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Gott im Hafeneck
Hey Charlie, warte mal, ich muss dir unbedingt was erzählen. Doch, doch, hör doch mal zu. Was soll das heißen, Rita wartet? Deine Alte wird doch mal fünf Minuten ohne dich auskommen. Mann, mir ist was unglaubliches passiert, das glaubst du nicht, so etwas hast du noch nie gehört. Komm, setz dich und bestell dir noch ein Bierchen. Und wenn du schon dabei bist, kannste mir doch auch gleich eins ordern. Hey Jupp, lass für Charlie noch 'n Pils laufen und für mich noch 'n Krusovice. Geht auf Charlie. Bist echt ein Kumpel, Charlie. Also, hör zu. Kannst du dich noch an letzte Woche erinnern, als wir hier mit Chris, Jockel und Matthes saßen und sich dann dieser Spinner zu uns gesellt hat? Genau, dieser bekennende Christ, dieser Fischfresser mit seinem Gesülze. Du hast ihn doch mit der Frage ausgekontert, wie es Gott, wenn es ihn denn überhaupt gibt, zulassen kann, dass ständig so viele Menschen sinnlos verrecken. Erinnerst du dich auch noch an diese völlig bescheuerte Antwort, von wegen, Gottes Wege seien unergründlich? Genau, damit reden die sich immer raus. Aber jetzt kommt’s, pass auf, Charlie, ich habe jetzt den ultimativen Gegenbeweis. Na dafür, dass Gottes Wege eben nicht unergründlich sind. Woher ich das weiß? Mann, woher wohl? Ich hab Gott persönlich getroffen. Wo? Na, hier im Hafeneck, wo denn sonst? Zwei Krusovice bis jetzt, warum? Mann, ich bin nicht besoffen, hör halt einfach zu.
Also, gestern saß ich mal wieder hier am Tresen und...Was soll das heißen, ich sitze jeden Abend hier? Ist doch egal, das hat doch mit der Geschichte nichts zu tun, wichtig ist doch nur, dass ich gestern hier am Tresen saß, als dieser Typ mich anlabert. Was für ein Typ? Mensch, Charlie, wenn du mich mal ausreden lassen würdest, hätte ich dir schon längst erzählt, was für ein Typ das war. So, Prost erst mal. Also, wo war ich? Ach ja, ich sitze am Tresen, genieße das erste Krusovice des Abends – und du weißt, das erste Bierchen schmeckt am besten, die anderen trinkt man ja nur, damit sich das Erste nicht so alleine fühlt. Was? Ja, ja, Rita wartet, weiß ich ja. Ich trink also den ersten Schluck des Abends, da kommt dieser Typ rein und setzt sich auf den Hocker neben mir. Ein Seitenblick und mir war klar, der kann sich nur verlaufen haben. Wieso? Mensch, Charlie, hast du hier schon mal jemand mit Nadelstreifenanzug und Krawatte gesehen? Na, also, sag ich doch. So was senkt doch gleich das Niveau einer Kneipe. Siehste, sind wir doch mal wieder einer Meinung. Darauf ein Prösterchen. Mmmh, geht doch nix über’n dunkles Kruso.
Also, der Typ sitzt da und ich kümmere mich gar nicht um ihn. Wird sowieso nicht alt hier, dachte ich. Aber denkste. Kaum gedacht, labert er mich auch schon an. Ob ich an einem guten Deal interessiert wäre. Nein, Charlie, jetzt kommt keine meiner üblichen Kifferstories, wart’s halt einfach ab. Du weißt ja, wenn ich 'ne Geschichte erzähle, dann erzähle ich sie auf meine Art. Die Zeit musst du dir schon nehmen, Rita hin, Rita her.
Also, der Typ bietet mir einen Deal an und ich frage ihn, was das denn für ein Deal sein soll. Ich war ja eher uninteressiert, aber man will ja nicht unhöflich sein, kennst mich ja.
