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Copywrite Geschichten kontra Regentage

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30.01.2006
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Geschichten kontra Regentage

„Es ist sooo langweilig!“ Bereits seit einer halben Stunde sitzt Janis am Fenster und fährt mit dem Finger die Spuren der Regentropfen an der Scheibe nach.
„Jola, wann scheint wieder die Sonne?“ Jola hört kurz auf, die Pfützen in der Einfahrt vor Omas und Opas Haus zu zählen.
„Regenmuffel!“, neckt sie ihren Zwillingsbruder und streckt ihm die Zunge raus.

„Wenn es jetzt nicht regnen würde, könnten wir an den See.“ Janis hat den Kaugummi aus dem Mund genommen und wickelt ihn sich um den Finger. „Oder in den Wald, oder auf den Schrottplatz, oder…“
„… zum Geisterhaus!“, ergänzt Jola, die ihre Pfützen schon fast vergessen hat.
„Du immer mit deinem blöden Geisterhaus. Gespenster sind was für Kindergartenkinder!“

„Wetten, dass ich besser spuken kann als du? Buuuh, Buu – huu!“ Unter lauten Rufen beginnt Jola, im Zimmer herumzuschlurfen und dabei ihrer Meinung nach höchst-schauerliche Grimassen zu schneiden.
Janis braucht nicht lange, um sich anstecken zu lassen: „Buuuuh! Buhuuu!“, spuken die Möchtegerngespenster durch das großelterliche Wohnzimmer. Aber auf Dauer wird das Spiel auch wieder langweilig – schließlich ist niemand da, den sie erschrecken könnten.

„Wer zuerst bei Oma ist!“, schreit Jola plötzlich, und schon stürmen die Geschwister die Treppe hinunter. Gleichzeitig klatschen ihre Hände an den Rahmen der Küchentür.

„Langsamer, Mausevolk!“, schimpft Oma Else scherzhaft und droht mit der Suppenkelle, die sie gerade abtrocknet. „Holt mir lieber mal den großen Topf vom Dachboden, dann kochen wir Apfelmus zusammen!“
„Wer zuerst oben ist!“, ruft Janis und schon sausen die beiden „Mäuse“ die Treppen wieder hinauf.

„Erster!“, triumphiert Janis, als sie oben auf dem Dachboden ankommen. Leicht außer Atem lässt er sich in einen alten Ohrensessel plumpsen. Von der Staubwolke, die daraufhin aufsteigt, müssen sie beide erst einmal tüchtig niesen.

Jola erkundet neugierig den Dachboden. Bisher waren sie erst einmal mit Opa hier oben gewesen. Neben vielen Koffern und alten Möbelstücken finden sich hier auch viele Erinnerungen an die vergangenen Jahre wieder. Da steht die Seifenkiste, die Opa mit ihnen vor vier Jahren gebaut hat, die alten Dreiräder, mit denen Janis und sie als Kleinkinder über den Hof gedüst sind und noch mach andere Sommerferienschätze hat Opa hier eingelagert.
„Ich hab den Topf gefunden, hilf mir mal!“

Zusammen mit Janis zerrt Jola den Topf aus einer Ecke hervor. Dabei rutscht ein alter Teppich von einer seltsamen Apparatur, neben der der Topf stand. „Was ist denn das?“, fragt Jola fasziniert und sieht sich die Maschine, oder was auch immer das Ding darstellen soll, genauer an.

In der Mitte stehen zwei Autositze, mit je einem Lenkrad davor. Dazu gibt es noch viele Hebel und Schalter, eine Art Keyboard und verschiedene Anzeigetafeln. Unzählige Lämpchen, Metallteile und bunte Kabeln und Drähte runden das merkwürdige Erscheinungsbild ab. Verblüfft starrt Jola auf einen Mixer, der auch irgendwie mit der Maschine verbunden zu sein schien.

