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Grüne Krieger
„Commander!“ Ein junger Funker stürzte eilig durch den Regencapevorhang in den Versammlungsraum. „Gerade ist der Kontakt zu Norfolk abgebrochen, Sir! Auf unsere Rufe meldet sich dort keiner.“
„Wahrscheinlich können sie das nicht mehr. Zu wem besteht noch eine Verbindung?“
„Sir, jetzt zu niemandem mehr, Sir!“
Commander Trashton hatte dies bereits erwartet. Kraftlos nahm er die entsprechende Mini-Flagge von der großen Wandkarte. Ihre eigene steckte jetzt als einzige darin.
Nachdem Norfolk gefallen war, blieben nur noch sie als letzte Bastion der Zivilisation – eine bis an die Zähne unzureichend bewaffnete Kampfgruppe, bestehend aus fünfunddreißig müden Männern. Und der Feind war auch hier schon sehr nah.
Trashton fühlte sich eigentlich nicht wirklich hilflos.
An diesem Gefühl war er schon lange vorbei. Seines Erachtens nach war er mittlerweile bei purer Verzweifelung angekommen. Doch das durfte er seine Leute nicht spüren lassen.
Bedrückende Stille machte sich breit, als er den neuen Grenzverlauf zwischen ihnen und den grünen Kriegern, wie die Männer den Feind nannten, auf der Karte markierte. Nur eine nicht unerhebliche Anzahl an Mücken missachtete frecherweise diesen überaus emotionsgeladenen Moment und surrte fiepend und fröhlich ob dieses schwülen Frühsommerabends um die schweigend schwitzenden Soldaten.
Ein weiterer Melder hastete durch den improvisierten Vorhang und brachte gleich noch ein paar zusätzliche Mücken mit.
„Sir, die Späher melden neuen Feindkontakt drei Kilometer Südsüdost.“
Die Erfolgsmeldungen rissen diese Nacht wohl überhaupt nicht ab, dachte Trashton und ließ die Männer wegtreten.
„Der schwache Mondschein verlangsamt sie,“, überlegte er laut und sprach dabei zu seinem Adjutanten Millsky, von dem er jedoch wie gewöhnlich keine sinnvolle Antwort erwartete. „Sie werden dem Flussverlauf folgen...“, sagte er und machte dann eine kurze Gedankenpause, denn guten Adjutanten musste man die Chance geben, etwas zum Gespräch beizutragen. Nachdem aber kein guter Adjutant anwesend war und sich auch sonst niemand verantwortlich fühlte, die Lücke zu schließen, sprach Trashton einfach weiter:
„Das führt sie direkt hierher. Gegen Morgengrauen werden sie bei uns vor der Tür stehen.“
„Vor dem Vorhang, Sir!“, berichtigte Millsky seine Chef vorschriftsmäßig.
Manchmal wünschte sich Trashton, er hätte bei der Auswahl seines Adjutanten, sich dessen Unterlagen genauer bzw. überhaupt angesehen. Aber damals vor einer Woche musste alles sehr schnell gehen. Überhaupt standen nur zwei Anwärter zur Auswahl, von dem der eine ein Idiot und der andere ein dreizehnjähriger Militärschulenkadett gewesen war. Und Kinder gehörten nun wirklich nicht in den Krieg, oder zumindest nicht in einen Militärstab.
„Wie dem auch sei“, versuchte Trashton wieder zurück in seinen vorherigen Gedanken zu finden, „Wie viele Waffen stehen uns noch zur Verfügung?... Millsky!“
„Äh... Sir... Äh, ich glaube äh... hundert Gewehre mit je...“
„Vergessen Sie die Schusswaffen. Wie sieht’s mit Flammenwerfern aus?“
„Weiß nich. Fünfzehn?“
„Das reicht nicht, wir brauchen mehr. Improvisieren Sie was!“
„Improvisieren, Sir?“
„Ja! Bauen Sie irgendwas zusammen. Besser noch: lassen Sie was bauen von jemandem, der davon etwas versteht.“
„Wen meinen Sie Sir?“
„Stellen Sie sich nicht so an Millsky. Irgendjemand! Von mir aus auch einen, der als Kind das „A-Team“ regelmäßig gesehen hat. Hauptsache Sie verschaffen mir mehr Flammenwerfer.“
Er deutete Millsky den Weg nach draußen unter Zuhilfenahme seines Stiefels.
„Und vergessen Sie ja nicht die Werfer aufzufüllen!“, rief er ihm hinterher.
„Auffüllen, Sir?!“
„Mit Benzin! Stehen doch überall genug Fahrzeuge rum.“
„Äh... ja Sir!“
Dann war der Kopf des Adjutanten wieder hinter dem wasserdichten Behelfsvorhang verschwunden und Trashton stand allein im Versammlungsraum.
