. Er gab seinem Appaloosahengst die Hacken und schloss auf.
Die beiden hatten kaum ein Wort gewechselt, seit sie aufgebrochen waren. Geronimos Krieger hatten ihnen die Augen verbunden und sie auf Pferden einen Tag lang durch die Berge geführt. Irgendwann nahm man ihnen die Augenbinden ab. Es gab kein Wort zum Abschied, auch keine Warnung, keinen Fluch. Die Krieger wendeten ihre Pferde und zogen davon ohne einen Blick zurück.
Jetzt trabte Redmond neben Kossov und rieb sich die Stirn.
»Gehst du zurück?«, sagte Kossov.
»Zurück?«
»Zurück zum Camp.«
Redmond schien den Sinn der Frage nicht zu verstehen. Doch dann sagte er: »Sicher. Was sonst?«
»Sikes ist tot«, sagte Kossov.
Die Pferde trabten im Gleichschritt. Der Klang ihrer Hufe auf dem staubigen Boden wurde von den umliegenden Felsklippen zurückgeworfen.
»Männer wie Sikes stehen immer wieder auf«, sagte Redmond und als Kossov ihn fragend ansah, setzte er hinzu: »Wenn wir in die Basis zurückkehren, steht da ein neuer Sikes. Vielleicht heißt er Cornell oder Jones. Oder McCoy.«
Kossov nickte. »Ich gehe nicht zurück in die Basis«, sagte er.
Eine Weile sprach niemand ein Wort. Die Sonne stach auf sie herab, die Hufe ihrer Pferde klapperten und Redmond wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Du denkst, wenn Geronimo dich laufen lässt«, sagte er, »dann bedeutet das etwas.« Er wandte den Kopf zur Seite und spuckte in den Staub. »Wenn du diese Mission überlebst, bei der fast alle draufgehen, dann bedeutet das etwas.«
Kossov wollte darauf etwas erwidern, doch er presste die Lippen zusammen und schwieg.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond. »Amerika ist verbrannt. Europa ist im Arsch, die Schlitzaugen sind im Arsch und kein Mensch weiß, wie es woanders aussieht. Wahrscheinlich nicht besser.«
Kossov warf einen Blick auf seinen Gefährten.
»Wir haben die Apokalypse überlebt«, sagte Redmond noch einmal. »Und es bedeutet einen Scheiß.«
Die Sonne sank im Westen über die flimmernde Prärie. Die beiden Reiter zogen im schrägstehenden Licht dahin, und über ihnen schwebte der Bussard wie ein mythologisches Wesen.