Als Jola die Hand nach einem der Hebel ausstreckt, hält Janis sie schnell fest.
„Lass das besser!“
„Wieso? Sei doch kein Spielverderber!“
„Bin ich gar nicht. Aber was, wenn das Ding gefährlich ist?“
„Gefährlich?“
„Überleg doch mal, die ganzen Drähte… Wir sollten besser erst Oma und Opa fragen.“
„Na gut.“

Nur widerwillig wendet Jola ihren Blick von ihrer Entdeckung ab. Zusammen mit ihrem Bruder schleppt sie den schweren Topf zur Dachbodentür hinaus. „Du-huu, Opaaa…“ , beginnt Jola, kaum dass sie den Topf zusammen mit Janis auf den Küchentisch gewuchtet hat.
Opa Ernst sieht lächelnd von seiner Zeitung auf. Diesen Tonfall kennt er.
„Was willst du denn, Kröte?“
„Was ist das für eine Maschine da auf dem Dachboden? Die mit den Tasten und den Drähten und den Autositzen und…“

„Habt ihr sie etwa angefasst?!“
Jola verstummt erschrocken. Opa Ernst hat sie noch nie angeschrien. Und so aufgebracht kennt sie ihn gar nicht.
Als der Großvater die Angst in den Augen seiner Enkelin sieht, lehnt er sich seufzend zurück und klopft auf seine beiden Knie.
„Kommt her zu mir, ihr Mausevolk. Keine Angst Jola, ich bin euch nicht böse. Ich habe nur schon so lange nicht mehr an diese elendige Erfindung gedacht.“

„Ich hab gewusst, dass wir sie nicht anfassen dürfen!“ Janis kann es eben nicht lassen, Jola zu necken. „Hast du die Maschine erfunden, Opa? Ist sie gefährlich?“
„Nein, ich habe sie nicht erfunden, Janis. Und ob sie gefährlich ist – ja, ich denke schon. Auf jeden Fall ist sie das Einzige, was ich als Erinnerung an meinen Bruder besitze.“
„Deinen Bruder?“

Das Geräusch einer zufallenden Tür lässt Jola und Janis zusammenschrecken. Oma Else stellt einen großen Korb mit Äpfeln auf den Tisch. Vorwurfsvoll sieht sie ihren Mann an.
„Du denkst schon daran, dass die beiden heute Nacht schlafen sollen, Erwin?“

Opa Erwin macht ein ernstes Gesicht.
„Else, ich bin mir sicher, unsere beiden Großen hier sind jetzt alt genug, um die Wahrheit über meinen Bruder Karl zu erfahren.“
„Oh ja, bitte Oma, lass Opa erzählen!“ Vier große, bettelnde Kinderaugen richten sich auf Oma Else, so dass sie gar nicht anders kann, als stumm zu nicken.

Die Kinder bemerken in ihrer Freude gar nicht, dass Opa Erwin seiner Frau frech zuzwinkert.
„Oh ihr Mausevolk…“, brummelt Oma Else vor sich hin, als sie sich setzt und mit dem Schälen der ersten Äpfel beginnt.

Als sich Opa Erwin sicher ist, dass ihm die volle Aufmerksamkeit seiner Enkelkinder gehört, beginnt er mit seiner Geschichte.

„Es ist jetzt schon viele Jahre her, ich war etwa in eurem Alter. Mein Bruder Karl war schon vierzehn und er bildete sich natürlich gewaltig etwas darauf ein. Er war ein sehr kluger Junge, immer gut in der Schule und oft musste ich mir seine Verbesserungen anhören, wenn ich selbst über meinen Hausaufgaben saß.

Aber auch, wenn er mich manchmal nervte: Karl war der beste große Bruder, den ich mir wünschen konnte. Er half mir, wenn mich andere Kinder ärgerten, er spielte mit mir, wenn mir langweilig war und er verpetzte mich nie bei unseren Eltern, wenn ich beim Spielen im Haus etwas kaputt gemacht hatte. Alles war gut, bis der Zirkus in die Stadt kam.“

„Ein Zirkus? So richtig mit Löwen und Clowns und Akrobaten?“

„Ja, ein richtig echter Zirkus, Jola. Und Karl und ich durften hingehen. Der Zirkus war nicht besonders groß, das rot-weiß gestreifte Zelt bot gerade einmal Platz für um die 30 Zuschauer, aber dennoch war es das Aufregendste, was ich je gesehen hatte.

