Seniors
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Hm, @Moog, manchmal ist es aber auch so, dass die/der Leser:in nicht denselben Horizont hat wie die/der Autor:in. Da kann man dann lange herumkritteln und all die neu eingeführten Fachbegriffe anwenden (z.B. Ableismus).
Ist "(Affären) ... die ein Großteil der Menschen nun einmal hat" evidenzbasiert? Also ich würde mich nicht trauen, darüber eine solche Aussage zu treffen. Wie viele Länder gibt es? 197? 198? Sind das dann empirische Umfragewerte der UN?Was weiß ich über die Affären meiner Eltern (die ein Großteil der Menschen nun einmal hat)?
Entscheidend ist in diesem Satz "für mich". Kann schon sein, dass es für dich keinen Sinn macht, aber für 10.267 andere Leser:innen durchaus. Das ist der Ich-Blick auf eine solch literarisch dargestellte Situation. Hat man dahingehend noch keine Erfahrungen gemacht, gibt es sicher nicht wenige Dinge, die so gar keinen Sinn machen. Liegt aber dann nicht an Autorin/Autor.Nichts lässt mich mehr aus einem Buch/ Film/ Game fallen, als wenn die Geschichte (etwa die Entscheidungen und Handlungen der Figuren) keinen Sinn für mich macht.
Sicher gibt es Autor:innen, die in einen erklärenden Ton verfallen. Aber zum Handwerkszeug von Autor:innen gehört, NICHT in einen erklärenden Ton zu verfallen. Schon da trennt sich ja meist die Spreu vom Weizen. Das Zauberwort in dem Fall ist Empathie und das empathische und vorsichtige Aufbauen von Situationen, die so im Realen existieren. Über Mankells Afrika-Romane hat sich meines Wissens nach noch niemand beschwert. Und wenn man sie liest, merkt man, dass er genau beobachtet, gut beschreibt und so im Leser ein Gefühl der Empathie erzeugt, das unabhängig ist von Hautfarben und erlebten Diskriminierungen. Niemand sagte bisher, dass man Diskriminierung komplett nachvollziehen kann. Aber bisher sagte auch niemand, man dürfe nicht drüber schreiben, wenn man nicht selbst drin steckt. Nehmen wir "Früchte des Zorns". Steinbeck gehörte nicht zu den Hunderttausenden die nach Kalifornien zogen, weg vom Land, das der Bank gehörte, weg von der Bodenerosion, in Kalifornien unerwünscht waren, Schwarze, Weiße, Mexikaner, alle Religionen, in Lager gesteckt, so behandelt, wie Flüchtlinge oft behandelt werden. Er schrieb aber darüber. Obwohl er zwar recherchierte, aber kein Binnenmigrant war. Hat ihm aber jeder abgenommen, sein Buch. Es gibt also genug Gegenbeispiele, dass empathisches Schreiben, Interesse für das Geschehen, in die Tiefe gehen, durchaus KEINE erklärende, (BE)lehrende Funktion hat, sondern einfach nur beschreibt. Und je besser die Worte, desto empathischer die Reaktion der Lesenden.Aber bei dem Beispiel, weißer Mensch schildert Diskriminierungserfahrungen schwarzer Menschen, setzt man sich in eine erklärende, lehrende Funktion, die bei manchen Menschen das Grundproblem bei diesem Thema zum Ausdruck bringt.
Morphin