Gold Dollar
GoldDollar
Carlos, nur begleitet von dem Schein der lodernden Flammen der Laternen, schlendert - oder taumelt wohl eher durch das Stadttor. Die Wachen betrachten ihn argwöhnisch, aber lassen ihn passieren.
Carl bleibt stehen, dreht sich zu ihnen, dann grinst er und ruft den zwei gutaussehenden und kräftigen Männern zu: „Schöne -“, er sucht kurz gedanklich nach dem Wort, „Robe – Oh verzeiht – schönes Kleid. Warum ist Euer Gesicht nicht passend gefärbt? Ihr schaut aus wie ein Zebra...“, Carlos blickt zwischen den Beiden hin- und her, „...dem das Schwarz fehlt.“
Er hofft auf eine Antwort, doch die Zwei schütteln nur, beinahe synchron, leicht den Kopf.
„Na dann - Adieu meine -", er hält nochmals inne, um die beiden zu mustern. Nach wenigen Sekunden beendet er: „Damen."
Carl dreht sich, wie er es bei der Marine gelernt hat, auf den Fersen seiner Lederstiefel und schlendert weiter auf das Rathaus zu.
An jeder Lampe schaut er auf und beobachtet kurz die Kerzenflamme und den leichten Rauch, der über dem Laternengehäuse schimmert.
Dann tänzelt er im Steppschritt weiter auf das Rathaus vor ihm zu.
Dort angekommen setzt Carlos sich auf die Bank eines Fensters um seinen Flachmann aus der Innentasche des Jacketts zu nehmen. Er mustert ihn, dreht ihn herum und schraubt ihn letztendlich auf und setzt an.
Nach einer Handvoll kurzer, bitterer Schlucke setzt er ab und mustert das silbern schimmernde Ding abermals.
„Schön...", flüstert Carl seinem Spiegelbild zu.
Ein Paar stolziert umschlungen an ihm vorbei und nicht freundlich grüßend. Carlos wirft den Beiden einen verachtenden Blick zu und schaut wieder auf sein Spiegelbild. Er nimmt nochmals einen kurzen Schluck.
Ein Streuner - nein, eher ein Penner sucht zwischen Bleicheimern und kleineren Bergen mit Abfall nach etwas essbarem.
Carlos schaut dem heruntergekommenen Mann kurz zu, steigt dann von dem Fensterbrett und marschiert auf ihn zu. Das Laternenlicht zeigt nur andeutungsweise sein Gesicht: Eine tiefe Narbe, vielleicht die Kuppe eines Daumens breit ziert seine Stirn. Sein Haar ist gepflegt und nach hinten gekämmt.
„Was suchst Du, Alter?", Carlos schaut den Penner missmutig an und bleibt, für einen Moment von dem Gestank der ihm entgegenkommt überwältigt, kurz stehen.
„Waß glaubst Ihrs denn?", der Penner scheint nicht ein Jahr jünger als sechzig zu sein. „Ich suche etwaß, dash mein Hunger stillt. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Euch störe, Gnädigschter."
Carlos kramt in seiner Tasche, an derselben Stelle stehend. Als er nach kurzer Zeit eine Münze aus seinem Jackett nimmt geht er langsam weiter auf den weiter stöbernden Mann zu.
„Bitte - fahrt doch nur fort. Wenn Ihr einer Spende nicht würdig seit, dann bekommt es der -", und schon wieder sucht er nach dem passenden Wort. „-Geier...ja, der Geier soll's fressen."
Der Alte blickt gierig auf den Mann, der ihm als einzigster heute eine Spende geben vermag und ihn so anders behandelt, als die Meisten, die ihm entgegentreten. Eines seiner Augen scheint deutlich kleiner als das andere zu sein und seine Zähne sind braun und gelb - jeder einzelne hat seinen eigenen Farbton. Sein mittellanges Haar sieht fürchterlich aus; es ist wüst und fettig, genau wie sein Vollbart.
Langsam geht er auf den edlen Spender zu, er mustert sein Gegenüber sorgfältigst.
Carl streckt die Hand mit der goldenen Münze in die Richtung des Penners.
„Hier mein lieber Freund - erm, wie war noch Ihr Name?", er zieht seine Hand wieder zurück.