Es gab zwei Clowns, die wunderbar Witze erzählen konnten und der eine hatte eine Säge, mit der er Musik machte. Es gab eine Seiltänzerin, ein kleines Mädchen – nicht älter als du, Jola – die lief hoch oben unter der Zeltkuppel auf einem ganz dünnen Seil, ohne ein Netz darunter! Einen Löwen gab es auch, aber Karl meinte, der wäre schon ganz alt, weil er gesehen hatte, dass ihm alle Zähne fehlten.

Am besten jedoch gefielen Karl und mir die Kunststücke des Zauberers. Als er hereinkam, trug er ein Tuch über dem Arm, das legte er auf einen großen Tisch. Ein Trommelwirbel wurde gespielt, und als der Zauberer das Tuch wegzog, stand auf dem Tisch auf einmal ein Käfig mit einem echten Papagei darin, der „Applaus, Applaus!“ krächzte. Karl und ich waren begeistert. Noch am Abend, als wir schon lange in unseren Betten lagen und eigentlich schlafen sollten, redeten wir über den Zirkus, vor allem aber über den Zauberer Milos und seinen Papagei.“

„Zauberer Milos“, wiederholt Janis andächtig die Worte seines Großvaters. In Gedanken sieht er sich selbst schon mit einem Papagei in der Manege stehen.

„Nun“, fährt Opa Erwin fort, „für mich war das Ganze am nächsten Tag eigentlich schon wieder erledigt. Nach der Schule saß ich wie üblich an meinen Hausaufgaben, als plötzlich Karl neben mir stand und mich drängte, noch einmal mit ihm zum Zirkus zu gehen…“

„Komm schon, Krümel, deine Hausaufgaben laufen dir doch nicht weg.“
„Heute ist doch gar keine Vorstellung! Was willst du denn dort, Karl?“
„Vielleicht proben die Artisten ja heute. Und ich will den Zauberer Milos fragen, ob er mir nicht einen Trick beibringen kann.“

Erwin schob sein Schreibheft zur Seite. Rechnen konnte einfach nicht mit Zaubern mithalten. Schnell machten sich die beiden Brüder auf den Weg zum Dorfplatz, wo der Zirkus sein Zelt aufgeschlagen hatte. Am Kassenhäuschen war niemand, daher liefen die Jungen gleich neugierig in das große Zirkuszelt.

Ohne die vielen Lichter und die Zuschauer wirkte alles viel trostloser als am Tag zuvor. Alles wirkte leicht heruntergekommen und in der Manege lagen noch die stinkenden Hinterlassenschaften des alten Löwen.

„Hier sieht es aus, wie in einer gammeligen Bärenhöhle!“, gab Erwin zum Besten. Das hatte er vor Kurzem in einem Buch gelesen.
„Es riecht auch so“, pflichtete ihm Karl bei.

Vorsichtig näherten sie sich dem Eingang für die Artisten. Sie betraten eine Art Vorzelt, in dem allerlei Zirkuskram herumlag: Die Säge des Clowns, Keulen, Bälle und Fackeln der Jongleure, das Podest, auf dem der Löwe gesessen hatte und noch vieles mehr.

„Schau mal, Stelzen!“, rief Erwin seinem Bruder zu, als hinter ihnen plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm begann:
„Diebe, Mörder, Halunken! Zu Hilfe, zu Hilfe!“

Zu Tode erschrocken klammerten sich Erwin und Karl aneinander. In einer dunklen Ecke saß in einem Käfig der Papagei des Zauberers und schrie sich die Seele aus dem Leib. Als Karl sich daran erinnert hatte, dass er ja der Ältere war, rannte er schnell zum Käfig und versuchte, den aufgebrachten Vogel zu beruhigen – vergeblich. Gebannt starrte Erwin auf das Spektakel, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte…

Mit einem Schrei rutscht Jola von Opas Schoß und landet mit dem Hintern auf den Küchenfliesen. Oma Else lässt vor Schreck einen Apfel fallen und Janis kann sich kaum halten vor Lachen.