Er ging erneut zur Wandkarte und las die mittlerweile bedeutungslos gewordenen Namen der Großstädte. Alles war zerstört. Alles schien verloren.
Die Menschen waren geflüchtet, doch wohin? Die grünen Krieger breiteten sich wie eine Seuche über den gesamten Planeten aus. Wie die Pest – ja, das waren sie wirklich.
Trashton verließ seinen Kommandobunker und ging quer über den Sammelplatz. Auf der anderen Seite stand das Zelt Doktor Trondheims, der nach Trashtons Meinung nun dringend etwas zur Lösung des Problems beizutragen hätte.
„Wie weit sind Sie mit ihren Überlegungen gekommen?“, fragte er barsch ohne anzuklopfen.
„Nun... Ich habe hier überhaupt keine Ausrüstung, mit der ich etwas herstellen könnte. Davon einmal abgesehen habe ich Ihnen schon gestern gesagt, dass ich keine Möglichkeit sehe...“
„Davon will ich nichts hören. Sie haben die Dinger entwickelt, dann können Sie sie auch wieder zerstören.“
„Ich war nur ein kleines Rädchen bei der NASA. Ich hab lediglich ein Molekül beigesteuert. Zugegeben, ein sehr, sehr komplexes Ding – hat mich drei Jahre Entwicklungszeit gekostet. Sie hätte sehen sollen, wie die Kollegen gestaunt haben, als ich ihnen erklärte, dass....“
„Lassen Sie sich endlich etwas einfallen!“, unterbrach Trashton die Ausschweifungen des Doktors, „Morgen früh ist der Feind hier.“
„Ja sie sind schnell, meine kleinen Liebl... äh... die grünen Krieger. Sie müssen bedenken, dass sie immerhin für den Einsatz auf dem Mars gedacht waren. Da muss die Erde für sie ein wahres Paradies sein. Kein Wunder, dass sie sich so prächtig entwickeln.“
„Schön, dass es ihnen hier gefällt“, kommentierte Trashton ironisch. „Aber das ist unser Planet. Es hat praktisch ewig gedauert, bis wir alles aufgebaut haben. Deswegen lass ich mir das nicht von so ein paar...“
„Na, na! Beruhigen Sie sich Commander! Ich verstehe Sie ja, und glauben Sie mir, niemand bereut mehr als ich, dass es zu diesem Missgeschick...“
„Missgeschick?!“
„Ich meinte Unglück... Dass es zu diesem Unglück gekommen ist. Ich denke die ganze Zeit praktisch über nichts anderes nach.“
„Gut, dann machen Sie damit weiter!“
Mit diesen Worten verließ Trashton wieder das Zelt des Doktors. Das konnte alles nichts werden, dachte er sich. Aber es musste schließlich dennoch versucht werden. Soviel waren sie ihren Vorvätern schuldig.
Er ging durch das Lager und suchte Millsky. An einen LKW gelehnt fand er ihn schließlich. Trashton wollte ihn gerade wieder einmal zurechtstutzen, was er sich einfallen ließe, hier so sinnlos herumzustehen, da hielt ihm sein Adjutant sichtlich stolz ein seltsames, schlauchiges Ding entgegen.
„Hier Sir!“
„Millsky! Äh... was ist das?“
„Ein Flammenwerfer, Sir! Wie befohlen.“
„Und funktioniert er?“
„Da können Sie ihren Arsch drauf verwetten, Sir.“, antwortete ein kleiner Zigarre rauchender Corporal, der neben dem LKW auf einer Kiste saß und an einem weiteren dieser Geräte herumschraubte.
„Sir, Sie sagten doch, ich solle mir jemanden suchen, der etwas davon versteht. Die Jungs haben mir Corporal Brownman hier empfohlen.“
„Corporal!“
„Sir!“
„Woher stammt denn ihr Wissen um Flammenwerfer?“
„Sir?“
„Warum können Sie solche Dinger bauen?“
„Och, dis hat mir mein Daddy beigebracht. Ich komm aus Alabama, und da haben wir früher in de Wälder immer Sumpfratten mit gejagt.“
„Na gut, dann weitermachen Corporal. Millsky, mitkommen!“
„Äh... Jawohl Sir.“
Den Rest der Nacht verbrachten Trashton und sein Adjutant damit, die Schutzanlagen und Verteidigungsstellungen rund um das Lager verstärken zu lassen. Trashton wusste, dass dies im Zweifelsfalle nur Millisekunden an Widerstand bot, aber so konnten sich die Männer wenigstens mit etwas beschäftigen. Schlaf würden sie sowieso nicht finden.
