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Gespräch
„Sieh dich doch nur mal an! Wie schaust du überhaupt aus? Meinst du irgendjemand will mit dir weggehen? Meinst du irgendjemand will dich haben? Mach dich doch nicht lächerlich! Mit all den Pickeln und den fettigen Haaren. Gott, du solltest dich in ein dunkles Loch verkriechen und dort bleiben, bis vielleicht ein Zirkus mal an dir Interesse zeigt.“
Er ließ seine Schultern hängen und den Kopf sinken. Er konnte dem anderen nicht mehr in die Augen blicken. Sagt dieser die Wahrheit? Stimmt es wirklich? Verdammt, was soll ich denn nur tun, wenn er wirklich Recht hat?
„Sieh mich an! Sieh mich an und sag mir doch mal, was du heute Abend machen wirst, hm? Heute ist Samstag, Wochenende, da werden normalerweise Partys gefeiert und man trifft sich mit seinen Freunden.
Aber halt, stimmt! Du hast ja keine Freunde – du hast ja niemanden, der sich mit dir abgeben will – hab’ ich das doch tatsächlich einen Moment lang vergessen.“
Er hatte keine Freunde. Sein Gegenüber hatte Recht, er würde heute Abend nicht weggehen, weil niemand da war, der mit ihm gegangen wäre. Wohin auch? Er traute sich ja kaum aus dem Haus. Wie sollte er es da schaffen, in eine Kneipe zu gehen, wo all die Menschen ihn sehen und anstarren würden.
„Geh wieder nach oben auf den Dachboden; dorthin verkriechst du dich doch immer, wenn dir jemand die Wahrheit ins Gesicht sagt, oder nicht? Geh dorthin und rede dir ein, du hättest keine Zeit – rede dir ein, dass du wichtige Dinge erledigen musst. Das dein Tun Sinn macht - Belüg’ dich ruhig weiter!“
„Und warum bist du überhaupt noch hier? Hast du dich das schon mal ernsthaft gefragt? Hast du irgendeinen Nutzen auf dieser Welt? Meinst du, dich braucht jemand? Was kannst du denn schon – was hast du schon je erreicht in deinem kümmerlichen Leben. Du fehlst niemanden – ich sag dir das. Kein Arsch wird auch nur eine einzelne Sekunde an dich denken, wenn du nicht mehr da bist.“
Er war durch die Schule gerasselt und das ohne einen Abschluss. Er wusste nicht, wie es weitergehen solle und ob es das überhaupt müsse. Er hatte Angst – Angst vor der Zukunft, Angst vor sich selbst.
„Du wärest gerne wie die anderen, nicht? Du würdest gerne so sprechen, so aussehen und dich so verhalten können? Jeden Tag fragst du dich aufs Neue, warum du nur so werden musstest, wie du geworden bist.
Aber du findest keine Antwort auf diese Fragen, stimmt’s? Und soll ich dir auch sagen warum? Scheiße Mann, sieh es endlich ein, es gibt darauf keine Antwort. Nicht für dich – nein, nicht für dich.“
Er konnte das nicht glauben. Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen und heiße Tränen liefen zwischen den Fingern hervor. Rotz lief aus der Nase und er atmete stockend. Das durfte nicht wahr sein, es muss doch eine Antwort geben - auch für ihn.
„Meinst du deine Tränen helfen dir weiter? Meinst du, die machen einen anderen Menschen aus dir? Du denkst doch nicht etwa, die helfen dir oben am Dachboden auch nur einen Scheiß Schritt weiter. Wenn du das glaubst, dann bist du noch viel dümmer, als ich dachte.“
Natürlich hatte der andere Recht, aber was sollte er denn dagegen tun? Er konnte sie nicht zurück halten. Die Wahrheit schmerzt, diesen überflüssigen Spruch hört man allenthalben und verdammt, er ist nur zu wahr.
„Das einzige was du kannst ist hassen. Du hasst dich selbst und du hasst die Menschen um dich herum. Das allein kann dir angeblich helfen. Das schützt dich nämlich vor dir selbst – denn nur so musst du dich nicht mit dir selbst beschäftigen.
Aber auch das ist eine Lüge, mein Freund. Du hasst nämlich gar keinen – dass ist nur deine Fassade, hinter der du dich zu verstecken versuchst. Ich frage mich, wie lange das noch gut geht – wie lange du dich noch belügen kannst.“
Er hörte Schritte, die sich seinem Zimmer näherten. Schnell zog er seinen Pullover wieder an, streifte die Tränen und den Rotz an den Ärmeln ab. Seine Mutter klopfte an und betrat das Zimmer.
„Hey, Schatz. Ich habe gerade nach dir gerufen. Ich habe dich oben reden gehört. Hast du telefoniert? Ist alles in Ordnung?“
„Äh – ja. Ein – ein Kumpel aus der Schule hat angerufen. Er – hm – vielleicht gehen wir heute Abend noch weg, mal sehen.“
„Oh, ok. Hm - ich - ich wollte dir nur sagen, dass das Essen fertig ist. Du kannst ja runter kommen wenn du Hunger hast.“
Seine Mutter verließ das Zimmer wieder und schloss leise die Tür hinter sich. Er nahm das schwarze Tuch vom Bett, faltete es langsam auseinander und bevor es wieder den großen Spiegel verdeckte, sah er noch einmal hinein.