„Opa! Das ist gemein!“, schimpft Jola mit knallrotem Gesicht. Opa hat ihr genau im richtigen Moment seine Hand auf die Schulter gelegt und sie muss natürlich erschrecken. Zornig sieht sie ihren Zwillingsbruder an.
„Hör endlich auf zu lachen, Janis! Du wärst bestimmt genau so erschrocken!“
„Ja klar, bestimmt Schwesterchen!“

Als sich alle wieder etwas beruhigt haben, zieht sich Jola einen eigenen Stuhl an den Tisch, in sicherem Abstand zu Opa. Trotzig verschränkt sie ihre Arme.

„Los jetzt, wie geht es weiter?“

Gerne kommt Opa Erwin der Aufforderung seiner Enkelin nach:

Erwin schrie vor Schreck fast so laut wie der Papagei und Karl drehte sich mit angstgeweiteten Augen zu seinem Bruder um: Hinter Erwin stand, die Augenbrauen zornig zusammengekniffen und den Griff um die Schulter des Jungen noch verstärkend, der Zauberer Milos.

„Was habt ihr hier zu suchen? Könnt ihr mir bitte einmal erklären, was euch dabei einfällt, hier einzubrechen und meinen Papagei zu erschrecken?“
Die Stimme hatte nichts mit der gemeinsam, die die Kinder am Tag zuvor in der Manege gehört hatten. Die beiden starrten den wütenden Mann an und brachten kein Wort heraus.

Milos wirkte von nahen viel größer, statt seines Zauberergewandes trug er eine dreckige, alte Jeans und einen dunkelgrünen Strickpullover. Die Füße steckten in schweren Gummistiefeln und insgesamt ähnelte er eher einem Stallknecht als einem Magier. Nur die funkelnden Augen und die schulterlangen schwarzen Haare, die ihm ins Gesicht fielen, waren die des Mannes, von dem die Brüder noch am Tag zuvor so begeistert gewesen waren.

Als Erwin in Tränen ausbrach, lockerte sich der Griff um seine Schulter und ein Lächeln breitete sich auf Milos Gesicht aus.
„Nana, Junge, es war doch gar nicht so böse gemeint. Ihr wolltet euch hier wohl einmal umsehen, hmm?“
Schnell sprang Karl seinem kleinen Bruder zur Seite.
„Jetzt heul doch nicht, Erwin, er frisst uns schon nicht.“ --- „Oder?“

Milos brach in lautes Gelächter aus und ging zum Papageienkäfig hinüber.
„Lysander, hast du das gehört? Ob ich kleine Jungen esse… Keine Angst, ihr beiden, Kinder gibt es erst wieder zum Abendbrot. Kommt mit, auf den Schrecken bekommt ihr eine kleine Zirkusführung von mir.“

Das ließen sich Karl und Erwin nicht zweimal sagen. Schnell waren der Schreck und die Tränen vergessen und sie liefen dem Zauberer nach, der ihnen geduldig über das Zirkusleben berichtete.

„Und was hat das mit dem Ding auf dem Dachboden zu tun?“
Opa Erwin sah Janis amüsiert an.

„Ist dem jungen Herrn hier meine Geschichte nicht spannend genug? Wir könnten auch einfach hier aufhören und eurer Oma stattdessen mit den Äpfeln helfen.“

„Nein!“, schrien die beiden Kinder wie aus einem Mund und Oma Else fing an zu kichern.

„Nun mach schon hin, Erwin. Ich will die beiden Mäuse doch nachher noch in die Badewanne stecken.“

„Also gut. Dann eben die Kurzfassung.“

Es ging schon auf die Abendbrotzeit zu, da saßen Karl und Erwin zusammen mit ihrem neu gewonnenen Freund in dessen Wohnwagen. So hatten sie sich das Zuhause eines Zauberers nun eher nicht vorgestellt. Alles war ordentlich aufgeräumt, nirgends auch nur eine Spur von irgendwelchem magischen Schnick-Schnack. An den Fenstern hingen sogar geblümte Vorhänge!