Als die Sonne beinahe den Horizont überschritten hatte, kam erneut ein Melder aus einem vorgezogenen Beobachtungsposten.
„Sir, sie sind jetzt da!“
„Doktor, ist Ihnen etwas eingefallen?“, fragte Trashton den Wissenschaftler, der gerade mit morgendlich verschrobenem Gesicht aus seinem Zelt stolperte.
„Nun... um ehrlich zu sein: Nein. Muss wohl eingeschlafen sein. T’schuldigung.“
„Hatte damit schon gerechnet“, grummelte Trashton in seinen Fünf-Tage-Kurzhaarschnauzer, „Dann will ich mir mal unseren Feind aus der Nähe ansehen.“
Kurz entschlossen rannte er mit dem Melder vor in dessen Stellung. Millsky und der Doktor eilten ihnen hinterher.
Mit dem Fernglas an den Augen sah Trashton die feindlichen Massen, wie sie sich von einem Rand des Flusstales zum anderen erstreckten. Eine lebende Wand, die dort rauschend, raschelnd und knackend auf sie zu kam.
„Oh Mann! Sie sind größer, als ich vermutete hatte. Und wie schnell alles passiert. Es sieht fast so aus, als würden sie sich bewegen.“
„Ich sagte Ihnen doch, dass für sie die Erde ein Paradies ist“, erklärte der Doktor das beeindruckende Schauspiel, „Die Wachstumsgene können sich hier voll entfalten. Sehen Sie: sie haben bereits begonnen sich zu spezialisieren. Einfach fantastisch!“
Der Doktor war von dieser Entdeckung hin und weg. Trashton musste ihm das Fernglas förmlich aus der Hand reißen.
„Ich kann nur sagen: das ist mein Planet und ich gebe ihn nicht kampflos auf! Wir ziehen uns in die Verteidigungsstellungen zurück!“
Die Soldaten und der Doktor rannten geduckt in Richtung Lager, während die grünen Krieger hinter ihnen Meter um Meter näher kamen.
„Sind alle Stellungen mit Flammenwerfern und genug Benzin ausgerüstet worden?“
„Äh.. Ja Sir, glaube schon.“
„Glaube ist wohl das einzige, von dem Sie genug haben Millsky! Na gut, dann alles fertig machen.“
Befehle wurden durch das Lager geschrieen. Die Männer luden die Flammenwerfer, machten kurze Probestöße und harrten der Dinge, die nun kommen würden.
„Achtet auf eure Körperöffnungen!“, rief der Commander noch schnell allen zu, dann war der Feind heran.
Blätter flogen. Äste knackten. Dazwischen wilde Schreie. Hilferufe. Befehle. Flammstöße erhellten das Geschehen im Sekundentakt. Bäume brannten. Grüne Krieger überall. Die Menschen dazwischen, wie Hasen durchs Unterholz springend. Flüchtend. Rennend. Fallend.
Und immer wieder Feuer und Schreie von allen Seiten.
Etwas knackte über Trashton und traf ihn schwer am Helm. Als er wieder zu sich kam, war alles vorüber. Benommen wollte er aufstehen, doch ein paar dicke Wurzeln hatten ihn mit seinem rechten Arm an den Waldboden gefesselt.
Ein Wald.
Ein Wald stand jetzt da, wo eben noch das planierte und baumlose Lager gewesen war. Die grünen Krieger hatte es einfach überwuchert, wie alles andere auch. Ein paar vereinzelte Stümpfe brutzelten im Morgenlicht, ansonsten hatte es unter den Marsbäumen keine allzu großen Verluste gegeben. Die Front des Waldes war weiter den Fluss hinauf Richtung Nordwesten gezogen.
Millsky kam von irgendwo angelaufen.
„Sir, geht es Ihnen gut?“
„Ja. Helfen Sie mir nur diese Wurzeln loszuwerden.“
„Äh.. Jawohl Sir!“ Der Adjutant fuchtelte derart wild und planlos mit seinem Messer rum, dass Trashton Angst um seinen Arm bekam.
„Das genügt schon Millsky! Wie geht es den Männern? Verluste?“
„Nur einen: Crowd hat wohl aus Versehen ein paar Nüsse oder so etwas ähnliches in die Nase bekommen. Und nun... na ja, es ist was gewachsen.“
„Schon gut!“
„Sir, unsere Kommunikationsanlagen wurden zerstört.“
„Ist sowieso egal. Es gab keinen mehr, den wir hätten anfunken können.“
„Und was machen wir jetzt, Sir?“
Trashton sah sich um. Die Welt erschien nun wieder so grün und waldig, wie sie es schon vor Urzeiten einmal gewesen war. Die Natur hatte zurückgeschlagen.
„Wir suchen uns ein paar Äxte und Sägen und fangen von vorn an!“