Ebenso bleibt der Alte kurz stehen um Carlos in die Augen zu schauen. Zögernd und lispelnd antwortet er: „F-, Frederick", er reuspert sich. „Hohenkaempf"
Carl steht vor ihm, schaut ihm tiefgründig in die verwahrlosten Augen, die Hand immer noch wie festgenagelt an sich gezogen, mit dem Goldtaler darin.
„So, so - Frederick. Wie mein Vater. Ich habe eine Bitte an Euch."
Der Hauslose dreht sich abgeneigt um. Doch Carl hält ihn an der Schulter und zerrt ihn ruppig zu sich.
„Was soll das? Ich habe Euch die Spende versprochen und Ihr werdet sie bekommen. Aber Ihr müsst für -", er öffnet die Hand langsam und zeigt ihm den Taler. „diesen hübschen Golddollar eine Kleinigkeit tun."
Auf den Dollar starrend fragt der Alte leise: „Waß verlangt Ihr?" Bevor Carl antworten kann fügt er hinzu: "Ich laß mich gar nicht auf Geßindel ein, dash Männerspiele liebt."
Sein Gönner schaut den Streuner an, der weiter auf den Taler starrt und fällt in Gelächter. Schon nach wenigen Sekunden stoppt er abrupt und antwortet auf die Frage: „Ich verlange doch lediglich eine kleine sportliche Aktivität. Ihr seht mir nicht allzu runtergemagert aus, alsdass Ihr so etwas nicht noch überlebt.", ein Lächeln zeichnet sich auf Carlos' Gesicht ab.
Der Alte ist ein wenig gerührt von der Art, wie der Herr ihm gegenüber redet. Diese Art von Freundlichkeit in Form einer Bitte hatte er selten erlebt. Sonst hieß es bloß: „Verpiss Dich Du verfluchter Penner!"
„Ja - ich verstehe. Nun, wash wollt Ihr nun von mir?"
„Ich möchte, dass Sie einmal um diesen Block -", Carl zeigt auf eine Häuserreihe zu seiner Rechten. "- rennt. So schnell wie nur irgend möglich. Verstanden?" Er wartet nicht auf eine Antwort, sondern fährt fort: "Wenn Ihr das schafft, bevor ich die zwanzig gesprochen habe, so seit Ihr der Besitzer dieses Geldes."
Zögerlich, aber dann, ohne mit der Wimper zu zucken, nickt der Penner. Doch eine Frage tut sich in seinem unterdurchschnittlichen Hirn auf: "Waß geschieht, wenn ich esh nicht schaffe?"
Carlos rollt die Augen träge und antwortet flüsternd: "Nichts - absolut nichts!“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Fertig?“
„Einen Moment, bitte...“, der Fremde streift seinen schweren, dreckigen Mantel ab um ihn ein paar Schritte hinter ihm in vermeintliche Sicherheit zu bringen. Er versucht erst gar nicht Carls zu fragen, da er selbst weiß, wie verwest er riecht und aussieht. „Fertig!“
Carls Arm zeigt dem Penner, dass er starten kann, was er, nach einer kurzen Stille in seinem Spatzenhirn, auch macht.
„Eins – zwei – drei – fünf – sechs ...“ Und der Penner verschwindet schnaubend hinter der Häuserreihe. Carl lächelt, während seine Füße auf der Stelle hin- und her wippen.
Nach wenigen Augenblicken ertönt ein lautes Husten aus der Richtung eines düsteren Altbaus. Auch der Rest der Stadt ist, bis auf die Laternen, stockdunkel; nur der Mond zaubert einen kleinen Schein auf die Stufen jedes einzelnen Hauses. Der Alte kommt mit einem schmerzverzerrten Gesicht neben dem Altbau hervor.
Carl öffnet die Arme um ihn zu begrüßen und ruft: „Zwanzig!“
Immer noch hustend kommt der Penner auf ihn zu. Sein Gang ist schleppend und seine Stirn mit kaltem Schweiß bedeckt. Er stöhnt ein „Oh Gott!“ aus, während er auf seinen Mantel zu geht, der verwahrlost zwischen Müll liegt.