Trotzdem – der Ausflug zum Zirkus hatte sich gelohnt. Morgen in der Schule würden die anderen vielleicht Augen machen.

„So Jungs, es tut mir leid, aber jetzt müsst ihr gehen. Ich muss mich auf die Vorstellung heute Abend vorbereiten. Und eure Eltern vermissen euch bestimmt auch schon.“

„Danke für die Führung und alles.“, sagte Karl artig. Aber als sie dann vor dem Wohnwagen standen, fiel ihm noch etwas Wichtiges ein.
„Jetzt hab ich gar keinen Zaubertrick gelernt, deshalb bin ich doch eigentlich gekommen!“

„Hmm. Für einen Trick ist es nun zu spät und wir ziehen morgen schon weiter. Aber wartet mal kurz, ich denke, ich habe da noch etwas…“
Kurze Zeit später überreichte Milos Karl einen Brief.

„Hier. Den hat mir vor einiger Zeit mal ein Kollege geschrieben. Ist angeblich die Bauanleitung für eine Maschine, die Dinge verschwinden lassen kann. Ich hatte nie Zeit, sie zu bauen, aber ich denke für zwei so tüchtige Jungs dürfte das kein Problem sein. Lebt wohl!“

Nachdem sie sich überschwänglich bedankt hatten, gingen die beiden Jungen nach Hause. Den Eltern erzählte Karl am Abend, nachdem Erwin schon am Küchentisch eingeschlafen war, jedes Detail ihres Zirkusbesuchs, bis auf eins: Den Brief verschwieg er ihnen.

Die folgenden Wochen sah Erwin seinen Bruder nur selten. Wann immer er mit Karl spielen wollte, knallte dieser ihm die Tür des Dachbodens, auf dem er sich in letzter Zeit ständig aufhielt, vor der Nase zu.

Eines Abends aber, als Erwin gerade in einem alten Märchenbuch blätterte, stürmte Karl plötzlich ins Wohnzimmer und ließ sich neben seinem Bruder auf den Teppichboden fallen.

„Ich bin fertig!“, verkündete er strahlend.
„Mit was denn bitte?" „Mit der Maschine natürlich, Krümel. Ich hab sie genau so gebaut, wie es in dem Brief stand. Und nun ist sie fertig.“
Schlagartig war das Märchenbuch vergessen.

„Funktioniert sie? Wann probieren wir sie aus?“
„Ich dachte schon, du fragst nie. Komm mit!“

Noch nie waren sie die Stufen zum Dachboden so schnell hinaufgerannt. Staunend blieb Erwin im Türrahmen stehen, während sein Bruder stolz auf seiner Erfindung Platz nahm. Was er nicht alles verbaut hatte! Da gab es alte Autositze, jede Menge Drähte und bunte Lichter, Fahrradpedale…

„Opa, wir wissen, wie sie aussieht!“, drängelte Janis, der es vor Neugier nun wirklich nicht mehr aushalten konnte.

Opa Erwin griff nach der Wasserflasche auf dem Tisch und begann damit, sich möglichst umständlich etwas zu Trinken einzuschenken. Fast schien es, als habe er seinen Enkel gar nicht gehört.

„Erwin…“ Oma Else klang inzwischen richtig genervt und sah einmal mehr zur Uhr.

„Also gut, ich erzähle euch von dem Unglück.“

Beim Wort „Unglück“ hielten die Kinder kurz den Atem an und wie auf Kommando grollte draußen der Donner.