Der Typ schaut nach links, schaut nach rechts, dann beugt er sich zu mir rüber und sagt so leise, dass ich es kaum verstehe, für ein warmes Essen und zwei, drei Bierchen würde er mir den Planeten verkaufen. Gleich den ganzen Planeten, frage ich, ne Nummer kleiner geht’s nicht? Und grinse mir eins. Er sagt nix, schaut mich nur an. Minutenlang. Echt, der hat die ganze Zeit nix gesagt, nur geguckt. Mir wurde ganz schummerig, aber weggucken konnte ich auch nicht. Wieso? Na, das kannste dich ja mal fragen, wenn Rita dir das nächste Mal erklärt, wann Sperrstunde ist. Mann, jetzt stell dich nicht so an, tut mir leid, ich wollte Rita eigentlich nicht mehr erwähnen, aber du provozierst das ja geradezu. Also, weiter im Text. Irgendwann hab ich es nicht mehr ausgehalten, wie der mich anschaut und ihn gefragt, wie er denn dazu käme, den Planeten zu verhökern. Und dann ging’s erst richtig los. Er sagt, er sei Gott und hätte diesen Planeten erschaffen. Zwar in einem Anfall von geistiger Umnachtung, was wiederum damit zusammen hinge, dass er damals ziemlich fertig gewesen sei, weil ihn seine Alte verlassen hatte, aber immerhin: er hätte das Programm für diesen Mist geschrieben, wobei ihm wohl der ein oder andere Code daneben gegangen sei. Ich schau ihn mir von oben bis unten an und sage, er sähe gar nicht wie ein Programmierer aus und Gott hätte ich mir auch anders vorgestellt. Die Programmierer, die ich kennen würde, wären alle noch im schulpflichtigen Alter und der große Boss würde doch bestimmt nicht wie ein Broker rumlaufen. Daraufhin grinst er und fragt, wie es denn nun sei mit dem Bier und dem Essen und so. Ich dachte, was soll’s, zumindest ne witzige Story könnte dabei rausspringen. Also gebe ich Jupp ein Zeichen und warte auf die Erklärung von Gott.
„Den Anzug habe ich angezogen, weil das seriöser aussieht“, sagt er, nachdem er einen ersten Schluck getrunken hat, „oder würdest du mir glauben, dass ich die Erde zu verkaufen hätte, wenn ich hier mit Schlabberhose und St. Pauli-T-Shirt reinkommen würde?"
Mann, Charlie, stell dir das vor, Gott ist Fan vom FC St. Pauli! Doch bevor ich ihn fragen kann, wieso er es zulässt, dass unser Verein in den Niederungen der Regionalliga rumdümpelt, während die Deppen aus München in der Championsleague spielen, labert er auch schon weiter. „Ich dachte, so ein Anzug macht was her, aber dennoch kauft mir keiner den Planeten ab", seufzt er. Oder deine Geschichte, denke ich. Mann, Charlie, jetzt nerv doch nicht, ich beeile mich ja schon. Dann bestell dir doch noch eins, mein Glas ist übrigens auch leer. Danke, bist echt ein Kumpel. Wo war ich? Ach ja, wir saßen also da, haben noch das ein oder andere Krusovice gesüffelt und über dies und jenes gesprochen, sozusagen über Gott und die Welt, und irgendwann habe ich ihm dann auch die von dir formulierte Frage gestellt. Ja genau, Charlie, so bin ich. Selbst wenn ich mich mit Gott unterhalte, vergesse ich meine besten Freunde nicht. Prösterchen. Ich glaube, er hat mir auch eine plausible Erklärung für all die Toten gegeben, aber ich kann mich ums Verrecken nicht mehr daran erinnern. Muss wohl zwischen dem ein oder anderen Bier verschütt gegangen sein. Aber das ist doch auch egal. Viel wichtiger ist doch, dass es sie gibt, die Erklärung. Ist also nix von wegen, Gottes Wege sind unergründlich. Ich mein, der Typ wusste ganz genau, was er wollte. Mensch, Charlie, ich ärgere mich ja selbst, vor allen Dingen, weil der Typ sich vom Acker gemacht hat – und ich jetzt sehen kann, was ich mit dem Planeten anstelle. Den hab ich jetzt nämlich an der Hacke. Ich hoffe nur, es macht mich keiner regresspflichtig für all den Mist... Hast du kein Interesse? Ich mein, für ne Runde Krusovice würde ich dir das Ding glatt abtreten. Hey Charlie, jetzt hau doch nicht gleich ab. Haut der ab. Und was mach ich jetzt mit dem Kram?