„Wunderbar – Ihr habt es tatsächlich geschafft! Nun, hier ist der Golddollar den ich Euch versprochen.“ Er streckt den Arm mit dem Taler um ihn dem Alten, der auf ihn zu kommt, in die Brusttasche zu stecken.
„Ich denke, Ihr habt es verdient.“, Carl verbeugt sich vor ihm mit einem Knicks und fährt dann fort: „Einen schönen Abend noch, Frederick Hohenkaempf.“ Abermals kehrt er auf der Ferse um und schlendert weiter, hinaus in die Dunkelheit.
Der Alte, erschöpft schnaubend, lässt sich neben einer Tonne, auf einem Haufen gebrauchter Sachen nieder und packt sich schmerzerfüllt ans Herz. Seine frierende, verdreckte Pfote fährt weiter zur Brusttasche und grabscht nach dem Dollar. Er nimmt ihn nahe an sein Auge um den im Mondschein glänzenden Taler zu prüfen, und nach ausgiebiger Untersuchung beisst er auf das Ding und bestätigt leise vor sich: „Echt“
Der alte Mann spielt mit dem Goldstück und lehnt sich erfreut zurück gegen ein steinhartes Stück Brot. Minutenlang sitzt er still mit geschlossenen Augen da, bis ihn ein Rascheln unter ihm aufschreckt. Ein Tier mit langem Schwanz und schrecklich verschmutzten Fell kreuzt Fredericks Blick. Doch seine Augenlider schließen sich ernüchtert wieder, denn er kennt den Anblick einer Ratte.
Doch diese Misttiere geben keine Ruhe. Eine Ratte krabbelt Fred auf den Kopf und kratzt ihm drei tiefe, parallele Rillen in die Stirn. Reflexartig wirft er das fette Tier von seinem Kopf, doch schon wartet ein halbes Dutzend an seinen Füßen um sich auf den Penner zu stürzen. Die Scharr vergrößert sich um ein weiteres Dutzend – weiß der Himmel woher all dieses Ungeziefer kommt – und krabbelt auf Fredericks Körper. Ein paar beißen sich am Mantel oder an unbekleideten Körperstellen fest. Er schreit auf und versucht sich zu erheben, doch seine Muskeln scheinen sich strickt zu weigern und immer wieder fällt er zurück in den Morast. Eine riesige Ratte fällt auf das Gesicht des Alten und beißt sich mit seinen vermoderten Zähnen fest und quietscht laut, während sie weiter auf den Fleischfetzen herumkaut die sie im Maul hat. Ein scheinbares Gelächter dröhnt um den Mann herum; Ratten wohin man schaut, überall auf dem Körper und alle fressen, als ob es ein Wettlauf wäre.
Der dumme Penner versucht immer wieder, verzweifelt heulend, Rattenwülste von sich zuwerfen, doch unersättlich stürzen sich für zwei weggestoßene vier neue auf ihn. Eines dieser Tierchen knabbert, freudig quieckend an den Augenlidern des Ernährers; ebenso werden dessen Lippen von einer hässlichen Ratte mit braunem, stinkenden Fell, zermartert.
Der Alte kann nicht mehr. Blut fließt aus all den Wunden über sein Gesicht und erschwert ihm das Atmen. Die Ratten, mit ihren vollgefressenen Körpern, drücken ihn zu Boden und sehr bald sind auch seine letzten Kräfte dahin. Seine Brust bewegt nur langsam und bald bleibt sie mehr still am Boden.
Auch nach seinem Tot kauen die Ratten – es müssen inzwischen mindestens hundert sein – auf dem noch warmen Fleisch ihres Opfers. Im Blutrausch bemerken sie ebenso wenig wie all die schlafenden Menschen, dass sie beobachtet werden: Carlos steht unter einer Laterne und beobachtet die Tragödie mit einem finsteren Lächeln auf seinem feuchten Gesicht.
„Danke meine Kleinen -“, flüstert er vor sich. „- einer weniger....einer weniger, der die Stadt verschmutzt.“
Still schaut er weiter zu, wie die Ratten inzwischen auf dem blanken Schädelknochen nagen und Reste von Blut und Fleisch minutiös verschlingen.
Ein Gelächter schallt durch die Straßen der verwahrlosten Stadt – und Carl? Verschwunden im Nebel und in der schützenden Dunkelheit.