„Beim Probelauf darfst du natürlich nur zuschauen Krümel, es handelt sich ja um ein technisch-magisches Gerät, das darf nur von Fachleuten bedient werden!“, prahlte Hans.„Aber du darfst bestimmen, was ich verschwinden lassen soll. Nimm einfach den Deckel von dem Mixer und sprich hinein.“

Erwin zog eine Schnute. Erst spielte sein großer Bruder wochenlang nicht mit ihm und dann sollte er nur einen Hilfsjob übernehmen?
„Doofer Hans“, murmelte er beim Abheben des Deckels und dann sprach er lauter: „Brutus, der fiese Nachbarhund.“

„Alles zurücktreten“, sagte Hans, als Erwin seine Aufgabe erfüllt hatte. Und dann begann ein wunderbares Spektakel: Als Hans in die Pedale trat, begannen alle Lampen und Drähte der Maschine abwechselnd zu glühen, während sich der Mixer mit einem monotonen Summton in Bewegung setzte. Aus dem hinteren Teil der Maschine trat violetter Nebel aus und plötzlich hörte Erwin seine eigene Stimme geheimnisvoll durch die immer lauter werdende Geräuschkulisse flüstern: „Hans…Brutus…Hans…Brutus“

„Nein!“, schrie Erwin, als er erkannte, was da vor sich ging, doch es war zu spät. Mit einem lauten „Plop“ endete das Lichterwirrwarr und als sich der Nebel lichtete, war sein Bruder verschwunden.

„Hans! Wo bist du? Haaaans!“, schrie Erwin verzweifelt, Tränen rannen seine Wangen hinab. Wie von Sinnen raste er die Treppe hinab und lief seiner Mutter in die Arme, die ihn voller Sorge anblickte.

„Mein Schatz, was hast du denn? Hast du dir wehgetan?“
Doch mehr als ein gestammeltes „Ich wollte das nicht“ war nicht aus ihrem Sohn herauszubringen. Beruhigend redete sie auf ihn ein und brachte ihn in sein Zimmer. Dort blieb Erwin wie erstarrt stehen und begann anschließend hysterisch zu kreischen.

Dort, wo immer Hans Bett gestanden hatte, war eine große Holzeisenbahn aufgebaut. Und von den Bildern an der Wand lächelte nur ein Junge auf Erwin herab – er selbst. „Wo sind seine Sachen? Mama, wo sind die Sachen von Hans hingekommen?“

„Welcher Hans, Liebling? Hast du schon wieder irgendein Tier mit ins Haus geschleppt?“

Nur langsam realisierte Erwin, was geschehen war: Hans war nicht nur einfach verschwunden, außer ihm konnte sich auch niemand daran erinnern, dass er je existiert hatte. Es dauerte Monate, bis er nicht mehr jede Nacht weinend und nassgeschwitzt aus seinen Albträumen erwachte.

„Wow“, entfuhr es Jola, die wieder ein ganzes Stück näher an den Großvater herangerückt war.

„Und du hast nie versucht, ihn zurückzuholen?“, fragte Janis ungläubig.

„Natürlich habe ich es versucht. Viele Male saß ich auf der Maschine und versuchte verzweifelt, meinen Bruder wieder herbeizuzaubern. Aber es war vergeblich. Außerdem hatte Hans die Bauanleitung bei sich, als er verschwand. Und für alle anderen war es so, als hätte er nie existiert, meine Eltern schrieben Hans meiner blühenden Fantasie zu und meinten, ich sei langsam zu alt für eingebildete Freunde.“

„Und ihr seid noch nicht alt genug, um so lange aufzubleiben und gruselige Geschichten über Verschwinde-Maschinen zu hören“, beschloss Oma Else das Thema.

Unter lautem Protest schickte sie die Zwillinge zum Baden und nach einem Abendessen, bei dem Opa Ernst keine ruhige Minute vor den nicht enden wollenden Fragen seiner Enkel hatte, wurde das Mausevolk ins Bett geschickt.

Von Schlafen konnte natürlich keine Rede sein. Lange noch rätselten Janis und Jola über die Geschichte des Großvaters und konnten sich nicht darauf einigen wie viel Wahres denn nun in seiner Geschichte steckte. Doch sie schworen sich, es noch in diesen Sommerferien herauszufinden und gleich morgen die Nachbarn nach Opas verschwundenem Bruder zu befragen.

