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Gewalt
Kartenspiele an einem Freitagabend, die Luft ist bereits warm, die Fenster stehen offen. Es gibt zwei Runden, die Karten vor sich auf dem Boden. Ihre Handkarten sorgfältig vor dem Nebenmann verborgen haltend sitzen sie da, eine Gruppe in jedem Zimmer.
Musik kommt aus den kleinen Boxen am Computer, Musik, die Alex offenbar auf die Nerven geht. Jedenfalls dreht er sie wieder und wieder leiser, sodass die Runde, die im anderen Raum sitzt, fast nichts mehr davon hört. Mein Freund, Vincent, geht nach drüben, will sie wieder lauter drehen.
Plötzlich sind da Geräusche, ein Streit, um die Musik, wegen des Alkohols. Die Situation eskaliert beinahe spielend. "Raus aus meiner Wohnung", höre ich. Mein Freund hat ihn rausgeworfen, aber Alex hört nicht auf ihn, plötzlich steht Vincent in der Tür, sein Shirt ist nass, er riecht nach Bier, hat Alex es über ihn geschüttet? Er guckt einmal in die Runde, wir sitzen zu dritt auf dem Fußboden, vermutlich mit großen Augen. Dann verlässt er den Raum wieder.
Sie beginnen, sich anzuschreien, plötzlich kracht etwas. Die beiden stehen voreinander und schlagen aufeinander ein, ich...
Hört auf, aufhören, ihr benehmt euch wie kleine Kinder, das könnt ihr doch nicht machen, hört auf, ihr seid erwachsen, redet doch darüber, ich will nicht dass das passiert, hilfe, ich habe Angst, ihr Idioten, passt auf, die Anderen, ihr könntet euch verletzen, ich will, dass ihr aufhört!
Der Gasherd kippt beinahe um, einer von den beiden Kämpfern ist gegen den Tisch geknallt, Karten fliegen durch den Raum. Die Weinflasche und die Biergläser sind umgekippt, die anderen Spieler stehen in der Ecke, bis auf zwei, die sind im Nebenraum. Es riecht nach Wein, der Fußboden ist nass, meine Socken auch, es stinkt. Die beiden brüllen sich an, ziehen einander an den Haaren, schlagen aufeinander ein, ich will, dass es aufhört...
So etwas sollte nicht passieren, warum schlagt ihr euch, wie dumm, wie kindisch, wie überflüssig! Warum ausgerechnet ihr? Ich habe euch beide lieb, hört auf damit, ich könnte es nicht ertragen, wenn einem von euch etwas zustößt, ich will das nicht...
"Hört auf! Aufhören!" Ich zwänge mich zwischen die Kämpfenden, vielleicht hören sie dann ja auf zu schlagen, wenn sie mich treffen. Ich überlege, ob ich in den nächstbesten Arm beißen soll, damit sie voneinander ablassen, sie sind wie kämpfende Hunde, ich habe Angst.
Mein Freund zerrt an meinem Arm, will mich wegdrücken, aber ich werfe mich zwischen sie, plötzlich hören sie auf, schwer atmend.
Ich könnte jetzt in Ohnmacht fallen.
aufhören, Stille, nein, nein, nicht, alles, nicht das, aufhören, bitte, aufhören, geht weg, ich kann das nicht ertragen, mein Arm tut so weh, weinen, nicht weinen, keine Tränen, keine Schwäche zeigen, mir ist eiskalt.
Sie gehen vor die Tür, erst einmal weg, besprechen, was sie jetzt machen. Die anderen packen und wollen weg, verstehe ich, ich kann aber nicht weg, wo soll ich denn hin? Nur Phil bleibt, ein wenig deplaziert sitzt er an der Wand und wischt mechanisch Alkohol von den Karten.
Die beiden kommen wieder, entschuldigen sich, sagen, dass sie Scheiße gebaut haben, dass es ihnen Leid tut, aber alle außer mir und Phil fahren nach Hause. Der Fußboden schwimmt, aber ich habe meine Schuhe angezogen. Mein Arm tut weh, meine Hände beben, als ich die kleinen roten Steine aufsammele und abtrockne. Es klirrt. Mir ist kalt, so kalt, ich setze mich in einen Sessel, zittere. Ich merke, dass ich einen Schock habe, einen richtigen Schock im klinischen Sinne. Hyperventilation, Zittern, meine Hände sind weiß wie Schnee.
Mechanisch hebe ich die kleinen Steine auf, säubere sie mit der einen Hand mit einem Handtuch vom Wein, sammele sie in meiner Linken. Sie klappern leise gegeneinander.
Vincent hört das Klappern, sieht mich an, nimmt mich in den Arm. Die Steine entgleiten meiner Hand, fallen wieder auf den Fußboden, sind wieder nass.
Ich zerre mein Haargummi aus dem Zopf. Mein Haar fällt mir vors Gesicht und verdeckt gnädigerweise meine Tränen, die unter den geschlossenen Lidern hervordringen. Ich bin wie in tiefem Nebel verirrt. Alles ist Watte, ich fühle Vincents T-Shirt an meinem Gesicht, seine Hände, kalt auf meiner Haut, aber ich friere und es ist so weit weg.
Die Tränen auf meinem Gesicht sollten gefrieren, aber sie tun es nicht. Ich sehe den Wein, wie Blut auf dem Boden, sehe zu den Anderen. Mein Freund und Alex sehen schuldbewusst aus, Phil wischt mit einigen Stücken Klopapier Wein von der Wand.
So etwas sollte nicht passieren... bei einer Prügelei sollte es einen Feind geben... niemals sollte jemand mit ansehen, wie sich zwei Menschen schlagen, die ihm viel bedeuten... ihr habt mir so einen Schrecken eingejagt... tut das nie wieder! Ich darf jetzt nicht weinen... auf keinen Fall... ich will nicht weinen... warum bin ich so geschockt? Früher...
Was nun? Ich habe Angst. Ich dränge die Tränen zurück, gucke zu Phil. Er lächelt mir zu, ich gebe ein gequältes Lächeln zurück. Er imitiert mich, und ich beginne, hysterisch zu lachen, während mir hinter dem Vorhang meiner Haare die Tränen das Gesicht herablaufen.