Währenddessen hatten es sich Ernst und Else auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Die Großmutter kramte ihre Stricksachen hervor und meine nur: „Du weißt, sie werden beleidigt sein, weil du sie angeschwindelt hast. Auch wenn dies sicher einer der besten langweiligen Regentage war, die sie je hatten.“

„Ach was, die Mäuse verstehen den Spaß bestimmt“, antwortete Opa Ernst und griff nach dem Telefon.

„Wen rufst du an?“

„Hans natürlich. Ich muss meinem Bruder doch erzählen, dass die Langeweile-Vertreib-Maschine, die wir damals mit unserem Opa gebaut haben, immer noch funktioniert – wenn auch anders als früher.“

 
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Immer noch zur gleichen geschichte von Fliege, Die Langeweile-Vertreib-Maschine.

Bitte die andere geschichte noch stehen lassen, ich bin drüber, das nochmal umzuarbeiten - wenn dann nicht noch eine dritte Geschichte dabei rauskommt...

 

Hallo penny_lane,

ich habe ja schon gestern gesagt, dass ich die Geschichte mag. Nur der Titel ... die Geschichte ist ja keine Überarbeitung der anderen, die ist ja selbständig und hat daher auch einen eigenen verdient. Vor allem denke ich, er passt nicht wirklich gut.

Ja, so ein Geschichtenerzähl-Opa ist toll. Ich mag seine Geschichte und diesmal ist die Geschichte für mein Empfinden auch auserzählt. Das Ende ist schön.

Ich kann gar nicht so viel gescheites sagen, außer: gern gelesen :).

Lieben Gruß Fliege

 

Nur der Titel ... die Geschichte ist ja keine Überarbeitung der anderen, die ist ja selbständig und hat daher auch einen eigenen verdient.

Mea culpa, Fliege, mir ist auf die schnelle nix gescheites eingefallen. Vielleicht möchte ja einer der Mods den Titel anpassen. "Geschichten kontra Regentage" fänd ich ganz nett...

 

Hallo Penny,

mir gefaellt diese Kopie besser als die erste. Sie fuehlt sich fertiger an und ist lebendiger. Die Dialoge sind nicht so nackt.

Insgesamt koennte sie wohl etwas gestrafft werden. Vielleicht gerade die Rahmenerzaehlung am Anfang, obwohl es mir gefaellt, welche gemuetliche Regentagsatmosphaere Du erzeugst. Also fuer das, was erzaehlt wird, kam es mit etwas lang vor.

Die Binnenerzaehlung des Grossvaters ist ja schon recht heftig fuer kleine Kinder. Ich mags aber immer lieber ein bisschen zu duester als zu lieb. Ich finde aber, Du koenntest die gruselige Atmosphaere noch ein bisschen verstaerken. Ein bisschen bildhafter werden. Es wuerde mich auch interessieren, wo Hans denn hingekommen ist. Weg, ja. Aber wenn es da noch eine Andeutung gaebe, dass er irgendwo in einer Parallelwelt hockt, auch wenn die vielleicht duester ist, das faend ich schoener.
Logisch koennte man viell. bemaengeln, dass es etwas unwahrscheinlich ist, dass man nicht weiss, ob der Opa einen Bruder hat.

Was ich nicht nachvollziehen kann ist, warum der Opa ploetzlich von sich selbst in der dritten Person erzaehlt. Ich finde als Ich-Erzaehlung aus Perspektive des kleinen Erwin koenntest Du mehr Spannung erzeugen.

Im Titel gefaellt mir das "kontra" nicht, gerade fuer eine Kindergeschichte, waere ein schlichtes "gegen" doch passender.

Irgendwo hast Du ausserdem das Wort "realisieren", was Du so gebrauchst wie im Englischen, im Deutschen hat es eigentlich ne andere Bedeutung. Hier faende ich "begreifen" oder "verstehen" besser.

lg,
fiz

 

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